Ein Designer hat schwebende Würfel erdacht, die neuen Raum schaffen sollen – und als Klimaanlage funktionieren

Viele Städte drohen über die kommenden Jahre zu regelrechten Hochöfen zu werden. Vor allem Metropolen heizten sich infolge des Klimawandelns immer stärker auf. Ein Designer hat nun eine skurrile Lösung erdacht. Er will Straßenschluchten mit künstlichen Wolken kühlen, die zudem neue Räume erschließen und nutzbar machen.

Von Michael Förtsch

Es ist ein Anblick, der in einem Science-Fiction- und Cyberpunk-Universum wie Blade Runner oder auch Westworld nicht fehl am Platz wirken würde. Zwischen engen Häuserschluchten schweben große weiße Würfel. Wie verzurrte Ballons hängen sie einfach in der Luft – über Straßen, Gehwegen oder auch neben riesenhaften Hochhäusern, die an kleine Parkanlagen grenzen. Mit ihrer prallen weißen Hülle erinnern die merkwürdigen Konstrukte etwas an Ballontiere. Und das nicht von ungefähr. Es handelt sich um Gebäude, die als Leichter-als-Luft-Vehikel erdacht und konstruiert sind. Sie könnten in großen Städten sowohl zusätzlichen Raum schaffen als auch für besseres Klima sorgen.

Die Idee ist, dass sich die [schwebenden] Strukturen dahingehend programmieren lassen, je nachdem, was in der Nachbarschaft gerade gebraucht wird

Andreas Tjeldflaat

Hinter dem Oversky genannten Konzept steht das in Norwegen und den USA beheimatete Architektur-, Forschungs und Designstudio Framlab. Dessen Gründer Andreas Tjeldflaat blickt bereits seit einigen Jahren mit Sorge auf den Klimawandel und insbesondere, wie dieser die bevölkerungsreichsten Orte der Welt trifft – die Metropolregionen, in denen global Milliarden von Menschen wohnen. Durch die dichte Bebauung, die Massen an hitzespeichernden Beton und Asphalt, den Mangel an Grünflächen und Durchzugszonen für frischen Wind werden diese zu Hitzeinseln. Um zwei bis drei Grad Celsius kann die Temperatur in einer Innenstadt über der außerhalb der Stadt liegen.

Einige Forscher fürchten, dass sich das Phänomen noch verschärfen wird – und Teile von Städten wie Tokio in den Sommermonaten unbewohnbar werden könnten. Genau dagegen will Tjeldflaat etwas tun. „Ich kann nicht den genauen Moment spezifizieren, in dem die Idee für das Projekt entstand“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Es waren verschiedene Interessen, Referenzpunkte und Diskussionen, die sich überlappten und dann irgendwann zur Basis dieses Konzeptes zusammensetzen.“ Ein Konzept, das es ermöglichen soll, die immer heißer werdenden Städte nachhaltig und dauerhaft zu kühlen – und das ohne Einsatz von elektrischem Strom.

Neuer Raum

Die Inspiration für Oversky sollen vor allem Wolken geliefert haben. Denn zieht eine Wolke über den Himmel wird es im Schatten, den sie wirft, spürbar kühler. Und auch wenn einige der Mechaniken bis heute nicht gänzlich geklärt sind, beeinflussen sie auf massive Weise das Weltklima. Tjeldflaat sinnierte darüber, wie sich statische Wolken erschaffen lassen könnten, die das lokale Klima einer Stadt wieder in eine für Menschen verträgliche Waage ziehen lassen. Die Technologie für solche Strukturen ist durchaus vorhanden, wie der norwegische Designer sagt. Und zwar in Form von Starrluftschiffen – wie den legendären Zeppelinen. Anders als bei einem Prallluftschiff, bei dem ein riesiger Ballon mit Gas gefüllt wird, werden hier zahlreiche kleinere gasgefüllte Ballons in ein Skelett aus Streben eingesetzt. Der Raum dazwischen ist dadurch frei und nutzbar.

Die Idee von Tjeldflaat ist es daher, rund zehn Meter breite Würfel zu fertigen, die sich über ein Modulsystem miteinander verknüpfen und kombinieren lassen. Sie würden aus einem leichten, aber widerstandsfähigen Stoff gefertigt, der durch einen Rahmen aus Karbon und Helium, das in dünne Zwischenwände gepumpt wird, in Form gehalten wird und Auftrieb bekommt. Nicht jeder der Würfel müsste sich selbst in der Luft halten. Stattdessen sollen einzelne Kuben, die mit zahlreichen Gas-Ballons gefüllt sind, als Trägereinheiten dienen, die wenn an den richtigen Stellen platziert, dem gesamtem Konstrukt Auftrieb liefern. Vorbild für diese Idee sind nicht nur Zeppeline, sondern auch Cloud Nine, eine Idee des legendären Erfinders Buckminster Fuller, der glaubte, dass sich ganze Städte in schwebenden Bällen unterbringen ließen.

