Von Dominik Schott
Christoph Jentzsch möchte unser Leben einfacher machen. Wenn es nach dem Gründer aus der sächsischen Kleinstadt Mittweida geht, buchen wir unsere Ferienwohnungen bald nicht mehr über den Umweg AirBnB, sondern schließen den Mietvertrag direkt mit der Wohnung ab. Besser gesagt: mit der Wohnungstür. Autos und Fahrräder, aber auch technische Geräte von der Steckdose bis zur Waschmaschine landen dann auch nicht mehr bei Ebay, sondern können direkt von Interessierten gemietet oder gekauft werden. Ganz ohne zwischengeschaltete Miet- oder Verkaufsplattformen.
Für eine sichere und unkomplizierte Abwicklung solcher Geschäfte braucht es in der Sharing Economy , die sich Christoph Jentzsch vorstellt, keine Unternehmen als Mittelsmänner mehr, die Gebühren und ein umständliches Anmeldungsprozedere verlangen. Er will die Quasi-Monopole von heute zerschlagen und ihre Macht den Nutzern zurückgeben. Der Weg dorthin könnte aber durchaus kurvenreich werden.
Die Blockchain soll die Monopole des Internets überflüssig machen
Die Grundlage seiner Vision ist die Blockchain-Technologie. Bei einer Blockchain werden Transaktionen nicht nur in einer zentralen Datenbank oder auf einem Computer gespeichert, sondern auf beliebig vielen. Fast wie bei einem Geschäft, das mehrere Eigentümer hat, die nach jedem Geschäft einen Kauf sicherheitshalber in ihr jeweils eigenes Kassenbuch eintragen. Sie können sich also gegenseitig überprüfen. Genauso ist das auch bei der Blockchain. Die Geschäfte werden dabei von unabhängigen Beobachtern überprüft und verifiziert, die dafür mit ihren digitalen Unterschriften ein „Okay, alles rechtmäßig!“-Statement abgeben.
Christoph Jentzsch beschreibt die Blockchain im Interview mit 1E9 darüber hinaus als dezentrales Rechtemanagement-System. „Die Blockchain regelt, wer was darf, ganz ohne zentrale Instanz, die für alles verantwortlich ist.“
Bekannt wurde die Blockchain vor allem durch die Kryptowährung Bitcoin, die es plötzlich möglich machte, Geldtransaktionen über Ländergrenzen hinweg vorzunehmen – und das ganz ohne eine Bank oder einen Kreditkartenanbieter dazwischen. Jentzsch selber war dann an der Entwicklung der Ethereum-Blockchain beteiligt, die sogar noch mehr kann als Finanztransaktionen zu verwalten. Mit Ethereum lassen sich auch „digitale Schlösser“ steuern.
Diese digitalen Schlösser werden Smart Contracts genannt, also schlaue Verträge. Das sind Code-Schnipsel, die auf der Blockchain liegen und bestimmte Geschäftsbedingungen festhalten – und zwar in vergleichsweise einfachen „Wenn, dann“-Regeln. Jentzsch macht an einem Beispiel klar, wie sie funktionieren: „Ich kann in einen Smart Contract schreiben, dass jemand den Zugang zu einer Wohnung erhält, sobald er 500 Euro für fünf Nächte bezahlt hat.“ Sei das Geld eingegangen, könne die Person die Wohnung betreten, weil das digitale Haustürschluss automatisch geöffnet werde. Die Blockchain kümmere sich selbstständig darum. „Ganz ohne menschlichen Mittler oder sonstiges Zutun“, sagt Jentzsch.
Das bedeutet das Ende des Papierkriegs.
Christoph Jentzsch
Während heute Plattformen wie AirBnB die Verantwortung und Kontrolle übernehmen, dass Mieter wirklich zahlen, könnte der Mietvertrag der Zukunft direkt zwischen Mieter und Mietwohnung zustande kommen. Schließlich können der Smart Contract und die durch die Blockchain getätigte Bestätigung ebenfalls sicherstellen, dass das Geld wirklich eingegangen ist. Kautionszahlungen ließen sich ebenfalls darüber regeln.
Seit Jahren faszinieren Jentzsch die vielen Möglichkeiten, die Smart Contracts bieten: „Das heutige Internet steht für den Informationsaustausch, das Internet 3.0 der Zukunft hingegen für den Austausch von Rechten und Zahlungen. Das bedeutet das Ende des Papierkrieges mit zahllosen unterschriebenen Verträgen und Dokumenten!“
Das Internet 3.0 soll laut Jentzsch nicht nur bequemer und komfortabler werden, sondern auch sicherer. Denn die Blockchain lässt sich nachträglich nur sehr schwer bis unmöglich fälschen und manipulieren – im Gegensatz zu einer klassische Unterschrift auf Papier oder einer traditionellen Datenbank. Statt von nur einer zentralen Stelle werden beispielsweise die Bitcoin- und Ethereum-Blockchain von unzähligen Teilnehmern gepflegt. Datensätze werden von Rechnern verifiziert und als Blöcke aneinandergesetzt, die aufeinander verweisen.
Wenn Elektroautos mit Ladesäulen Geschäfte machen
So spannend die vielen Nutzungsmöglichkeiten für eine digitalisierte Welt voller Smart Contracts auch erscheinen mögen. Sie funktionieren nur, wenn alle technischen Geräte Zugang zu einer Geldquelle haben, wie Jentzsch erklärt: „Wir geben unseren Geräten einen eigenen Geldbeutel, einen Zugang zu Finanz-Apps. Sie können dann also selbst Geld speichern und ausgeben. Erst, wenn Menschen und Maschinen mit Geld ausgestattet sind, werden Interaktionen möglich.“ Diese Interaktionen funktionieren in der Vision von Jentzsch auf drei unterschiedliche Weisen.
