US-Präsident Donald Trump will gegen soziale Netzwerke vorgehen. Einen entsprechenden Erlass hat er nun unterzeichnet. Grund ist ein von Twitter eingeführter Faktencheck, der Tweets von Donald Trump als möglicherweise irreführend kennzeichnete. Trump bezeichnete das als „politischen Aktivismus“. Twitter will jedoch weiterhin Trump-Tweets auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen.
Von Michael Förtsch
In den Vereinigten Staaten sind soziale Netzwerke durch die sogenannte Section 230 geschützt, ein Gesetz, das Internetunternehmen vor Zensurversuchen schützen soll. Diese Regelung besagt, dass sie nicht für Beiträge, Kommentare oder Videos ihrer Nutzer haftbar gemacht werden können, sondern nur als technische Plattform gesehen werden. Die Regelung erlaubt ihnen dennoch, Inhalte zu moderieren oder mit Hinweisen zu kennzeichnen. Beides will US-Präsident Donald Trump nun mit einem Dekret aufheben, das er am Abend des 28. Mai im Oval Office unterzeichnete. „Wir haben es satt“, zitiert die Los Angeles Times den US-Präsidenten. Die Plattformen besäßen „unkontrollierte Macht“. „Es war ungerecht. Es ist sehr ungerecht gewesen“, beschwerte sich Trump. Grund für den Erlass waren zwei Tweets von Donald Trump, die von Twitter als „möglicherweise irreführend“ gezeichnet worden waren.
In den aufeinander folgenden Tweets hatte Donald Trump behauptet, Briefwahlen, wie sie Kalifornien nun wegen der Corona-Pandemie auf breiter Front ermöglichen will, würden unmittelbar zu Wahlbetrug führen. Eine Briefwahl würde daher „eine manipulierte Wahl“ werden. In einem dezenten „Holen Sie sich hier die Fakten über Briefwahlzettel“-Hinweis in blauer Schrift verweist Twitter unter den Tweets auf eine Übersichtsseite, in der Medien wie CNN und Washington Post die Aussagen von Trump überprüften und einordneten. Donald Trump reagierte auf diese bereits seit Monaten geplante Praxis von Twitter wütend. Er unterstellte, Plattformen wie Twitter würden nicht neutral agieren, sondern „politischen Aktivismus“ betreiben.
„@Twitter mischt sich nun in die Präsidentschaftswahlen 2020 ein“, schrieb Trump – wiederum auf Twitter. „Sie sagen, dass meine Erklärung zu den Briefwahlsendungen, die zu massiver Korruption und Betrug führen werden, falsch ist, basierend auf einer Faktenprüfungen durch Fake News CNN und die Amazon Washington Post.“ Twitter „ersticke die Redefreiheit“, erklärte der US-Präsident. Er würde das nicht zulassen. Twitter selbst rechtfertigte die Überprüfung der Trump-Tweets. Twitter glaubt, „dass diese Tweets die Wähler darüber verwirren könnten, was sie tun müssen, um einen Stimmzettel zu erhalten und am Wahlprozess teilzunehmen“.
Laut dem Twitter-Sprecher Brandon Borrman sei die Überprüfung der Trump-Tweets bewusst geschehen und man sei sich bewusst gewesen, dass „die Hölle losbrechen“ würde. Twitter-Chef Jack Dorsey sagte, dass sein Unternehmen „weiter falsche oder strittige Informationen über Wahlen überall auf der Welt kennzeichnen“ wird. Tatsächlich kennzeichnete Twitter seit dem Präsidenten-Erlass weitere Tweets von Donald Trump. Unter anderem blendete es einen Tweet des Regierungschefs zu den Protesten in Minneapolis wegen eines Verstoßes gegen die Twitter-Regeln aus, die die Verherrlichung von Gewalt untersagen. Der Tweet werde jedoch nicht gelöscht und bleibe grundsätzlich über eine Anzeige-Bestätigung weiter aufrufbar, da „es im Interesse der Öffentlichkeit liegen könnte, dass der Tweet zugänglich bleibt“.
Die möglichen Folgen des Dekrets
Laut dem Dekret von Donald Trump sollen die sozialen Netzwerke nicht mehr als neutrale Plattformen gelten, sondern könnten ähnlich redaktionellen Medien behandelt werden. Sie könnten dann für Inhalte, die Nutzer posten, verantwortlich gemacht und rechtlich belangt werden. Wollten sie diese Verantwortung zurückweisen, so erste Einschätzungen über Trumps Ziel dieser Neuregelung, müssten Twitter und Co. wohl auch auf Kennzeichnungen und Faktenchecks verzichten. Laut Netz- und Rechtsexperten sei der Erlass aber sowohl juristisch als auch ökonomisch nur schwer haltbar. Mehrere Juristen gehen davon aus, dass eine Änderung oder Abschaffung von Section 230 nur vom US-Kongress verabschiedet werden kann. Dann müssten auch die US-Demokraten zustimmen, was nahezu ausgeschlossen ist.
Würde das allerdings geschehen, wären nahezu alle sozialen Netzwerke, deren Moderationspraxis und ihre Geschäftsmodelle in den USA in ihrer jetzigen Form in Gefahr. Das könnte für Donald Trump auch nach Hinten losgehen. Denn statt seine Tweets zu moderieren oder mit Hinweisen zu versehen, könnte sich Twitter entschließen, sie zu löschen oder den Account von Donald Trump zu sperren. Das wäre wohl auch ohne Section 230 rechtens, wie US-Juristen mutmaßen.
Zuckerberg stellt sich hinter Trump
Abseits des Erlasses will Trump laut US-Medienberichten auch die US-Handelsaufsicht Federal Trade Commission auf soziale Netzwerke wie Twitter und Facebook ansetzen. Die solle überprüfen, ob diesen eine politische Voreingenommenheit nachgewiesen werden kann und entsprechende Beschwerden entgegennehmen. Dazu sollen Bundesbehörden verpflichtet werden, ihr eigenes Engagement sowie ihre Werbeausgaben auf sozialen Netzwerken zu überprüfen.
Abseits von Twitter haben auch schon andere Unternehmen auf den Erlass von Trump reagiert – wenn auch diplomatisch bis zurückhaltend. Riva Sciuto, Sprecherin von Google, sagte, dass Google für seine Plattformen wie YouTube „klare Inhaltsrichtlinien“ hat, die ohne Rücksicht auf politische Standpunkte durchgesetzt würden. Der Erlass und das Untergraben von Section 230 würde „Amerikas Wirtschaft und seiner globalen Führungsrolle im Bereich der Internetfreiheit schaden“. Liz Bourgeois, eine Facebook-Sprecherin, sagte, „indem man Unternehmen einer potenziellen Haftung für alles aussetzt, was Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt sagen, würden Unternehmen bestraft, die sich entscheiden, kontroverse Reden zuzulassen“.
Auch Facebook wird durch den Erlass bedroht – und das, obwohl sich Facebook-Chef Mark Zuckerberg selbst gleich nach dem Beginn der Auseinandersetzung zwischen Twitter und dem Präsidenten hinter Donald Trump stellte. Wie Zuckerberg dem Trump-nahen Sender Fox News sowie dem Sender CNBC sagte, „haben wir eine andere Politik als Twitter, was das angeht“. Zuckerberg glaube nicht, dass „Facebook und andere Internet-Plattformen Schiedsrichter der Wahrheit sein sollten. Die politische Rede ist eine der empfindlichsten in einer Demokratie, und die Leute sollten sehen können, was Politiker sagen.“
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