Überall quellen die Altpapiercontainer über. Denn seit der Pandemie wird noch mehr im Netz bestellt. Leider landen im Müll vor allem Kartons, die nur ein einziges Mal verwendet wurden. Nicht gerade nachhaltig. Deshalb möchte die ehrenamtliche Initiative WeRePack mit einem Plugin für Onlineshops Versandboxen ein längeres Leben bescheren.
Von Daniel Szöke
Seit mehreren Jahren lebt Frank Schmittlein in Nürnberg. Jeden Morgen ist er mit seinem Sohn unterwegs zum Kindergarten, der neugierig die nähere Umgebung erkundet. Eines Tages war Frank alarmiert, denn sein fünfjähriger Sohn sagte: „Wir leben ja eigentlich im Müll!” Dann wünschte sich der Junge eine Müllzange, um zusammen mit seinem Vater etwas gegen den ganzen Müll zu tun.
Beruflich ist Frank allerdings eher in der digitalen als der analogen Welt aktiv. Deswegen wollte er auch hier ansetzen – und dazu bot sich auch bald die Gelegenheit: Er ist Berater für das Content-Management-System WordPress, mit dem sich Webseiten erstellen lassen. Während eines Online-Meetups für WooCommerce, eine E-Commerce-Lösung für WordPress, stieß Frank auf die ehrenamtliche Initiative WeRePack aus München. Das Team um Angela, Philipp, Luise, Gunner und Alex arbeitete seit 2018 an einer zirkulären Lösung, um im den Verpackungsmüll im Versandhandel zu reduzieren.
Es begann, als sie an einem berufsbegleitenden Kurs bei der Entrepreneurship Akademie in München teilnahmen. Auf einem mit Post-its, Klebestiften und Kaffeetassen übersäten Tisch diskutiert die kleine Gruppe damals über eine große Herausforderung: Mit unternehmerischen Methoden Lösungen für gesellschaftliche Probleme umsetzen. Sie tauschen Fachwissen aus Ingenieurwesen, Ökonomie, Design, Politik und Datenwissenschaft aus. Wie Franks Sohn wollen sie das Abfallproblem angehen. Bei gemeinsamen Spaziergängen durch München bemerken sie, dass vor allem die Papiertonnen am Überquellen sind – und zwar mit nur einmal benutzen Kartons, vorranging aus dem Online-Versandhandel.
Es dauert nicht lange, bis verschiedene Lösungsansätze zur Reduktion von Verpackungsmüll um den Tisch kreisen: ein Kreislaufsystem mit Pfand auf Versandverpackungen – ein bisschen wie Recup für den Versandhandel, aber auch Prototypen für eine ganz neue Art von Verpackungen. Nach ein paar Vergleichsrechnungen stellt sich aber heraus, dass eine modernisierte Versandverpackung zu viele Versandzyklen bräuchte, bis Energie und Rohstoffe – und damit auch CO2 – im Vergleich zur aktuellen Situation eingespart werden.
So schlecht sind die Standardkartons gar nicht
Die Erkenntnis, die daraus folgte, war laut Angela Feldmann von WeRePack diese: „Die herkömmliche Verpackungsbox ist gar nicht so schlecht, denn sie ist leicht, günstig und Karton ist sogar ein relativ stabiles Material”. Um zu testen, wie stabil Karton ist, machten sie ein kleines Experiment. Sie nahmen eine DHL-Versandbox und schickten diese zu Familienmitgliedern und Freunden von München nach Kolbermoor, von dort nach Berlin, zum Bodensee und wieder nach München zurück. Das Ergebnis ihres Experiments: Bevor eine herkömmliche Paketbox instabil wird, kann sie ungefähr zehn Mal weiterverschickt werden. In der Praxis wird sie meistens aber nur ein einziges Mal verwendet.
In Europa ist Deutschland Spitzenreiter beim Verpackungsmüll. 2019 fielen 227,5 kg pro Kopf an. Deswegen fordert das Umweltbundesamt von Onlinemarktplätzen, ihren Einsatz von Verpackungsmaterial neu zu denken. Aber wie?
Außer die Amazon-Kartons unter dem Sofa zu verstecken oder sie im Keller zu stapeln, bis man damit selbst irgendetwas verschickt, gibt es bisher kaum Lösungen. Das kennt fast jeder. Auch Frank Schmittlein, der sich mit seinem digitalen Knowhow und seinen Kontakten bei WeRePack anschloss. Dort hatten Angela und ihr Team nach ihrem Feldversuch schon an einer zirkulären Lösung gebastelt, mit der man Müll im Versandhandel verringern kann.
