Ein Interview von Wolfgang Kerler
Lennart Lutz gehört zu den Fachleuten, wenn es um die vielen und oft komplexen rechtlichen Fragen rund um selbstfahrende Autos geht. Zum einen versteht er auch was von Technik, weil er nicht nur Jura, sondern auch Maschinenbau studiert hat. Zum anderen hat er seine Doktorarbeit über „automatisierte Straßenfahrzeuge“ geschrieben und arbeitet seit 2018 als Senior Legal Counsel für Autonomous Intelligent Driving, kurz: AID. Das Münchner Start-up gehört zu Audi und arbeitet für die gesamte Volkswagen Group an Technologie für automatisierte Autos.
1E9: Stellen wir uns vor, ab morgen gäbe es selbstfahrende Robotaxis. Welche Gesetze und Regeln würden mich davon abhalten, mir per App eines zu bestellen und mich durch die Stadt fahren zu lassen? Oder besser gesagt: Welche Vorschriften würden das Taxi davon abhalten, mich einzusammeln?
Lennart Lutz: Wir haben vor allem in zwei Rechtsgebieten noch Hürden. Da ist einerseits das Zertifizierungs- bzw. Zulassungsrecht, das adressiert, ob ein Fahrzeug nach seiner technischen Bauart im öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt werden darf. Und da ist andererseits das Verkehrsverhaltensrecht, das die Frage regelt, wie der menschliche Fahrer das Fahrzeug benutzen darf.
Bisher sind Robotaxis sowohl nach dem Zulassungsrecht nicht genehmigungsfähig, weil wir keine automatisierte Lenkanlage in Großserienfahrzeuge einbauen dürfen, jedenfalls nicht für Geschwindigkeiten über 10 km/h. Und im Verkehrsverhaltensrecht findet sich immer noch die Anforderung, dass ein Fahrer tatsächlich im Fahrzeug sitzen muss. Morgen könnten Robotaxis also noch nicht starten.
Wie könnte man das schnell ändern?
Lennart Lutz: Vieles, was geändert werden muss, kann gar nicht im deutschen Recht allein adressiert werden. Das ist die große Herausforderung.
Das Zulassungsrecht ist auf europäischer Ebene harmonisiert und das europäische Recht verweist dann noch eine Stufe höher – auf Regeln, die von einer Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen festgelegt werden: die sogenannten UNECE-Regelungen. Hier müsste die UNECE-Regel 79 für Lenkanlagen angepasst werden, nach der automatisierte Lenkanlagen für Geschwindigkeiten über 10 km/h nicht in Großserien zulässig sind.
Und wie ist das mit dem menschlichen Fahrer, der noch gebraucht wird?
Lennart Lutz: Dazu gibt’s auch ein internationales Abkommen: das Wiener Übereinkommen über den Straßenverkehr, welches den Rahmen für das nationale Straßenverkehrsrecht der Vertragsstaaten vorgibt. Nach Art. 8 Abs. 1 und Abs. 5 des Wiener Übereinkommens muss jedes Fahrzeug über einen Fahrer verfügen, der sein Fahrzeug jederzeit beherrscht. Dies wurde teilweise so interpretiert, dass automatisiertes Fahren ohne konventionellen Fahrer nicht mit dem Wiener Übereinkommen vereinbar ist. Inzwischen gab es aber eine Anpassung – und die Vertragsstaaten haben sich mehrheitlich eine breitere Interpretation zu eigen gemacht. Der Weg wäre also frei, national Vorschriften entsprechend anzupassen um komplett fahrerloses Fahren zu ermöglich. In Deutschland müsste es zu Änderungen im Straßenverkehrsgesetz und in der Straßenverkehrsordnung kommen.
Ich dachte, es gab bereits Gesetzesänderungen . Was müsste denn noch geändert werden?
Lennart Lutz: Die Rechtsanpassungen, die wir bisher hatten, adressieren Fahrzeuge, die immer noch über einen Fahrer verfügen müssen. Das Fahrzeug dürfte zwar inzwischen, automatisiert fahren. Es müsste aber noch ein Mensch vorhanden sein, der dann übernehmen kann, wenn das Fahrzeug eine Übernahmeaufforderung ausgibt.
Schlafen auf der Autobahn, während das Auto selbst fährt, geht also schon?
Lennart Lutz: Schlafen ist nach aktuell gültigem Recht ausgeschlossen, weil der Fahrer sich immer für eine „Rückübernahmeaufforderung“ bereithalten muss. Er würde nämlich mit einer angemessenen Vorlaufzeit vom Auto dazu aufgefordert, die Steuerung wieder zu übernehmen – zum Beispiel, wenn die Autobahnausfahrt erreicht ist. Es sind also nur Tätigkeiten möglich, bei denen der Fahrer innerhalb kürzerer Zeit wieder einsatzbereit ist.
