Weniger Müll, weniger Energie, bessere Kontrolle: So kann KI die Natur schützen


Die erste industrielle Revolution hat uns viele Umweltprobleme eingebrockt. Kann uns die neue Technologierevolution dabei helfen, den Schaden einzudämmen? Die Bundesregierung geht jedenfalls davon aus. Sie sucht nach förderwürdigen Projekten, die mit Künstlicher Intelligenz Natur, Umwelt und Klima schützen. Da wollen wir doch gleich ein paar Inspirationen liefern.

Von Wolfgang Kerler

Immerhin 27 Millionen Euro will Bundesumweltministerium Svenja Schulze, SPD, für Projekte bereitstellen, „die Künstliche Intelligenz nutzen, um ökologische Herausforderungen zu bewältigen“. So hat es ihr Ministerium vor einigen Tagen mitgeteilt. Sowohl Projekte, die noch eher Idee als Realität sind, sollen gefördert werden, als auch Projekte, die schon fortgeschritten sind. Wer eine Förderung beantragen will, findet hier alle nötigen Informationen. Bis 30. September könnt ihr euch bewerben.

Bei 1E9 haben wir schon einige Start-ups und Ideen vorgestellt, die sich das Ministerium aus meiner Sicht auf jeden Fall ansehen sollte, und die ich hier deshalb noch einmal kurz vorstellen will. Ein paar andere spannende Ideen habe ich zusätzlich exemplarisch zusammengestellt – gefunden unter anderem mithilfe von @Thomas Lange von acatech und mit der KI-Landkarte der Plattform Lernende Systeme. Los geht’s.

Cargonexx: Bessere Auslastung von LKW

Die Firma Cargonexx aus Hamburg hat eine KI entwickelt, die mit dem Erfahrungswissen der Logistikbranche gefüttert wurde, inzwischen Preise und Kapazitäten prognostizieren kann – und damit Leerfahrten von Lastwagen verhindert. Denn die bringen zwar keine Güter von A nach B, sorgen aber trotzdem für CO2-Emmissionen und Kosten.

Delicious Data: Weniger Essen wegwerfen

Delicious Data aus München hat nicht nur einen hübschen Namen, sondern auch eine schöne Idee. Durch den Einsatz von Machine Learning hilft das Start-up gastronomischen Großbetrieben dabei, ihre Kunden besser zu verstehen. Das heißt: Sie können gezielter – also: weniger – Lebensmittel einkaufen und trotzdem ihre Kunden versorgen. Dadurch muss weniger weggeworfen werden. Das spart natürliche Ressourcen und verhindert CO2-Emmissionen.

Hawa Dawa und Breeze: Saubere Luft in unseren Häusern und Städten

Über Hawa Dawa aus München haben wir noch zu WIRED-Zeiten berichtet. Das Start-up will für bessere Luft in Städten sorgen, in denen es bisher erstaunlich wenige, dafür sehr teure Messstationen gibt, an denen die Luftqualität überwacht wird. In ganz München waren es zurzeit unseres ersten Artikels (im November 2018): fünf. Dabei kann sich die Verschmutzung von einer Kreuzung zur nächsten ändern. Wie soll sich so Verkehr sinnvoll steuern lassen?

Hawa Dawa hat dafür nicht nur ein kleines, günstiges und robustes eigenes Messgerät entwickelt, sondern vor allem auch die passende Software dafür. Denn bisherige Stationen sind auch deshalb so teuer, weil die Luft darin vor einer aussagekräftigen Analyse bearbeitet werden muss. Sie muss beispielsweise erwärmt oder abgekühlt werden, um Umweltfaktoren auszugleichen, die sonst Ergebnisse verzerren würden. Hawa Dawa spart sich diese umständlichen Prozesse und lässt diese Einflüsse durch Kalibrierungsalgorithmen und KI herausrechnen. Zusätzlich werden Wetter-, Geo-, und Verkehrsdaten von Satelliten verarbeitet – und fertig ist ein günstiges System, mit dem die Luftqualität besser gemessen und entsprechend reagiert werden kann.

