Von Menstruation bis Menopause: Künstliche Intelligenz soll die Gesundheit von Frauen verbessern

Den Menstruationszyklus beim Training einkalkulieren, smarte Armbänder gegen Hitzewallungen in der Menopause oder Urin-Tests zur frühzeitigen Erkennung von Brustkrebs: „Female Health Technologies“ mit Künstlicher Intelligenz stehen gerade erst am Anfang und sollen Frauen in jeder Lebenslage Unterstützung bieten. In diesem Artikel stellen wir euch spannende FemTech-Start-ups und neue wissenschaftliche Erkenntnisse im Bereich KI und Female Health vor.

Von Joanne Arkless

Erst kürzlich berichtete mir eine Freundin, dass ihr bei einer medizinischen Behandlung eine Überdosis Medikamente verschrieben wurde. Sie landete deshalb sogar im Krankenhaus. Nicht zum ersten Mal. Die Ärzte hatten sich nämlich daran orientiert, was ein Mann bei ihrer Größe von 1,82 Metern wiegen würde. Das führte zu einer erheblichen Überschätzung der erforderlichen Dosis.

Sowas ist kein Einzelfall: Studien zeigen, dass Frauen in medizinischen Studien häufig unterrepräsentiert sind oder beim Erfassen von Daten schlichtweg ganz vergessen werden. So entsteht die sogenannte Gender Data Gap, also eine geschlechterbezogene Lücke an Gesundheitsdaten. Der männliche Körper wird in der Medizin also oft als Standard angesehen – was dann, zum Beispiel, zu gefährlichen Überdosierungen führen kann, wie das Wissenschaftsmagazin Quarks berichtet.

Trotzdem gab es natürlich auch in Bezug auf die Gesundheit von Frauen große Fortschritte – durch besseren Zugang zur Versorgung, neue Technologien, Forschung. In den letzten 30 Jahren ist die durchschnittliche Lebenserwartung von Frauen in Deutschland von 78 auf 81 Jahre gestiegen. Im Bereich Female Health tut sich also – trotz der immer noch bestehenden Gender Data Gap – etwas. Was passiert, wenn jetzt auch noch zunehmend Künstliche Intelligenz ins Spiel kommt?

Zunächst existiert auch hier ein Datenproblem. Frauen und andere Bevölkerungsgruppen wurden in den letzten Jahren von Systemen auf Basis von Künstlicher Intelligenz immer wieder diskriminiert, da sie in den Trainingsdaten nicht ausreichend repräsentiert waren. Ein besonders prominenter Fall war eine KI-gesteuerte Software zur Auswahl von Personal bei Amazon, die Männer bevorzugte, weil in der Vergangenheit mehr Männer eingestellt wurden. Als das auffiel, wurde sie abgeschaltet. Nun geht es darum, die gleichen Fehler im medizinischen Bereich nicht zu wiederholen, sondern mit dem gezielten Einsatz von KI den Female-Health-Sektor zu revolutionieren.

In diesem Artikel erhaltet ihr einen Einblick in die neuen Möglichkeiten, die KI aus Sicht von Start-ups bieten kann, um den Umgang mit Menstruation, Schwangerschaft und Menopause zu verbessern, und wie KI-gestützte Technologien dazu beitragen können, Krankheiten wie Brustkrebs zu bekämpfen. Es geht aber auch um Risiken und neue Probleme, die KI schaffen kann, und wie wir damit umgehen können.

Von Menstruation und Menopause: FemTech-Start-ups mit immer neuen Lösungen

Wir fangen an mit dem Blick auf drei Start-ups, die sich Themen wie Sport und Menstruationszyklus, Hitzewallung während der Menopause und dem grundsätzlichen Problem der nicht immer idealen Beratung von Frauen widmen.

Fachjargon verstehen: Die KI-basierte App Empathetic AI soll mit Hilfe des KI-Chatbots ChatGPT Fachjargon besser verständlich an die Patientin bringen. Das Chat-Tool gilt als „einfühlsamer KI-Begleiter“, welcher sensibel bei Themen wie Fruchtbarkeit oder Menopause unterstützt. Die Gründerin und Geschäftsführerin des FemTech-Unternehmens, Amanda Ducach, möchte Gesundheit für Frauen demokratisieren und zugänglicher machen, Angst vermeiden und Patientinnen ermutigen, über ihre Probleme zu sprechen.

Sport und Menstruationszyklus: Spätestens nach der Frauenfußball-Weltmeisterschaft steht die Frage, wie der Menstruationszyklus sich auf Leistungsfähigkeit und Training auswirkt, wieder im Vordergrund. Auch wissenschaftliche Studien haben sich in den letzten Jahren damit beschäftigt und herausgefunden, dass die Selbstwahrnehmung der Performance besonders während der Menstruation abnimmt. Laut der Firma Wild.AI beschäftigen sich allerdings nur vier bis acht Prozent der Sportwissenschaften mit weiblichen Studienteilnehmerinnen. Die Firma hat sich daher mit Menstruation, Geburtenkontrolle und Menopause im Kontext von Fitness auseinandergesetzt und bietet eine Integration ihrer Software in Wearables, um Trainings angepasst an den Menstruationszyklus effektiver und angenehmer zu gestalten.

