Auch in digitalen Welten spielt Mode eine große Rolle – schon immer. Aber vor allem die Verheißungen und Versprechungen des Metaverse faszinieren nun viele Designer und Start-ups, die Sportschuhe, Kleider und Accessoires für Avatare gestalten. Und auch zahlreiche etablierte Modeikonen und Luxusmarken schneidern mittlerweile Kleidung, die nur virtuell getragen werden kann.
Von Michael Förtsch
Das Leben vieler Menschen findet heute schon zu einem guten Teil im Internet statt. Und es wird wohl stetig mehr: Geht es nach den Marktforschern von Gartner, wird ab 2026 ein Viertel aller Menschen mindestens eine Stunde am Tag im Metaverse verbringen – wie auch immer das dann aussehen mag. Denn welche Form das digitale Metaversum nun annimmt, wie man es bereist und erforscht und was sich dort alles so anstellen lässt, das mag bisher keiner so recht beantworten. Die Vorboten des zum unüberhörbaren Buzzword aufgepumpten Zukunftskonzepts sind jedoch schon da – in Form von Digitalwelten wie zum Beispiel Roblox, Decentraland oder Horizon Worlds. Und wie auch in der physischen Welt spielt eine Sache hier eine große Rolle: Mode. Oder besser: Wie der eigene Avatar angezogen ist!
Bereits in der digitalen Welt des vor fast 20 Jahren gestarteten Second Life wurde es für viele Nutzer schnell zu einer Priorität, ihre digitale Repräsentanz möglichst einzigartig einzukleiden. „Virtuelle Mode kann Nutzer dabei unterstützen eine Identität anzunehmen, die sie schon immer haben wollten und in der physischen Welt – aus welchen Gründen auch immer – bisher nicht annehmen konnten“, erklärt Juliane Kahl, Gründerin des Responsive Fashion Institute in München, das digitale und nachhaltige Konzepte für die Modeindustrie entwickelt. „Mode war schon immer eine Form der Inszenierung, Darstellung und ermöglichte soziale Zugänge“. Was ein Avatar trägt, könne dessen Wahrnehmung prägen und beeinflussen, welche Charakteristiken andere auf diesen und die Person dahinter projizieren. Oder: Wie wir angezogen sind, bestimmt – auch in der digitalen Sphäre – mit, in uns sehen.
Genau aus diesem Grund erlebt digitale Mode seit einigen Jahren einen wachsenden Boom. Der bringt auch zahlreiche junge Designer und Designerinnen hervor. Darunter Mishi McDuff, die einst für ihren eigenen Second-Life-Avatar digitale Kleider gestaltete. Heute leitet sie die virtuelle Schneiderei Blueberry, die Shorts, Bikinis, T-Shirts, Engelsflügel und vieles mehr für den VR-Welt-Urvater, aber auch Roblox gestaltet. Und 2021 sorgte der Künstler Mason Rothschild für Aufsehen, als er NFTs zu virtuellen Handtaschen verkaufte, die den legendären Birkin Bags nachempfunden sind. Aber: „Die neuen [Größen] sind eher Plattformen [als einzelne Designer]“, sagt Juliane Kahl.
Gemeint sind damit Design-Start-ups wie etwa das 2020 von Benoit Pagotto, Chris Le und Steven Vasilev gestartete RTFKT. RTFKT konzipiert hauptsächlich virtuelle Sneaker, die als NFTs gesammelt und weiterverkauft werden können – und irgendwann im Metaverse getragen werden sollen. Aber auch futuristische Jacken und Hosen hat RTFKT schon designed. DressX wiederum entwirft klassische T-Shirts, Kapuzenpullover, Sonnenbrillen und auch Kleider, die in Kooperationen mit Künstlern und anderen Designermarken entstehen. Die Webseite des Start-ups ist einem klassischen Online-Fashion-Shop nachempfunden. Getragen werden die Klamotten aber vor allem als Bildmanipulation. Heißt: Mit Hilfe einer App werden die Kleidungsstücke über ein Foto der Nutzer gelegt, das diese dann auf Instagram, Facebook und Snapchat teilen können. Seit April bietet DressX auch erste Stücke seiner metaverse fashion wearables in Roblox an.
