Die Aktion SaveScienceUA bittet um Technik-Spenden für Wissenschaftler in der Ukraine

Mit schweren Bomben- und Artillerieangriffen zerstörte die russische Armee gleich zu Beginn des Kriegs gegen die Ukraine weite Teile der Metropole Charkiw. Die Arbeit an Hunderten Forschungseinrichtungen und Hochschulen wurde unterbrochen, unverzichtbare Technik zerstört. Der Verein „München hilft Ukraine“ startet jetzt eine Spendenkampagne, um Wissenschaftler in Charkiw zu unterstützen. Firmen und Institutionen sollen Technik, die sonst ausgemustert würde, bereitstellen.

Ein Interview von Wolfgang Kerler

Die Zahlen beeindrucken. Rund 200 Forschungseinrichtungen haben sich in und um Charkiw angesiedelt. Darunter das Radioteleskop UTR-2, weltbekannt und das größte seiner Art, oder die Nationale Genbank der Ukraine, in der das Erbgut Tausender Pflanzen gesichert wird. Die Metropole wird als „Hauptstadt der Studierenden“ in der Ukraine bezeichnet – mit 170.000 Studierenden an 60 Hochschulen. Und viele der rund 11.500 Forscherinnen und Forschern, die in Charkiw arbeiten, kommen aus dem Ausland. Die Millionenstadt ist also ein echtes Wissenschaftszentrum. Zumindest vor dem russischen Krieg gegen die Ukraine.

Schon am 24. Februar 2022, dem ersten Tag des Angriffs, standen gepanzerte Fahrzeuge der russischen Armee an der Stadtgrenze. Den Charkiw liegt nur 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Zwar konnte die Stadt selbst, anders als ihr Umland, nie eingenommen werden. Doch monatelang verwüsteten Bombenangriffe, Artilleriebeschuss und Raketen große Teile von Charkiw. Auch wissenschaftliche Einrichtungen und Hochschulen wurden getroffen.

Inzwischen ist die Region Charkiw befreit. Doch die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können nicht einfach mit Forschung und Lehre weitermachen. Gebäude sind zerstört. Heizung, Strom, Wasser fehlen. Und es fehlt an technischen Geräten. So bleibt denjenigen, die in der Stadt geblieben sind, nur die Arbeit aus dem Homeoffice. Wenn sie über Computer verfügen. Die Zukunft des Wissenschaftszentrums Charkiw ist bedroht, denn dem ukrainischen Staat fehlt momentan das Geld, um Labore oder Hochschulen wiederaufzubauen und auszustatten. Die Wissenschaftsetats wurden sogar gekürzt, um das Militär finanzieren zu können.

Eine Spendenaktion soll die Lage in Charkiw verbessern. Der von Ehrenamtlichen getragene Verein „München hilft Ukraine“ und das ukrainische Scholar Support Office wollen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Region unterstützen, damit sie weiterarbeiten können. Mit der Aktion SaveScienceUA rufen sie vor allem Firmen und Forschungseinrichtungen in München, Bayern und darüber hinaus dazu auf, Technik zu spenden, die sonst ausgemustert würde. Laptops, Messgeräte, Laborequipment. Wer spenden möchte, findet beim Verein München Hilft Ukraine alle Infos zur Aktion SaveScienceUA. Auch eine Liste der Ausstattung, die in Charkiw gebraucht wird, ist online.

Wie es dazu kam, was der Verein von Betroffenen aus der Ukraine hört und wie es um ukrainische Tech-Start-ups steht, berichtet Alona Kharchenko, die Initiatorin von SaveScienceUA, im Interview mit 1E9.

1E9: Vor allem im vergangenen Jahr gingen die Bilder von Charkiw um die Welt. Sie zeigten eine zerbombte, vom Krieg gezeichnete Stadt. Wie war es in Charkiw vor dem Krieg?

Alona Kharchenko: Charkiw war und ist das wissenschaftliche Herz der Ukraine. Egal, ob es um Theoretische Physik, Astronomie, Medizin oder Agrarwissenschaften geht: Viele Forschungseinrichtungen und Wissenschaftler aus Charkiw waren in ihren Disziplinen führend – mit Artikeln in internationalen Top-Publikationen und Auftritten bei den wichtigsten Konferenzen. Das hat die Stadt auch für Studierende aus dem Ausland attraktiv gemacht. Deshalb gab es in Charkiw eine lebendige, internationale Wissenschaftscommunity.

Dann kamen die russischen Luftangriffe, die Stadt wurde beschossen. Und die Region um Charkiw wurde besetzt. Was hat das mit dieser Community gemacht?

