Ein Team von Studierenden aus den Niederlanden hat einen kleinen Elektro-Sportwagen entwickelt. Der wird zum Teil von Solarkraft angetrieben und soll fast vollständig recycle- und wiederverwertbar sein. Außerdem ist er mit einer Filtertechnik ausgestattet, die Kohlenstoffdioxid aus der Luft holen kann. Das Team hofft nun, große Autobauer von ihren Konzepten zu überzeugen.
Von Michael Förtsch
Er sieht schon ziemlich schnittig aus. Mit der geschwungenen Linienführung, dem kurzen Radstand und den breit ausgeschnittenen Radkästen wirkt der ZEM sowohl bullig als auch ziemlich flink. Er lässt etwas an eine Kreuzung aus einem Daihatsu Copen und einem Audi TT denken, so wie er sich auf den Asphalt kauert. Angetrieben wird der zweisitzige Flitzer, der Ende Juli erstmals seine Kurven drehte, von einem 22-Kilowatt-Elektromotor, der von neun 2,3-Kilowattstunden-Batteriepaketen gespeist wird. Der kleine Wagen ist ein Experimentalfahrzeug. Entwickelt hat ihn das Studierendenteam TU Ecomotive an der Technischen Universität Eindhoven in den Niederlanden. Einen Elektro-PKW anzufertigen ist schon für sich eine Herausforderung. Aber der ZEM soll noch mehr sein als das.
„Wir hatten die Idee, einen Wagen zu bauen, der vollkommen CO2-neutral ist“, sagt Louise de Laat, die das Team von TU Ecomotive leitet. Das besteht derzeit aus insgesamt 35 Studierenden aus allen möglichen Fachbereichen wie Elektromechanik, Design und Umwelttechnik. Die Planung für den ZEM startete erst vor wenigen Monaten im September 2021. „Wir schauten uns die verschiedenen Lebensphasen eines PKW an – von der Fertigung, dem Alltagsgebrauch bis hin zur Schrottpresse“, sagt Louise de Laat. „Wir entschieden uns dann, ganz verschiedene Ideen und innovative Technologien zusammenzubringen, um den CO2-Fußabdruck des Autos zu reduzieren – so sehr, wie möglich.“
Ökologisch aber schick
Das Team von TU Ecomotive entschied gleich zu Beginn einen kompakten – und damit energiesparenden –, aber keineswegs langweiligen Wagen zu gestalten. Sondern ein Auto, das aufregend aussieht und Emotionen weckt. „Es war durchaus ein Ziel, ein schickes Fahrzeug zu bauen, das auch Aufmerksamkeit erregt“, so Louise de Laat. „Nur so bekommen wir die Aufmerksamkeit, die uns die Möglichkeit gibt, über das zu sprechen, was wir tun.“ Dazu sei es dem Chefdesigner Philip van Veelen und seinen Kollegen ein großes Anliegen gewesen, auch zu demonstrieren, dass ein Auto für viele Menschen eben nicht nur „eine Kiste [ist], um von A nach B zu kommen“.
Umgesetzt wurde das ambitionierte Design mit modernen Fertigungsprozessen. Der Kern des Wagens besteht aus einem sogenannten Monocoque, das Fahrgestell, Teile des Chassis und die B-Säule umfasst. Das und das Gros der Karosserieteile wurden in 3D-Druckverfahren von den Studierenden selbst herstellt. Verwendet wurde dabei so weit wie möglich Recycling-Plastik, das später erneut geschreddert und für weitere Projekte verwendet werden kann. Die Frontscheibe und Seitenfenster wurden aus langlebigem Polycarbonat geschnitten, das erwärmt und in Form gebogen wurde.
Somit haben wir ein Auto, das am Ende seiner Nutzungszeit, demontiert und dessen Systeme wiederverwendet werden können.