Das einfachste und uns schon vertraute Modell ist die Mensch-Maschine-Ökonomie: Ein Mensch bezahlt eine Maschine, damit die irgendwas für ihn macht, vom einfachen Getränkeautomaten bis zum Mietauto. Doch während heute viele dieser Transaktionen einen Mittler brauchen, zum Beispiel in Form einer Internetplattform, will Jentzsch eine Mensch-Maschine-Ökonomie direkt zwischen Nutzer und Gerät aufbauen: „Wenn wir diese Prozesse über die Blockchain laufen lassen, funktioniert das plattformunabhängig. Das ist ein Protokoll, das so standardisiert ist, wie das Internet selbst. Und mit diesem Protokoll können Menschen Maschinen herstellerunabhängig bezahlen.“
Es ist kein Mensch im Auto, also muss die Maschine selbst in die Werkstatt fahren.
Christoph Jentzsch
Das zweite Modell, die sogenannte Maschine-Mensch-Ökonomie, dreht diesen Prozess um. Hier bezahlt eine Maschine einen Menschen. Jentzsch illustriert diesen Austausch anhand eines Beispiels: „Nehmen wir das autonome Auto. Das braucht einen Reifenwechsel. Es ist aber kein Mensch im Auto, also muss die Maschine selbst in die Werkstatt fahren, den Radwechsel anfordern, anschließend überprüfen und dann das Geld an die Mechaniker überweisen.“
Am Beispiel des autonomen Autos erklärt Christoph Jentzsch auch das dritte Modell: die Maschine-Maschine-Ökonomie. „Das Auto muss geladen werden, fährt auf eine induktive Ladestation und bezahlt diese – direkt und schnell, ohne jemanden, der eine Karte benutzen muss oder dergleichen.“ Für Jentzsch ist ein Auto nicht wirklich autonom, wenn es nicht in der Lage ist, eigenständig seine Parkgebühr zu bezahlen. „Das gehört einfach dazu, wenn man in der Stadt unterwegs ist und parken möchte“, sagt er.
Maschinen brauchen einen Geldbeutel
Die Mensch-Maschine-Ökonomie, die Maschine-Mensch-Ökonomie und die Maschine-Maschine-Ökonomie machen für Jentzsch das Internet 3.0 aus, die Economy of Things . Doch wie weit sind wir noch davon entfernt „Es gibt zwar schon Millionen von Geräten, aber bisher sind die nur dafür da, Daten zu speichern und zu verarbeiten. Es fehlt diese wichtige Komponente, dass Geräte auch an der Ökonomie teilnehmen, Geld senden und empfangen können. Und das versuchen wir zu ermöglichen.“
Mit „wir“ mein Jentzsch sein eigenes Unternehmen Slock.it, das er 2015 gründete und mit dem er die Infrastruktur für das Internet 3.0 liefern will. Mit Incubed bietet es einen leicht bedienbaren Client an, der Maschinen mit der Blockchain verbindet – was die Voraussetzung dafür ist, ihnen einen Geldbeutel zu verpassen. Das Universal Sharing Network von Slock.it, kurz USN, ist die erste dezentrale App, über die man verschiedenste Dinge ausleihen und sharen kann.
Nach ein paar technischen Schwierigkeiten in der Anfangszeit gehören zum Kundenkreis des Unternehmens heute sowohl Start-ups aus der Tech-Branche, als auch Giganten wie Siemens oder RWE, die Incubed als leicht bedienbare Entwicklungsplattform für eigene Blockchain-Anwendungen benutzen.
Vor ein paar Wochen folgte dann ein weiterer Meilenstein: Ende Mai 2019 kaufte die amerikanische Branchengröße Blockchains LCC aus Nevada Slock.it und investiert seitdem kräftig in die Ideen und Pläne des deutschen Visionärs Christoph Jentzsch.
Funktioniert das Internet der Zukunft ohne Monopolisten?
Noch haben er und sein Team viel Arbeit vor sich, um das Internet 3.0 aufzubauen. Doch das stört ihn nicht. Im 1E9-Interview erklärt er, was ihn seit Jahren antreibt: „Das Internet von Morgen darf nicht in den Händen der Monopolisten liegen. Ich hasse es, wie ich bei so vielen Dingen darauf angewiesen bin, dass Facebook, Amazon und Google mir erlauben etwas zu tun. Diese vielen fremdkontrollierten Dienstleistungen stören mich.“
Deswegen will Jentzsch mit den Produkten von Slock.it den Endnutzern wieder ihre Freiheit zurückgeben, die sie heute an die großen Plattformen abgetreten haben. Dass Slock.it dadurch selbst zum neuen Monopolisten des Internets 3.0 werden könnte, sei aber ausgeschlossen: „Wir schreiben einfach nur eine Software, die sich gut verwalten lässt. Wenn Slock.it irgendwann nicht mehr existieren sollte, dann funktioniert die Technologie weiter, weil alles auf der Blockchain läuft.“ Anders als ein zentraler Server braucht die Blockchain kein Unternehmen, um weiterzulaufen.
Die Blockchain ist für Christoph Jentzsch daher der Schlüssel zum freien Internet – und über kurz oder lang der ultimative Plattformkiller.
Christoph Jentzsch hält am 11. Juli eine Keynote bei 1E9 THE_CONFERENCE in München. Wenn du seine Vision für das dezentrale Internet der Zukunft, das frei von Monopolen ist, nicht verpassen willst: sei dabei!Teaser-Bild: Slock.it