Die Europäische Union will digital unabhängiger werden. Dafür soll auch die heimische Entwicklung von Zukunftstechnologien vorangetrieben werden. Unter anderem soll in fünf Jahren der erste rein in Europa gefertigte Quantencomputer entstehen.
Von Michael Förtsch
Die Länder der Europäischen Union sind von der Technologieentwicklung in den USA und der Hardware-Fertigung in China und anderen asiatischen Regionen abhängig. Vor allem infolge politischer Spannungen oder Krisen, die Lieferketten unterbrechen, kann das negative Folgen haben. Außerdem sind viele EU-Länder digital nicht gut genug aufgestellt und vorbereitet, um schnell auf Ausnahmelagen und andere unvorhergesehene oder nicht ernst genommene Herausforderungen zu reagieren. Das hat gerade erst die Corona-Pandemie in Sachen digitaler Unterricht, Home Office, Corona-App und Engpässen bei Lieferungen von Computern und anderer Hardware demonstriert, heißt es in der ersten Ausarbeitung des EU-Projekts Digital Compass, das Ende 2020 angekündigt und nun vorgestellt wurde.
„Die Pandemie hat die Schwachstellen unseres digitalen Raums, seine Abhängigkeiten von außereuropäischen Technologien und die Auswirkungen der Desinformation auf unsere demokratischen Gesellschaften aufgedeckt“, beschreibt das 27 Seiten starke Papier. „Europa muss auf seinen Stärken aufbauen […] Gleichzeitig muss es alle strategischen Schwächen, Schwachstellen und Abhängigkeiten mit hohem Risiko, die das Erreichen seiner Ziele gefährden, sorgfältig bewerten und angehen und die damit verbundenen Investitionen beschleunigen.“
Insbesondere bei der Entwicklung von Zukunftstechnologien, Cloud-Computing- und Cloud-Speicher-Systemen soll die Staatengemeinschaft in den kommenden Jahren deutlich autarker, eigenständiger und dadurch krisenfester werden. Konkret heißt das, dass die EU bis 2030 einer der führenden Hersteller von Halbleitern werden soll – ein Markt, der derzeit fast vollständig von Asien abgedeckt wird. Ein Fünftel der weltweiten Produktion soll nach Europa geholt werden. Dadurch soll auch die heimische High-Tech-, Automobil- und Start-up-Industrie gestärkt und besser positioniert werden. Ebenso soll die Schaffung EU-eigener Cloud-Computing- und Cloud-Speicher-Lösungen gefördert werden, die mit den Angeboten von Google, Amazon AWS, Microsoft und Oracle konkurrieren können.
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Jetzt Mitglied werden!Ein Quantencomputer made in EU
Ebenso soll mit Förderprogrammen dafür gesorgt werden, dass in den nächsten fünf Jahren ein vollständig in der EU entwickeltes Quantencomputer-System realisiert wird, das von Interessenten programmierbar und von überall in der EU aus erreichbar ist. „Die EU sollte weltweit führend bei der Entwicklung von Quantencomputern sein“, heißt es im Digital Compass. Denn Quantencomputer versprechen nicht nur eine digitale Revolution. Sie könnten die Entwicklung von medizinischen Wirkstoffen beschleunigen, helfen neue Materialien zu entwickeln, genetische Informationen zu entwirren und auch neue Methoden der Ver- und Entschlüsselung von Daten ermöglichen. Als führend bei der Entwicklung von Quantencomputern gelten derzeit unter anderem IBM, Google, Intel, Rigetti, Xanadu, IQM aus Finnland und das französische Unternehmen Atos.
Auch soll zukünftig die Forschung und Entwicklung von Künstlicher Intelligenz stärker unterstützt und das Thema IT-Sicherheit genauer betrachtet werden. Hierfür will die EU auch die Start-up- und IT-Szene fördern und mit einer Initiative dafür sorgen, dass die Zahl der Unicorns , also junger Unternehmen mit einem Wert von über einer Milliarde US-Dollar, in den kommenden zehn Jahren auf das Doppelte anwächst. Bis Ende 2020 galten 60 Start-ups in der EU als Einhörner – viele davon im ehemaligen EU-Mitglied Großbritannien. Darunter etwa das E-Auto-Start-up Arrival aus London, das Berliner Versicherungs-Start-up Wefox und der Videospielentwickler Voodoo aus Paris.
Teil des Projekts Digital Compass ist es auch, jedem Bürger in diesem Jahrzehnt einen Gigabit-Zugang zum Internet bereitstellen zu können und den Funkstandard 5G in der EU flächendeckend auszurollen. Auch sollen bis 2030 alle essentiellen Behördengänge zu 100 Prozent digital erledigt werden können. Gleichzeitig soll dafür gesorgt werden, dass die digitale Bildung der Bürger vorangebracht wird. Denn hier habe die Corona-Pandemie verschiedene Diskrepanzen aufgezeigt, was die Fertigkeiten im Umgang mit sozialen Medien, Apps und den digitalen Anlaufstellen der Behörden betrifft. „Auf diese Weise“, so der Digital Compass, „kann Europa in einer vernetzten Welt digital souverän werden.“ Der Plan der EU-Kommission muss, bevor er angegangen werden kann, noch von den EU-Mitgliedsstaaten und dem EU-Parlament abgesegnet werden.
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Titelbild: Erik Lucero / Google