Das Robotaxi müsste natürlich Leerfahrten, also Fahrten ohne Menschen an Bord, übernehmen – und würde momentan also noch an internationalen Regeln scheitern. Selbst wenn es technisch möglich wäre. Heißt das, kein Land könnte hier eine Vorreiterrolle übernehmen?
Lennart Lutz: Es gibt schon einen gewissen nationalen Spielraum, die verschiedenen Mechanismen sind allerdings hinsichtlich der Stückzahlen begrenzt. Zum Beispiel könnten in Deutschland sog. nationale Kleinserien zugelassen werden – mit 250 Fahrzeugen pro Modell und Jahr. Über Pilotprojekte hinaus und insbesondere für deutschlandweite Geschäftsmodelle ist das natürlich nicht ausreichend.
Im europäischen Vergleich sind wir durchaus vorne mit dabei.
Wenn wir schon bei nationalen Spielräumen sind. Wie schlägt sich denn die deutsche Politik? Ist die vorne mit dabei oder eher hinten?
Lennart Lutz: Ich würde sagen, man bemüht sich in Deutschland nach Kräften. Im europäischen Vergleich sind wir durchaus vorne mit dabei.
Na immerhin. Dann lassen wir damit mal den Block „Welche Regeln fehlen eigentlich noch?“ hinter uns und kommen zu ganz konkreten juristischen Fragen, die immer wieder gestellt werden. Wenn ein selbstfahrendes Fahrzeug einen Unfall baut, wer haftet dann nach derzeitiger Rechtslage?
Lennart Lutz: Hierzulande haftet immer der Fahrzeughalter bzw. seine Pflichtversicherung, auch wenn der Halter nicht selbst gefahren ist – und zwar für jegliche Schäden, die durch das Fahrzeug verursacht werden. Dabei spielt der Automatisierungsgrad keine Rolle, sodass sich im Hinblick auf die Einführung automatisierter Fahrzeuge keine wesentlichen Änderungen ergeben.
Das wäre dann bei einem Robotaxi der Flottenbetreiber?
Genau, in aller Regel. Und wie heute kann sich der Geschädigte dann auch an die Versicherung des Halters wenden. In anderen europäischen Ländern, zum Beispiel in Großbritannien, ist das anders geregelt. Dort ist der Fahrer der zentrale Dreh- und Angelpunkt der Haftung. Dort steht man also noch vor großen Herausforderungen, wenn kein Fahrer mehr für die Fahrzeugsteuerung verantwortlich ist.
Der nächste „heikle“ Punkt: der Datenschutz. Was passiert mit den Unmengen an Daten, die ein selbstfahrendes Auto sammelt? Wem gehören sie? Was darf damit gemacht werden?
Lennart Lutz: Vorausschicken muss man, dass viele der beim automatisierten Fahren erfassten Daten sofort im Fahrzeug verarbeitet und dann gelöscht werden. Die von einem Radar festgestellte Abstandsmessung zum vorderen Fahrzeug, zum Beispiel, würde sofort nachdem dieser Abstand nicht mehr benötigt wird, unmittelbar im Fahrzeug gelöscht.
Was die Daten angeht, die zusätzlich anfallen könnten, haben wir in ganz Europa und damit auch in Deutschland schon sehr strenge und auch sehr weitgehende Datenschutzanforderungen für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Durch die Datenschutzgrundverordnung gibt es ein sehr straffes Regelungsregime, das stark eingrenzt, inwieweit Dritte auf personenbezogene Daten zugreifen und diese Daten verwenden können. In der Regel ist das nur unter sehr engen Voraussetzungen und mit der Einwilligung des jeweilig Betroffenen möglich.
Gibt’s dann überhaupt noch Lücken in Deutschland und Europa?
Lennart Lutz: Aus meiner Sicht nicht, die DSGVO regelt sämtliche Schutzanforderungen sehr umfassend.
Wir sind in Deutschland also gar nicht so schlecht aufgestellt, was die konkreten Fragen angeht, die man sich als Nutzer stellt. Die Haftung ist geklärt. Der Datenschutz auch. Zwei große Themen sind schon abgehakt.
Lennart Lutz: Genau. Das Unfallopfer kann sich bei Schäden immer an den Halter bzw. dessen Pflichtversicherung wenden und befindet sich daher in einer komfortablen Ausgangslage. Auch aus Sicht derjenigen, deren personenbezogene Daten verarbeitet werden, bietet die DSGVO einen sehr weitreichenden Schutz.
