Klar, das normale Fahrrad hat sich während des Corona-Shutdowns bewährt: Es ist günstig und ermöglicht Mobilität ohne Ansteckungsrisiko. Aber wäre ein Rad mit Karosserie, ein Auto mit Pedalen nicht eine noch bessere Alternative zum normalen Auto? Mobilitätspioniere waren schon in der ersten Weltwirtschaftskrise und der Ölkrise dieser Meinung. Angesichts der Klimakrise kommen neue Modelle dieser Velomobile, diesmal mit zusätzlichem Elektromotor.
Von Wolfgang Kerler und Jost Baum
Im Jahr 1923 wollte auch der neunjährige Georges Mochet endlich ein eigenes Fahrrad. Doch seine Mutter, so geht jedenfalls die Erzählung, hatte Angst, er würde sich dabei verletzten. Zumal im schon damals chaotischen Verkehr von Paris. Aber Georges hatte Glück, denn sein Vater Charles Mochet war ein Erfinder mit einem Faible für fahrbare Untersätze. Er konstruierte für seinen Sohn ein vierrädriges Tretauto, genauer gesagt ein Liegerad mit Karosserie.
Wenig später erkannte Charles Mochet, dass seine Idee das Zeug zu einem erfolgreichen Produkt hat. Seine Firma, die bisher kleine, günstige Autos produzierte, bot daher ab 1925 auch das neuartige Pedalgefährt in einer Version für Erwachsene an, die zunächst mit einer Aluminium-, später mit einer Holzverkleidung ausgeliefert wurde. Das Vélocar getaufte Gefährt bot Platz für ein bis zwei Personen und ihre Einkäufe – oder sogar ein Kind. Für die Herstellung nutzte Mochet Bauteile aus alten Krankenhausbetten, die nach dem Krieg nicht mehr gebraucht wurden, Fahrradteile und Sperrholz.
Historische Aufnahmen von den Vélocars der Firma Mochet sind nur noch wenige vorhanden. Dieses Video soll eine Fahrt von 1937 zeigen
Wegen der Wirtschaftskrise, die sich in den 1920er-Jahren immer weiter verschärfte und nach 1929 zur Weltwirtschaftskrise heranwuchs, stieg der Bedarf nach günstigen und praktischen Fahrzeugen. Viele Franzosen konnten sich ein eigenes Automobil nicht leisten. Charles Mochet entschied sich also, die Fertigung von Automobilen vorerst einzustellen und sich ganz der Konstruktion der frühen Velomobile zu widmen. Durchaus mit Erfolg. Zwischen 1925 und 1944 soll die kleine Firma Mochet rund 6.000 Vélocars hergestellt haben.
In einem Interview von 2001 erinnerte sich sein Sohn Georges Mochet daran, dass sein Vater anfangs ein Vélocar pro Woche „und dann eines pro Tag“ verkauft hat. Als Charles Mochet 1934 starb übernahm sein Sohn den Betrieb. Auch während des Zweiten Weltkrieges und unmittelbar danach, als Benzin knapp und rationiert war, stießen die pedalbetriebenen Fahrzeuge auf Interesse. Selbst der französische Widerstand soll Vélocars benutzt haben. Die Popularität der Fahrzeuge nahm allerdings ab, als das Automobil ab den 1950ern erschwinglicher wurde. Die Produktion der Vélocars, die später oft zusätzlich mit kleinen Motoren ausgestattet wurden, endete.
Die Ölpreiskrisen sorgen für ein Revival des Velomobils
1973 drosselten im Zuge des Jom-Kippur-Krieges, den mehrere arabische Staaten gegen Israel begonnen hatten, die arabischen Erdölförderländer ihre Produktion, um politischen Druck auf Westeuropa und die USA auszuüben. Der Ölpreis stieg um rund 70 Prozent – und vielen Staaten wurde vor Augen geführt, wie abhängig sie von fossilen Brennstoffen und den Ländern sind, die diese exportieren. Um die eigenen Ölreserven zu schonen, ordnete die Regierung der Bundesrepublik vier autofreie Sonntage an, beginnend Ende November 1973. Sechs Jahre später kam es zur zweiten Ölpreiskrise – als Folge der Revolution im Iran.
