Bereits im Januar hatte ich den angeblich revolutionären KI-Assistenten Rabbit R1 vorbestellt. Im Juni kam er endlich an. Seitdem habe ich viel Zeit mit dem Gadget verbracht – und leider keine echte Verwendung dafür gefunden. Denn der orangefarbene Quader kann kaum etwas von dem, was die Macher versprochen haben.
Von Michael Förtsch
Im Januar war er die Überraschung der diesjährigen Elektronikmesse CES in Las Vegas: der Rabbit R1. Selbstbewusst präsentierte Jesse Lyu, Gründer des Start-ups Rabbit, das kleine KI-Gerät. Ein sehr, sehr orangefarbener Quader mit einem Bildschirm, einem Drehrädchen und einer Kamera, das als KI in einer Box funktionieren und Smartphones mit ihren Touchscreens und Apps überflüssig machen soll. Auf der Bühne zeigte er, was damit alles möglich ist… oder zumindest sein soll: Essen und ein Uber bestellen, Spotify steuern, den eigenen Tag und Termine planen, Fragen beantworten. Was der Rabbit noch nicht kann, soll man ihm beibringen können, hieß es damals. Denn die KI dahinter, ein sogenanntes Large Action Model, soll sich auf neue Apps und Aktivitäten trainieren lassen. Und das alles für nur 200 Euro, ganz ohne Abo. Die Nachricht von dieser kleinen Sensation – deutlich nützlicher und günstiger als der teure AI Pin von Humane – macht weltweit die Runde. Allerdings sich schon damals viele: Ist der Rabbit R1 wirklich so toll?
Mittlerweile haben viele Vorbesteller ihren Rabbit R1 erhalten – auch ich. Ich hatte den Rabbit wenige Tage nach der Präsentation bestellt. Nachdem das Paket einige Male fehlgeleitet wurde, lag es Mitte Juni plötzlich abholbereit in meinem örtlichen DHL-Locker. Zwischen der Bestellung, die ich mit Neugier und meiner Liebe zu technischen Obskuritäten begründete – ich besitze unter anderem auch eine Ouya und die ersten Snapchat Spectacles – und der Ankunft ist einiges passiert. Unter anderem hat sich bestätigt, was manche bereits vermutet haben: Der R1 ist im Prinzip ein abgespecktes Android Smartphone auf Basis eines Mediatek-Helio-P35-Chipsatzes und das Rabbit OS ist kein echtes Betriebssystem, sondern eine Android-App.
Außerdem haben einige Internet-Schnüffler und Journalisten die Vorgeschichte des Rabbit-Gründers Jesse Lyu recherchiert, die unter anderem ein glorreich und teuer gescheitertes NFT-Projekt beinhaltet. Einige äußerten außerdem Zweifel daran, dass das Large Action Model, das den Rabbit R1 antreiben und verschiedene Dienste für den Benutzer steuern soll, überhaupt existiert. Oder ob sich hinter dem Rabbit in Wirklichkeit nur eine Schnittstelle zu den GPT-Modellen von OpenAI mit einigen vorgefertigten Skripten für ausgewählte Dienste verbirgt. Eine Vermutung, die sich zuletzt erhärtete, als Nutzer einen Prompt aus dem Rabbit-System extrahierten, der die Anweisung enthielt, „niemals zu erwähnen, dass ich (…) ein von OpenAI entwickeltes großes Sprachmodell (…) bin“, und der Rabbit R1 zufällig immer dann den Dienst verweigert, wenn auch ChatGPT wegen Serverproblemen nicht nutzbar ist.
Zudem wurden kürzlich einige Sicherheitslücken entdeckt, die den Diebstahl aller Rabbit-Antworten für alle Geräte oder sogar einen Absturz des Rabbit-Ökosystems hätten ermöglichen können.
All das machte das kleine Gerät für mich aber erstmal nur noch spannender. Tatsächlich habe ich inzwischen einige Zeit mit dem R1 verbracht, ihn ausgeführt, viel mit ihm gesprochen. Und meine Gefühle gegenüber dem Rabbit R1 sind nun sehr gemischt. Einerseits ist es schwer zu leugnen: Der Rabbit R1 ist optisch und haptisch ein einzigartiges Gerät. Die leuchtend orange Farbe, das Drehrad, die kleine Schwenkkamera – hier haben die Designer von Teenage Engineering ganze Arbeit geleistet. Auch die Verarbeitung ist gelungen, obwohl kein Metall, sondern nur dickes Plastik zum Einsatz kommt. Der R1 fühlt sich hochwertig an, fällt auf und könnte gut als Requisit in einem Science-Fiction-Film herumliegen. Was die Nützlichkeit angeht,… ist es leider eine andere Geschichte.
Lahmer Hase?