Da sich zahlreiche der schwebenden Kuben zu regelrechten Boulevards oder Archipelen verzahnen lassen, glaubt Tjeldflaat, könnte durch sie in dem bisher „ungenutzten Luftraum“ in den Gebäudeschluchten ein neuer public space entstehen „Die Idee ist, dass sich die [schwebenden] Strukturen dahingehend programmieren lassen, je nachdem, was in der Nachbarschaft gerade gebraucht wird“, sagt der Designer. In den Kuben könnten sich Klassenräume, Yoga-Studios und Cafés einrichten lassen. Die Dächer der Kuben hingegen könnten als schwebende Bürgersteige dienen oder als Brücken, die auch Gebäude verbinden könnten. Einen Zugang könnten auf diese Weise verschiedene Häuser liefern. Die schwebenden Wolken könnten außerdem durch Wendeltreppen auf Bürgersteigen betreten werden, die zudem als zusätzliche Stützen dienen würden.

Kühlung durch Nanomaterial

Mit Oversky soll sich in Städten praktisch aus der Luft heraus neuer Raum erschließen lassen. Das alleine mache das Konzept schon wertvoll, glaubt Tjeldflaat. Aber es soll die Städte eben auch kühlen – nicht nur durch den Schatten, den die Kunstwolken werfen. Und zwar mittels radiative cooling, das durch eine besondere Beschichtung der Außenhaut der Würfel ermöglicht wird. Eine dünnes schaum-artiges Nanomaterial, das mit unzähligen kleinen Lufttaschen durchzogen ist, soll „das Sonnenlicht und die Wärmestrahlung in einer spezifischen Wellenlänge reflektieren“, sagt Tjeldflaat. Die Strahlung wird in die Atmosphäre geworfen, wo sie dann ins All entkommt. Das Resultat: Die Hitze wird reduziert und die Umgebung der Kuben kühler.

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Diese Technologie ist nicht nur theoretischer Natur, sondern wird bereits eingesetzt. Schweizer Forscher experimentieren mit einem ähnlichen Konzept, um Glasplatten ohne elektrischen Strom mehrere Grad unter die Umgebungstemperatur zu kühlen und so Wasser aus der Luft zu gewinnen. Und die NASA nutzt radiative cooling, um Teile des James-Webb-Teleskops bei optimaler Betriebstemperatur zu halten. Um wie viele Grad die verbundenen Oversky-Kuben eine Stadt kühlen könnten, dazu mag Tjeldflaat keine definitive Aussage treffen. Doch der Effekt würde spürbar sein. Denn Elemente, die radiative cooling ermöglichen, können bis zu fünf Grad kälter als ihre Umgebungstemperatur sein. Diese Eigenschaft würde zudem noch zusätzliche Kühlungsoptionen ermöglichen. Die schwebenden Würfel könnten beispielsweise Regenwasser auffangen, durch dünne Röhrchen der Hülle zirkulieren lassen und dann an der Unterseite als einen kühlen Nebel ausstoßen.

Die Wissenschaft stimmt, die Materialien gibt es und auch die Technik haben wir – das alles ist da.

Andreas Tjeldflaat

Ob und wie Oversky irgendwann umgesetzt werden könnte, da kann Andreas Tjeldflaat selbst nur mit den Schultern zucken. Derzeit wären die fliegenden Würfel mehrheitliche ein „spekulatives Projekt“, das die Möglichkeiten vorhandener Technologien und Konzepte aufzeigen und zu deren Einsatz motivieren soll – aber dennoch machbar sei. „Die Wissenschaft stimmt, die Materialien gibt es und auch die Technik haben wir – das alles ist da“, sagt Tjeldflaat. „Das Projekt braucht natürlich einiges an Weiterentwicklung, es bräuchte Modelle und Prototypen, um Kapazitäten und Belastungsgrenzen auszutarieren.“ Aber eigentlich spräche nichts dagegen, dass diese Science-Fiction-Szenerie irgendwann zur Wirklichkeit wird. Oder eben andere Projekte, die die Prinzipien von Oversky aufgreifen. Interesse sei jedenfalls vorhanden, deutet Tjeldflaat an.

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