Die Schifffahrt trägt zum Klimawandel bei. Vor allem große Frachter sind für viel CO2 und andere Treibhausgase verantwortlich. Ein schwedisches Unternehmen arbeitet daher an einer sauberen Alternative. Es will zukünftig riesige Segelschiffe über die Ozeane fahren lassen.
Von Michael Förtsch
Sie sind weder sonderlich schick, noch sind sie sonderlich umweltfreundlich. Der Frachtverkehr mit Schiffen gehört zu den schmutzigsten Gewerben der Welt. Die Ungetüme laufen mit einer Mixtur aus Schwer- und Diesel-Öl, die beim Verbrennen schwarzen Ruß und Klimagase in die Luft treibt. Auf den Schiffen selbst bleibt eine toxische Schlacke zurück, die aufwendig entsorgt werden muss. Allein die fünfzehn größten Frachtschiffe der Welt stoßen im Jahr so viele Schadstoffe aus wie 760 Millionen Autos, errechnete der Naturschutzbund Deutschland. Aber das soll sich ändern, hat die International Maritime Organization der UNO beschlossen. Bis 2025 soll die internationale Schifffahrt mindestens 30 Prozent weniger CO2 ausstoßen und dadurch auch gezwungen sein, nachhaltigere Technologien zu adaptieren und neue Konzepte zu erproben.
Das Schiff soll 300 Tage pro Jahr unterwegs sein. Das bedeutet hohe Beanspruchung. Segeltuch wäre bei dieser Belastung schnell abgenutzt und müsste ausgewechselt werden.
Richard Jeppsson
Mit der Oceanbird arbeitet das schwedische Technologie- und Reederei-Unternehmen Wallenius Marine an einem aussichtsreichen Konzept. Wobei die Technologie, die hier zu Einsatz kommt, eigentlich schon Tausende von Jahren alt ist: Die Oceanbird soll nämlich ein Segelschiff werden – ein hocheffizientes und modernes. „Unser Team hat um 2010 herum beschlossen, einen Weg in Richtung einer Null-Emissionen-Schifffahrt zu suchen“, sagt Richard Jeppsson im Gespräch mit 1E9. Er arbeitet seit über 15 Jahren bei Wallenius Marine, das in den vergangene 40 Jahren rund 80 verschiedene Schiffe geplant und gebaut hat. Darunter waren vor allem solche Riesen, mit denen zwischen Asien, Europa und Nordamerika PKW verschifft werden. Die allein verbrauchen bis zu 40 Tonnen Schweröl – pro Tag.
Solche Dimensionen soll auch die Oceanbird haben. Aber eben in einer umweltschonenden Variante. „Wir haben über die Jahre alle möglichen Technologien erforscht“, sagt Richard Jeppsson, der für die Frachtsparte der Reederei verantwortlich ist. In Zusammenarbeit mit dem schwedischen Forschungsinstitut SSPA und der Königlich Technischen Hochschule seien alternative Triebwerks- und Motorenkonzepte eruiert und wieder verworfen worden, weil sie nicht sauber oder für das Schiff nicht effizient oder zugstark genug gewesen wären. Erst dann habe sich das Team Wind und Segel als Option zugewendet. Aus gutem Grund. Denn Wallenius Marine ist nicht die erste Reederei, die sich an einem Segelfrachter versucht.
Alte Technik, modern gedacht
Erste ernsthafte Segelversuche mit Frachtern waren den Öl-Krisen der 1970er zu verdanken. Reedereien und Handelsunternehmen beschlossen, einige der Ozeanriesen mit unterschiedlichsten Segelkonstruktionen oder Drachen nachzurüsten. Zumindest auf dem offenen Ozean sollte so das immer teurer werdende Öl eingespart werden und der Betrieb rentabel bleiben. Die Experimente waren aufgrund der mit Segeln ungeschulten Besatzungen schwierig und wenig erfolgreich. Außerdem wurden die Tests der eigentlich auf Jahre angelegten Projekte auch recht schnell wieder eingestellt. Nämlich als die Preise für das Öl wieder zu fallen begannen.
Bei der Oceanbird soll das anders laufen. Bereits drei Jahre an Planung und technischer Forschung sind in den Segelfrachter geflossen, der 200 Meter in der Länge und 40 Meter in der Breite messen soll. 7.000 Fahrzeuge sollen in den hohlen Rumpf passen. Er wäre damit bei der Fertigstellung das größte Segelschiff der Welt. Auch wenn die Segel keine klassischen Tuchsegel sein werden. Denn die wären für das Megaschiff keine Option. „Der Grund ist: Verlässlichkeit und Haltbarkeit“, sagt Richard Jeppsson. Die Segeltücher, die es bräuchte, um die Oceanbird in Fahrt zu bringen, müssten riesig sein. Sie ein- und auszufahren wäre selbst für erfahrene Segler eine Herausforderung. Zudem: „Das Schiff soll 300 Tage pro Jahr unterwegs sein“, meint der Schiffsbauer. „Das bedeutet hohe Beanspruchung. Segeltuch wäre bei dieser Belastung schnell abgenutzt und müsste ausgewechselt werden.“
Daher setzt das Team von Wallenius Marine stattdessen auf sogenannte „Wingsails“, die nach dem Prinzip von Flugzeugtragflächen gestaltet sind. Sie bestehen aus Metall und Verbundwerkstoffen. Fünf Stück sollen auf das Frachtschiff montiert werden. Die sollen sich jeweils um 360 Grad drehen und über einen Teleskop-artigen Schiebemechanismus auf 80 Meter respektive 50 Meter aus- und einfahren lassen. Dadurch soll sich ad hoc auf Wind- und Wetterverhältnisse reagieren und selbst das laueste Lüftchen ausnutzen lassen.
