Ein Interview von Wolfgang Kerler
Intervenieren. Stabilisieren. Stimulieren. Das empfiehlt acatech der Politik, aber auch privaten Investoren angesichts der Corona-Krise in einem Positionspaper. Konkret geht es dabei einerseits um Maßnahmen, die bereits breit diskutiert werden: Mehr Personal, Geräte und Intensivbetten in Krankenhäusern. Oder die Stützung der Arbeitnehmer und Unternehmen durch Kurzarbeitergeld, Kredit- und Soforthilfen sowie Steuerstundungen.
Doch einen Schwerpunkt legt acatech auch auf Forderungen, die erst in den vergangenen Tagen mehr Gehör fanden: „Zukunftsinvestitionen sollten trotz – oder gerade wegen der Krise – nicht (zu lange) auf Eis liegen“, heißt es in dem Papier. Genau über diese Forderung führte 1E9 ein schriftliches Interview mit Thomas Lange, alias @Thomas. Er leitet den Themenschwerpunkt Volkswirtschaft, Bildung und Arbeit bei acatech, koordinierte die aktuelle Veröffentlichung und sagt: „Auch Technologie-Start-ups sind systemrelevant.“
1E9: In Südkorea und anderen Ländern wird massiv getestet und Infizierte sowie ihre Kontaktpersonen werden konsequent isoliert. Das öffentliche Leben geht gleichzeitig ohne größere Einschränkungen weiter. Noch fehlen uns die Kapazitäten, um ähnlich gegen die Pandemie vorzugehen. Daher unterstützt auch ihr die aktuelle Strategie, das Land herunterzufahren. Der Preis dafür ist allerdings eine Wirtschaftskrise. Wie gefährlich ist die Lage aus eurer Sicht für Technologie-Start-ups?
Thomas Lange: Sehr gefährlich. Rund 75 Prozent der Start-ups in Deutschland sind existenziell gefährdet. Das zeigt eine Umfrage des Bundesverbands Deutsche Startups. Die Unternehmen, die vor einer Finanzierungsrunde stehen, trifft es besonders hart. Wenn sich Risikokapitalgeber zurückziehen, wird es eng. Reifere Technologie-Start-ups mit tragfähigem Geschäftsmodell dürften besser durch die Krise kommen. Vorausgesetzt, ihre Kunden bleiben bei der Stange. Das sind in der Regel größere Industrieunternehmen. Wegbrechende Umsätze lassen sich in Krisenzeiten nur schwer durch Wagniskapital kompensieren. Wir haben das in der Finanzkrise 2008 gesehen. Gerade forschungsintensive Start-ups haben in dieser Zeit ihre Investitionen massiv zurückgefahren.
Ihr fordert, dass bei den staatlichen Rettungsmaßnahmen insbesondere Tech-Start-ups unterstützt werden, bezeichnet sie sogar als „systemrelevant“. Für Biotech- oder Medizin-Unternehmen klingt das naheliegend. Aber warum sind für euch Start-ups, die an Quantencomputern, Robotern oder 3D-Druckern arbeiten, „systemrelevant“?
Thomas Lange: Weil sie häufig Dreh- und Angelpunkt in Deeptech-Ökosystemen sind. Sie entwickeln und kommerzialisieren neue Technologien teils viel schneller als große Unternehmen. Das macht sie als Partner für die Industrie so interessant. Start-ups sind häufig auch Vorreiter radikaler Innovationen, die etablierten Unternehmen zunächst zu riskant erscheinen. Diese Innovationskraft dürfen wir auf keinen Fall verlieren. Der globale Wettbewerb wird in Zukunft nicht mehr nur zwischen einzelnen Unternehmen geführt, sondern zwischen Ökosystemen.
Wie könnte der Staat junge Unternehmen, die mit innovativen Technologien arbeiten, noch besser unterstützen? Und welche Rolle sollten private Geldgeber dabei spielen, die durch die Krise ja selbst in Mitleidenschaft gezogen werden?