Alona Kharchenko: Ich war selbst nicht dort, kann also nur berichten, was mir Menschen erzählt haben und was ich in den Nachrichten verfolgt habe.

Während der Angriffe und der Belagerung hatten die Menschen vor allem Angst. Sie trauten sich nicht in die Räume ihrer Wohnung zu gehen, die Fenster hatten, also schliefen sie im Gang. Sie hatten keinen Strom. Sie fürchteten sich, einzukaufen. Es war für sie eine schreckliche Zeit. Und natürlich wurden durch die ständigen Bombenangriffe Menschen getötet und viele Gebäude zerstört. An Bildung und Forschung haben in dieser Zeit wahrscheinlich die wenigsten gedacht.

Im Mai 2022 zog Russland dann die Truppen, die Charkiw belagert hatten, zurück. Aus der Region wurden sie von der ukrainischen Armee im September zurückgedrängt. Konnten die Bildungs- und Forschungseinrichtungen ihre Arbeit dann einfach wieder aufnehmen?

Alona Kharchenko: Nein, denn 73 Prozent der Hochschuleinrichtungen wurden durch die Angriffe beschädigt. Die Schäden reichen dabei von kaputten Fenstern bis zu kompletten Gebäuden, die durch Explosionen zerstört wurden. In manchen Einrichtungen fehlen jetzt sogar Tische und Stühle – und natürlich teure Messgeräte. Auch von Plünderungen durch russische Soldaten wurde uns berichtet. Zum Beispiel wurde der Kontrollraum eines einzigartigen Teleskops komplett ausgeraubt, auch Teile des Teleskops selbst fehlten.

Wir hören außerdem von einzigartigen Aufbauten für physikalische Experimente, die es nur in Charkiw gab und die jetzt verloren sind. Sogar die Nationale Genbank, in der die DNA von Tausenden Pflanzenarten gesichert war, war Ziel der Angriffe und ist beschädigt. Das ist doch Barbarei. Ich wüsste nicht, wie ich das sonst nennen sollte.

Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind dennoch in Charkiw geblieben oder inzwischen wieder zurückgekehrt. Wieso wollen sie dort weiterforschen? In anderen Städten oder im Ausland hätten sie für ihre Forschung doch viel bessere Bedingungen.

Alona Kharchenko: Ich kann da nur spekulieren. Aber ich glaube, dass viele sehr stolz sind auf ihre Stadt, auf den Wissenschaftsstandort Charkiw, und deswegen alles wieder aufbauen wollen. Dieser Stolz und dieses Verlangen, durchzuhalten und gemeinsam die Zukunft zu gestalten, hat durch den Angriff vielleicht sogar zugenommen.

Aber wie ist Wissenschaft in Charkiw derzeit überhaupt möglich?

Alona Kharchenko: Viele Forscher haben das vergangene Jahr damit überbrückt, ihre bisher gesammelten Daten auszuwerten und zu publizieren. Doch jetzt wollen sie endlich neue Experimente durchführen, neue Daten gewinnen, richtig weiterforschen.

Doch dafür brauchen sie Ersatz für das Equipment, das zerstört oder gestohlen wurde. Und genau das wollt ihr vom Verein „München Hilft Ukraine“ zusammen mit dem ukrainischen Scholar Support Office beschaffen. Mit eurer Aktion SaveScienceUA ruft ihr vor allem Firmen und Institutionen dazu auf, Technik zu spenden, die dort weggeworfen würde. Wie kam es dazu?

Alona Kharchenko: Wir haben mit dem Verein bisher humanitäre Hilfe geleistet und zum Beispiel medizinische Ausrüstung oder auch Lebensmittel in die Ukraine gebracht. Das werden wir auch weiterhin tun, wir sind inzwischen eine sehr effiziente, schnelle Organisation – obwohl alle die Arbeit ehrenamtlich in ihrer Freizeit machen.

Durch mein Start-up Devanthro und das Ökosystem um die Technische Universität München habe ich eine Forscherin aus der Ukraine kennengelernt. Sie brachte mich mit der wissenschaftlichen Gemeinschaft in der Ukraine in Kontakt und hat ein gemeinsames Projekt zur Unterstützung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Not vorgeschlagen. Und da mir Forschung wirklich am Herzen liegt und Wissenschaft ja auch die Grundlage für eine bessere Zukunft ist, dachte ich mir, wir müssen auch hier helfen.

In einem ersten Schritt sammelt ihr Spenden für die Wissenschaftsregion Charkiw. Wieso habt ihr euch dafür entschieden?

