Ein Unternehmen aus Texas will bereits in zwei Jahren einen Back-up-Dienst für sensible Daten auf dem Mond starten. Dort sollen Daten für den Fall bewahrt werden, dass die Erde durch Katastrophen in Mitleidenschaft gezogen wird. Die Tests der Hard- und Software sollen noch in diesem Jahr starten.
Von Michael Förtsch
Die Menschheit hat in den Jahrtausenden ihres Bestehens viel hervorgebracht. Vor allem Kunst, Kultur und Wissenschaft. Und auch jede Menge an Daten. Darunter die Analysen des menschlichen Genoms, Karten unserer Erde, Abertausende von Fotos des uns umgebenden Universums, Romane, Abschriften von historischen Dokumenten und vieles mehr. Diese Daten zu bewahren ist eine historische Herausforderung. Der Krieg in der Ukraine, bei dem Universitäten, Museen und auch Rechenzentren zerstört wurden, führt drastisch vor Augen, wie schnell digitales Wissen bedroht sein kann. Seit 2017 existiert in einer ehemaligen Kohlemine in direkter Nachbarschaft des Svalbard Global Seed Vault bereits das Arctic World Archive, in dem schon jetzt Fotos von Kunstwerken, Filme, Musik aber auch Software eingelagert werden.
Geht es nach Christopher Stott, ist das jedoch bei weitem nicht sicher genug. „Daten treiben unsere Gesellschaften zu neuen Höhen und liefern Lösungen für unsere Probleme. Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Epoche für die Menschheit, an einem Scheideweg in eine bessere Zukunft oder in gar keine Zukunft“, sagt er im Gespräch mit 1E9. Daher dürften wir nicht riskieren, Daten an mögliche Katastrophen wie Kriege, Überschwemmung, Tsunamis, Erdbeben oder Terroranschläge zu verlieren. Genau das täten wir jedoch, wenn wir sie nicht an einem wirklich sicheren Ort speichern. Einem Ort, „außerhalb unserer Biosphäre“, unterstreicht der Gründer des US-Start-ups Lonestar Data Holdings. Gemeint ist damit: der Mond.
Auf dem Trabanten will Christopher Stott mit seinem Team über die kommenden Jahre mehrere Datenzentren aufbauen, die als ein extraterrestrisches Back-up funktionieren. Es sei einfach die logische Lösung, um Daten für die Eventualität zu konservieren, dass es auf der Erde zu Ereignissen kommt, die sie auslöschen könnten. „Wir haben uns auch terrestrische Lösungen angeschaut, wir haben über Datenzentren unter Wasser, auf einem Satelliten nachgedacht und mehr“, sagt Stott. „Aber wir kamen immer wieder zum Mond zurück. Es ist fast, als wäre er als Datenhafen geschaffen worden: Er ist kalt, geologisch stabil, abgelegen und dennoch von der Erde aus stets in Sicht. Er ist einfach ideal.“
Eine einfache Aufgabe?
Der Aufbau eines Datenspeichers auf dem Mond ist laut den Ingenieuren von Lonestar Data Holdings kein wirkliches Problem. „Das klingt nach Science Fiction, aber für uns in der Raumfahrtindustrie ist es ein sehr realistisches Ziel“, bestärkt Stott. Es gehe schließlich nicht darum, riesige Lagerhallen auf der Mondoberfläche hochzuziehen, in denen dann Abertausende von Computern rund um die Uhr rechnen – zumindest nicht sofort. „Wir landen einfach Sonden auf der Mondoberfläche“, erklärt der Lonestar-Gründer. Genauer: Es sind Nova-C-Landemodule, die das Raumfahrt-Start-up Intuitive Machines entwickelt. Die würden Computer und Datenspeicher enthalten und könnten untereinander kommunizieren. Solarmodule würden für Strom sorgen. Und eine dedizierte Kommunikationssonde mit großen Antennen, die auf dem X-, S- und Ka-Radiospektrum funken, würde eine 15 Gigabit schnelle Verbindung zur Erde garantieren.
Aber wir kamen immer wieder zum Mond zurück. Es ist fast, als wäre er als Datenhafen geschaffen worden.