Thomas Lange: Erstens, indem der Staat selbst als Kunde auftritt. Gerade jetzt in der Krise. Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung aber auch die Cybersicherheit sind nur zwei Bereiche, in die der Staat ohnehin massiv investieren muss. Er kann Investitionen vorziehen und sollte Start-ups den Zugang zu öffentlich Aufträgen gezielt erleichtern. Zweitens kann der Staat die Vernetzung und Zusammenarbeit von Start-ups mit etablierten Unternehmen fördern. Ein gutes Beispiel aus dem Gesundheitsbereich sind die „Industrie-in-Klinik“-Plattformen. Drittens kann er Impulse setzen, die Wagniskapitalszene in Deutschland zu stärken. Das war schon vor Corona ein großes Thema – auch im politischen Berlin. So wie es aussieht, hält die Bundesregierungen an den Plänen für einen Zukunftsfonds fest. Das ist eine gute Nachricht. Bestandsinvestoren kann man versuchen bei der Stange zu halten, indem man Kapital, das sie ihren Start-ups nachschießen, nach einem festen Schlüssel mit staatlichem Geld doppelt. Falls sich Investoren auf breiter Front zurückziehen, müssten Auffanggesellschaften einspringen.
Noch eine Empfehlung aus eurem Positionspapier: Es gelte jetzt, „aus der Not eine Tugend zu machen und in Qualitätssprünge zu investieren“. Welche Sprünge könnten das sein?
Thomas Lange: Wir hatten zum Beispiel die technische Ausstattung für mobiles Arbeiten vor Augen. Jede Investition, die wir jetzt tätigen, um das Arbeiten von zuhause aus zu erleichtern, wird uns auch nach der Krise weiter zugutekommen. Das gleiche gilt für das Thema Lernen. Wer im Moment im Homeoffice ein bisschen Luft hat, kann die Zeit für Online-Trainings nutzen. Gerade im Zusammenhang mit der Digitalisierung sprechen wir ja immer davon, dass wir uns alle permanent weiterbilden müssen. Der Zeitpunkt könnte nicht besser sein, um in die Qualität von Lernplattformen zu investieren. Das gilt für Unternehmen genauso wie für Schulen und Hochschulen. Es geht uns ganz grundsätzlich um die Frage: Wursteln wir uns in der Krise jetzt überall nur durch oder sollten uns die Widrigkeiten nicht zu Lösungen anspornen, die über den Tag hinaus Bestand haben?
Ihr untermauert eure Forderung nach Hilfen für Tech-Gründer auch mit der Aussage, dass neue Technologien Leben retten können – „auch und gerade in der Corona-Krise“. Hast du dafür ein paar Beispiele?
Thomas Lange: Das fängt schon in der Intensivmedizin an, wo wir im Moment ja Angst vor Personalengpässen haben müssen. Infizierte Ärztinnen und Ärzte fallen im Krankenhaus aus, können über Remote-Technologien aber in virtuellen Intensivstationen eingesetzt werden. Das gleiche gilt für Pflegerinnen und Pfleger. Wenn sie sich arbeitsfähig fühlen, können sie Video-Sprechstunden abhalten oder Geräte aus der Ferne überwachen. Ein anderes Beispiel ist die Impfstoff- und Wirkstoffentwicklung. Im Moment wird unter Hochdruck an einer Corona-Impfung und an Medikamenten gegen die Lungenkrankheit Covid-19 gearbeitet. Die Künstliche Intelligenz ist hier ein enormer Beschleuniger. Das Stichwort lautet Digital Life Sciences. Ansonsten diskutieren wir im Moment ja viel über Tracing-Apps, die die Nachverfolgung von Infektionsketten erleichtern sollen.
Wenn wir irgendwann auf die bewältigte Krise zurückblicken – was wäre aus deiner Sicht das bestmögliche Resümee für unsere Antwort darauf?
Thomas Lange: Wir haben die drohende Überlastung des Gesundheitssystems abgewendet. Wir haben unter widrigsten Bedingungen ein Höchstmaß an wirtschaftlicher Aktivität aufrechterhalten. Wir haben in der Krise schon an morgen gedacht und in die Zukunft investiert. Wir haben aus der Krise gelernt – und sind auf künftige Krisen besser vorbereitet. Und wir haben ärmeren Ländern schnell, großzügig und wirkungsvoll dabei geholfen, ihrerseits eine humanitäre Katastrophe zu verhindern. Das wäre meines Erachtens ein schönes Resümee. Damit es dazu kommt, werden wir uns verdammt anstrengen müssen.