Langsam, aber sauber
Nach Kalkulationen des Entwicklerteams könnte die Oceanbird auf der viel befahrenen Nordatlantikroute auf eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 10 Knoten kommen. Der Segelfrachter wäre damit langsamer als ein traditioneller Öl-Verbrenner – die sind mit 12 bis 17 Knoten unterwegs. Statt acht Tagen würde die Oceanbird zwölf Tage für eine Atlantiküberfahrt benötigen. Für viele Frachtlieferungen wie Autos oder Elektroartikel wäre diese Differenz nicht dramatisch. Und vor allem: Im Gegensatz zu einem Frachtschiff gleicher Größe würde die Oceanbird bei ihrer Fahrt ganze 90 Prozent weniger Emissionen verursachen. Die restlichen 10 Prozent? Für Hafeneinfahrten und allzu dramatische Flauten soll ein Hilfsmotor vorhanden sein. Ebenso müssen auch die Bordsysteme mit Energie aus Batterien versorgt werden, die zumindest indirekt für Emissionen sorgen.
Ein weiteres Plus: Das moderne Schiff könnte wohl mit einer kleineren Crew auskommen als die schmutzigere Konkurrenz. Denn es gäbe keinen riesigen Dieselmotor, der zu beaufsichtigen wäre. Die Ausrichtung der Segel würde zum Teil von automatisierten Systemen übernommen und auch die Navigation könnte in Teilen dem Computer überlassen werden. Vollkommen autonom soll der Segelfrachter aber nicht fahren – zumindest vorerst. „Heute erlauben die Verordnungen noch keinen unbemannten Betrieb“, sagt Richard Jeppsson. „Mit der Entwicklung der Technik kann die Zahl der Besatzungen an Bord aber weiter verringert werden.“
Dass das Prinzip der Oceanbird funktioniert, das haben die Entwickler bereits mit drei Versuchen mit bis zu sieben Meter langen Modellen getestet. Die Segel funktionierten und das Schiff lag sicher auf dem Wasser – zumindest auf Seen und Flüssen. Ende November soll sich ein Modell auf dem Ozean beweisen. „Wir sind aber jetzt auch schon an dem Punkt, wo wir mit der technischen Konstruktion eines Flügels in Lebensgröße beginnen können“, kündigt Jeppsson an. Der soll Ende 2021 fertiggestellt und für Tests bereitstehen.
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Jetzt Mitglied werden!2024 könnte der Stapellauf sein
Geht alles nach Plan, da ist Richard Jeppsson optimistisch, wird der erste Oceanbird-Segelfrachter bereits Ende 2024 oder Anfang 2025 vom Stapel laufen. Die Vorbereitungen dafür und die Planung des Innenlebens, der Steuersysteme des Schiffs und vieles mehr laufen schon. Interessenten, die das Schiff gerne in Zukunft kaufen und einsetzen wollen, die gäbe es auch bereits. „Wir sind da schon im Gespräch“, sagt Jeppsson. Mehr könne er bisher nicht verraten. Außerdem schaue das Team hinter der Oceanbird bereits über die Idee des Frachtschiffes hinaus.
Sowohl die Technik als auch das Schiff selbst könnte ebenso für andere Einsatzzwecke taugen. „Wir glauben, die Oceanbird würde gut als Kreuzfahrtschiff funktionieren“, sagt Jeppsson. Denn Kreuzfahrtschiffe sind wie Frachter echte Umweltsünder. 47 große Luxusliner einer Kreuzfahrtlinie verschulden bis zu zehn Mal so viele Schadstoffe wie 260 Millionen Autos im gleichen Zeitraum. Daher sind mittlerweile viele sensible Regionen für Kreuzfahrtschiffe tabu – wie bestimmte Häfen, Fjorde oder Umweltschutzgebiete. „Für ein Null-Emissionen-Schiff wäre das kein Problem“, sagt Richard Jeppsson.
Aber auch Forschungsinstitute interessieren sich für die Oceanbird. „Wir haben einige interessante Rück- und Anfragen bekommen“, erklärt der Schiffsbauer. Das Schiff würde etwa die Möglichkeit bieten, während der Fahrten bestimmte Daten zu sammeln und könnte ebenso für größere Forschungsfahrten eingesetzt werden. Das ermutige das Team auch schon weiter in die Zukunft zu denken. Es gäbe beispielsweise Überlegungen, die riesigen Segeln mit Solarzellen und das Schiff mit einem zusätzlichen Elektroantrieb auszustatten. „Aber wir müssen aufpassen, dass das alles nicht zu kompliziert oder teuer wird“, sagt Richard Jeppsson. Denn es gehe darum, eine saubere Vision für die Schifffahrt zu entwickeln, die sich jetzt umsetzen lässt. Und nicht erst morgen.
Teaser-Bild: Wallenius Marine