„Auch Technologie-Start-ups sind systemrelevant“, sagt Thomas Lange von acatech

Die Corona-Krise wird zur Wirtschaftskrise. Das gilt als sicher. Und die gefährdet auch junge Unternehmen, die neue Technologien entwickeln. Was wiederum schwere Folgen für die Zukunft des Standorts haben könnte, wie Thomas Lange im 1E9-Interview erklärt. Er hat ein Positionspapier der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften, kurz: acatech, mitverfasst, in dem gerade jetzt Zukunftsinvestitionen gefordert werden.

Ein Interview von Wolfgang Kerler

Intervenieren. Stabilisieren. Stimulieren. Das empfiehlt acatech der Politik, aber auch privaten Investoren angesichts der Corona-Krise in einem Positionspaper. Konkret geht es dabei einerseits um Maßnahmen, die bereits breit diskutiert werden: Mehr Personal, Geräte und Intensivbetten in Krankenhäusern. Oder die Stützung der Arbeitnehmer und Unternehmen durch Kurzarbeitergeld, Kredit- und Soforthilfen sowie Steuerstundungen.

Doch einen Schwerpunkt legt acatech auch auf Forderungen, die erst in den vergangenen Tagen mehr Gehör fanden: „Zukunftsinvestitionen sollten trotz – oder gerade wegen der Krise – nicht (zu lange) auf Eis liegen“, heißt es in dem Papier. Genau über diese Forderung führte 1E9 ein schriftliches Interview mit Thomas Lange, alias @Thomas. Er leitet den Themenschwerpunkt Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit bei acatech, koordinierte die aktuelle Veröffentlichung und sagt: „Auch Technologie-Start-ups sind systemrelevant.“

1E9: In Südkorea und anderen Ländern wird massiv getestet und Infizierte sowie ihre Kontaktpersonen werden konsequent isoliert. Das öffentliche Leben geht gleichzeitig ohne größere Einschränkungen weiter. Noch fehlen uns die Kapazitäten, um ähnlich gegen die Pandemie vorzugehen. Daher unterstützt auch ihr die aktuelle Strategie, das Land herunterzufahren. Der Preis dafür ist allerdings eine Wirtschaftskrise. Wie gefährlich ist die Lage aus eurer Sicht für Technologie-Start-ups?

Thomas Lange: Sehr gefährlich. Rund 75 Prozent der Start-ups in Deutschland sind existenziell gefährdet. Das zeigt eine Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups. Die Unternehmen, die vor einer Finanzierungsrunde stehen, trifft es besonders hart. Wenn sich Risikokapitalgeber zurückziehen, wird es eng. Reifere Technologie-Start-ups mit tragfähigem Geschäftsmodell dürften besser durch die Krise kommen. Vorausgesetzt, ihre Kunden bleiben bei der Stange. Das sind in der Regel größere Industrieunternehmen. Wegbrechende Umsätze lassen sich in Krisenzeiten nur schwer durch Wagniskapital kompensieren. Wir haben das in der Finanzkrise 2008 gesehen. Gerade forschungsintensive Start-ups haben in dieser Zeit ihre Investitionen massiv zurückgefahren.

Ihr fordert, dass bei den staatlichen Rettungsmaßnahmen insbesondere Tech-Start-ups unterstützt werden, bezeichnet sie sogar als „systemrelevant“. Für Biotech- oder Medizin-Unternehmen klingt das naheliegend. Aber warum sind für euch Start-ups, die an Quantencomputern, Robotern oder 3D-Druckern arbeiten, „systemrelevant“?

Thomas Lange: Weil sie häufig Dreh- und Angelpunkt in Deeptech-Ökosystemen sind. Sie entwickeln und kommerzialisieren neue Technologien teils viel schneller als große Unternehmen. Das macht sie als Partner für die Industrie so interessant. Start-ups sind häufig auch Vorreiter radikaler Innovationen, die etablierten Unternehmen zunächst zu riskant erscheinen. Diese Innovationskraft dürfen wir auf keinen Fall verlieren. Der globale Wettbewerb wird in Zukunft nicht mehr nur zwischen einzelnen Unternehmen geführt, sondern zwischen Ökosystemen.

Wie könnte der Staat junge Unternehmen, die mit innovativen Technologien arbeiten, noch besser unterstützen? Und welche Rolle sollten private Geldgeber dabei spielen, die durch die Krise ja selbst in Mitleidenschaft gezogen werden?

