Wie ein Studio den Stanisław-Lem-Roman 'Der Unbesiegbare' in ein Videospiel transformieren will

Der Autor Stanisław Lem ist eine Science-Fiction-Ikone. Doch nur wenige seiner Romane wurden verfilmt oder in andere Medienformen übersetzt. Denn sie sind komplex, vielschichtig und gerne auch sehr philosophisch. Dennoch stellt sich jetzt ein kleines Studio einer ganz besonderen Herausforderung: Es will den Lem-Roman Der Unbesiegbare in ein Videospiel verwandeln.

Von Michael Förtsch

In einem Essay beschrieb sich Stanisław Lem selbst einmal als Futurologe wider Willen. Er habe nie versucht, in die Zukunft zu schauen oder Prognosen darüber abzugeben, wie sich Technik und Menschheit entwickeln würden. Er habe sich aber gerne damit beschäftigt, „was noch machbar ist“ – und das in seine Romane einfließen lassen. Das machte den 2006 in Krakau verstorbenen Schriftsteller zu einer der bekanntesten und kreativsten Stimmen der Science Fiction. Viele andere Autoren, Forscher, Film- und Spielemacher nannten ihn über die Jahrzehnte als Quelle der Inspiration. Denn Lem befasste sich bereits vor 60 Jahren mit Themen wie Künstlicher Intelligenz, Genetik, Virtueller Realität und Robotik – und insbesondere damit, wie deren Einfluss auf die Menschheit, die Gesellschaft und das Individuum ausfallen könnte.

Die Geschichten von Lem sind vor allem eines: Sie sind glaubhaft.
Marek Markuszewski

Die Kurzgeschichten und Romane von Stanisław Lem sind vielschichtig, durchzogen von Neologismen, faszinierenden Denkexperimenten, technischen und kosmischen Spekulationen – und auch geradezu lyrischen Sprachbildern. „Aber die Geschichten von Lem sind vor allem eines: Sie sind glaubhaft“, sagt Marek Markuszewski. „Selbst jene Geschichten, die weit in die Zukunft ragen, wurden sorgfältig recherchiert, mit soliden wissenschaftlichen Hintergründen und Logik ausgepolstert, was sie wahrlich zu Hard-Science-Fiction macht.“ Markuszewski ist einer der Mitbegründer des noch jungen polnischen Videospielstudios Starward Industries. Das will einen von Lems meist gelobten und auch schaurigsten Romanen als Videospiel umsetzen: Der Unbesiegbare – The Invincible.

Das derzeit rund 12-Köpfe starke Team aus Krakau besteht aus erfahrenen Spielemachern und -Macherinnen, die zuvor unter anderem an der bekannten The-Witcher-Reihe und Dying Light mitgearbeitet haben. Doch auch für sie ist ihr Vorhaben eine Herausforderung. Denn was die Werke von Stanisław Lem so lesenswert und einzigartig macht, macht es auch so schwierig, sie von Papier- und E-Reader-Seiten in andere Medien zu übersetzen. Nur vier seiner Romane wurden bislang verfilmt. Und abseits von Andrei Tarkowskis Adaption von Solaris und dem sehr frei an der Der futurologische Kongreß angelehnten Zeichentrick- und Realfilmexperiment The Congress sind die Streifen bei Kritikern und Lem-Fans wenig gut angekommen. Die Übersetzung einer Stanisław-Lem-Geschichte in die interaktive Welt ist daher mehr als gewagt.

Es soll ein Rollenspiel werden – aber ein originelles

Der titelgebende Unbesiegbare im Stanisław-Lem-Roman ist nicht der Held. Auch ist er kein mächtiger Gegenspieler der Menschheit. Es ist der Name eines riesigen Raumkreuzers, der unter dem Befehl von Kommandant Horpach entsendet wird, um dem Schicksal eines anderen Raumschiffes nachzuspüren. Denn die Kondor, das Schwesterschiff des Unbesiegbaren, war für eine Erkundungsmission zum Planeten Regis 3 geschickt worden. Dann war plötzlich nichts mehr von ihr zu hören. Als der Rettungstrupp auf Regis 3 ankommt, findet er die Kondor: Ihre Besatzung ist verhungert, obwohl die Lagerräume voll von Nahrung sind. Leben scheint auf dem Planeten nicht zu existieren. Aber Horpach und seine Crew müssen bald erkennen, dass Letzteres nicht stimmt. Es gibt Leben – nur ist es nicht organisch.

