Der Staub hat sich gelegt nach der ersten IAA Mobility in München. Zeit für unseren freifahrt -Kolumnisten Sebastian Hofer, um mit kritischer Distanz auf die Autoschau, die eigentlich so viel mehr sein wollte, zurückzuschauen. Sein Fazit: Die IAA war ein Erfolg – allerdings nicht für die Autoindustrie. Eine Neuauflage in dieser Form braucht es aber auf keinen Fall. Neue Formate müssen her.
Eine Kolumne von Sebastian Hofer
Die Mobilitätsausgabe der Internationalen Automobilausstellung, die IAA Mobility, war ein voller Erfolg. Allerdings nicht so, wie sich die Veranstalter das wohl ausgemalt haben. Sie hat aufgezeigt, wie vielschichtig das Thema Mobilität tatsächlich ist. Wie groß der Interpretationsspielraum dieser sogenannten Zukunft der Mobilität ist. Wie viel man falsch machen kann. Das war sehr mutig. Wir sollten dem Verband der Automobilindustrie (VDA) dankbar sein. Das Thema Mobilität ist während der Messewoche endlich in der (Stadt-)Mitte der (Münchner) Gesellschaft angekommen – gerade auch durch das, was an den offiziellen Messestandorten nicht ausgestellt war.
Rückblickend waren mit dem Verlauf der IAA auch diejenigen zufrieden, die sich mit nachhaltiger Mobilität wirklich auskennen und sonst die Debatte vorantreiben, zum Beispiel Lola Löwenzahn, die Sprecherin des Aktionsbündnisses Sand im Getriebe. In Folge 61 meines Podcasts freifahrt fasst sie es so zusammen: „Ich war ziemlich gestärkt. Wir haben es gemeinsam mit den verschiedenen Protesten geschafft zu zeigen: Wir sind es, die über gerechte und ökologische Mobilität reden. Wir haben den gesellschaftlichen Diskurs massiv angestoßen, wie genau unser Verkehrssystem aussehen muss, damit es sozial, ökologisch ist und damit es uns eine Zukunft ermöglicht.“
Viel Skepsis und Kritik hat die IAA geerntet für die mangelnde Glaubwürdigkeit des inhaltlichen Richtungswechsels: Ein grüner Anstrich ändere nichts an den verschlissenen Motorteilen im Inneren, hieß es. Es sei genauso eine Mogelpackung wie die verheißungsvollen Plug-In Hybrid-SUVs. Sämtliche NGOs, die sich mit dem Thema Naturschutz und nachhaltiger Mobilitätswende beschäftigen, sind dem offiziellen IAA-Programm sogar ferngeblieben. Jens Hilgenberg, Leiter des Bereichs Verkehrspolitik beim BUND bringt es in derselben Podcast-Folge auf den Punkt: „ Wir geben nicht unseren Namen dafür her, dass hier Greenwashing betrieben wird! Das System kann man nicht verändern, wenn man auf einer Veranstaltung ist, die die Lobby des Systems selbst veranstaltet. Die IAA ist kein Ort, um über die Mobilität der Zukunft zu sprechen.“
Hier könnt ihr Folge 61 des freifahrt-Podcasts mit Lola Löwenzahn, Jens Hilgenberg und weiteren Gästen nachhören, die im Oktober 2021 erschienen ist.
Mehr Mobile als Mobility in der neuen IAA
Sollte man dank des angehängten „Mobility“ im Namen der diesjährigen IAA nicht meinen, dass es schwerpunktmäßig auch um Mobilität im Sinne von Mobility-as-a-Service geht? Also um die bedarfsmäßige, digital aggregierte Form von multimodaler Mobilität jenseits des privaten PKW als default Verkehrsmittel? Um Nutzen statt Besitzen? Um die Erfüllung eines alltäglichen Bedürfnisses statt um Statussymbole? Sollte man. Aber mal Hand aufs Herz: wie viel Mobilität war unter der neuen Haube?
