Das japanische Start-up mui Lab will mit smartem Holz Ruhe in unser Leben bringen


Ein Holzbrett, knapp 60 Zentimeter lang, an einer Wand montiert. Auf den ersten Blick sieht das mui Board aus wie ein minimalistisches Designobjekt. Doch der Schein trügt. Denn das Board birgt ein intelligentes Geheimnis: Es ist das weltweit erste Smart-Home-Touch-Panel aus Holz. Mit anderen Worten: Es ist das erste schlaue Holz für Zuhause. Im Interview mit 1E9 erklärt mui Lab-Chef Kaz Oki, was es damit auf sich hat.

Ein Interview von Björn Eichstädt und Nina Blagojevic

Entwickelt wurde das intelligente Board von mui Lab, einem japanischen Start-up aus Kyoto. Mitbegründer Kaz Oki sprach mit uns über die hölzerne Mensch-Maschine-Schnittstelle, erfolgreiche Kickstarter-Kampagnen und darüber, wie „Calm Technology“ Familien näher zusammenbringen soll.

1E9: Es gibt derzeit viele Smart-Home-Geräte auf dem Markt. Was unterscheidet das mui Board von anderen Produkten?

Kaz Oki: Die meisten Technologien sind darauf ausgerichtet, das Leben einfacher und bequemer zu machen. Das Smartphone zum Beispiel ist ein Computer, eine Kamera und ein Fenster in die Welt, alles in einem Gerät. Auch Smart TVs und intelligente Lautsprecher bewegen sich immer stärker in diese Richtung: Der Trend geht hin zu immer mehr Funktionalitäten. Natürlich ist das im Alltag oft eine große Hilfe, für die wir dankbar sind, aber es gibt auch ein großes Ablenkungspotenzial – manchmal mit negativen Folgen auf unser Sozialleben und unser Wohlbefinden.

Uns drei Mitbegründern von mui Lab wurde das noch stärker bewusst, als wir Väter wurden. Die Aufmerksamkeit und Energie, die man eigentlich in wertvolle Zeit mit der Familie stecken sollte, verbringen wir stattdessen an den Bildschirmen unserer Geräte. Das wollen wir ändern und die Mensch-Maschine-Schnittstelle neu überdenken. Unser Ziel ist es, ein Gerät zu bauen, das Ruhe und Zusammengehörigkeit anstelle von Stress und Isolation hervorruft. Wir nennen diese Idee „Calm Technology“.


Hier seht ihr das mui Board in Aktion.

Kannst du erklären, wie das mui Board diese Ruhe erzeugt?

Kaz Oki: Mehrere Aspekte spielen hier eine Rolle. Einer ist die bereits erwähnte Ablenkung. Stell dir vor, du nimmst dein Smartphone heraus, um die Uhrzeit oder das Wetter zu überprüfen. Aber dann siehst du, dass du eine Nachricht von dieser Person erhalten haben oder dass jene Person eine neue Story in den sozialen Medien gepostet hat – und ehe man sich versieht, hat man Stunden am Smartphone verbracht. Das mui Board kann dir auch das Wetter, die Uhrzeit oder sogar Nachrichten anzeigen. Aber es ist nicht so konzipiert, dass du immer weiter klicken willst; es soll nicht deine sozialen Interaktionen stören.

Dazu kommt ein zweiter Aspekt: das Design. Das mui Board ist nicht nur ästhetisch ansprechender als ein schwarzer Bildschirm – zumindest in meinen Augen – es schafft auch eine ganz andere Atmosphäre. Im Japanischen verwenden wir den Begriff Tatazumai . Er wird manchmal mit „äußerliche Erscheinung“, „Haltung“ oder „Atmosphäre“ übersetzt, aber die genaue Bedeutung ist im Englischen oder Deutschen schwer auf den Punkt zu bringen. Es hat mit den Gefühlen zu tun, die ein Objekt erzeugt, wenn man mit ihm interagiert: Wie ein Kunstwerk oder ein Möbelstück einen Raum warm oder kalt, gemütlich oder makellos erscheinen lassen kann. Holz ist ein natürliches Material und es verändert das Tatazumai eines Wohnzimmers oder Büros. Bei mui Lab möchten wir eine Harmonie zwischen Mensch, Natur und Technologie erzeugen und wir glauben, dass „Calm Technology“ dabei helfen kann.

Es hat einige Jahre gedauert, diese Vision in die Tat umzusetzen. Was waren die Herausforderungen auf dem Weg?

Kaz Oki: Wie sich herausstellt, ist es gar nicht so leicht, Holz in einen Touchscreen zu verwandeln!

mui Lab ist aus einer Firma namens Nissha hervorgegangen, die Touch-Technologie für führende globale Technologieunternehmen entwickelt und herstellt. In diesen Aspekten des Projekts hatten wir daher schon eine gewisse Expertise. Aber ein Produkt zu entwickeln, das aussieht und sich anfühlt wie Holz und zugleich reaktionsschnell und klar lesbar ist wie ein normales Display, war eine große technologische Herausforderung. Wir mussten viel mit verschiedenen Holzarten und verschiedenen Verarbeitungstechniken experimentieren, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen.