In der Der Unbesiegbare erzählt Stanisław Lem eine Geschichte, die zwischen Abenteuer, Science-Fiction-Horror und Zukunftsfantasie changiert. Er spekuliert über Technologien, die wir heute als Nano-Roboter oder Smartdust bezeichnen würden, kritisiert die Selbstverständlichkeit, mit der die Menschheit ihre technologische Überlegenheit annimmt und zeigt auf, wie verletzlich der Mensch in Körper und Geist ist. „Der Roman ist einfach fantastisch, gut recherchiert und auf eine ganz einzigartige Weise unterhaltsam“, sagt Marek Markuszewski. Aber er zeige mit seiner klar erzählten und stringenten Geschichte auch eine „weichere“ und „weniger verkopfte Seite von Lem“, findet der Spieleentwickler. Das würde es nicht einfach, aber leichter bewältigbar machen, sie in ein Videospiel zu transformieren, ohne die Vision des großen Autors zu verraten.

Der Roman ist einfach fantastisch, gut recherchiert und auf eine ganz einzigartige Weise unterhaltsam.
Marek Markuszewski

Aber was für eine Art von Videospiel soll es eigentlich werden? Ein Ego-Shooter gleich Call of Duty, ein Walking-Simulator wie Dear Esther oder ein Horror-Titel im Stile der Amnesia-Saga? Hier tut sich Marek Markuszewski etwas schwer, eine klare Antwort zu geben. „Du kannst The Invincible nicht pauschal mit einem anderen Videospiel vergleichen, es ist in vielerlei Hinsicht einzigartig“, verspricht er. Im Kern werde es jedoch ein Rollenspiel werden – ein wenig wie die The-Witcher- oder die Mass-Effect-Serie. Dennoch werde es auch anders sein als diese Spiele. Denn es gehe weniger um Action oder Kampf, sondern um das Entdecken und Verstehen.

Es soll sich anfühlen wie im Buch

„Du übernimmst die Rolle eines Wissenschaftlers, bist Teil einer Crew, und verfügst über spezielle Ausrüstungsgegenstände und Fähigkeiten“, erklärt der Videospielentwickler Marek Markuszewski die Ausgangssituation. Als solcher werde der Spieler, wie es auch im Roman beschrieben wird, hinaus auf den Planeten gehen, um zu klären, was mit der Besatzung der Kondor passiert ist. Das polnische Team setzt dabei auf den Entdeckerdrang der Spieler. Regis 3 soll daher in abgeschlossenen, aber frei erkundbaren Arealen aufgebaut sein: Wüstengegenden, Höhlensysteme und Einöden, die mit mysteriösen Strukturen und Phänomenen gesprenkelt sind, die neugierig machen.

Zu Fuß und mit einem Geländefahrzeug sollen sich die außerirdischen Umgebungen erschließen und mit Scan- und und Analysegeräten enträtseln lassen. Die eigenen Entdeckungen, gelöste Puzzle, auffindbaren Aufzeichnungen der Kondor-Besatzung und Gespräche sollen die Geschichte voranbringen. „Was der Spieler hört und sieht, das ist’s was alles vorwärtstreibt“, sagt der Spieleentwickler. Es wird zwar Kämpfe, aber keine gigantischen Dauergefechte geben, in die sich der Spieler stürzen kann. Stattdessen würde der Spieler vor allem mit Situationen konfrontiert, die „größere und kleinere Entscheidungen einfordern, die schwere Konsequenzen haben können“, sagt Marek Markuszewski. Diese Momente wären vielfach direkt den Seiten des Romans entnommen – und Lem-Fans würden sie auch wiedererkennen können.

Die größte Herausforderung besteht dabei aber darin, die Essenz dessen zu erhalten, was uns der Autor mitgeben und sagen wollte.
Marek Markuszewski

„Es wäre keine Adaption, wenn wir die prägenden Momente einfach herauslassen“, sagt Marek Markuszewski. Ein Panzerangriff auf einen mysteriösen Schwarm von Nano-Maschinen, Crew-Mitglieder, deren Gehirne gleich einer Festplatte gelöscht und die dadurch so hilflos werden, wie ein Neugeborenes: Diese Momente sollen begeistern und verstören. „Die größte Herausforderung besteht dabei aber darin, die Essenz dessen zu erhalten, was uns der Autor mitgeben und sagen wollte“, beteuert der Spielemacher. Dafür analysiere das Team jede einzelne Szene aus dem Roman analysieren und bespreche sie wieder und wieder.