Dies ist beispielsweise in den USA anders. Datenschutz ist dort in vielen Bundesstaaten nur rudimentär vorhanden und ein Fahrzeughalter ist in der dortigen Rechtsordnung auch nicht vorgesehen. Das Konzept der Halterhaftung in Verbindung mit einer Pflichtversicherung gibt es dort in dieser Form nicht.
Soweit mir bekannt gibt es in der Geschichte des Verkehrsrechts bisher keinen einzigen dokumentierten Fall, in dem ein Unfall aufgrund einer Dilemma-Situation entstanden wäre.
Wie werden eigentlich die ethischen Dilemmata, die immer wieder diskutiert werden, vom Gesetz gelöst – ganz konkret erklärt an der theoretischen Situation, dass sich ein autonomes Fahrzeug „entscheiden“ muss, ob es ein Kind oder eine Seniorin tötet?
Lennart Lutz: Aus meiner Sicht sind derartige Dilemma-Situationen in erster Linie theoretischer Natur. Soweit mir bekannt gibt es in der Geschichte des Verkehrsrechts bisher keinen einzigen dokumentierten Fall, in dem ein Unfall aufgrund einer Dilemma-Situation entstanden wäre. Das heißt, derartige Fälle eignen sich zwar sehr gut, um rechtstheoretische Grundsätze darzulegen, sind aber praktisch von geringerer Bedeutung. Tatsächlich trifft das Recht auch keine Aussage, dass nach derartigen Merkmalen aufgelöst werden darf, dass also beispielsweise immer der ältere Mensch getötet werden müsste.
Die Straßenverkehrsordnung geht aus meiner Sicht eher davon aus, dass derartige Situationen möglichst durch vorausschauendes Fahren und rechtzeitiges Bremsen vermieden werden müssen. Wir arbeiten natürlich darauf hin, dass unsere Fahrzeuge in vielen derartiger Situationen im Zweifel noch schneller reagieren können als der Mensch…
…der in der Fahrschule auch nicht gefragt wird, wen er töten würde: Seniorin oder Kind.
Lennart Lutz: Ganz genau. Der menschliche Fahrer kann diese Situation nicht auflösen, schon gar nicht in Sekundenbruchteilen. Genauso wenig wird es voraussichtlich ein automatisiertes Fahrzeug leisten können. Man wird sich eher daran orientieren, wie man derartige Dilemma-Situationen von vornherein entschärfen kann: durch vorausschauendes Fahren und rechtzeitiges Bremsen.
Weniger theoretisch könnte ein anderes Problem sein, vor das uns selbstfahrende Autos stellen. Denn Prognosen gehen davon aus, dass Robotaxis zu deutlich mehr Verkehr in den Städten führen könnten. Inwiefern könnte der Gesetzgeber oder könnten einzelne Städte und Kommunen deswegen einfach sagen: Wir erlauben keine Robotaxis, denn wir haben schon genug Stau?
Wir gehen eher davon aus, dass aufgrund des Pooling-Effekts der Verkehr durch den Einsatz automatisierter Fahrzeuge eher abnehmen wird. Aber unabhängig davon brauchen wir für jede Art der kommerziell betriebenen Personenbeförderung eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsgesetz. Hierfür sind die lokalen Behörden, also in der Regel die Kommunen, zuständig. Beim Taxi kennt man das Ganze als Taxischein. Theoretisch wäre es dann also möglich durch eine restriktive Vergabe dieser Lizenzen das Aufkommen von automatisierten Fahrdiensten zu begrenzen.
Das heißt, es könnte nicht passieren – wie bei E-Scootern –, dass eine Stadt quasi über Nacht „überschwemmt“ wird mit selbstfahrenden Taxis.
Nein, zumindest nicht wenn wir über Robotaxis reden. Denn dann bräuchten alle eine Genehmigung nach dem Personenbeförderungsrecht, zum Beispiel einen Taxischein. Die jeweilige Stadt oder lokale Behörde hätte es also in der Hand, wie viele solche Genehmigungen vergeben werden.
Die Stadt könnte also eine Obergrenze festlegen?
Genau, das wäre denkbar.
Titelbild: Chesky_W / Getty Images
Dieser Artikel ist Teil des 1E9-Themenspecials: Fahren 2035. Wir und die Roboterautos. Alle Texte und Diskussionen und Mobilitäts-Expertinnen und -Experten aus unserer Community findest du hier!