Thomas Lange: Erstens, indem der Staat selbst als Kunde auftritt. Gerade jetzt in der Krise. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber auch die Cybersicherheit sind nur zwei Bereiche, in die der Staat ohnehin massiv investieren muss. Er kann Investitionen vorziehen und sollte Start-ups den Zugang zu öffentlich Aufträgen gezielt erleichtern. Zweitens kann der Staat die Vernetzung und Zusammenarbeit von Start-ups mit etablierten Unternehmen fördern. Ein gutes Beispiel aus dem Gesundheitsbereich sind die „Industrie-in-Klinik“-Plattformen. Drittens kann er Impulse setzen, die Wagniskapitalszene in Deutschland zu stärken. Das war schon vor Corona ein großes Thema – auch im politischen Berlin. So wie es aussieht, hält die Bundesregierungen an den Plänen für einen Zukunftsfonds fest. Das ist eine gute Nachricht. Bestandsinvestoren kann man versuchen bei der Stange zu halten, indem man Kapital, das sie ihren Start-ups nachschießen, nach einem festen Schlüssel mit staatlichem Geld doppelt. Falls sich Investoren auf breiter Front zurückziehen, müssten Auffanggesellschaften einspringen.

Noch eine Empfehlung aus eurem Positionspapier: Es gelte jetzt, „aus der Not eine Tugend zu machen und in Qualitätssprünge zu investieren“. Welche Sprünge könnten das sein?

Thomas Lange: Wir hatten zum Beispiel die technische Ausstattung für mobiles Arbeiten vor Augen. Jede Investition, die wir jetzt tätigen, um das Arbeiten von zuhause aus zu erleichtern, wird uns auch nach der Krise weiter zugutekommen. Das gleiche gilt für das Thema Lernen. Wer im Moment im Homeoffice ein bisschen Luft hat, kann die Zeit für Online-Trainings nutzen. Gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung sprechen wir ja immer davon, dass wir uns alle permanent weiterbilden müssen. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, um in die Qualität von Lernplattformen zu investieren. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Schulen und Hochschulen. Es geht uns ganz grundsätzlich um die Frage: Wursteln wir uns in der Krise jetzt überall nur durch oder sollten uns die Widrigkeiten nicht zu Lösungen anspornen, die über den Tag hinaus Bestand haben?

Ihr untermauert eure Forderung nach Hilfen für Tech-Gründer auch mit der Aussage, dass neue Technologien Leben retten können – „auch und gerade in der Corona-Krise“. Hast du dafür ein paar Beispiele?

Thomas Lange: Das fängt schon in der Intensivmedizin an, wo wir im Moment ja Angst vor Personalengpässen haben müssen. Infizierte Ärztinnen und Ärzte fallen im Krankenhaus aus, können über Remote-Technologien aber in virtuellen Intensivstationen eingesetzt werden. Das gleiche gilt für Pflegerinnen und Pfleger. Wenn sie sich arbeitsfähig fühlen, können sie Video-Sprechstunden abhalten oder Geräte aus der Ferne überwachen. Ein anderes Beispiel ist die Impfstoff- und Wirkstoffentwicklung. Im Moment wird unter Hochdruck an einer Corona-Impfung und an Medikamenten gegen die Lungenkrankheit Covid-19 gearbeitet. Die Künstliche Intelligenz ist hier ein enormer Beschleuniger. Das Stichwort lautet Digital Life Sciences. Ansonsten diskutieren wir im Moment ja viel über Tracing-Apps, die die Nachverfolgung von Infektionsketten erleichtern sollen.

Wenn wir irgendwann auf die bewältigte Krise zurückblicken – was wäre aus deiner Sicht das bestmögliche Resümee für unsere Antwort darauf?

Thomas Lange: Wir haben die drohende Überlastung des Gesundheitssystems abgewendet. Wir haben unter widrigsten Bedingungen ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Aktivität aufrechterhalten. Wir haben in der Krise schon an morgen gedacht und in die Zukunft investiert. Wir haben aus der Krise gelernt – und sind auf künftige Krisen besser vorbereitet. Und wir haben ärmeren Ländern schnell, großzügig und wirkungsvoll dabei geholfen, ihrerseits eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Das wäre meines Erachtens ein schönes Resümee. Damit es dazu kommt, werden wir uns verdammt anstrengen müssen.

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Vielen Dank, @Wolfgang, es war mir eine Ehre und ein Vergnügen :fist_right: :fist_left: :slightly_smiling_face:

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Super Artikel und ich denke es ist sehr viel mehr (Zusammen- und Ökosystem-) Arbeit nötig um gerade diese non-obvious Themen zu mit genügend Aufmerksamkeit zu bestücken und in den Fokus zu rücken, die gerade nicht offensichtlich jetzt Krisenmanagement betreiben aber systemrelevant für Volkswirtschaften sind: Deep-Tech à la 3D Druck, Quantentechnologien, etc.