Für solche Mode braucht es keinen Stoff, keine Fabriken und auch keine Containerschiffe, die durch die halbe Welt schippern. Aber dennoch erfüllt sie ihren Zweck: den der kurzzeitigen Inszenierung, ebenso wie Kleidungsstücke, die nur wenige Male für das perfekte Selfie angezogen werden. „Wir haben genug Sachen im Schrank und brauchen eigentlich keine neue Kleidung“, sagt Juliane Kahl dazu. „Aber trotzdem konsumieren wir permanent mehr Mode.“ Rein digitale Mode, die nur Speicher, etwas Strom und die Kreativität der Designer braucht, ist hier ein nachhaltiger Gegenentwurf, meint die Fashion-Expertin.
Kein Opfer der Schwerkraft
Bei digitaler Mode geht es aber keineswegs nur um öde Sneaker, Hoodies oder Uhren. Zahlreiche neue virtuelle Kleidungsstücke versuchen Konventionen zu brechen oder laufen gezielt den Gesetzen der Physik zuwider. Sie bestehen aus Materialien wie fließendem Wasser, knisterndem Feuer oder zeigen Muster und Schnitte, die für eine Schneiderei gar nicht zu bewerkstelligen wäre. Einige Designer philosophieren über NFT-gebundene Kleidungsstücke, die sich transformieren, je nachdem, welches virtuelle Gebiet betreten wird. Oder auch digitale Mode, die sich verändert, wenn andere Avatare das Gleiche tragen, um stets die maximale Distinktion und Auffälligkeit zu erreichen.
„Virtuelle Mode ist komplett losgelöst von physischen Rahmenbedingungen wie Schwerkraft, von der Länge von Stoffbahnen und der Art und Weise, wie Kleidungsstücke hergestellt werden“, meint Fashion-Expertin Kahl. „Gestalterisch kann man sagen: anything goes. Solange die technischen Voraussetzungen stimmen.“ Die nahezu unbegrenzte kreative und gestalterische Freiheit sei es, die natürlich viele Designerinnen und Designer fasziniert. Gleichzeitig mache die reine Digitalität – die Unnötigkeit, diese Mode stofflich zu produzieren – neue Konzepte, Zielgruppen und Zweckmäßigkeiten denkbar, die bisher oft noch übersehen oder ausgeschlossen werden.
„[Diese Mode] kann eine andere Ausdrucksform sein, zum Beispiel in Bezug auf Gender Fluidity, Identitäten und Gruppenzugehörigkeiten“, erklärt Juliane Kahl. „Virtuelle Mode kann viel mehr beinhalten und darstellen als physische Mode.“ Aber auch, was die unterliegende Funktionalität angeht, wäre vieles Neue denkbar. Denn digitale Mode könne auch ganz reale Mechaniken besitzen. Gebunden an NFTs oder vergleichbare Technologiekonzepte könnten spezielle Kleidungsstücke als ein Ticket zu Veranstaltungen, als Zugangsberechtigung zu einer exklusiven Plattform oder als Markierung dienen, die nur für jene sichtbar ist, die ein Kleidungsstück besitzen, das die gleiche Mechanik nutzt.
Die großen Labels kommen
Die Revolution der digitalen Mode ist derzeit vor allem durch junge Designerinnen und Designer getrieben. Oder auch Start-ups und Kollektive, die radikale Konzepte testen – und damit zum Teil sehr schnell und sehr viel Geld machen. Laut der Investmentbank Morgen Stanley soll der Markt für digitale Kleidungsstücke bis 2030 rund 50 Milliarden US-Dollar betragen. Daher drängen nun auch zahlreiche bekannte und etablierte Modehäuser und Marken in die digitalen Sphären vor, um sich dort ihren Platz im neuen Modeolymp zu sichern.
Das nur neun Köpfe starke Unternehmen RTFKT, das mit seinen virtuellen Sneakern für viel Aufsehen sorgte, wurde nur ein Jahr nach der Gründung vom Sportartikelhersteller Nike für eine nicht genannte Summe gekauft. Im April 2022 wurde von RTFKT und Nike dann eine erste Serie von NFT-Turnschuhen veröffentlicht, die für 4.000 bis 9.500 Euro über den virtuellen Ladenstisch gingen. Einzelne der sogenannten CryptoKicks wurden noch für deutlich mehr gehandelt. Dazu tasten sich Luxusmarken wie Dolce & Gabbana, Ralph Lauren, Gucci und Yves Saint Laurent laut Fashion Network an digitale Mode heran – und sorgen dafür, dass ihre Logos und Marken im zukünftigen Metaverse stattfinden und sichtbar sind.
