Eine unscheinbare Fliege könnte mehrere Probleme auf einmal lindern: die Verschwendung von Lebensmitteln, die klima- und umweltschädliche Überfischung der Meere und die Rodung von Regenwald. Bisher scheitert das allerdings an Vorschriften aus der Zeit der BSE-Krise. Ein Insektenzüchter aus der Nähe von Berlin möchte daran etwas ändern.
Von Wolfgang Kerler
Die erwachsene Schwarze Soldatenfliege ist ein genügsames Wesen. Sie frisst überhaupt nichts, da sie von den Reserven zehren kann, die sie sich in ihrer Jugend angefuttert hat. Denn als Larve ist ihr Hunger gewaltig. Verfaulendes Obst und Gemüse, altes Fleisch, sogar Exkremente verspeist sie – und das schneller als viele andere Insekten. Ihre fetten Larven sind aber nicht nur ideal, um Abfall zu beseitigen. Sie sind reich an Eiweiß und eignen sich damit als Futter für Fische, Schweine oder Hühner.
Genau diese Kombination könnte die Schwarze Soldatenfliege zu einem echten Problemlöser machen. Davon ist jedenfalls Heinrich Katz überzeugt. „Ich halte zwar nichts von dem Narrativ, dass Insekten die Welt retten“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Aber ich bin überzeugt davon, dass Insekten eine von vielen Lösungen für mehr Nachhaltigkeit sind.“ Wie man mit Insekten die Umwelt schützen kann, das beschäftigt ihn seit drei Jahrzehnten.
Insekten statt Fischmehl
Schon 1992 begannen Heinrich Katz und sein Bruder Peter damit, Milben, Wespen oder Florliegen für die biologische Schädlingsbekämpfung zu züchten, vor allem für den integrierten Anbau von Gemüse und Zierpflanzen unter Glas. „Ein deutscher Gärtner braucht heute kein chemisches Pflanzenschutzmittel mehr“, sagt er. „Unsere Insekten sind ökologischer und ökonomischer.“
Später nahmen die Brüder dann ein weiteres Produkt ins Visier, um es mit Insekten zu ersetzen: Fischmehl. Damit werden Raubfische gefüttert, die in Aquakulturen gezüchtet werden, aber auch Schweine oder Geflügel. Idealerweise wird es aus Resten hergestellt, die bei der Verarbeitung von Speisefischen anfallen.
In der Praxis allerdings werden – oft illegal – riesige Mengen an Wildfischen aus dem Meer geholt, um daraus Futter für andere Fische zu machen. So tragen auch Lachse, Forellen oder Doraden aus Aquakulturen zur Überfischung der Ozeane bei. Hinzu kommen die klimaschädlichen Emissionen der Fangflotten. „Ein ökologisches Desaster“, findet Heinrich Katz. Die Schwarze Soldatenfliege könnte dem ein Ende bereiten. Denn ihre getrockneten Larven, vor allem das Mehl daraus, eignen sich bestens als Fischfutter. Das sieht auch die Wissenschaft so. Das Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, zum Beispiel, erforscht ebenfalls das Potential von Insektenmehl.
In diesen Flugkäfigen werden bei der Hermetia Baruth GmbH, der Firma von Heinrich und Peter Katz, die erwachsenen Soldatenfliegen gehalten, damit sie Eier legen. Bild Hermetia
Der texanische Entomologe, sprich: Insektenkundler, D. Craig Sheppard entwickelte vor zwanzig Jahren Methoden, um die Fliegen – und damit die Larven – im großen Stil zu züchten. Die Brüder Katz waren die ersten, die diese Erkenntnisse auch in Europa nutzten, um mit der Zucht zu beginnen. Das war 2006. Ihre Vision war und ist die einer Kreislaufwirtschaft: Sie wollen weggeworfene Lebensmittel, aber auch Tiermist an Fliegenlarven verfüttern, die dann zum Futter für andere Tiere werden, aus denen wiederum neue Lebensmittel werden.
Keine Abfälle für Nutztiere
„Allein in Deutschland werfen wir jedes Jahr 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weg“, sagt Heinrich Katz. „Schon mit der Hälfte davon könnte ich zwei Millionen Tonnen Fliegenlarven produzieren – und damit den gesamten europäischen Bedarf an Fischmehl decken.“ Doch er und sein Bruder tun es noch nicht, obwohl sie nach eigener Aussage bereits interessierte Kunden haben und ihre Pläne wissenschaftlich unterfüttert sind.