Tatsächlich ging es trotz des neu angekündigten Konzepts sowohl auf dem Messegelände als auch auf den verschiedenen Open Spaces in der Münchner Innenstadt und den als Blue Lane bezeichneten Teststrecken um Mobilität im Sinne von Mobilen, also von Fahrzeugen. Den Höhepunkt im doppelten Sinne bildete dabei Mercedes mit der Präsentation eines Technologie-Monstrums namens AMG EQS 53 4Matic+ mit 761 PS. Ob diese Leistung elektrisch oder von toten Dinos kommt, ändert nichts an der energetischen Unverhältnismäßigkeit.
Dass Mercedes das anders sieht und sich damit selbst lächerlich macht, zeigte der Stand auf dem Odeonsplatz inmitten der Münchner Innenstadt. Gebettet auf Rasen standen hier die vermeintlich klimafreundlichen Zukunftsautos in künstlicher Natur, um die angestrebte CO2-Neutralität der Neufahrzeugsflotte bis 2039 mit allerlei Schildern und Behauptungen zu untermauern. Apropos, nur zu gerne wüsste ich den Materialeinsatz dieses Betonmonsters und die immerhin von der Messe München verpflichtend kompensierten CO2-Emissionen.
In einer Welt, die sich durch die Demonstration purer Stärke definiert, erscheint es vermutlich als eine gute Idee, sämtliche Zweifel über die Ernsthaftigkeit des Konzerns im Keim zu ersticken. So historisch die zugestellten Plätze, so archaisch ist die Idee solcher Autos. Da hilft es auch nicht, dass so ziemlich jeder Stand mit den Begriffspaaren „Zukunft“ und „Mobilität“ kokettiert hat. Und erst recht nicht, mit einer Kunstinstallation abzulenken, welche „die sich verändernden Naturkräfte und so die Dynamik unseres Ökosystems symbolisiert“.
Stärke in Form von bulligem Design zu präsentieren, verstehen auch die Münchner Kompagnons von BMW. Mit dem Konzept BMW i Vision Amby interpretieren sie Fahrradmobilität dann markenkonsequent aus Sicht eines Motorrads und übertragen nicht nur das kraftstrotzende Design, sondern auch die übermäßige Motorisierung auf ein Fahrrad. Im Kontrast dazu eher leise präsentiert der Heidelberger e-Bike Hersteller Coboc sein Circular Concept und wendet Teile des Cradle-to-Cradle Prinzips auf die Produktentwicklung und den Lebenszyklus eines Fahrrads an. Tatsächlich macht sich BMW diese Gedanken auch, jedoch leider nur auf vier Rädern und crasht aufgrund des Ziels, Nachhaltigkeit und Luxus kombinieren zu wollen, auf den ersten Blick ordentlich gegen die Grundpfeiler der Suffizienzstrategie.
Stichwort Suffizienzstragie: Einen weiteren Abzug in der B-Note gibt es für die gesamte IAA, wenn man nach einem echten Kontrastprogramm zu all den SUVs sucht – nach Fahrzeugen also, die zweckmäßig und ressourcenbewusst gestaltet wurden und nicht luxuriös und protzig. Konzepte aller Art gab es wie immer, doch leider fand sich kein serienreifes Fahrzeug der etablierten Automobilkonzerne. Doch Konzepte retten nicht die Erde. Erst wenn serienreife Produkte in dieser Kategorie vorgestellt und verkauft werden, gewinnt diese Industrie für mich an Glaubwürdigkeit in Sachen Mobilitätswende. (Eine schöne Übersicht der vielversprechendsten Fahrzeuge hat 1E9 übrigens bereits zusammengestellt.)
Mobile zweiter Klasse werden zum Highlight – überschattet vom Polizeieinsatz
Mein persönliches Highlight war wider Erwarten nicht das Riesenrad am Königsplatz, sondern war im Schatten des opulenten Mercedes-Sterns am Odeonsplatz nebenan im Hofgarten zu finden. Erst hinter einer Mauer war hier ein Teil der breitschultrig angekündigten Fahrradmarken zu finden. Von dem Prunk der Automarken auf all den prestigeträchtigen Plätzen des Open Space in der Innenstadt fehlte vor allem wegen der einheitlich anmutenden Pavillonzelte jede Spur. Ähnlich war es mit der Fahrradausstellung am Messgelände, wenngleich die Verortung in den Hallen B5 und B6 darin begründet war, dass das Testgelände direkt am Ausgang Ost dahinter war. Der Eindruck von Mobilen zweiter Klasse bleibt.
