Mehr hilft mehr? Nicht immer. Für den Ex-Spitzenpolitiker und -Topmanager Thomas Sattelberger stellen Bund und Länder die Weichen falsch, wenn sie immer mehr Universitäten und Forschungsprojekte zu „Exzellenzuniversitäten“ und „Exzellenzclustern“ erklären. Er fordert, die aktuelle Förderung von Spitzenforschung zu hinterfragen – und schlägt vor, radikal umzusteuern.
Ein Gastbeitrag von Thomas Sattelberger
Hunderte Millionen Euro geben Bund und Länder aus, um Spitzenforschung an deutschen Universitäten zu fördern – in jeder Runde der heutigen Exzellenzstrategie, der früheren Exzellenzinitiative. Denn mit dieser gemeinsamen Strategie soll Deutschland als Wissenschaftsstandort fit für den internationalen Wettbewerb gemacht werden. Und gerade werden die Weichen dafür gestellt, mit welchen Forschungsvorhaben Deutschlands Hochschulen in den nächsten Jahren glänzen sollen.
Denn am 1. Februar 2024 wurde von der Exzellenzkommission entschieden, welche 41 von 143 eingereichten Anträgen in die nächste Runde kommen. Sie können nun einen Vollantrag stellen und weiter hoffen, ab 2026 als Exzellenzcluster großzügig mit Forschungsmillionen versorgt zu werden. Es geht um Schlüsselthemen gegen die Innovationsarmut dieses Landes und gegen staatlich gestützte, überwiegend introvertierte Forschung ohne Hoffnung auf mittel-bis langfristig kommerzialisierbare Innovation. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus. Denn leider hat die bisherige Exzellenstrategie nicht zu mehr Exzellenz geführt.
Wie Exzellenz in der Exzellenzstrategie weiter verkommt
Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) von Bund und Ländern hat schon Mitte 2023 beschlossen, von elf auf bis zu 15 Exzellenzuniversitäten aufzustocken. So könnten theoretisch fast alle Bundesländer bedient werden. Denn natürlich steckt hinter solchem Wachstum der Wunsch, das Funding-System noch mehr zu egalisieren. Erst recht bei den Exzellenzclustern. 143 Neu- und Fortsetzungsanträge sind eingegangen und gleichzeitig hat die GWK die Zahl förderungsfähiger Exzellenzcluster von 57 auf bis zu 70 erhöht.
Schon in den Koalitionsverhandlungen hatte ich mich gegen eine so drastische Ausweitung gewehrt. Der verheerende Spruch der ehemaligen Bremer Wissenschaftssenatorin Eva Quante-Brandt zu den Ergebnissen der damaligen Exzellenzinitiative „Die Spitze liegt in der Breite“ war und ist mir in allen Exzellenzdebatten, die eigentlich Exzellenzerosionsdebatten heißen müssten, allgegenwärtig.
Reformvorschlag gegen Erosion von Exzellenz liegt seit acht Jahren auf dem Tisch. Aktueller denn je!
Schon Ende Januar 2016 hat eine Expertenkommission – die Imboden-Kommission – in weiser Vorausschau weiterer Egalisierung und Verflachungsversuche einen Vorschlag zur weiteren Ausdifferenzierung der Hochschullandschaft vorgestellt. Demnach sollte die Politik den Titel Exzellenzuniversität anders vergeben und Unis nicht für Anträge für zukünftige Projekte, sondern für ihr bisher Geleistetes („Past Merit“) bewerten.
Eine Exzellenzprämie in Höhe von circa 15 Millionen Euro pro Jahr sollte demnach an die zehn besten deutschen Universitäten ausgeschüttet werden – und zwar ausschließlich aufgrund vergangener Forschungsleistungen, also ohne ein Antragsverfahren. In der medialen Wissenschaftsszene fand der Vorschlag Zustimmung. Doch gehört hat man auf Imboden und seine Expertenkommission nicht. Stattdessen hat man weitere acht Jahre über Exzellenz philosophiert und vergessen, dass der Wettbewerb in Wissenschaft, Forschung und Innovation nicht innerdeutsch, sondern international ist.
Die Positionierung der deutschen Hochschullandschaft in internationalen Rankings ist schlechter als nur Mittelmaß.
Wenn ich jetzt über die Position deutscher Universitäten in internationalen Rankings spreche, werden mir sofort deren Mängel in Qualität und Aussagekraft um die Ohren gehauen. Nichtsdestotrotz zelebriert jede deutsche Spitzenuniversität einen guten Platz im Ranking. Welch eine Bigotterie. Übrigens: Auch ich wäre froh, wenn das auf EU-Ebene geschlossene Bündnis „Coalition of Advancing Research Assessment“ (CoARA), das eine verlässliche Vergleichbarkeit von Forschungsleistung ermöglichen will, bei Reputation und Wirkkraft von Rankings in die Puschen käme. So aber bleibt nur der Blick auf die bisherigen Rankings:
- In den World University Rankings 2024 von Times Higher Education (THE) sind acht Universitäten aus Deutschland unter den Top 100: die beste deutsche Universität, die TU München auf Platz 30, gefolgt von LMU München (38), Universität Heidelberg (47), HU Berlin (87) RWTH Aachen (90), Universität Bonn (91), Charité (94) und Universität Tübingen (95).