Seit der Rabbit R1 ankam, hadere ich damit, eine richtige Verwendung für ihn zu finden. Abgesehen davon, dass er auf dem Schreibtisch sehr interessant aussieht. Es fängt schon damit an, dass das Gadget viel zu oft keine Antwort auf eine Anfrage gibt. Nicht selten drückt man auf den Sprechknopf, die Ohren des digitalen Hasen auf dem Display stellen sich auf, um zu signalisieren „ich höre zu“, aber wenn man nach einer einfachen Information fragt oder ein Kommando eingibt, kommt keine Reaktion. Ein Umstand, über den sich nicht wenige Nutzer häufig beklagen – und dessen Ursache immer noch unklar ist.
Hinzu kommt, dass der Rabbit R1 derzeit offiziell nur Englisch versteht. Das hat der Entwickler inzwischen auch auf der offiziellen Website vermerkt. Doch auch damit hat das kleine Gadget manchmal seine Schwierigkeiten. Zum Beispiel, wenn der Nutzer einen Akzent hat, kein sauberes britisches oder amerikanisches Englisch spricht, wie ich selbst erfahren habe, aber auch zahlreiche andere Nutzer zum Beispiel auf Reddit beklagen. Vor allem aber: Viele der auf und rund um die CES 2024 versprochenen Features, die das orange Kästchen so spannend machten, sind für den Rabbit R1 einfach nicht verfügbar. Zumindest noch nicht.
Eine Morgenroutine mit Fitnessprogramm, dem Lieblingssong zum Aufwachen über Kopfhörer und einem Rezept für ein gesundes Frühstück mit einem Befehl starten? Das funktioniert nicht. Aber immerhin rät einem der Rabbit, vielleicht erstmal aufzuwachen. Eine Nachricht an alle Freunde schicken, die sich zu einer Party angemeldet haben? Auch das klappt nicht. Hier rät der Rabbit, lieber alle direkt anzuschreiben. Eine Reise planen oder auch nur einen Flug oder ein Hotel in einer Stadt suchen? Fehlanzeige. Den Rabbit R1 ein Dokument analysieren lassen und die Ergebnisse zum Beispiel per E-Mail versenden? Nope. Essen bestellen? Ja, das geht. Aber es steht nur DoorDash zur Verfügung, das in Deutschland nicht aktiv ist. Dem Rabbit über den so genannten Teach Mode selbst weitere Fähigkeiten beibringen? Die Option soll, na ja, irgendwann kommen.
Manches kann der Rabbit doch!
Der Rabbit R1 kann erschreckend vieles nicht, was wirklich nützlich wäre – und was den Vorbestellern suggeriert wurde, was er könne. Aber es gibt auch Dinge, die er kann. Mit der Text-zu-Bild-KI Midjourney kann man per Sprachbefehl beispielsweise Bilder erstellen, wenn man über ein entsprechendes Bezahlkonto bei dem Dienst verfügt. Das zum ersten Mal zu tun, hat etwas Magisches. Zumindest, wenn man nicht zufällig auch schon DALL-E 3 per Sprachbefehl über die ChatGPT-App genutzt hat. Ein Feature, das erst Ende Mai eingeführt wurde, nennt sich Magic Camera und wandelt R1-Fotos in KI-generierte Bilder in verschiedenen Stilen um, auch ganz ohne Midjourney-Konto. Anfang Juli kam zudem die Option dazu, mit der Musik-KI Suno per Sprachbefehl Songs erstellen zu lassen. Nicht schlecht.
Eine einfache Suche per Spracheingabe durchführen? Auch das funktioniert. Informationen werden schnell und oft sogar richtig gefunden, wenn der Rabbit mal zuhört. Wer möchte, kann den Rabbit auch direkt anweisen, die KI-Suchmaschine Perplexity zu nutzen, für die jeder Rabbit-Käufer ein einjähriges Pro-Abo geschenkt bekommen hat. Wer per Doppelklick auf den Sprachbutton die Kamera aktiviert, kann den Rabbit auch nach Informationen über die Umgebung fragen. Die KI-Box kann versuchen, Pflanzen zu erkennen und Rezepte für Zutaten zu finden, die zum Beispiel auf dem Küchentisch liegen. Das ist ziemlich hit or miss. Denn manchmal erkennt der R1 verschiedene Pflanzen, Gemüse oder Pilzsorten ziemlich genau. Dann wieder nicht.
Obwohl der Rabbit grundsätzlich nur Englisch versteht, funktioniert er ironischerweise als Übersetzungsgerät recht gut, wie ich bei einigen Tests mit fremdsprachigen Bekannten und Freunden feststellen konnte. Zumindest zwischen Deutsch, Englisch und Spanisch, Türkisch und Walisisch übersetzt das kleine Gerät recht zuverlässig und ohne allzu große Fehler hin und her. Nicht so schnell und zackig, wie es wünschenswert wäre, aber immerhin. Hier kann der Rabbit durchaus hilfreich sein, wenn man zufällig nicht das Smartphone dabei hat.
