Das Rollenspiel Starfield vom Elder-Scrolls-Studio Bethesda lässt die Spielerinnen und Spieler Dutzende von Sternensystemen mit 1.000 Planeten erforschen. Für die Gestaltung der Schiffe und ihrer Technologie haben sich die Macher bei der NASA, SpaceX und Co. inspirieren lassen. So manche Technik hat sogar echte Vorbilder. Das lässt das Videospiel nahbar und realistisch erscheinen.
Von Michael Förtsch
Die Ressourcen der Erde sind begrenzt und der Klimawandel droht weite Teile unseres Planeten unbewohnbar zu machen. Außerdem lauert stets das Risiko, dass eine Seuche, eine wildgewordene KI oder ein Meteoriteneinschlag uns alle binnen kürzester Zeit auslöscht. Das wäre unschön. Angesichts dessen wirkt es wie ein logischer Gedanke, fast schon unvermeidbar, dass die Menschheit in den kommenden Jahrzehnten und Jahrhunderten in den Weltraum aufbricht, um dort heimisch zu werden. Denn so könnte selbst bei einer globalen Katastrophe irgendwie und irgendwo eine Handvoll Menschen überleben und das Vermächtnis unserer Zivilisation weitertragen. Das glauben jedenfalls Leute wie Elon Musk. „Die Menschheit muss eine multiplanetare Spezies werden“, sagt der strittige Milliardär. Aber auch sonst: Da draußen lockt das große Unbekannte – und damit die Hoffnung auf neue, unerforschte und faszinierende Welten. Und auf grenzenlose Abenteuer für jene, die sich hinaustrauen.
Genau darum geht es in Starfield, dem lange erwarteten und nun endlich erschienen Rollenspiel des Elder-Scrolls-Entwicklers Bethesda. Dieser wirft die Spieler diesmal also nicht erneut in eine Fantasy-Welt mit Drachen und Gnomen oder in ein Postapokalypse-Ödland mit Robotern und Mutanten. Sondern eben den Weltraum. Aber nicht den Weltraum, wie man ihn aus Star Wars oder Star Trek kennt. Stattdessen setzt Starfield in einer vergleichsweise nahen Zukunft an, für die unser derzeitiger technologischer Stand weitergedacht wurde – mit einigen Freiheiten natürlich. Daher werden im Jahr 2330 auch nicht die unendlichen Weiten erforscht, sondern eher unser kosmischer Hinterhof, der sich rund 50 Lichtjahre weit erstreckt. Darin finden sich reale Sternensysteme wie Alpha Centrauri und fiktive wie Narion, die rund 1.000 Planeten und Monde bieten, auf denen gelandet werden kann.
Erkundet wird das gigantische Gebiet nicht mit glitzernd sauberen Schiffen wie der USS Enterprise oder gigantischen Sternenkreuzern, sondern mit Schiffen die zweifelsohne futuristisch sind, dabei aber glaubhaft und machbar erscheinen. Man sieht wuchtige Metallkolosse mit mächtigen Antriebs- und Navigationsdüsen, sichtbaren Antriebsaufbauten, Schildgeneratoren und einem massiven Reaktor am Heck, der die Energie für alles liefert. Im Inneren zweckmäßige Steuerkonsolen, Tische, Schränke aus Metall und Hartplastik. Daneben reihenweise Tafeln mit Knöpfen und Kippschaltern, die sich auch mit einer Hand und im Raumanzug bedienen lassen. Das alles wirkt nicht neu, sondern abgegriffen, mit abblätternder Farbe, sichtbaren Kratzern und Dellen. Es ist eine geerdete, in unserer Gegenwart verhaftete und dadurch bislang selten gesehene Vision einer Zukunft zwischen den Sternen.
NASA-Punk?