- In den QS Rankings 2024 sind es nur noch vier: TU München (37), LMU München (54), Universität Heidelberg (87) und FU Berlin (98).
- Und in dem wohl weltweit führenden Shanghai Ranking von Sommer 2023 sind es ebenfalls nur vier: Universität Heidelberg (55), TU München und LMU München, gleichauf auf Platz 59 und Universität Bonn (67).
Zum Vergleich: Die zehnmal kleinere Schweiz hat im Shanghai Ranking fünf Universitäten unter den Top 100 und das um ein Viertel kleinere Großbritannien hat sieben unter den Top 100, davon vier unter den Top 50 und zwei unter den Top 10.
Auch der Stifterverband veröffentlichte dazu eine Studie, die aber leider nur die subjektiven Meinungen von Universitäts-Präsidentinnen und -Präsidenten wiedergibt. Also Stimmungsbarometer, anstelle evidenzbasierter Forschungsergebnisse. Der britische Nationalökonom David Ricardo, der nicht die eingebildete eigene Sichtweise, sondern den komparativen Wettbewerbsvorteil bzw. -nachteil im Blick hatte, wäre nicht so glücklich darüber.
Jenseits von Rankings und Stimmungsbarometern: Forschung zur Wirkungslosigkeit der Exzellenzinitiative bzw. -strategie
Verschiedene Forscherteams haben zwischen 2017 und 2020 die Effekte, den Impact der Förderung im Rahmen der damaligen Exzellenzinitiative (heute Exzellenzstrategie) auf die Forschung der jeweiligen Universität untersucht.
Die überwiegende Zahl der Forscher und Forscherinnen kam zum Ergebnis, dass die Förderung entweder keine Wirkung oder gar eine negative Wirkung entfaltete: von einem Rückgang der Publikationen je Forscher bis hin zu der Anzahl von Patenten der jeweiligen Institution. Bezogen auf Exzellenzcluster belegte eine Studie zwar einen positiven Effekt auf die Anzahl von Publikationen, jedoch keinen Effekt auf die Anzahl der Zitationen, den Anteil hoch zitierter Publikationen oder die Zahl der Patente je Forscher: eine Indikation für die mangelnde Qualität der Papers.
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Jetzt Mitglied werden!Eine spätere Untersuchung kommt zudem zu einem negativen Effekt. Bastian Krieger vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) fasst in seiner Studie „Heterogenous regional university funding and firm innovation – An empirical analysis of the German Excellence Initiative“ (2023) nicht nur bisherige Studien zusammen, sondern kommt auch zur Konklusion, dass die Förderung keinen klaren Effekt auf die Forschungsperformanz von Universitäten hat und einen potenziell schädlichen Effekt auf universitäre Patente aufweist.
Exzellenzcluster und ihr Beitrag zu Innovationsökosystemen
Immerhin kommt Krieger im empirischen Kern seiner Studie zum Ergebnis, dass die Förderung eines zusätzlichen Exzellenzclusters einer Universität in einer Wirtschaftsregion die Innovationswahrscheinlichkeit regionaler Firmen um 0,3 bis 0,9 Prozentpunkte erhöht.
Allerdings, und das ist forschungsstrategisch bedeutsam, ist dieser positive Effekt vor allem getrieben von Universitätsregionen, die mehr als drei Exzellenzcluster besitzen, und das sind in Deutschland die Wirtschaftsregionen Berlin und München. Ein weiterer Beleg für den im Evaluierungsbericht der Imboden-Kommission enthaltenen Reformvorschlag, den jetzt schon besten Universitäten eine millionenschwere Exzellenzprämie zukommen zu lassen und damit bisher gezeigte Forschungsperformanz („Past Merit“) zu honorieren, statt potenzieller Performance in der Zukunft.
Innovating Innovation
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Auch Spitzenuniversitäten wie beispielsweise die LMU in München, die sich an ihrer Spitze bisher bestenfalls zögerlich mit Transfer und Translation von Forschung in Wirtschaft befasst haben, müssen im Rahmen der aktuellen Exzellenzstrategie herausgefordert werden. Die Exzellenzkommission hat aktuell die Chance, Transfer als wichtiges Kriterium mit aufzunehmen. Transfer ist unter Innovationsaspekten mindestens so wichtig wie Frauen in der Führung.
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Deutsche Wissenschaftsmühlen mahlen langsam. Da der Ende November 2021 beschlossene Zeitplan der nächsten Wettbewerbsrunde unumstößlich in der Umsetzung ist (der Förderbeginn der Exzellenzcluster ist der 1.1.2026, der der Exzellenzuniversitäten der 1.1.2027) müssen für die wahrscheinlich darauffolgende Wettbewerbsrunde Ende der Zwanzigerjahre die Weichen schon heute radikal neu gestellt werden. Eine neue Evaluierungskommission mit begleitender Forschung muss jetzt – zehn Jahre nach dem Start der 1. Evaluierungskommission im September 2014 – von der GWK eingesetzt werden, um die Wirkung der Exzellenzstrategie zu analysieren und substanzielle Reformvorschläge vorzulegen.
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Die im Koalitionsvertrag vereinbarten ‚Innovationsregionen‘ um herausragende Universitäten herum (vergleichbar zu den 2012 eingeführten britischen University Enterprise) müssen und können rasch umgesetzt werden.
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