Von Wolfgang Kerler
Egal, welche Statistik man sich anschaut, das Ergebnis ist immer dasselbe: Die heutige Mode- und Textilindustrie ist ein echtes Problem. Sie ist für mehr klimaschädliche CO2-Emmissionen verantwortlich als alle Flugzeuge und Schiffe zusammen. Bis 2030 dürfte ihr Kohlendioxidausstoß um weitere 60 Prozent steigen. Ändert sich nichts, wird die Menge an alter Kleidung, die im Abfall landet, bis dahin ebenfalls um 60 Prozent wachsen.
Allein die Haushalte in Deutschland werfen jedes Jahr 1,35 Millionen Tonnen Klamotten auf den Müll oder in Altkleiderboxen. Jedes fünfte weggeworfene Stück wurde vorher nie getragen, ist aber trotzdem schon aus der Mode. Die Energie, die Rohstoffe, die Chemikalien und die Arbeitskraft, die in die Produktion geflossen sind, waren also umsonst. Auch die Umwelt- und Klimaschäden.
Für Felicitas Hagen steht fest, wer dafür verantwortlich ist. „Dieses Konsumverhalten wird von der Modeindustrie fleißig gefördert,“ sagt sie zu 1E9. Manche Labels veröffentlichten bis zu 24 Kollektionen pro Jahr. „Im Schnitt kauft man 60 Kleidungsstücke pro Jahr und trägt sie nur wenige Saisons.“ Das will sie ändern. Deshalb hat sie zusammen mit ihrer Studienfreundin Milda Jasaite ein neues Modelabel gegründet: 220g.
Bisher wird alte Kleidung so gut wie nie recycelt
„Wir wollen dazu beitragen, dass Menschen bewusster konsumieren, weniger Textilmüll produzieren und anfangen nachhaltig produzierte Kleidung zu tragen, ohne dabei an gutem Aussehen einzubüßen,“ erklärt Felicitas. Doch wie soll das funktionieren?
Für den Anfang konzentriert sich 220g auf das Kleidungsstück schlechthin: das weiße T-Shirt. Produziert werden soll es zu 100 Prozent aus Bio-Baumwolle, die in der Türkei hergestellt wird. Bio deshalb, weil bei der Produktion deutlich weniger Wasser verbraucht und auf Chemikalien verzichtet wird. Dabei wollen es die beiden Gründerinnen aber nicht belassen.
Damit die Shirts nicht nur gut sitzen, sondern auch gut aussehen und besonders haltbar sind, setzt die Firma auf dicken Stoff, der mehr als 220 Gramm pro Quadratmeter wiegt. Daher auch der Name des Labels. Hat jemand sein 220g-T-Shirt trotzdem abgetragen, kann er es der Firma zurückschicken. Dann wird es recycelt. Das klingt simpel, ist es aber nicht.
Alte Kleidung wird heute so gut wie nie recycelt. Meistens wird sie verbrannt, landet auf Deponien oder wird zu Putzlumpen oder Dämm- und Isolierstoffen für die Autoindustrie verarbeitet. Das ist aber Downcycling, kein echtes Recycling. Ein Grund dafür ist, dass die wenigsten Stücke aus reinen Stoffen hergestellt werden, sondern aus Mischgewebe. Baumwollfasern werden oft mit Polyester oder Elastan vermengt, was es nahezu unmöglich macht, daraus reine Fasern zu gewinnen. Ein weiterer Grund ist die schlechte Qualität der Billigmode.
Monatelange Suche nach einem Recycling-Partner
Da Mode-Recycling bisher kaum ein Thema ist, dauerte es auch Monate, ein Unternehmen zu finden, das aus den abgetragenen 220g-Shirts wieder Baumwollfasern herstellen kann. „Wir haben viel diskutiert, welche technischen Möglichkeiten sie haben, um Kleidung aus 100 Prozent Bio-Baumwolle zu recyceln und daraus neues Garn herzustellen, das nicht mit synthetischem Garn gemischt werden muss“, erinnert sich Felicitas. Am Ende fiel die Wahl auf einen spanischen Partner. Doch auch der wird nicht ohne neue Rohstoffe auskommen.
„Die Baumwollfasern abgenutzter Kleidungsstücke sind leider weniger haltbar“, sagt Felicitas. Daher müsse reine, neue Baumwolle eingemischt werden – zum Teil sogar bis zu 70 Prozent. Um diesen Wert zu verringern, verwendet das Start-up nur Qualitäts-Bio-Baumwolle.
„Sobald wir die erste Recyclingphase der 220g Kleidung gemacht haben, können wir mehr Daten und Einsichten in diesen Prozess geben.“ Auf jeden Fall wollen die beiden Gründerinnen einen Beitrag zur Entwicklungsarbeit leisten, die in Zukunft noch besseres Recycling ermöglicht. Regulär erhältlich sind die 220g-Shirts noch nicht. Für die erste Produktionslinie bittet das Start-up gerade um Unterstützung auf Kickstarter. Wer Geld beisteuert, bekommt auch ein Shirt.
Unabhängig davon hat Felicitas einige Ratschläge, wie jeder seinen eigenen Modekonsum nachhaltiger gestalten kann: „Denkt bewusster über euren Konsum nach. Versucht weniger zu kaufen und dafür mehr in qualitativ hochwertige Produkte zu investieren. Prüft beim Kauf von neuen Artikeln das Material und setzt auf 100% Zusammensetzungen, alles andere ist nur schwer zu recyceln. Generell sollte man versuchen mehr recycelte Ware oder auch Second Hand zu kaufen, um weniger neuen Müll zu produzieren.“
Teaser-Bild: 220g