Erstaunlicherweise wandelte sich mein Eindruck später aber, da die Stände in den beiden Hallen nichts von der überschwänglichen, zukunftsheischenden und visuell lauten Atmosphäre der anderen Hallen hatten. Sie empfingen einen mit einer angenehmen Luftigkeit. „Die meisten Aussteller haben hier einheitliche und modulare Paketstände des Tochterunternehmens Meplan der Messe München verwendet, die wiederverwendet werden können. Wir wollten möglichst viel Müll vermeiden. Außerdem war es für alle Aussteller auf dem Open Space, sowohl Fahrrad als auch Auto, verpflichtend, die verursachten Emissionen der Stände zu kompensieren“ , erklärt mir Bastian Dietz, der verantwortliche Manager bei der Messe München für die Fusion der Fahrradwelt mit der IAA Mobility. Weniger ist also auch hier mehr.
Leider galt dieses Motto nicht bei der Polizeipräsenz. Dr. Markus Büchler, grüner Abgeordneter des bayerischen Landtag kritisierte ebenfalls in Podcast Folge 61 scharf den Einsatz der Polizei, der sich durch hartes Vorgehen gegen vermeintliche Störer*innen und die entsprechenden Bilder auszeichnete.
Ob sich diese Vorwürfe bewahrheiten, wird nun im Rahmen einer Aufarbeitung der Polizeieinsätze geklärt, welche die Grünen im bayerischen Landtag fordern.
Hier könnt ihr Folge 61 des freifahrt-Podcasts mit Dr. Markus Büchler und weiteren Gästen nachhören, die im Oktober 2021 erschienen ist.
Ich frage mich, was es über die IAA Mobility aussagt, wenn diese durch 4.500 Polizeibeamtinnen jeden Tag begleitet, geschützt, verteidigt werden muss? Was schafft es für eine Stimmung, wenn vom Hauptbahnhof bis zum Messegelände gefühlt an jeder Straßenecke Polizistinnen in Kampfmontur stehen?
Welch ein Widerspruch: Es geht um etwas, das uns alle jeden Tag berührt und doch führt die Art der Präsentation zu einer Menge Unmut und Spaltung. Nun ist das im Sinne der demokratischen Grundidee ja grundsätzlich wünschenswert, wäre da nicht die Unverhältnismäßigkeit der polizeilichen Maßnahmen gewesen. Schlagstöcke und Pfefferspray, das Bilden eines Kessels um Demonstrierende waren die Antworten auf Kletterer in Bäume und das Verlassen des Klimaschutzcamps auf der Theresienwiese. Menschen mit Sprühkreide wurden ebenso festgenommen wie Journalist*innen, die nicht journalistisch genug aussahen. Die absolute Höhe der Unverhältnismäßigkeit war, dass der Nachhaltigkeitsreferent der Stadt Bremen, der auf einer Podiumsdiskussion auf der Konferenz angeblich zu kritische Inhalte zu SUVs verbreiten wollte, ebenso von Sicherheitskräften festgehalten wurde.
Noch nicht einmal Nazidemos werden mit ähnlichem Polizeiaufgebot kontrolliert.
Die begleitende Konferenz war zumindest gut gemeint
Und dann gab es neben der eigentlichen (Auto-)Mobilausstellung, der Blue Lane und den Open Spaces eben auch noch die IAA Mobility Konferenz. Mein Fazit dazu fällt schnell und einfach aus: Gut gemeint, aber thematisch einseitig umgesetzt. Der Großteil der von der IAA selbst organisierten Sessions behandelte wohlklingende Themen zu allerlei Technologien, Geschäftsmodellinnovationen und Elektromobilität und stellte das Auto in den Mittelpunkt.