„Bei den Marken steht und fällt es damit, ob eine digitale Vision der Mode von der Geschäftsführung verstanden, geteilt und auch vorangetrieben wird – durch Investitionen in Talente und Technik“, sagt Juliane Kahl. „Ein gutes Beispiel dafür ist das Label Prada, das kurz vor einem Generationswechsel steht: Der Sohn der Co-CEOs Patrizio Bertelli und Miuccia Prada plant nicht nur vermehrt den Fokus auf die Themen Wiederverkauf und profitable, nachhaltige innovative Geschäftsmodelle zu setzen, sondern auch groß in das Metaverse vorzustoßen und in digitale Produktentwicklung zu investieren.“
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Jetzt Mitglied werden!Die Luxusmarke Gucci hat wiederum erst im Mai 2022 die sogenannte Gucci Town in Roblox eröffnet, ein opulentes Gartenareal, das einen virtuellen Gucci-Laden, ein Café, ein Museum und mehrere Mini-Spiele umfasst, die sich rund um die Marke drehen. Balenciaga hingegen hat eine Kooperation mit Epic Games’ Battle-Royale-Shooter Fortnite geschlossen: Hoodies, Rucksäcke und andere Kleidungsstücke der Marke lassen sich als sogenannte cosmetics im Store des Games für den eigenen Kämpfer erwerben. Und zwei exklusiv designte Kostüme der britischen Modemarke Burberry sind mittlerweile in Honor of Kings angekommen, dem größten Online-Rollenspiel in China. Meta, die Firma hinter Facebook, Instagram und Horizon World, hat zudem einen Modeladen für die plattformeigenen Avatare angekündigt. Dieser Meta Avatars Store wird zuvorderst digitale Gegenstücke von realen Markenklamotten führen, darunter Anzüge, Kleider und Blusen von Prada, Balenciaga und Thom Browne. Einige Teile soll es bereits für wenige Euro geben – auch wenn diese aufgrund ihrer allzu simplifizierten Optik bisher vor allem belächelt werden.
Der Gral
Wer bisher ein digitales Kleidungsstück kauft, der kann es bislang fast ausschließlich auf einer Plattform nutzen – selbst, wenn es als NFT in einem grundsätzlich jederzeit einsehbaren Datenbank-Ökosystem liegt. In Zukunft aber soll auch digitale Kleidung universell tragbar werden. Zumindest ist das die Vision vieler Experten, die das Metaverse als nächsten Evolutionsschritt des Internet ansehen. Und auch viele Macher und Macherinnen digitaler Kleidungsstücke bewerben ihre Werke als Fashion für das Metaverse. Also als Kleidung, die praktisch überall funktionieren kann. Laut Juliane Kahl ist aber genau dies die „größte Herausforderung“, die sich Designer und digitale Modeplattformen aufgebürdet haben. Denn technische Hürden dafür gibt es zahlreich.
Sollen Schuhe, ein Kleid oder eine Hose wirklich quer über mehrere virtuelle Welten – wie Horizon Worlds, Decentraland oder Otherside – trag- und nutzbar sein, müssten sie mit all diesen kompatibel gemacht werden. Sie müssten dem Grafikstil der Welten angepasst werden und mit ihren Software-Engines, physikalischen und spielerischen Regeln harmonieren — und jedes Mal überarbeitet und auf ihre weitere Nutzbarkeit überprüft werden, wenn es Updates oder Patches gibt. Ist das nicht umsetzbar, könnten auch viele digitale Kleidungsstücke zu fast fashion verkommen, die nach einer Saison plötzlich nicht mehr tragbar sind. „Die rasante Entwicklung der neuen Technologien hat viele schnelle Veränderungen und somit große Herausforderungen für alle Beteiligten zur Folge“, sagt Kahl. Digitale Nachhaltigkeit und Beständigkeit virtueller Mode sei daher so etwas wie „der heilige Gral“ der digitalen Fashionszene.
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