Die Erfahrungen dieser Zeit führten zur Wiederentdeckung des Velomobils. In den USA kamen angesichts der explodierenden Spritpreise gleich mehrere Pedal Cars auf den Markt: das People Powered Vehicle, das Tag-Along oder das Pedicar. Auch in Deutschland entstanden neue Konzepte. So entwickelte Paul Schöndorf, damals Professor an der Fachhochschule in Köln, zusammen mit Studierenden das Muscar, also Muskel-Auto, das auch vor Wind- und Wetter schützen sollte. Einem ersten Entwurf, der nach der ersten Ölpreiskrise entstand, folgten in den nächsten Jahren weitere, verbesserte Versionen. In Dänemark wiederum konstruierte der Physiker und Ingenieur Carl Georg Rasmussen als Reaktion auf die zweite Ölpreiskrise, das Leitra, was für Light Individual Transportation steht.
Zwar schafften es die Velomobile auch in den folgenden Jahrzehnten nicht in den Massenmarkt, aber sie eroberten sich ihre Nische und eine treue Fan-Gemeinde. Neben Alltagsvelomobilen sind insbesondere windschnittige Rennversionen beliebt, mit denen sich auf ebener Strecke durchaus Geschwindigkeiten von 50 Stundenkilometer erreichen lassen. Dutzende Anbieter tummeln sich auf diesem Markt.
Ist das Velomobil nun eine Antwort auf die Klimakrise?
Angesichts der Klimakrise und der Prognosen, dass 2050 etwa 80 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden, braucht es auch jetzt wieder neue Konzepte für die urbane Mobilität. Genau wie in der Weltwirtschaftskrise, als Autos zu teuer waren, oder während der Ölpreiskrisen, als Treibstoff knapp wurde. Und tatsächlich entsteht seit ein paar Jahren eine neue Generation von Velomobilen und ihren nahen Verwandten, die allesamt CO2-neutrale, zukunftssichere, urbane Mobilität versprechen. Sie vereinen Muskelkraft und Elektromotoren, sind also der Definition nach meistens Pedelecs.
Da wäre etwa das futuristisch anmutende Podbike vom norwegischen Start-up Elpedal, dessen Serienproduktion noch in diesem Jahr starten soll. Ursprünglich war die Auslieferung für 2019 geplant. Zwei Elektromotoren unterstützen den tretenden Menschen – von denen nur einer Platz hat. Das Podbike wiegt 60 Kilogramm, ist für Wind und Wetter gerüstet, und lässt sich zum Parken einfach kippen – und auf seinem Hinterteil platzsparend abstellen.
Viel Aufmerksamkeit bekam auch das als Open-Source-Projekt angelegte Velomobil Mö des spanischen Start-ups Evovelo, das man derzeit ebenfalls nur vorbestellen kann. Beim Mö, dessen Verkleidung aus Holz gefertigt ist, bekommen die maximal zwei Passagiere Unterstützung durch einen Elektromotor, der von einer Batterie versorgt wird. Strom sammelt das Mö selbst durch zwei 100-Watt-Solarpaneele auf dem Dach sowie aus der Bremsenergie.
Aus Deutschland soll noch in diesem Jahr der Bio-Hybrid kommen – ein Projekt des Autozulieferers Schaeffler. Und zwar sowohl in einer Ausführung für zwei Passagiere und in einer Cargo-Variante, die nur einen Platz bietet, dafür über eine Ladefläche verfügt. Diese kann modular umgerüstet werden, wodurch das Gefährt zum Kühlwagen, Kaffeestand oder Kleinlieferwagen wird. Testfahrten in Nürnberg und München hat der Bio-Hybrid schon hinter sich. Ein anderes Lasten-Pedelec ist in Berlin und Brandenburg sogar schon im Einsatz: der Loadster des Start-ups Citkar.
Weltweit sind andere Velomobile oder ähnliche Gefährte in Entwicklung oder sogar schon erhältlich. Das Micro Car Ebike PEBL, zum Beispiel, der Veloschmitt, eine Neuauflage des Messerschmitt Kabinenrollers mit Pedalen und E-Motor oder das kanadische Modll Veemo, das als Sharing-Velomobil konzipiert wurde. Schon beinahe ein Klassiker ist außerdem das pedalunterstützte Kleinelektroauto TWIKE, das es schon seit Mitte der 1980er Jahre gibt.
Ob sich die neuen Velomobile in der urbanen Mobilität der Zukunft diesmal einen dauerhaften und prominenten Platz ergattern, dürfte wohl vor allem von ihrem Preis abhängen. Der liegt meist mindestens bei mittleren vierstelligen Summen – und damit zwar viel günstiger als die meisten Autos, aber deutlich über den Kosten für das normale Fahrrad.
Titelbild: Podbike