Zur Erweiterung des inhaltlichen Horizonts hatte sich der VDA dieses Jahr darüber hinaus einige Kurationspartner ins Boot geholt, wie zum Beispiel Women in Mobility, Bitkom, das World Economic Forum oder die Universität St. Gallen. Ich selber war für zwei Sessions beauftragt und kann für mich sagen, dass ich vollständig freie Hand bei der Auswahl der Themen und Gäste hatte. Einzige Kritik von mir ist, dass ich leider erst zehn Minuten vor Beginn einer Fishbowl-Session am Samstag informiert wurde, dass es weder möglich war, die Bestuhlung kreisförmig aufzubauen noch einen freien Platz für das Publikum zu organisieren und somit der Kern des Formats zerstört wurde.
Am Sonntag wiederum konnte ich die geplante systemische Aufstellung zum Thema Mobilitätsgerechtigkeit mit meiner Co-Moderatorin Carolin Goethel trotz einiger organisatorischer Hürden erfreulicherweise durchführen. Mit dem Ergebnis, dass sich alle Beteiligten emotional berührt fühlten und inspiriert waren, mal nicht nur klug auf einem Panel diskutiert und nachher außer vieler Worte kaum etwas ausgetauscht zu haben.
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Jetzt Mitglied werden!Meine Hypothese war und ist, dass wir andere Themen und Formate brauchen als Anzug- und Kostümträger*innen, die mit Marketingsprech auf Bühnen sitzen und sich gegenseitig auf die Schulter klopfen. Warum ist es so, dass Themen wie das zu Fuß gehen, lebenswerte Parkflächen, das menschliche Maß, Partizipationsmethoden und ländliche Mobilität nicht attraktiv genug zu sein scheinen, um in den Mittelpunkt solch einer internationalen und einflussreichen Konferenz gestellt werden? Warum muss dafür extra ein Kongress von der Stadt München selbst organisiert werden?
Die Autoindustrie kann nicht Rückgrat der Transformation sein
Eine neue, zukunftsfähige und nachhaltige Art der Mobilität lebt vor allem von weniger Konsum. Mir ist auch klar, dass das erstmal weniger attraktiv klingt als geballte 761 PS Elektropower, Technologie, die einen beim Menschsein hilft, oder das Versprechen, dass wir mit Elektroantrieben so weitermachen können wie immer.
Genau das brachte dankenswerterweise auch Constantin Schwab, der CEO von Wirelane, sehr deutlich auf den Punkt. Auf dem Abschlusspanel des Citizens Lab auf dem Marienplatz konfrontierte er damit Hildegard Müller, die Verbandspräsidentin des VDA, also einer Industrie, welche durch Konsum reich geworden ist. Ob diese Industrie ein Teil der Transformation sein kann, das ist Gegenstand der vielfältigen Debatten rund um das Thema und auch Grund für die massiven Proteste während der IAA. Das Rückgrat der Veränderung kann sie mit ihrer Vergangenheit, mit ihren Werten und Praktiken sicherlich nicht sein. Der Spagat und die konzerneigene Trägheit sind einfach zu groß für die notwendige Veränderungsnotwendigkeit hin zu Klimaschutz und dem respektvollen Umgang mit Ressourcen aller Art.
Mir geht es um eine wertegetriebene Auseinandersetzung mit der IAA. Genauso wenig wie Twitter oder Facebook sich freimachen können von der Verantwortung der Inhalte auf ihren Plattformen, so kann der VDA sich nicht freimachen davon, welchen Eindruck solch eine Premiere hinterlässt und welche Begehrlichkeit sie bei Konsument*innen weckt. Da ist es meiner Meinung nach nur konsequent, dass die Münchner Regierung sich vor ihre Bevölkerung stellt und laut dem OB Reiter solch eine Darbietung in zwei Jahren nicht wieder zulässt: „Das, glaub ich, wird’s nicht mehr geben beim nächsten Mal.“
PS: Ach und lieber VDA, kennt ihr eigentlich das Motto wahrer Naturschützer „leave no trace”?
Alle Folgen der freifahrt-Kolumne findet ihr hier.
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