Und dann standen wir natürlich vor der gleichen Herausforderung, der sich viele Start-ups gegenübersehen: Wie können wir Menschen für ein Produkt begeistern, das noch gar nicht wirklich existiert, das zudem schwer vorstellbar ist? Wir beschlossen, direkt mit unseren zukünftigen Kunden zu sprechen und erstellten eine Kampagne auf Kickstarter. Wir hatten zwar Vertrauen in unser Produkt, aber Crowdfunding ist immer auch ein bisschen Glücksspiel – man weiß nie genau, wie die Leute reagieren werden.

Aber eure Kampagne war ein spektakulärer Erfolg. Sie brachte nicht nur das nötige Geld für den Start der kommerziellen Produktion ein, sondern wurde auch als „Best of Kickstarter 2019“ prämiert. Gab es etwas, das euch bei diesen positiven Reaktionen überrascht hat?

Kaz Oki: Ich war überrascht zu sehen, wie viele jüngere Menschen von der Idee begeistert waren. Die Gründer von mui Lab sind alle in ihren 30ern oder 40ern; wir sind Ehemänner und Väter. Wir waren von der Vision geleitet, öfter und bewusster Zeit mit der Familie zu verbringen. Wir hatten deshalb erwartet, dass die Unterstützer des mui Boards in einer ähnlichen Situation sein würden. Zu sehen, dass das „Calm Technology“-Konzept Menschen mit den unterschiedlichsten Hintergründen und Erfahrungen anspricht, war ein echtes Aha-Erlebnis.

Hat dieses Fan-Feedback die Art, wie du euer Produkt siehst, geändert?

Kaz Oki: Ja und nein. Das Konzept und das Ziel „Calm Technology“ zu entwickeln ist gleichgeblieben. Aber natürlich hat das Feedback, das wir für unsere Geräte der ersten Generation erhalten haben, die weitere Richtung unserer Produkte beeinflusst. Und wir ermutigen unsere Kunden, die weitere Entwicklung noch aktiver mitzugestalten: Mit einem speziellen Entwickler-Kit, das einen Raspberry Pi enthält, könne sie neue und originelle UI/UX/Services für ihre mui-Geräte entwickeln.

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Welche Pläne hast du für die Zukunft von mui und des „Calm Technology“-Konzepts?

Kaz Oki: Wir verfolgen einen dreigleisigen Ansatz. Erstens arbeiten wir wiederfortlaufend an neuen Einsatzmöglichkeiten für das mui Board. Zum Beispiel werden wir mit einem japanischen Dichter kooperieren, dessen Werke dann auf dem mui Board angezeigt werden. Außerdem arbeiten wir daran, verschiedenen smarte Services in das Board zu integrieren. Zweitens tun wir uns mit anderen innovativen Unternehmen zusammen, um auf Basis der mui Technologie neue Nutzererlebnisse zu schaffen. So haben wir beispielsweise mit der Firma Wacom – bekannt unter anderem für ihre Zeichentabletts – größere Holzsäulen entwickelt, die mit deren Smart-Pen-Technologie kompatibel sind. Darauf können zum Beispiel Familien das Wachstum eines Kindes über die Jahre hinweg dokumentieren – wie früher am Türrahmen. Und drittens erforschen wir eine ganze Reihe neuer Geschäftsfelder, für die die Technologie hinter dem mui Board interessant sein könnte, von Möbeln bis hin zu Ladengeschäften oder der Innenausstattung von Autos.

Wir können dieses Interview nicht beenden, ohne über das Thema zu sprechen, das gerade alle beschäftigt: die Corona-Pandemie. Hat das Virus euer Geschäft beeinträchtigt?

Kaz Oki: Die letzten Monate waren für niemanden einfach; Reisebeschränkungen oder abgesagte Veranstaltungen haben auch uns getroffen. Aber gleichzeitig hat die Pandemie die Bedeutung von „Calm Technology“ als Konzept neu verdeutlicht. Menschen auf der ganzen Welt verbringen mehr Zeit zu Hause, sowohl im privaten als auch im beruflichen Kontext. Es ist wichtiger denn je, eine harmonische, stressfreie Beziehung zu Technologie aufzubauen. Wir sind sicher: In einer Zeit, in der Menschen ihr Zuhause als einen Ort der Zuflucht und der sozialen Interaktion wiederentdecken, werden Technologien wie das mui Board richtig an Fahrt gewinnen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Kaz Oki von mui Lab wird am 12. November bei der diesjährigen 1E9-Konferenz „A New Humanity“ als Diskussionsteilnehmer und Redner am Panel über Innovationen aus Japan teilnehmen, das von J-BIG , dem neuen Newsletter über japanische Firmen in Deutschland, und Storymaker präsentiert wird. Du willst das Panel nicht verpassen? Dann werde Mitglied von 1E9.

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