Louise de Laat
Für die Ausgestaltung des Innenraums hingegen wurden Bezüge aus Piñatex – ein Lederersatz aus Ananasblättern – verwendet. Für Polster und Dämmung wurde wiederum ein biologisch abbaubarer Schaumstoff des niederländischen Start-ups Foamplant genutzt. Sämtliche Elektronik besteht aus einzelnen Modulen, die es vereinfachen sollen, beschädigte Komponenten günstig auszutauschen oder die gesamte Elektronik erneut zu nutzen. „Somit haben wir ein Auto, das am Ende seiner Nutzungszeit, demontiert und dessen Systeme wiederverwendet werden können“, erläutert Louise de Laat. „Es bleibt quasi kein Abfall übrig.“
CO2-Fänger
Den Studierenden war ein wiederverwendbares Auto jedoch nicht genug. Über Solarpanele, die auf das Dach und die Motorhaube aufgesetzt sind, soll der Wagen einen Teil der Energie, die für die Fahrt verbraucht wird, selbst erzeugen können – und sogar als Elektrotankstelle für andere Autos dienen. Genau das wird derzeit auch schon bei ersten Fahrzeugen möglich, die bald auf den Markt kommen werden. Wirklich besonders macht den kleine Flitzer daher eine ganze andere Technik. Die verbirgt sich im für Elektroautos eigentlich unnötigen Kühlergrill, der sich unter den Frontscheinwerfern entlangzieht.
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Jetzt Mitglied werden!„Ich kann das nicht im Detail erklären“, entschuldigt Louise de Laat im Gespräch. „Denn wir befinden uns da noch mitten im Prozess eines Patentantrags.“ Aber die Lufteinlässe sind, wie die Entwicklerin verraten kann, mit einem speziellen Filtermaterial bestückt. Dieses kann äußerst effektiv Kohlenstoffdioxid aufnehmen. „Durch den Einsatz von Aerodynamik fangen wir die Luft in diesem Filter ein“, erklärt Louise de Laat den Vorgang. „Wenn die Luft im Filter ist, wird sie von CO2 gereinigt, und wenn die Luft gereinigt ist, verlässt sie das Auto durch einen Einlass an der Seite des Autos.“
Nach Berechnungen des Teams könne der Filter über eine Strecke von 20.600 Kilometern zwei Kilogramm an CO2 aus der Luft aufnehmen – zum Vergleich: der Durschnittsdeutsche fährt 11.230 Kilometer im Jahr. Das sei, wie die niederländischen Studierenden meinen, an sich nicht viel; ein durchschnittlicher Baum kann zwischen 20 und 25 Kilogramm pro Jahr absorbieren. Aber wenn Millionen von Fahrzeugen mit dieser Technologie ausgestattet wären, könnte das durchaus einen Unterschied machen. Dazu „ist es derzeit nur ein Machbarkeitsbeweis“, meint Louise de Laat. Wenn das Konzept und Material weiter erforscht und verfeinert würde, könnte es noch deutlich mehr leisten. Automobile könnten zu fahrenden Kohlenstoffdioxidfängern werden.
Genau das würden die Studierenden auch gerne sehen. Wie das umgesetzt werden kann, sei daher „Teil unserer weiteren Untersuchungen“, wie Louise de Laat feststellt. Sowieso habe das Team noch mehr vor und habe auch noch mehr vorgehabt. Aufgrund einer Tour durch die USA bei der der Wagen gezeigt werden soll, habe die Arbeit am Projekt aber viel früher als geplant fertigt gestellt werden müssen. Deswegen befänden sich überall am ZEM noch unschöne Spaltmaße und unsaubere Ecken. Die Studenten und Studentinnen von TU Ecomotive hoffen aber dennoch, dass sie mit dem Wagen jetzt Interesse wecken – und große Autobauer von manchen ihrer Ideen überzeugen können. Denn genau darum gehe es beim ZEM eigentlich.
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Titelbild: Eindhoven University of Technology/Bart van Overbeeke
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