Auch Breeze Technologies aus Hamburg will uns mit KI und kleinen, günstigen Sensoren das Durchatmen erleichtern – in Städten, aber auch in Gebäuden. Denn, so schreibt das Start-up auf seiner Website, in Häusern kann die Qualität der Luft oft zehnmal, manchmal sogar 100-mal so schlecht sein wie im Freien. Das kostet richtig Geld, denn bei schlechter Luft sinkt die Denkleistung.

Hyperganic: Weniger Ressourcen durch 3D-Druck und KI

Erst kürzlich haben wir euch vorgestellt, wie Hyperganic von @Lin Kayser mithilfe von KI-Software für 3D-Drucker dafür sorgen will, dass Produkte in Zukunft nicht nur besser werden, sondern auch deutlich weniger Ressourcen verbrauchen. Hier ein, wie ich finde, entscheidendes Zitat aus dem Artikel:

„Bisher haben wir so lange auf einem Stein herumgeklopft, bis wir einen Faustkeil hatten. Und das haben wir dann an einen Stock gebunden, um ein Beil zu basteln.“ Statt also bestehende Materialien zu manipulieren, um sie in eine gewünschte Form zu bringen, baut ein 3D-Drucker Objekte ganz gezielt zusammen – das spart Energie und Material, wie Kayser im Interview weiter ausführt: „Du kannst mit additiver Fertigung hochkomplexe Dinge herstellen, ohne höhere Kosten zu haben, im Gegenteil: Etwas, das wenig Material verbraucht und komplexer ist, kostet weniger als etwas, das einfach ist, aber mehr Material verbraucht.“

Shazam4Nature

Kennt jeder Shazam? Falls nicht: Das ist eine praktische App, die Musik für euch erkennt. Kurz mithören lassen, zack, weiß das Programm, wie der Song im Radio heißt und wer der Interpret ist. Sowas will ein interdisziplinäres Team aus Deutschland jetzt auch für die Natur umsetzen. Die Idee Shazam4Nature ist im Februar beim Earth.Lab in Berlin entstanden, das von Microsoft und Fraunhofer CeRRI veranstaltet wurde. Ihre Umsetzung wird nun auch von Microsoft unterstützt. Denn der Konzern hat ein eigenes 50 Millionen Dollar schweres AI for Earth Förderprogramm, geht also in eine ähnliche Richtung wie das Umweltministerium. Worum aber geht’s jetzt bei Shazam4Nature?

Um die Biosphäre zu schützen, müssen wir sie noch besser verstehen. Damit das aber flächendeckend möglich ist, sollte die Hard- und Software dafür keine Unsummen kosten, dachte sich das Team um Felix Govaers, einem Forscher am Fraunhofer FKIE. Das Ziel ist daher die Entwicklung eines günstigen, akustischen Biodiversitäts-Monitoringsystems, das Tierlaute mit Mikrophonen aufzeichnet – und anschließend von einer KI auswerten lässt. Damit ließe sich etwa die Insektenpopulation auf einem Acker bestimmen und sich Erkenntnisse über die Auswirkungen von Pestizid- oder Düngereinsatz gewinnen. Shazam erkennt Songs, Shazam4Nature erkennt Grillen, Wespen oder Bienen an ihrem Sound.

Sonnen: Solarstrom optimal nutzen

Über das grundlegende Konzept von Sonnen aus dem Allgäu – nämlich Häuser, die Solaranlagen haben, mit Heimspeichern auszustatten, diese zu Virtuellen Kraftwerken zu verbinden und damit das Stromnetz zu entlasten – haben wir schon berichtet. Etwas zu kurz kam dabei noch, dass die Sonnen-Technologie durch KI-gestütztes Energiemanagement dazu beitragen kann, dass der eigene Solarstrom so gut wie möglich genutzt wird – und so wenig Strom wie nötig aus dem Netz gezogen werden muss. Das passiert etwa, indem Heizung, Waschmaschine oder Geschirrspüler dann automatisch gestartet werden, wenn gerade besonders viel Solarstrom zur Verfügung steht, der anderweitig nicht gebraucht würde.

TWAICE: Längeres Leben für E-Auto-Batterien

Kritiker der Elektromobilität zweifeln daran, dass E-Autos wirklich besser fürs Klima sind. Ein Hauptargument, über das auch wir schon diskutiert haben: Zur Herstellung der Batterien werden große Mengen Energie und Wasser benötigt, außerdem wird dadurch (wie bei der Gewinnung anderer Rohstoffe auch) die Umwelt zerstört. Um diesen Argumenten zu begegnen, ist es also umso wichtiger, Batterien so lange wie möglich optimal zu nutzen. Genau das will TWAICE aus München erreichen.

