Selten ist der Schauspieler, den wir in einer Rolle auf der Leinwand sehen, die erste Wahl gewesen. Eigentlich sollte Tom Selleck den Indiana Jones geben und John Travolta den liebenswerten Forrest Gump. Ein YouTuber zeigt nun, wie das wohl ausgesehen hätte – und zwar mit aufwendigen Deepfakes.
Von Michael Förtsch
Es gibt Schauspieler, die sind kaum noch von ihren größten Rollen zu trennen. Keanu Reeves wird auf ewig der Hacker Neo sein, der in der Computerrealität der Matrix gegen virtuelle Agenten und in der echten Welt gegen die Maschinen kämpft. Zwar hatte Reeves schon zuvor in Blockbustern wie Speed mitgespielt. Aber es war diese Rolle, die ihn zu einer echten Hollywood-Legende machte. Eigentlich hatte das Regie-Duo Lana und Lilly Wachowski aber einen anderen Schauspieler als digitalen Heiland ins Auge gefasst: Will Smith, der gerade mit Independence Day und Bad Boys bemerkenswerte Kassenschlager anführte. Doch der sagte ab – um stattdessen den Megaflop Wild Wild West zu drehen. Etwas, das er heute ziemlich bereut.
Nicht unbedingt dürften Filmfans dem Umstand eine Träne nachweinen, dass John Travolta einst die Rolle des Forrest Gump ablehnt hat, die unverrückbar mit Tom Hanks verbunden ist. Eine interessante Erfahrung wäre es aber vermutlich gewesen, Travolta darin zu sehen. Doch anders als Will Smith traf er wohl die richtige Entscheidung. Denn er nahm stattdessen eine Rolle in einem nicht weniger kultigen Streifen an: Pulp Fiction. Kaum vorstellbar ist auch, dass beinahe der schnauzbärtige Tom Selleck und nicht Harrison Ford den Archäologen Indiana Jones verkörpert hätte. Doch mittlerweile muss man sich das auch nicht mehr vorzustellen, sondern kann es sich anschauen.
Möglich macht das die Deepfake-Technologie, die erstmals vor drei Jahren weltweit Aufmerksam erregte, da sie benutzt wurde – und auch heute noch benutzt wird –, um die Gesichter von Berühmtheiten gegen ihren Willen in Pornovideos zu montieren. „Diese Deepfake-Pornos stellten für mich keinen Reiz dar“, sagt YouTuber Shamook, der eigentlich Sam heißt und in Großbritannien lebt, zu 1E9. „Die [Porno-Deepfakes] sind irgendwie gruselig, traurig, schräg und, soweit ich weiß, mittlerweile [in einigen Ländern] auch illegal.“ Viel reizvoller fand er es, die Technik zu nutzen, um filmische Parallelwelten zur Realität werden zu lassen.
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Bislang hat Sam die drei oben genannten Alternativbesetzungen und noch einige mehr erfahrbar gemacht. Dafür tauschte er die Gesichter der Originalschauspieler gegen die Gesichter jener aus, die die Rolle stattdessen hätten spielen können. Begonnen hat er damit vor neun Monaten als er einige Deepfake-Videos auf YouTube sah. „Ich hatte schon immer so ein Hobby-Interesse, was Software-Technologie angeht, und habe nach einem Weg gesucht, in die Welt von Künstlicher Intelligenz und Machine Learning einzutauchen“, sagt Sam. „Und das schien mir der perfekte Weg.“
Dass er ausgerechnet damit anfing, filmische Was-wäre-wenn-Momente zu inszenieren, habe weniger damit zu tun, dass er ein großer Filmfan sei. Vielmehr sei es eine ganz pragmatische und berechnende Kreativentscheidung gewesen. „Ehrlich gesagt wollte ich einfach etwas anderes machen als andere Deepfaker da draußen. Ich wollte etwas mit dem ich herausstechen würde“, sagt er frei heraus. „Ich kann ’ Schauspieler, die berühmte Rollen abgelehnt haben ’ googeln und bekomme eine Liste mit Ideen geliefert.“ Und da mangele es nicht an Optionen für kuriose Kombinationen von Filmen und Darstellern und Darstellerinnen. Faszinierend fand er etwa die Vorstellung, dass Chris Pratt der neuer Indiana Jones hätte werden können.