Smarte Armbänder für die Menopause: Debbie Dickinson, eine ehemalige Managerin von Johnson&Johnson berichtet in einem Interview mit BBC, wie sie sich wegen der Hitzewallungen während der Menopause vor das offene Gefrierfach stellte, um irgendwie damit klarzukommen. Und sie fragte sich, ob das nicht auch anders geht. Allerdings war sie mit den DIY-Lösungen auf dem Markt nicht zufrieden und entwickelte daraufhin ein smartes Armband namens Thermaband, das nicht nur Blutdruck und Herzschlag misst, sondern auch die Körpertemperatur der Trägerin im Blick hat, um so in passenden Momenten zu kühlen oder zu wärmen. Die Kühlung an der sensiblen Haut des Handgelenks soll vom Gehirn so wahrgenommen werden, dass sich das gesamte Temperaturgefühl verbessert. Debbie Dickinson sammelte bereits Investments in Höhe von 1,7 Millionen Euro ein, um mit Ingenieuren und Wissenschaftlern an dem Produkt zu arbeiten.

Schwangerschaften und Geburten mit Technologie sicherer machen

Auch im Umgang mit Schwangerschaftskomplikationen hat sich einiges getan. Mit KI sollen genauere Vorhersagen getroffen werden und Risiken besser eingeschätzt werden können, um Mütter und Föten besser zu schützen. So möchte das französische Unternehmen Sonio, das von Investoren erst kürzlich 14 Millionen Dollar erhielt, pränatale Screenings und Ultraschall-Untersuchungen mit Hilfe von KI automatisieren, um einerseits Anomalien besser zu erkennen und andererseits Personal zu entlasten und weltweit besseren Zugang zu diesen Untersuchung zu bieten, vor allem in wirtschaftlich benachteiligten Regionen.

Digitaler Zwilling bei der Geburt: Nicht nur Start-ups haben in den letzten Jahren unterschiedliche Produkte zu Fertilität und Schwangerschaft entwickelt, sondern auch in der Wissenschaft sind neue Ideen entstanden. An der University of St. Louis wurde nun ein ‚elektromyometrisches Bildgebungsverfahren‘ entwickelt, welches Uteruskontraktionen und frühzeitige Wehen exakt auf Länge, Häufigkeit und Stärke untersucht, um zukünftig Ärzte bei Geburten in Echtzeit zu unterstützen. Durch 250 Elektroden, die auf dem Bauch der Patientin platziert werden, kann die Gebärmutter im dreidimensionalen Raum abgebildet werden, sozusagen als digitaler Zwilling mit Echtzeitdaten.

Künstliche Intelligenz im Kampf gegen Brustkrebs

Brustkrebs betrifft jede achte Frau, so die Deutsche Krebsgesellschaft, und ist somit die häufigste Krebsart bei Frauen in Deutschland. Zahlen belegen, dass genetische oder hormonelle Faktoren das Risiko erhöhen können, der Krebs aber auch unabhängig davon auftreten kann. Regelmäßige Vorsorgeuntersuchungen von Brust- und Gebärmutterhalskrebs haben in Deutschland dazu geführt, dass der Krebs immer häufiger bereits in früheren Stadien erkannt wird. Auch die Behandlung hat sich verbessert, weshalb sich die Überlebensrate seit den 1970er Jahren fast verdoppelt hat. Auch Start-ups arbeiten an Lösungen, um noch mehr Leben zu retten.

Brustkrebsdiagnose durch Urintest: Um Untersuchungen auf Brustkrebs schmerzfrei, strahlenfrei und günstiger zu gestalten, entwickelt beispielsweise das spanische Start-up TheBlueBox einen Urintest, bei dem eine KI Biomarker erkennen sollen, die meist bei Brustkrebs vorliegen. Das Start-up möchte damit 2024 auf den Markt gehen.

Früherkennung mit Wärmebildaufnahmen: Ein indisches Start-up namens Nirami hat ein Tool entwickelt, das durch Wärmebildaufnahmen Brustkrebs im frühen Stadium erkennen soll. Durch KI können so Rückschlüsse gezogen werden, bevor spürbare Knoten vorhanden sind. Erst vor ein paar Monaten wurde das dazugehörige Gerät für den US-Markt freigegeben.