Christopher Stott
Entwickelt wird die nötige Technik gemeinsam mit dem Raumfahrtunternehmen Redwire, dem Technologieunternehmen Skycorp und dem Linux-Software-Entwickler Canonical. Ob und wie gut die Technologie funktioniert, das soll bald getestet werden. Denn die Computer und Speicher müssen kosmischer Strahlung und Temperaturen von über 100 Grad in der Sonne und -180 Grad Celsius im Schatten standhalten. Noch in diesem Jahr soll Intuitive Machines für die NASA mit der Mission IM-1 mehrere Technologieexperimente und Geräte auf den Mond transportieren, die später bei den Artemis-Missionen zum Einsatz kommen sollen. Mit an Bord soll auch ein Software-Prototyp von Lonestar sein.
Bei der Folgemission IM-2 im Jahr 2023 soll dann bereits ein echtes Mini-Data-Center als Zuladung auf den Mond reisen. Das ist so groß wie ein Buch, ein Kilogramm schwer und mit einem Speicher von 16 Terabyte ausgestattet, erklärt Stott. „Die Starts sind schon gebucht“, sagt er. „Die Nutzlast ist bereits gebaut.“ Zwei Wochen lang soll diese von der Erde aus ausgiebigen Testläufen unterzogen werden. Das erste Data Center für die kommerzielle Nutzung, das fünf Petabyte an Speicher bieten soll, soll – falls es keine unvorhergesehenen Probleme gibt – 2024 auf dem Mond aufsetzen. Ein weiteres, das mit 50 Petabyte an Platz ausgestattet ist, soll zwei Jahre später folgen.
Wirklich sicher?
Wer hofft, seine wertvollen Urlaubsfotos alsbald auf dem Mond einzulagern, der wird enttäuscht. Zuvorderst soll der Dienst von Lonestar anderen Unternehmen, Regierungen und Forschungseinrichtungen angeboten werden, die „kritische Daten“ verwahren wollen. Disaster Recovery as a Service sei die Dienstleistung, die Lonestar zu Beginn vermarkten will. Jedoch könne der Dienst später auch für normale Nutzer geöffnet werden. Die Kosten für das Datenspeichern auf dem Mond, das prophezeit Stott, seien nämlich etwas, das sich prinzipiell jeder leisten könne. Es würde den „üblichen Marktpreisen“ für Cloud- und Back-up-Speicher entsprechen.
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Jetzt Mitglied werden!Das Start-up denkt jedoch auch schon weiter. Statt nur Sonden mit Speicher auf dem Mond abzusetzen, könnten später auch regelrechte Server-Farmen auf dem Erdtrabanten angelegt werden – beispielsweise sicher und kühl in Lavahöhlen, die sich finden lassen. Roboter könnten den Aufbau der Rechenzentren und in Teilen vielleicht auch deren Wartung übernehmen. „Klingt merkwürdig?“, fragt Stott. „Der Einsatz von Robotern im Baugewerbe nimmt rapide zu, und die NASA fliegt buchstäblich aus der Ferne einen Hubschrauber auf dem Mars.“ Für den Texaner ist das keine Science Fiction, sondern lediglich eine Frage von Zeit und Geld.
Das Konzept von Lonestar ist bei weitem nicht ohne Kritik. Alleine schon die Kosten für den Aufbau eines großen Datenspeichers auf dem Mond sind gigantisch. Der Transport eines Kilogramms Nutzlast kostet rund eine Million US-Dollar. Derartige Summen zum Aufbau eines angeblich auch noch günstigen Back-up-Services zu investieren, wäre Unsinn, kritisiert etwa Rupert Goodwins von The Register. Ebenso sei der Mond keinesfalls so sicher, wie Lonestar glaube. Denn der steht unter Beschuss, wie seine Krateroberfläche zeigt. Laut Christopher Stott wäre die sichere Umgebung des Mondes jedoch immer noch sicherer als die Erde und damit die Investition wert. „Unser Angebot ist es, Daten zu schützen“, sagt er. Es gehe darum, in Krisenzeiten einen verlässliche Back-up-Plan zu haben.
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Titelbild: Lonestar Data Holdings
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