„Wir versuchen herauszufinden, wie er wollte, dass der Leser sich fühlt“, sagt Markuszewski. Dann würde die Szene digital und interaktiv erlebbar nachgebaut – und verändert, verbessert, überarbeitet. Eben bis sie dem Bild und der Gefühlslage entspricht, das und die seine geschriebenen Worte provozieren. „Wir müssen schaffen, dass Kenner der Bücher sagen: Das ist es! Und ebenso ist’s unsere Hoffnung, dass viele Spieler danach zu den Büchern von Lem greifen werden.“ Dabei mache es Lem den Entwicklern teilweise recht einfach. Denn die Beschreibungen des Autors wären oft so detailreich, dass „eigentlich alles [auf den Buchseite] da ist“ und die Entwickler nichts dazu erfinden müssen, um eine Szene mit Spannung, Geheimnis und Grusel aufzuladen.

Retro-Sci-Fi!

Eine geschriebene Geschichte in Bilder zu übersetzen, das ist nicht einfach. Schließlich hat jeder beim Lesen eigene Vorstellungen davon, wie eine fiktive Welt wohl ausschauen mag. Daher machten es sich die Entwickler von Starward Industries nicht leicht damit, die Optik von The Invincible zu gestalten. „Es war ein echt aufreibender und komplexer Prozess“, sagt Markuszewski. Bereits vor der Gründung des Studios hätte das kleine Team mehrere Monate investiert, um auszuklügeln, wie wohl die Welt vom Lem und die Technik darin aussehen könnte. Aber auch, was sie besonders machen könnte, um sie insbesondere visuell von all den anderen Science-Fiction-Games abzuheben.

„Wir hatten uns dafür viel Weltraumtechnik angeschaut. Angefangen bei Raumanzügen, Raumschiffen und auch Waffen der frühen Raumfahrtära – insbesondere aus der Sowjetunion“, sagt Markuszewski. Ebenso habe das Team die Arbeit von Science-Fiction-Künstlern wie Syd Mead und Chris Foss studiert – aber auch die Arbeit von Tales-From-The-Loop-Künstler Simon Stålenhag. Nach und nach sei die Entwicklergruppe bei einem wilden, aber dennoch harmonischen retro-futuristischen Stil gelandet. Die Raumanzüge erinnern an die Strizh-Raumanzüge, die von der Sowjetunion in den 1970ern entwickelt wurden. Der auf einem Bild zu sehende Roboter-Panzer könnte hingegen glatt vom Cover eines Science-Fiction-Romans aus den 1960ern oder einer Flash-Gordon-Folge stammen.

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So ungewöhnlich die Gerätschaften auch ausschauen, sie basieren auf den Hinweisen, die Lem über die Buchseiten hinweg hinterlässt. „Wir ehren die ausführlichen Beschreibungen der Raumschiffe, der Maschinen, der Roboter und des tödlichen Planeten“, sagt Markuszewski. „Wir versuchen dem wirklich nahezukommen. Und der Prozess, die Worte in Modelle und erfahrbare Szenen zu überführen ist einfach großartig – aber auch zeitintensiv.“ Jede Maschinerie, aber auch die außerirdischen Wesenheiten, denen die Forscher begegnen, sollen so aussehen, als könnten sie wirklich funktionieren und leben. Dabei verlassen sich die Entwickler nicht nur auf sich selbst und ihre Nachforschungen, sondern sie holten sich auch Unterstützung und Kritik von Ingenieuren, Geologen und Chemikern. Dadurch soll auch dem Anspruch von Lem an wissenschaftliche Akkuratesse Rechnung getragen werden.

Wir ehren die ausführlichen Beschreibungen der Raumschiffe, der Maschinen, der Roboter und des tödlichen Planeten.
Marek Markuszewski

Die Nachforschungen und all die Gespräche über die Entwicklung hinweg, sagt Markuszewski, hätte ihre Begeisterung für den Roman nur noch weiter verstärkt. Sie wären der Story keineswegs müde oder überdrüssig. Stattdessen würden sie jetzt noch viel besser nachvollziehen können, wieso so viele Menschen und auch sie selbst von Lem und seinen Werken so begeistert sind. Aber nichtsdestotrotz wäre die Arbeit keineswegs einfach – und schon gar nicht vorbei. Derzeit ist das Team noch inmitten der Entwicklung und dabei, die erste Alpha-Fassung des Games zusammenzufügen, die alles Wichtige an Umgebungen und Spielinhalten enthält. Läuft alles nach Plan, könnten die Spieler bereits im kommenden Jahr den Planeten Regis 3 erkunden. Ob Stanisław Lem damit gerechnet hat, dass das mal möglich sein könnte? Durchaus vorstellbar.

Teaser-Bild: Starward Industries

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