Die Ideen, die er mit Listen und Artikeln in Filmmagazinen frei Haus bekommt, dann in bewegte Bilder umzusetzen, sei aber nicht ganz so einfach. Denn bevor er ein Projekt beginne, schaue er den kompletten Film, den er angehen will, und suche dabei nach Szenen, die sich gut für das Deepfake eignen – also das Gesicht des Protagonisten möglichst frontal und gut erkennbar zeigen. „Dann gehe ich Filme mit der Person durch, deren Gesicht ich in den Film ein-faken will“, sagt Sam. Schließlich brauche er für ein gutes Deepfake rund 10.000 Bilder des Spendergesichtes. Und das aus möglichst vielen Blickwinkeln und mit möglichst vielen Gesichtsausdrücken.
Anschließend verrichtet eine Künstliche Intelligenz mittels des Programms DeepFaceLab den Rest. Und das kann dauern. Denn das Lernen der Gesichter, um sie auszutauschen, ist aufwendig und rechenintensiv. „Ein Video wie Chris Pratt als Indiana Jones kostet mich rund sieben Tage“, erklärt Sam. Daher setzt er nicht auf einen heimischen Desktop-Rechner, sondern auf einen Cloud-Computing-Anbieter wie Paperspace, der virtuelle Computer mit High-End-Grafikkarten anbietet, die für professionelle KI-Anwendungen gedacht sind.
Die Magie dahinter
Anders als bei Deepfake-Pornos sind die Reaktionen auf die Film-Fakes von Shamook, wie er selbst sagt, „bislang nur positiv“. Selbst einige der Schauspieler, denen sie gewidmet sind, fanden sie äußerst amüsant und bemerkenswert. „Will Smith reagierte auf mein Matrix-Video per Social Media. Chris Pratt hat mein Indiana-Jones-Video retweetet und sagte, es sei der Wahnsinn.“ Und auch einige andere Schauspieler und Berühmtheiten wie Ron Offerman und Jay Pharaoh aus anderen Videos haben auf die Deepfake-Clips von Sam erheiterndes Feedback gegeben.
Das hat ihm sehr viel Aufmerksamkeit gebracht – und damit auch einige Chancen. Denn mittlerweile seien Deepfakes für ihn vom Hobby zum Beruf geworden, wie auch bei einigen anderen Deepfake-Künstlern, die mit lustigen, aber ebenso beeindruckenden Clips für Wirbel sorgten. „Ich wurde von vielen Special-Effects-Studios und Hollywood-Firmen kontaktiert und habe mit einigen davon gearbeitet“, sagt Sam. Der Grund sei einfach: Deepfakes entwickeln sich und seien dabei, „einfach zu einem Teil der Mediengestaltung zu werden“.
Schon jetzt gibt es erste Filme, die zumindest kurze Deepfake-Szenen enthalten. Beispielsweise wurde der Schauspieler Bill Nighy in Detective Pikachu in einer Szene mit seinem wenige Jahre jüngeren Ich ersetzt. Außerdem arbeitet die Forschungsabteilung von Disney mit der ETH Zürick zusammen, um Deepfakes für hoch aufgelöste Großaufnahmen zu ermöglichen. Schon bald könnten also in biographischen Filmen tatsächlich jene Menschen auf der Leinwand zu sehen sein, um die es geht.
Laut Shamook wäre mittels Deepfakes bald vieles machbar, was jetzt noch unglaublich erscheint. Daher will er zwar weiterhin seine Videos mit Alternativbesetzungen produzieren, aber in anderen Videos auch Einblick in die Technik geben. Auch, um ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Deepfakes kein Schmuddelkram sind. Jene, die die Technik für falsche Promipornos nutzen, sagt er, hätten das Thema und die Technik, die für so vieles genutzt werden könne, vollkommen in Misskredit gebracht.
„Selbst wenn ich Freunden sage, was ich mache, lachen sie und scherzen, dass ich wohl Pornos mit ihnen erstellt habe“, meint er. Das sei frustrierend für ihn und andere, die sich ganz bewusst von Prono-Fakes distanzieren und stattdessen „coole Kultur- und Kunstsachen“ damit machen. Er will nun „zeigen, wie das geht und wie bisher existierende CGI-Special-Effects von Deepfakes profitieren können“. Dafür möchte er auch einige seiner älteren Videos mit seinen heutigen Kenntnissen und besserer Technik neu auflegen.
Teaser-Bild: Shamook