Das deutsche Unternehmen Green City Solutions arbeitet an Luftfiltern, die mit Moos funktionieren und sich ohne Probleme in die modernen Städte integrieren lassen sollen. Sie sollen Feinstaub und Hitze bekämpfen. Bis Ende des Jahrzehnts sollen genug davon aufgestellt werden, um saubere Luft für eine halbe Milliarde Menschen zu liefern.
Von Michael Förtsch
Immer mehr Menschen leben in den Städten. Dort gibt es Arbeit, Kunst und Kultur. Allerdings sind Städte nicht gerade die gesündesten Orte. Vor allem aufgrund des Feinstaubs. Die Mischung aus Verbrennungsresten von Fahrzeugmotoren, Reifenabrieb, Hausstaub und anderen Partikeln kann die Lungen schädigen, zu Herz-Kreislauf-Störungen führen und wird seit 2013 von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Krebsursache aufgeführt. Fast 85 Prozent aller Stadtbewohner in Europa sind laut der WHO zu hohen Feinstaubwerten ausgesetzt. Aber nicht nur das: Städte sind auch heiß. Zu heiß. Fehlendes Grün, mangelnde Durchzugszonen für Luft, sich aufheizender Beton und spiegelnde Glasfronten von Geschäften und Bürotürmen können Straßen und Plätze zu Hitzeinseln machen. Vor allem im Tandem mit dem voranschreitenden Klimawandel kann das Lebensgefährlich werden, wie sich 2019 in Tokio zeigte.
Was lässt sich dagegen tun? Neue Regularien für den Verkehr in der Stadt, mehr Parks und ein bewussteres und ökologischeres Bauen werden seit Jahren von Forschern und Aktivisten gefordert. Erste Schritte dahin gibt es – unter anderem in Paris, München, Tokyo, New York und auch Karlsruhe. Aber insgesamt bewegt sich zu wenig und das auch noch zu langsam. Ein in Dresden gegründetes Start-up mit Sitz in Bestensee bei Berlin könnte jedoch eine Lösung gefunden haben. Zumindest eine Zwischenlösung, die die Feinstaub- und Hitzeprobleme punktuell und zielgerichtet angehen könnte. Denn Green City Solutions forscht an High-Tech-Bäumen, die für saubere und kühle Luft sorgen sollen: den sogenannten City Trees. 30 davon befinden sich an ausgewählten Orten in Deutschland und in anderen EU-Ländern bereits im Einsatz.
Ein City Tree soll bis zu 3.500 Kubikmeter an Luft pro Stunde filtern. Dabei soll er die Feinstaubbelastung in der unmittelbaren Umgebung um rund die Hälfte reduzieren und die Temperatur um rund 2 Grad Celsius abkühlen. Probeläufe in London bestätigten diese Werte. Möglich wird das nicht durch synthetische Filter wie in Haushaltsluftreinigern, sondern durch ganz natürliche. Denn Green City Solutions setzt auf verschiedene und bewusst kombinierte Moosarten, die auf Platten im Inneren hinter der Holzverkleidung der City Trees wachsen und vom Unternehmen selbst in einer 1.200-Quadratmeter-Moosfarm gezüchtet werden. Welche Moose genau zum Einsatz kommen, ist ein Betriebsgeheimnis.
Wie ein Baum. Nur besser, oder?
Die Idee zu den High-Tech-Bäumen kam dem Green-City-Solutions-Gründer Peter Sänger vor nunmehr acht Jahren. Gerade weil er immer wieder von der Luftverschmutzung in den Metropolen, aber zunehmend auch in kleineren Städten rund um die Welt hörte. „Man muss sich das klar machen: Luftverschmutzung gehört weltweit zu den größten Umweltproblemen und ist für jeden siebten vorzeitigen Todesfall verantwortlich“, sagt er im Gespräch mit 1E9. „Wir brauchen bessere Luft in Städten – und zwar jetzt.“ Dass er gerade auf Idee kam, dass Moos hier Abhilfe leisten könnte, war kein Zufall. Denn Sänger studierte Gartenbau und war von Beginn an von den Fähigkeiten von Moos fasziniert.