Sie sind pacemaker der neu aufkommenden Industrien und radikaler Veränderung, oder

Dreh- und Angelpunkt in Deeptech-Ökosystemen sind. Sie entwickeln und kommerzialisieren neue Technologien teils viel schneller als große Unternehmen. Das macht sie als Partner für die Industrie so interessant. Start-ups sind häufig auch Vorreiter radikaler Innovationen, die etablierten Unternehmen zunächst zu riskant erscheinen. Diese Innovationskraft dürfen wir auf keinen Fall verlieren. Der globale Wettbewerb wird in Zukunft nicht mehr nur zwischen einzelnen Unternehmen geführt, sondern zwischen Ökosystemen.

Zum Thema (experimentelle) KI (Werkzeuge) und wie diese in der Krise at Scale in Asien eingesetzt werden finde ich im Übrigen diesen Artikel aus München sehr gut:

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Ich verstehe den Artikel so, dass Deutschland in der aktuellen Phase Gefahr läuft, den Anschluss an die Innovationsspitze in den genannten Schlüsseltechnologien zu verlieren, wenn die finanziellen Schutzmaßnahmen nicht für deutsche Tech-Start-ups zur Anwendung kommen.

Ich denke, der Aufruf an die Poltik, die Tech-Start-ups nicht verenden zu lassen, wird in der aktuellen Situation nicht ausreichend Gehör oder Interesse finden. Deutschland hat als eine der mächtigsten Industrienationen des 20. Jahrhunderts eine Rieseninfrastruktur in den letzten sieben Jahrzehnten aufgebaut, die als vorrangig schutzwürdig betrachtet wird. Wenn Deutschland das Tafelsilber schützt, wird es zukünftig mit den finanziellen Mitteln, über die es dann ggf. verfügen wird, die Innovationskraft wiederentdecken, nutzen und zu gegebener Zeit ökonomisch verwerten. Es gibt ja bekanntermaßen nichts Charmenteres als eine Idee, deren Zeit gekommen ist (Victor Hugo hat das so ähnlich formuliert).

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Ein super Artikel! Ich habe den Eindruck, dass die Missinformation von Herrn Min-Hoe Park auf der selben Stufe steht wie das Wissen von Herrn Thomas Lange. Bildlich gesprochen sollte das Denken in die Richtung gehen VW zu schließen und an der Stelle einen Cluster von neuen Tech-Firmen zu schaffen als das “Tafelsilber” zu schützen. (schöpferische Zerstörung)

Wir Akteure der Innovation glauben doch, dass das, was in der heutigen knowledge-based Wirtschaft in erster Linie das Wachstum antreibt ist nicht die Kapitalakkumulation wie Herr Min-Hoe Park als neoklassischer Ökonom vorschlägt, sondern die Innovationsfähigkeit, die durch relevantes Wissen und Technologie angetrieben wird. Wirtschaftswachstum durch die Bildung von Cluster ist das Endprodukt.

Empirische Daten weisen auf einen positiven Zusammenhang zwischen Innovation und wirtschaftlicher Leistung hin und dies ist auch auf die enge kognitive Distanz von Kooperationspartnern innerhalb eines Clusters zurückzuführen.

Stay woke, safe, and healthy.

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Meinetwegen Neoklassik und meinetwegen auch Kapitalakkumulation – geschenkt.

Jedoch: Der Artikel fordert Schutzmaßnahmen für Tech Start-ups, die vereinzelt oder mehrfach Geschäftsmodelle verfolgen, die unabhängig von der wirtschaftlichen Situation nichts taugen. Da Schumpeter´s schöpferische Zerstörung erwähnt wird, in dieser aktuellen Feuerprobe wird sich die Tragfähigkeit eines Tech-Start-up Geschäftsmodells ggf. zeigen, die Existenz dieses Tech Start-ups sichern um dann in näherer Zukunft seine Innovationsfähigkeit demonstrieren zu können auch insbesondere dann gegen corporates.

VW hat eine Vielzahl an Tochtergesellschaften, Unternehmensbeteiligungen sowie IT- und Tech-Dienstleister, die in einem cluster zusammenarbeiten, es ist demnach alles schon da und es muss nichts geschlossen oder ersetzt werden – moia – eine VW-Konzernmarke - bspw. ist eine sehr gut durchdachte Mobilitäts-Plattform, in die eine Vielzahl weiterer verticals integriert werden können, um der Idee von Mobilität ein neues Gesicht zugeben.

Einige oder mehrere Tech Start-ups werden genauso wie einiges oder etwas mehr vom Tafelsilber verschwinden und die reine Existenz eines Unternehmens vor während oder nach einer turbulenten Krise ist keine Messgröße für Systemrelevanz.

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Sehr gut, dass Sie das hervorheben. Ich teile ihre Meinung — Schutzmaßnahmen für Start-ups die nichts taugen halte ich für eine Herausforderung die man nicht unbedingt annehmen muss. Egal ob in der EU oder USA.

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