Der Bethesda-Künstler Istvan Pely, der maßgeblich für die Optik des Games verantwortlich ist, hat diese NASA-Punk getauft. In Anlehnung an die Science-Fiction-Genres Cyber-, Solar-, Diesel- und Clockpunk. Vorbild für das Design der Schiffe sei der zweckmäßige, aber dadurch auch minimalistisch elegante Look der US-Raumfahrtagentur und moderner Raumfahrtfirmen wie SpaceX und Boeing gewesen. Es ist eine Ästhetik, die bereits im kollektiven Gedächtnis verankert ist. Jeder weiß, wie das Space Shuttle ausschaut oder die Internationale Raumstation. Abertausende haben immer wieder die Starts der Falcon-9-Raketen oder Testflüge des Starships verfolgt. Der look & feel ist dadurch mit unserem Bewusstsein einer funktionierenden Technologie, einer Aufbruchsstimmung, den Gedanken an den Wettlauf ins All und einem Mitfiebern verbunden.
Aber nicht nur die Raumschiffe haben eine in der Realität verhaftete Optik, auch die Raumanzüge, die Außenposten und ganze Städte. Auf mehreren Monden und Planeten finden sich offenkundig mit 3D-Druck-Technik gebaute Habitate, die beispielsweise von unabhängigen Raumsiedlern bewohnt werden. Die Rillen in den Außenwänden lassen die Konstruktionsweise erkennen. Es gibt einfache Kästen aus Metall und Glas, die auf den Oberflächen stehen. Aber auch tief in den Untergrund gehende Höhlen, die mit Stahlverkleidungen, Belüftungs- und Filteranlagen bewohnbar gemacht sind – wie etwa die marsianische Minenstadt Cydonia. Mit Neon existiert im Volii-System ein verwinkelter Stadtkoloss, der auf riesigen Pfeilern in einem Meer thront. Dazu kommen mal kleine, mal große, mal riesenhafte Raumstationen, die leicht als entfernte Verwandte der Mir, der ISS und derzeit geplanter Vorposten der Menschheit im Erdorbit auszumachen sind.
Auch die grundlegende Technologie in Starfield ist oft futuristisch – und dennoch greifbar und gefühlt nur einige Jahrzehnte entfernt. „Man kann eine Linie von der heutigen Weltraumtechnologie ziehen und von dort in die Zukunft extrapolieren, so dass es glaubhaft und nachvollziehbar ist“, sagte der Bethesda-Designer Pely. Befeuert werden die Raumschiffe und Stationen beispielsweise mit Fusionsreaktoren, die von Konzernen wie Dogstar und Xiang gefertigt werden. Und zwar basierend auf den Tokamak- und Stellerator-Architekturen, an denen bereits seit Jahrzehnten mit kleinen, aber hoffnungsvollen Fortschritten geforscht wird. Die Düsentechnologie wiederum, die die vom Spieler modifizierbaren und nach dem Baukastenprinzip konstruierbaren Schiffe durch das All treibt, scheint unmittelbar vom NERVA-Programm inspiriert. Unter diesem Namen forschten in den 1950ern zunächst die United States Air Force, die United States Atomic Energy Commission und dann die NASA an einem neuartigen Antrieb für Raketen und potentielle Raumschiffe.
Die Raumfahrzeuge wurden – und werden auch heute noch – mit toxischen Treibstoffen wie Kerosin, Hydrazin oder teurem Flüssigsauerstoff angetrieben. Die Entwickler von NERVA schlugen hingegen vor, Wasserstoff durch einen Kernreaktor zu leiten und so auf 3.000 Grad Celsius zu erhitzen, wodurch sich der Wasserstoff in Gas verwandelt, ausdehnt und für Vortrieb sorgt. Die Idee und erste Tests in der Wüste von Nevada waren aussichtsreich. Sowjetische Ingenieure arbeiteten an einem nahezu identischen Konzept und wollten es für eine Mars-Mission in den 1990ern verwenden. Doch nach Budgetkürzungen bei der NASA wurde NERVA eingestellt – und die Sowjetunion zerfiel, bevor größere Fortschritte erzielt werden konnten. Seitdem wurde die Idee hinter NERVA aber immer wieder reanimiert. Derzeit arbeiten Unternehmen wie Ultra Safe Nuclear Technologies und BWXT an neuen Interpretationen des Konzepts für zukünftige Raumfahrtmissionen.