„Moose binden Feinstaub, manche sind antiseptisch, antiviral und fungizid – echte Allrounder für Luftreinhaltung und Gesundheit. Moose haben eine riesige Oberfläche, vergleichbar mit der menschlichen Lunge“, erklärt der Gründer. Von dieser Oberfläche werden Feinstaubpartikel angezogen. Denn die Blattoberflächen von Moosen sind elektrostatisch geladen. Sie wirken dadurch ganz ähnlich wie Mikrofaser- oder Staubtücher. „Der Unterschied zu einem Mikrofasertuch ist, dass das Moos die Feinstaubpartikel verstoffwechselt, den Feinstaub also frisst “, sagt Sänger.
Moose haben eine riesige Oberfläche, vergleichbar mit der menschlichen Lunge.
Peter Sänger
Allerdings: Moos alleine in bewirkt nicht genug, meint Sänger. Es muss auch effektiv eingesetzt werden. Und zwar, indem Luft aktiv über das Moos gesaugt wird. Außerdem muss das grundsätzlich nicht sonderlich anspruchsvolle Moos auch gepflegt und versorgt werden. Am besten vollautomatisiert und smart. Das sind Herausforderungen in zahlreichen Fachgebieten. Und die fallen sehr komplex und vielfältig aus, wie Sänger gerne eingeräumt, der daher 2014 sein Unternehmen gründete, das heute über 30 Köpfe zählt.
Schon 2015 gab es den ersten Prototypen, der zeigte, dass das Konzept praktisch funktioniert: Der bestand aus einer riesigen Wand, an die Sitzbänke angeknüpft waren. Doch perfekt war er nicht. Viele kleine Makel sorgten dafür, dass das Moos sich nicht so gut hielt, wie es sollte. Zu den Problemen gehörte mangelnde Wasserqualität, auch technische Macken und grundlegende Design-Probleme, derer man nicht so einfach Herr werden konnte. Daher begann das Team 2018 einfach nochmal von vorne. Und zwar mit dem Fokus darauf, dass es dem Moos so gut wie möglich geht und der City Tree als ein „langlebiges System“ funktioniert. Dazu trägt vor allem auch High Tech und IoT bei.
Der Baum braucht Strom
Der aktuelle City Tree gleicht optisch etwas einem Bienenstock. Das Moos ist von außen nur durch Spalten zwischen einer Holzverkleidung zu erkennen. Denn je weniger direkte Sonneneinstrahlung, umso besser. Dazu kommen Gebläse, die die Luft von außen einsaugen und wieder nach draußen pusten. Verbaut sind auch ein Bewässerungssystem und jede Menge Sensoren, die Luftqualität, Luftfeuchtigkeit, Temperatur und weitere Datenpunkte erfassen, die die optimale Versorgung des Moos und seine maximale Filterfähigkeit sicherstellen sollen – aber nicht nur.
„Wir können zusätzlich viele weitere Daten erheben, zum Beispiel zur Luftqualität, also der Verschmutzung durch Feinstaub oder Stickoxide“, sagt Sänger. „Diese Daten kombinieren wir dann oft mit meteorologischen Daten wie der Windrichtung und der Windgeschwindigkeit und können so besser verstehen, wann die höchste Belastung besteht und natürlich wie wir diese besser reduzieren können.“ Diese Daten sind offen und können von Nutzern über QR-Codes direkt vor Ort auf dem Smartphone aufgerufen werden.
Letztlich können wir unseren Kunden nur ans Herz legen, einen Ökostromtarif abzuschließen, am besten nicht nur zum Betrieb des CityTrees, sondern für alle Stromverbraucher.
Peter Sänger
Die City Trees verbrauchen durch ihre Ausstattung anders als echte Bäume natürlich Strom. Aber grundsätzlich nicht viel. Es sollen lediglich 1,5 bis 2 Kilowattstunden pro Tag sein. Weniger als eine 60-Wattglühlampe im gleichen Zeitraum. Allerdings nur in der Grundausstattung. In Varianten, die etwa mit einem LED-Schirm für Werbeanzeigen, WLAN-Zugangspunkten oder auch integrierten Ladestationen für E-Bikes und E-Autos ausgestattet sind, ist es ungleich mehr. Woher der Strom dann kommt, ist dann die Frage, wie Sänger gesteht.