Verhindert wird der Durchbruch bisher durch bisher geltendes EU-Recht, das ursprünglich noch aus der Zeit der BSE-Krise stammt. Ganz konkret macht Heinrich Katz die EG-Verordnung 1069/2009 zu schaffen, Artikel 3, Absatz 6, Buchstabe a. „Weil wir unsere Insekten zu einem bestimmten Zweck züchten, sind sie Nutztiere“, erklärt Heinrich Katz. „Und an Nutztiere darf man keine Tierexkremente und keinen Abfall, zu dem auch Essensreste aus Restaurants oder nicht verkaufte Lebensmittel zählen, verfüttern.“
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Jetzt Mitglied werden!Die Idee der Kreislaufwirtschaft lässt sich so nicht umsetzen – und hohe Kosten entstehen den Brüdern und ihrer neuen Firma Hermetia, benannt nach dem lateinischen Namen der Soldatenfliege, auch. „Im Moment müssen wir unseren Larven Schweinekraftfutter geben, was unserer Idee von mehr Nachhaltigkeit natürlich widerspricht“, sagt Heinrich Katz. „Das ist außerdem so teuer, dass wir preislich nicht mit Fischmehl mithalten können – und mit Billig-Soja, für dessen Anbau vielleicht sogar Regenwald abgeholzt wurde, sowieso nicht.“
Dem Soja, das an Schweine oder Geflügel verfüttert wird, können sie ohnehin noch keine Konkurrenz machen. Denn der Markt für die getrockneten Fliegenlarven als Futter wird auch noch durch eine weitere EU-Regelung begrenzt. Bisher sind die Larven nämlich nur für Fische in Aquakulturen zugelassen. Schweine oder Hühner dürfen mit ihnen nicht ernährt werden, obwohl belegt ist, dass das gut möglich wäre.
Die Branche formiert sich
Die Brüder Katz haben sich inzwischen mit anderen Insekten-Unternehmen zur International Platform of Insects for Food and Feed zusammengeschlossen, um bei der EU auf Änderungen zu pochen. „Wenn Insekten, die als Futter gezüchtet werden, nicht mehr als Nutztiere gelten würden“, sagt Heinrich Katz, „dann könnten wir sofort anfangen, unseren Larven Gülle und Lebensmittelabfälle zu geben.“ Die Kosten würden sinken, der Kreislauf käme in Gang.
Er ist durchaus optimistisch, dass sich die EU bewegt, meint Heinrich Katz. Und die Investoren aus Deutschland, Indien und Südafrika, die gerade einen zweistelligen Millionenbetrag in seine Firma gesteckt haben, offenbar auch. Schon 2021 soll die Massenproduktion von Larven in Eberswalde, nordöstlich von Berlin anlaufen.
Ob die überhaupt ethisch vertretbar ist, hat sich Heinrich Katz durchaus gefragt. Und er findet: ja. Denn selbst für den Anbau von Obst und Gemüsen, das dann auf den Tellern von vegan lebenden Menschen landet, müssten Schädlinge und damit Insekten getötet werden. „Und wenn wir Insekten beispielsweise mit Hunden auf eine Ebene stellen würden“, sagt er, „dann könnten wir nicht mehr Autofahren, weil wir für jede Fliege bremsen müssten.“
Ausstellung zum Thema
Ihr habt noch nicht genug von Insekten? Noch bis zum 12. September könnt ihr in der Ausstellung MACHT NATUR im STATE Studio mehr über ihre wichtige Rolle in unserem Ökosystem erfahren – und wie sie uns dabei helfen könnten, die Welt nachhaltiger zu gestalten. Die Ausstellung ist das Ergebnis mehrerer Workshops, zu denen auch Heinrich Katz beigetragen habt. Neben Insekten thematisiert sie auch weitere Bereiche der Bioökonomie: Pflanzen, Boden, Luft. Zur Finissage am 10. September könnt ihr euch hier anmelden.
Titelbild: Die ausgewachsene Schwarze Soldatenfliege. Bild: Hermetia