Das Start-up hat eine Technologie entwickelt, mit der sich ein digitaler Zwilling von Batterien erstellen lässt. Kombiniert mit einer KI-Analysesoftware lassen sich damit Prognosen über den Batteriezustand berechnen. Die Nutzung kann dadurch so optimiert werden, dass die Batterien länger halten.

Das waren nur ein paar exemplarische Beispiele, wie auch in Deutschland an KI-Lösungen gearbeitet wird, mit denen die Natur geschützt werden kann. Bestimmt gibt es noch viele andere gute Ideen – bitte ergänzt sie einfach unten!

Künstliche Intelligenz für unseren Planeten

Um die möglichen Kritiker der Förderinitiative zum Schluss auch noch mitzunehmen: Ja, die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz kann bisweilen gewaltige CO2-Emmissionen erzeugen. Und ja, Künstliche Intelligenz, von der wir heute sprechen, hält bei weitem nicht immer, was ihr Name verspricht.

Doch beides ändert nichts am Potential, das die Technologie für den Umweltschutz hat. Das World Economic Forum (WEF) und PwC konnten mehr als 80 verschiedene Einsatzmöglichkeiten festmachen, die sechs der drängendsten Probleme angehen und in die sich die vorhin genannten Beispiele gut einordnen. Daher zum Schluss noch diese grundsätzliche Übersicht:

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Quelle: PwC Research

Klimawandel: Hier könnte KI der WEF-Studie zufolge dazu beitragen, sowohl in der Wirtschaft als auch in privaten Haushalten Ressourcen und Energie zu sparen, sauberer Stromerzeugung zum Durchbruch zu verhelfen, den Verkehr zu verringern und die Landnutzung nachhaltiger zu gestalten. Alles führt zu geringeren CO2-Emissionen.

Arten- und Naturschutz: KI könnte helfen, Lebensräume für Tiere und Pflanzen besser zu überwachen, um frühzeitig auf Herausforderungen zu reagieren, die Umweltverschmutzung zu kontrollieren und den ökonomischen Wert von intakter Biodiversität zu erschließen.

Gesunde Meere: KI ermöglicht eine bessere Kontrolle nachhaltiger Fischerei und kann auch zum Schutz von Lebensräumen und vor Verschmutzung beitragen. Außerdem können die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltmeere besser erkannt werden.

Sichere Wasserversorgung: Durch den Einsatz von KI lässt sich Wasserverbrauch reduzieren. Auch Wasserqualität bzw. die Qualität von Wasseraufbereitung lässt sich durch KI verbessern.

Saubere Luft: Die Qualität von Luft lässt sich mithilfe von KI besser messen. Probleme werden dadurch frühzeitig erkannt. Abgase können besser gefiltert werden, bevor sie unsere Luft verschmutzen.

Widerstandskraft gegenüber extremen Wetter und Naturkatastrophen: Vor allem bei der besseren Vorhersage von solchen Ereignissen kann KI einen Beitrag leisten.

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Lese gerade Token Economy von @Shermin und bin darin auf das Blockchain-Projekt Terra0 https://terra0.org/ https://paulkolling.de/projects/terra0 gestoßen. Die Idee: ein Wald, der sich selbst gehört und bewirtschaftet. Fände ein Update dazu auch mal ganz spannend. Habe adhoc nichts Aktuelles dazu gefunden.

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Sehr spannend, danke @heidischall - Da fragen wir doch gleich mal nach. Sollte ja in der Nähe von Berlin entstehen.

Hallo Heidi,

vieles in dem Kontext wird derzeit unter Nature 2.0 geführt: https://blog.oceanprotocol.com/nature-2-0-27bdf8238071

DAOs finden in dem Kontext gerade wieder Verwendung, u.a., ist das Moloch DAO Modell derzeit heiß https://medium.com/@simondlr/the-moloch-dao-collapsing-the-firm-2a800b3aa2e7

Es gibt auch communities rund um das topic, die artists, technologists, etc, verbindet, wie zB die Sovereign Nature Initiative:

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Interessant. Danke für die Info!