„Letztlich können wir unseren Kunden nur ans Herz legen, einen Ökostromtarif abzuschließen, am besten nicht nur zum Betrieb des CityTrees, sondern für alle Stromverbraucher“, sagt er. Seine Hoffnung: In Zukunft könnte zumindest ein Teil des nötigen Stroms durch Solarpaneele erzeugt werden, die sich direkt in die Kunstbäume integrieren lassen. Bei ersten Prototypen gab es bereits einen Versuch. Aber die Paneele waren nicht effektiv genug. „Daher mussten wir für den Moment auf eine externe Stromversorgung umstellen“, sagt er. „Aber so schnell wie sich auch die Solar- und Batterietechnik weiterentwickelt, glauben wir sehr sicher daran, dass wir in Zukunft auch wieder auf ein Solarmodul umstellen können.“
Saubere Luft für Millionen Menschen
Der City Tree ist schon jetzt nicht mehr der einzige Moos-getriebene Luftfilter, an dem Green City Solutions arbeitet. Mit dem City Breeze existiert schon eine schlankere Variante, die eher an eine Werbetafel erinnert, wie sie oft Bahnhöfe, U-Bahnstationen oder auch Einkaufscenter säumen – und genau als solche ist der Aufsteller auch konzipiert. Auf der einen Seite Moos, auf der anderen Seite ein 75-Zoll-LED-Schirm, auf dem Werbefilmchen laufen können. Damit soll sich die Atemluft für 1.000 Menschen pro Stunde reinigen lassen. „Solche Displays werden bereits jetzt in vielen Städten für die digitale Außenwerbung genutzt“, meint Sänger. „So können wir bestehende Infrastrukturen nutzen, dadurch Planungsphasen deutlich abkürzen und unserem Anspruch, jetzt die Stadtluft zu verbessern, gerecht werden.“
Auf die Frage, ob es nicht ernüchternd ist, dass es offenbar diese integrierte Werbefunktion braucht, um manche Institutionen vom Aufstellen dieser Luftreiniger zu überzeugen, sagt Sänger, dass „die massiven Herausforderungen in Städten und die sehr langen und zähen Prozesse in einem schiefen Verhältnis zueinander“ stehen. „Mit der schlanken Gestalt und dem Doppelnutzen des CityBreeze bündeln wir gute Argumente, damit Luftqualität nicht länger nur durch Tempo 30- und Umweltzonen angegangen wird.“ Denn: Mit der Werbung könne die Anschaffung und Wartung refinanziert werden. „Da lässt sich die Anschaffung eines biotechnologischen Feinstaubfilters leichter verargumentieren.“
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Jetzt Mitglied werden!Deutlich weniger Argumente brauche es wohl für den AeroCare. Dabei handelt es sich um einzelne Moos-Module, die an Pflanzkästen erinnern und sich zu kompletten Fassaden zusammensetzen lassen. Beispielsweise, um Hauswände, die Innenwände von Büros oder auch Wartebereiche von U-Bahnstationen zu verkleiden. Das Team arbeitet gerade an ersten Pilotprojekten in Deutschland, bei denen getestet werden soll, ob und wie sie sich in bestehende Bauten integrieren lassen. Langfristig hofft Green City Solutions, dass die Luftreinigungskuben für Archtitektur- und Stadtplanungsbüros interessant werden und bei der Konzeption von Gebäuden und Städten von vornherein mit eingeplant werden.
Wir wollen bis 2030 saubere Luft für 500 Millionen Menschen produzieren, 1.095.000 Tonnen CO2 kompensieren und Luftqualität sichtbar machen.
Peter Sänger
Auch Ideen für kleinere Moos-Filter für Großraumbüros und den heimischen Schreibtisch gebe es schon. Aber die müssten noch warten. Zunächst wolle das Team eher groß als klein denken. Und das nicht nur, was Deutschland und Europa angeht, sondern global. Einfach weil es nötig sei. „Wir haben große Ziele und daher braucht es im Moment auch noch größere Lösungen“, sagt Sänger. „Wir wollen bis 2030 saubere Luft für 500 Millionen Menschen produzieren, 1.095.000 Tonnen CO2 kompensieren und Luftqualität sichtbar machen.“
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