Auch für Rechenaufgaben ist er geeignet. Denn hier greift das orangefarbene Kästchen auf den bewährten Mathematikdienst Wolfram Alpha zurück. Und wer sich traut, kann mit dem Rabbit auch ein Auto beim Fahrdienst Uber bestellen. Dann muss er allerdings damit rechnen, dass es mehrere Anläufe braucht, bis die richtige Zieladresse eingetragen ist. Ja, auch Spotify und Apple Music lassen sich mit dem Rabbit steuern, auch wenn der R1 hier mal gerne Titel, Interpreten und anderes missversteht.
Oh, und mit dem Rabbit kann man Notizen anlegen, die er theoretisch auch vorlesen kann. Jedoch gelang das bei mir über mehrere Tage hinweg nicht zuverlässig. Grund: „technische Schwierigkeiten“. So musste ich sie über das Rabbit Hole, das offizielle Webportal, abrufen, in dem auch alle Dialoge und Fotos gespeichert und die angeschlossenen Dienste verwaltet werden. Allerdings, und das ist eine weitere Widersprüchlichkeit dieses kleinen Geräts, kann sich die Künstliche Intelligenz hinter Rabbit – also vermutlich GPT-3 oder 4 – seit Kurzem wie ChatGPT an bestimmte Informationen erinnern, die der kleinen KI-Box mitgeteilt werden. Zum Beispiel die Namen von Freunden und Verwandten, Hobbys oder auch Termine. Und diese lassen sich auf Wunsch mit einer Recall genannten Funktion wiedergeben.
Käufer als Betatester
Der Rabbit R1 hat momentan für kaum jemanden einen echten Nutzen. Wer ihn nicht, wie ich, als technisches Kuriosum oder Sammlerstück interessant findet, sollte die Finger davonlassen. Er ist ein schickes Stück Hardware mit einer geradezu absurd unvollständigen und unzuverlässigen Software. So unvollständig, dass bereits mit einem der ersten Updates plötzlich die Akkulaufzeit um das Fünffache verlängert wurde. Wobei dem Rabbit immer noch zwischen viereinhalb und zehn Stunden die Puste ausgeht – selbst, wenn er kaum benutzt wird.
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Jetzt Mitglied werden!Den Rabbit R1 als Betrug zu bezeichnen, wie es einige Kritiker getan haben, wäre wohl übertrieben. Aber die Rabbit-Entwickler haben ihre Kunden definitiv hinters Licht geführt, was den praktischen Nutzen des R1 zum Start angeht. Denn er ist definitiv nicht der nützliche Assistent, den das Start-up im Vorstellungsvideo und Jesse Lyu im CES-Talk beschworen hat. Er wirkt eher wie ein Proof of Concept, also ein Prototyp, der die grundsätzliche technische Machbarkeit eines solchen Gadgets beweisen soll. Aber nicht wie ein marktreifes Produkt. Zumindest nicht auf der Softwareseite.
Die Käufer des R1 werden, so scheint es, von den Entwicklern als zahlende Betatester benutzt. Eben um an Daten, Erfahrungen und Nutzungsparameter zu kommen, die nötig sind, um den Rabbit an das heranzuführen, was einst versprochen wurde; oder, wie Gerüchte nahelegen, den R1 als ausgereifte Smartphone-App zu veröffentlichen. Tatsächlich lieferten die Entwickler bisher recht zuverlässig jeweils von Donnerstag auf Freitag mal größere, mal kleinere Updates, die etwa die Antwortgeschwindigkeit erhöhten, Bluetooth nutzbar machten, die Ortung verbesserten oder ganz neue Funktionen wie Wolfram Alpha für Mathematikaufgaben und die Erinnerungsfunktion hinzufügten. Das ist schon beachtlich.
Aber ob, wann und wie Rabbit den R1 wirklich zu dem Gerät machen kann, dass das Start-up versprochen hat, ist schwer zu sagen. Vor allem, wenn das ominöse LAM wirklich nur ein cleverer Marketing-Gag war. Denn ohne dieses KI-Modell scheint das Konzept des R1, sich dem Nutzer anzupassen und von ihm zu lernen, seine bevorzugten Apps und Dienste zu bedienen, nicht denkbar. Davon wird es wohl letztlich abhängen, ob der Rabbit R1 als Marketingerfolg und technischer Flop in die Geschichte eingeht oder als holpriger Start in die Ära der persönlichen KI-Assistenten und KI-Anti-Smartphones.
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