Ein Open-Source-Plugin für Onlineshops
WeRePack möchte Onlineshops Optionen geben, um herkömmliche Verpackungsboxen wiederzuverwenden. Schließlich spart der Kunde (oder der Händler) pro wiederverwendetes Paket die 270 Gramm CO2 ein, die in etwa für die Herstellung eines neuen Kartons anfallen. Das klingt nach wenig – doch die Zahl der Pakete ist gewaltig: 2021 transportierte die Deutsche Post 1,818 Millionen solcher Paketboxen und die Anzahl von Paketsendungen wächst pro Jahr um die zehn Prozent. Die Wiederverwendung des Alltagsprodukts Kartonbox könnte also schnell zu beachtlichen Energie- und Rohstoffersparnissen führen.
Das Tool, dass WeRePack entwickelt hat, ist ein Plugin, das in Onlineshops, die auf WooCommerce laufen, eingebunden werden kann. Implementiert ein Shop das kostenfreie Open-Source-Tool, können Kunden via Auswahlkasten beim Bezahlen anklicken, ob sie ihren Einkauf in einer wiederverwendeten Verpackung geliefert bekommen möchten oder nicht. Mit dem Plugin haben die teilnehmenden Onlineshops seit dem Start über 500 Verpackungen wiederverwendet und somit über 80.000 Gramm CO2 eingespart. Das ist noch nicht viel, aber ein Anfang.
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Jetzt Mitglied werden!Ein Problem gibt es allerdings: Zwar fällt bei den meisten Versandhändlern selbst meistens genug Verpackungsmüll an – die Kartons von Retouren, aus eigenen Bestellungen oder von Materiallieferungen. Doch vor allem für kleinere Online-Shops reicht es oft nicht aus. Obwohl WeRePack noch keine eigene Lösung für dieses Problem entwickelt hat, wird trotzdem mitgeholfen. Die Initiative hilft Händlern sich zusammenzuschließen, um mehr Verpackungsmüll vorrätig zu haben und motiviert diese auch dazu, bei Supermärkten in der Nähe, bei Umzugsfirmen oder in der Nachbarschaft um alte Kartons zu bitten.
Eine App, um gebrauchte Verpackungen auszutauschen
Obwohl es nur ein erster Schritt ist, inspiriert die Initiative Frank. Er sagt: „Ich kann die Welt nicht komplett verbessern, aber ich kann durch mein Engagement bei WeRePack etwas beitragen oder zumindest weitergeben, dass man Dinge positiv verändern kann”. Das ist ihm vor allem jetzt sehr wichtig: „Denn es soll ja trotz alledem noch weitergehen mit der Menschheit. Dabei ist es großartig zu sehen, dass es immer wieder Leute gibt, wie die Fünf aus München, die nach neuen Lösungen suchen und diese umsetzen”.
In Zukunft möchte WeRePack Lösungen kreieren, die Kunden und Händlern zahlreiche Optionen für einen nachhaltigen Einkauf bietet. Als erstes soll das Plugin auch für andere E-Commerce Plattformen entwickelt werden. Außerdem möchte das Team von WeRePack die direkte Zusammenarbeit mit Onlinehändlern ausweiten, zum Beispiel um das Problem mit den fehlenden gebrauchten Verpackungen zu lösen. Hier könnte auch ein Austausch von WeRePack mit anderen Initiativen zu einem noch besseren System beitragen – etwa mit repacket, einer App aus Aachen, über die sich Händler und Privatpersonen gegenseitig mit wiederverwendbaren Paketboxen unterstützen können. So könnte man weiterhin seine Kartons Zuhause stapeln, aber dieses Mal für einen guten Zweck.
Kleines Update: Das Problem des Verpackungsmülls wurde jetzt auch von einem Team in der TV-Sendung Die Höhle der Löwen adressiert. Das Start-up SendMePack will ebenfalls ein Mehrwegsystem für Paketboxen etablieren und bietet daher deren Wiederaufbereitung gebrauchter Kartons an, die etwa bei Logistikunternehmen aussortiert und davor bewahrt werden, ins Altpapier zu wandern.
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Titelbild: Getty Images