Alona Kharchenko: Natürlich würden wir gerne alle unterstützten. Das können wir allerdings nicht auf einmal leisten. Also haben wir berücksichtigt, wie viele Institutionen es in den einzelnen Regionen gibt und wir stark diese beschädigt wurden. So kamen wir auf Charkiw. Aber das Projekt ist auf einen längeren Zeitraum ausgelegt, wir wollen also in Zukunft auch andere Regionen unterstützen.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können sich bei euch um Spenden bewerben und geben dabei an, welches Equipment sie brauchen. Woran fehlt es denn derzeit am meisten?

Alona Kharchenko: Die oberste Priorität haben Laptops und GPUs. Danach folgen Messgeräte wie bestimmte Oszilloskope, Spektrometer oder Mikroskope. Aber auch Laborequipment, Bürogeräte, Software oder sogar ein Elektroroller wurden angefragt.

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Nehmt ihr auch Geldspenden an?

Alona Kharchenko: Ja. Wir setzen einerseits auf Sachspenden, weil wir dann sehr schnell Equipment bereitstellen können. Aber wir kriegen zum Beispiel Laptops, in denen keine Festplatten mehr sind oder die einen neuen Akku brauchen. Das können wir mit den Geldspenden bezahlen.

Auf wessen Unterstützung hofft ihr denn besonders?

Alona Kharchenko: Wir hoffen vor allem auf Spenden von Firmen und Forschungseinrichtungen aus München und ganz Bayern, obwohl die Aktion natürlich nicht auf Bayern beschränkt ist. Unsere Erfahrung zeigt außerdem, dass es besonders schnell geht, wenn wir direkt von Vorständen unterstützt werden.

Habt ihr denn schon Spenden bekommen?

Alona Kharchenko: Ja. Zum Beispiel von einem Luft- und Raumfahrtkonzern, der uns 200 Laptops, leistungsfähige Rechner und sogar GPUs zugesagt hat.

Und wann soll eure erste Lieferung mit Equipment in Charkiw ankommen?

Alona Kharchenko: Im Oktober.

15 Prozent aller Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sollen die Ukraine schon verlassen haben, gerade jüngere, die ihre Karriere starten wollen. Was ist, wenn sie trotz der Unterstützung nicht zurückkommen, weil der Krieg einfach zu lange dauert? Lässt sich ein Wissenschaftsstandort wir Charkiw dann überhaupt retten?

Alona Kharchenko: Die Wissenschaft in der ganzen Ukraine hat schon jetzt großen Schaden erlitten – und wird Jahre brauchen, um sich davon zu erholen. Und vielleicht ist dieses Projekt auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber ich glaube einfach, dass es wichtig ist, dass wir gerade den jungen Forscherinnen und Forschern zeigen: Ihr werdet in der Ukraine gebraucht und jemand setzt sich dafür ein, dass ihr dort arbeiten könnt.

Du bist selbst Mitgründerin eines Tech-Start-ups. Was hörst du eigentlich aus der ukrainischen Start-up-Szene, die vor dem Krieg florierte?

Alona Kharchenko: Ich bekomme wirklich beeindruckende Geschichten mit, zum Beispiel von Start-ups, die ihre Fabriken innerhalb kürzester Zeit aus Kiew oder dem Osten des Landes in den Westen verlegten. Und wir reden hier von Organisationen mit mehreren Hundert Mitarbeitern, die so einen Umzug in zwei Wochen bewerkstelligen, damit sie weiterarbeiten können.

Außerdem erleben wir einen eindeutigen Shift hin zu Dual-Use-Technologien, zum Beispiel Drohnen, die sich zivil, aber auch militärisch nutzen lassen. Die Ukraine wird gerade zum Epizentrum bei der Entwicklung solcher Technologien – und dort gibt es gut ausgebildete Ingenieure und Entwickler. Deswegen fließt auch Geld aus dem Westen in die Ukraine. Ich glaube daher, dass das Start-up-Ökosystem in der Ukraine weiter wachsen wird. Zumal die Gründer dort extrem resilient sind. Wir werden also bald viele wirklich starke Firmen aus der Ukraine erleben.

Wer spenden möchte, findet beim Verein München Hilft Ukraine alle Infos zur Aktion SaveScienceUA. Auch eine Liste der Ausstattung, die in Charkiw gebraucht wird, ist online.

Titelbild: Aufräumarbeiten im Fachbereich Physik des Polytechnischen Instituts Charkiw der Nationalen Technischen Universität, Bild: Ksenia Samokhvalova via München Hilft Ukraine e.V.

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Was für ne coole Aktion und ich hab noch so viele alte Laptops bei mir rumfliegen. Endlich eine Sinnvolle verwendung dafür zu haben ist super, Paket wird geschnürt.

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