Gebärmutterhalskrebs mit Künstlicher Intelligenz tracken

Auch beim Thema Gebärmutterhalskrebs hat sich einiges getan. HPV-Impfung und HPV-Tests zeigen Erfolge und neue KI-Modelle sollen die weltweite Zahl der Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs weiter reduzieren. Auch die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich dem Thema angenommen – mit dem Ziel bis 2050 fünf Millionen Tote zu verhindern. Sie setzt daher große Hoffnungen auf ein Verfahren, das vor allem in abgelegenen Regionen oder ärmeren Ländern Gynäkologen und medizinisches Personal unterstützen soll, indem Nutzerinnen durch Künstliche Intelligenz innerhalb von einigen Minuten eine erste Einschätzung erhalten können. Dafür soll ein Foto des Gebärmutterhalses durch eine KI, die mit hunderttausenden Bildern trainiert wurde, analysiert und Ausreißer schnell identifiziert werden, um im Falle einer Erkrankung frühzeitig mit einer Behandlung beginnen zu können. So sollen ärztliche Kapazitäten gespart werden und die Diagnose beschleunigt werden, berichtet Vize-WHO-Generaldirektorin Simelela.

Der Hype um FemTech: Chance oder Risiko?

Die Welt der FemTech befindet sich nach wie vor in einer frühen Phase der Entwicklung und des Experimentierens, um herauszufinden, welche Ansätze tatsächlich dazu beitragen, die Gesundheit von Frauen zu fördern, während gleichzeitig kritisch hinterfragt wird, welche Ideen lediglich unnötige Aufmerksamkeit erzeugen. Weltweit erwirtschaftete die FemTech Branche im Jahr 2019 ca. 820 Millionen Dollar, so eine Studie. Der globale Markt für FemTech-Produkte ist laut TechCrunch noch deutlich unterentwickelt, soll jedoch nach Schätzungen bis 2030 auf etwa drei Milliarden Dollar wachsen. Diese Zahlen sind verglichen mit den circa 500 Milliarden US-Dollar, die Frauen jährlich für medizinische Leistungen ausgeben, immer noch ziemlich gering.

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Künstliche Intelligenz soll dazu führen, dass medizinische Versorgung nicht nur zugänglicher und erschwinglicher wird, sondern auch personalisierter. Doch dafür wünschen sich viele einen klaren und einfachen regulatorischen Rahmen. Denn neben Enthusiasmus und Wachstum gibt es auch Bedenken gegenüber manchen FemTech-Innovationen. Viele der neuen Produkte weisen Berichten zufolge erhebliche Datensicherheitsprobleme auf, was für Nutzerinnen gefährlich sein kann. Denn die gesammelten Daten in FemTech-Produkten und -Dienstleistungen sind meist hochsensibel. Sie stellen eine Mischung aus gesundheitlichen, medizinischen, biometrischen und genetischen Daten dar und geben oft Auskunft über sexuelle Orientierung und sexuelle Aktivität. Themen wie Kinderwunsch, Gender, Menstruation und Abtreibung polarisieren enorm.

Daher gibt es Bedenken, was den Schutz der Nutzerinnen vor Hacker-Angriffen und Cyber-Stalking angeht, aber auch der Zugriff von nahestehenden Personen auf die persönlichen Daten wird befürchtet. Denn laut einer Studie stehen Gewalt in der Partnerschaft, geschlechtsspezifische Gewalt und häusliche Gewalt in einem signifikanten Zusammenhang mit den Themen Schwangerschaft und Unfruchtbarkeit. Auch vor strukturellen Benachteiligungen durch Krankenversicherungen auf Basis der gesammelten Informationen von Patientinnen wird gewarnt. Im politischen Kontext spielt das Thema Datenschutz bei FemTech ebenfalls eine Rolle. So wurden die Risiken von Menstruations-Tracking-Apps im Zusammenhang mit Abtreibungsverboten in mehreren U.S. Bundesstaaten diskutiert.

Die Zukunft von Künstlicher Intelligenz und Female Health

Künstliche Intelligenz könnte die Gesundheit und das Wohlbefinden von Frauen verbessern. Wichtig für die Zukunft der Branche ist jedoch von Anfang an eine neue Gender-Data-Gap zu vermeiden sowie ein diverses und komplexes Verständnis von Frauen zu entwickeln. Man müsse darauf achten, dass die neuen FemTech-Entwicklungen nicht nur auf gebildete, sozio-ökonomisch privilegierten, gesunde, weiße Cis-Frauen (weiblich laut Geburtsurkunde) ausgerichtet wird, sondern eine Vielzahl and Körpern und deren Hintergründe integriert werden. Dies soll durch Einbeziehungen von verschiedenen Interessensvertretern in der Konzeption und Entwicklung der Technologien passieren, wird im Journal of Medical Internet Research empfohlen.

Zur Vereinfachung und besseren Lesbarkeit beziehe ich mich in diesem Artikel auf Frauen und weibliche Aspekte, wobei jedoch jegliche Geschlechteridentitäten einbezogen sind. Es ist anzumerken, dass für die Verständlichkeit auf eine sprachliche Gender-Differenzierung verzichtet wurde. Begriffe wie ‚Ingenieur‘ oder ‚Wissenschaftler‘ beziehen sich in diesem Kontext auf alle Geschlechter.

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