Per aspera ad astra
Das glaubhaft-futuristische NASA-Punk-Szenario von Starfield wirkt erfrischend. Aber neu ist es eigentlich nicht. Seit 2019 läuft auf dem Streaming-Service Apple+ die Dramaserie For All Mankind, die eine alternative Historie des Wettlaufs ins All zeigt. Statt den USA gelingt es der Sowjetunion, den ersten Menschen auf den Mond zu bringen. Eine internationale Blamage, die die Vereinigten Staaten nicht auf sich sitzen lassen wollen. Das Apollo-Programm und das Budget der NASA werden daher ausgeweitet. Nachdem Neil Armstrong nun als zweiter seinen Fuß auf den Mond setzt, werden eine Mondbasis und Space Shuttles gebaut, die bis zum Erdtrabanten und zurückfliegen können. Das nächste Ziel? Der Mars. Wobei die NASA bei diesem Rennen im Jahr 1994 sich nicht nur mit der weiterhin bestehenden Sowjetunion messen muss, sondern auch dem Privatunternehmen Helios.
Vor For All Mankind skizzierte schon der Autor und Ingenieur Stephen Baxter in den lose als NASA-Trilogie verbundenen Romanen Mission Ares, Titan und Moonseed mehrere Was-wäre-wenn-Szenarien für das Rennen ins All – und darüber hinaus. In Baxters Mission Ares überlebt John F. Kennedy das Attentat durch Lee Harvey Oswald, tritt als Präsident zurück, aber nutzt seinen Einfluss und sein Ansehen um das Weltraumprogramm massiv zu fördern. Bereits 1986 landen dadurch erste US-Amerikaner mit einem Raumschiff auf dem Mars. In Titan organisiert ein kleines Team in der massiv eingeschrumpften US-Raumfahrtbehörde mit einem umgerüsteten Space Shuttle eine bemannte Mission zum Titan, um Hinweisen auf organisches Leben nachzugehen. Und in Moonseed endet das US-Raumfahrtprogramm nicht nach Apollo 17, sondern geht weiter – mit Folgen, die die Menschheit ins All hinaus zwingen.
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Jetzt Mitglied werden!In seinen NASA-Romanen stützt sich Baxter mehrfach auf Ideen und Pläne, die die NASA-Ingenieure ihrerzeit wirklich vorgeschlagen oder sogar detailreich ausgearbeitet hatten, aber nicht umsetzen konnten – weil Geld oder Zeit fehlten oder das Risiko zu hoch war. Dabei schaut der Leser mehrfach durch die Augen jener, die das scheinbar unmögliche möglich machen müssen: Menschen lebend ins All und zurückbringen – und das mit Maschinen, chemischen Reaktionen und physikalischen Prozessen, die so komplex wie gefährlich sind. Die detaillierten Beschreibungen der Technologie in den Romanen, ihr markantes und in der realen Raumfahrttechnik verankertes Aussehen und ihre erkennbar funktionale Gestaltung in For All Mankind machen sie glaubwürdig. Es ist keine Magie oder Wundertechnik, die hier durch das All bringt. Sondern das Ergebnis von Forschung und Entwicklung über viele Jahrzehnte.
All das gilt auch für Starfield. Die Gestaltung der Welt und der Technologie darin sind nicht nur Selbstzweck, sie erden das futuristische Schauspiel. Sie lassen die Spieler selbst die nicht ganz so realistischen Ereignisse und Entdeckungen eher akzeptieren. Außerdem sind der Stand der Technik und ihre Ausformung auch innerhalb der Historie von Starfield logisch nachvollziehbar und begründet. Denn in dem Rollenspiel zog die Menschheit nicht freiwillig ins All. Sie musste überstürzt und ohne viel Zeit und Planung aufbrechen, um neue Welten zu finden, um sich niederzulassen und das Weiterbestehen der Spezies Mensch zu garantieren. Und das mit einer Technologie, die eigentlich nie dafür ausgelegt war.
Starfield erscheint am 6. September für PC und Xbox Series X/S. Die Premium Edition ist seit 1. September spielbar.
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