Eine Kolumne von Daria Saharova
Hallo zusammen, ich bin Daria und das ist meine erste Kolumne. Eigentlich hatte ich vor, in der ersten Ausgabe nur darüber zu schreiben, warum ich überhaupt eine Kolumne schreiben möchte. Und ich wollte euch über einen passenden Namen dafür abstimmen lassen. Ich habe mich darauf gefreut, aber mich natürlich auch gefragt, ob die Welt eine weitere Stimme braucht. Jetzt sitze ich am Schreibtisch im Home Office – seit Tagen in freiwilliger Quarantäne, auch schon lange vor der Ausgangssperre – und bin voller Mitteilungsdrang. Man würde ja meinen, in Zeiten von Corona werde schon alles gesagt. Aber ich kriege den Eindruck einfach nicht los, dass wir mehr und lautere Stimmen brauchen, um angesichts der brennenden Themen die richtigen Impulse zu setzen.
Noch vor zwei Wochen war ich relativ entspannt, was die Verbreitung des Coronavirus angeht. Ich war hoffnungsvoll, dass sich alle vernünftig verhalten würden. Und ich war mir sicher, dass ein Individuum für die Gesellschaft mit optimiert. Was wir in den letzten Tagen vor den drastischen staatlichen Regeln erlebt haben, zeigt leider, dass das nicht bei allen der Fall ist. Recht hat sie, die alte Spieltheorie! Die Biergärten waren bis zuletzt voll, Leute grillten gemeinsam im Englischen Garten und noch vor ein paar Tagen wurden Menschenmengen auf dem Weg auf die Zugspitze gesichtet.
Auf Instagram plädiere ich wegen solcher Bilder nicht nur schon seit vorletzter Woche dafür, dass alle zuhause bleiben. Ich habe auch eine kleine Umfrage dazu durchgeführt, ob das Coronavirus bei allen Horror-Szenarien auch einen positiven Einfluss haben könnte. Ich dachte mir, das könnte eine nette Übung im positiven Denken sein und war neugierig, was aus meinem Umfeld kommen konnte. Erwartet habe ich ein paar lustige Antworten und auch Kritik und Aufregung – nach dem Motto: Was gibt es bitte hier Positives?! Doch es kam anders. Noch nie habe ich so viele positive Rückmeldungen und persönliche Dankesnachrichten erhalten!
Natürlich sprechen wir hier über eine einschneidende Krise, die viel Leid und Schmerz verursacht. Dennoch würde ich gern die Antworten, die ich bekommen habe, mit Euch teilen. Vielleicht inspiriert es die eine oder andere, beruhigt euch oder bringt euch auf neue Ideen!
Luftverschmutzung, Umwelt und Klima
Die #1 Antwort auf meine Umfrage lautete: Ein Coronavirus-Lockdown könnte durch die abnehmende Luftverschmutzung mehr Leben schützen, als das Virus nimmt. In China scheint das bisher zumindest der Fall gewesen zu sein, wie sogar eine Studie der Stanford University jetzt gesagt hat. Auch haben NASA und ESA Satellitenbilder veröffentlicht, die etwa einen Monat nacheinander entstanden sind. Darauf ist zu sehen, dass über China wegen der Krise viel weniger Stickstoffdioxid in der Luft ist. Außerdem sorgte der sich ausbreitende Stillstand für eine Reduktion der CO2-Emissionen – und China ist immerhin für 30 Prozent der weltweiten Emissionen zuständig. Zumindest derzeit ist der Lockdown also gut fürs Klima.
Später kamen dann weitere unerwarteten Aufnahmen – von sauberen Kanälen in Venedig, in denen man wieder Fische sehen konnte, und sogar Delfine?! Okay, offenbar Fake. Aber trotzdem eine hübsche Vorstellung.
https://www.instagram.com/p/B92Y-5FqopO/?igshid=7qj1kz3tczjv
Plötzlich sieht es fast einfach aus, das wohl größte Problem der Menschheit zu lösen. Und viele haben mir auch entsprechend geantwortet: “It prepares us for the fight the biggest crisis of all times: the climate crisis.” Denn der Klimawandel ist und bleibt die mit Abstand krasseste Gefahr.
Leider gibt es auch hier eine Kehrseite der Medaille. Gerade eben habe ich gelesen, dass der tschechische Regierungschef Andrej Babis die EU-Kommission aufgefordert hat, wegen der Corona-Krise ihre Klimaschutzpläne zurückzustellen und den Green Deal zu vergessen. Der Green Deal von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht vor, dass die EU bis zum Jahr 2050 die Klimaneutralität erreicht. Tschechien ist in seiner Energieversorgung noch stark von Kohle abhängig und dementsprechend noch nie ein Fan des Green Deals gewesen. Auch in Deutschland gibt es einige Stimmen in der Politik, die dafür plädieren, die Klimaschutzmaßnahmen, wie etwa die CO2-Steuer auf Benzin und Heizöl, auszusetzen, um die Wirtschaft in der Coronakrise nicht noch mehr zu belasten. Kommt es dazu, könnte die Coronakrise dem Klimaschutz am Ende doch schaden…
Digitalisierung der Arbeit und #NewWork
Ein zweites Thema, das in den Antworten, die ich bekommen habe, ziemlich dominiert hat: die Durchdringung von New Work beziehungsweise neuen Arbeitsmethoden und Tools. Am Wochenende habe ich mit Stephan Heller gesprochen, wie die Home Office Situation in seinem Unternehmen ist. Stephan ist der Gründer und Geschäftsführer von Fincompare, einer One-Stop-Shop-Lösung für die Finanzierung mittelständischer Unternehmen. Sie arbeiten mit ihren 75 Mitarbeitern inzwischen komplett remote. Ein Teil seiner Sales Leute war bereits im Home Office, so dass es hier keine große Umstellung gab.
Bei Fincompare gibt es tägliche Zoom Meetings. Aber auch tägliche gemeinsame Meditation und ein Fitness-Programm sorgen dafür, dass die Leute sich nicht einsam fühlen. Stephan sieht nicht nur einen Produktivitätsanstieg, sondern bekommt so gutes Feedback, dass er sich das Modell auch für die Zukunft nach Corona nachhaltig vorstellen kann. Und um beim Positiven zu bleiben: auch das Geschäft läuft auf Hochtouren: Die Firma bekommt 400 Neukunden pro Tag. Da die Hausbanken zur Zeit leider überlastet sind, stellt Fincompare eine Alternative für alle Themen rund um Finanzierung und Liquiditätssicherung. Sie arbeiten auch an einer Corona-Lösung mit der KfW zusammen und appellieren darauf, dass Staatshilfen unbürokratische nicht nur über Hausbanken laufen, sondern auch über andere Plattformen.
Ob die Ausgangsverbote dem Home Office wirklich zum dauerhaften Durchbruch verhelfen wird, hängt natürlich sowohl von der Leistungsfähigkeit der digitalen Tools ab als auch vom grundsätzlichen Vertrauen, dass ein Arbeitnehmer im Home Office auch wirklich arbeitet. Hier wird man in den nächsten Wochen sicherlich mehr Erfahrungsberichte sammeln können.
Kommunikations-Tools, die in meinem Bekanntenkreis inzwischen besonders häufig genutzt werden, sind: Google Hangouts, Zoom, Uber Conference, WhatsApp. Was nutzt ihr so? Unsere Frau Bundeskanzlerin hat außerdem Skype oder Briefe empfohlen.
Digitalisierung der Bildung
Auch hier hapert es nicht an Angeboten, sonder am Vertrauen, dass digitale Bildung funktioniert. Da jetzt sowieso fast alle Kinder zu Hause bleiben und niemand auf den Zustand richtig vorbereitet ist, empfehle ich die Liste, die Verena Pausder zur Verfügung gestellt hat. Man findet dort sowohl Lernportale als auch edukative Apps und Ideen für „Homeschooling in Zeiten von Corona“. Auf jeden Fall werden die vielen Möglichkeiten jetzt einem großen Test unterzogen – und einige davon werden bestimmt auch in der Zeit nach Corona zum Einsatz kommen und vielleicht für bessere Bildung sorgen.
Leadership und Solidarität
Aussagen wie “testing true leadership in businesses and government” kamen einige Male als Antwort in meiner Umfrage über die aktuelle Krise. Umso schöner ist es, schon jetzt über verantwortungsvolle Unternehmensführung zu lesen.
Zum Beispiel hat Eric Yuan, der Gründer und CEO des Kommunikationstool-Anbieters Zoom, angekündigt, die Programme der Firma für Schulen frei zur Verfügung zu stellen. Der Luxuskonzern LVMH zieht stellt inzwischen seine Kosmetikproduktion auf Händedesinfektionsmittel um, die dann französischen Krankenhäusern gespendet werden.
Auch Nebenan-Gründer Christian Vollmann zeigt Hilfsbereitschaft: Die nebenan.de Stiftung und nebenan.de starteten gemeinsam die größte Nachbarschaftshilfe in der Geschichte Deutschlands. 1,5 Millionen Nachbarn in 8.000 Nachbarschaften stehen bereit: Wer Hilfe braucht, wählt die 0800/8665544, hinterlässt Telefonnummer und PLZ und ein Nachbar ruft zurück.
Auch die zwei Münchner Großunternehmen Sixt und BMW kündigen Unterstützung in Corona Zeiten an. Bei Sixt können Ärzte und Pflegepersonal in Berlin, Hamburg und München das Carsharing Angebot mit einem 100 Euro Gutschein nutzen. Die 100 Euro entsprechen laut Sixt bei einer durchschnittlichen Fahrtdauer von etwa 25 Minuten dem Arbeitsweg für zehn Arbeitstage. BMW liefert aus eigenen Beständen der bayerischen Staatsregierung 100.000 Atemschutzmaske, verkündete Ministerpräsident Markus Söder auf Twitter.
Manch einer mag solche Aktionen für Marketing halten – und sind sie zum Teil vielleicht auch. Dennoch finde ich es gut, dass Unternehmen dazu beitragen wollen, die Krise zu meistern.
Mehr Zeit für uns
Viele von euch sahen auch in der neu gewonnen Ruhe und Zeit eine Chance: Wir bekommen die Möglichkeit zu entschleunigen, nachzudenken, zu reflektieren, neue Prioritäten zu setzen. Wir haben Zeit, um gesünder zu kochen, zu lesen, oder um uns weiterzubilden.
Trump
Last but not least! Einige von Euch sehen eine hohe Korrelation zwischen der Coronakrise und dem Ausgang der amerikanischen Präsidentschaftswahlen…
Das waren die positiven Einfälle zur aktuellen Ausnahmesituation, die ich bisher gesammelt habe. Fallen euch noch mehr ein? Ich würde mich sehr freuen, wenn wir uns jetzt nicht von Panik treiben lassen. Weder als Menschen noch als wirtschaftliche Akteure oder als Gesellschaft! Lasst uns solidarisch zusammenhalten, weiterhin in technologischen Fortschritt investieren, wenn wir die Mittel dafür haben für den guten Zweck spenden und vor allem in Zukunft gemeinsam das größte Problem angehen: den Klimawandel.
Irgendwo habe ich auf Social Media gesehen, dass der Monat März unter dem Motto der mutigen Entscheidungen steht! Genau das wünsche ich uns! Wie wir die Kolumne nennen können, können wir natürlich trotzdem im Anschluss hier oder auf Instagram diskutieren! Habt ihr Vorschläge?
Daria Saharova ist nicht nur Mitgründerin von 1E9, sondern auch Partnerin beim Venture Capital Fonds Vito ONE.
Titelbild: Getty Images