In vielen Gegenden der Welt ist das Wasser knapp. Der Klimawandel verstärkt dieses Problem zusätzlich – auch in den Industrienationen. Eine Lösung? Wasser einfach aus der Luft ziehen. Das geht. Und zwar auch ohne den Einsatz von Strom. Das zeigen nun Forscher aus der Schweiz, die ihre Idee für den Nachbau freigeben.
Von Michael Förtsch
Auf dem Dach des Departements für Maschinenbau und Verfahrenstechnik der Eidgenössischen Technische Hochschule Zürich stand im August 2019 ein ziemlich merkwürdiges Gerät. Es erinnerte beim ersten Blick wohl etwas an eine Klimaanlage. Oder vielleicht an den Teil eines Belüftungssystems für die Büros und Labors. Denn es bestand aus einem glänzenden Trichter, der auf einer ebenso glänzenden Schatulle thronte, die mit einigen dünnen Schnüren vor dem Umfallen und Wegwehen gesichert wurde. Hier und da verliefen zudem einige Kabel, die zu Mess- und Sensorgerätschaften gehörten. Allerdings war und ist diese Konstruktion, die mittlerweile nicht mehr auf dem Dach zu finden ist, eben kein Klima- oder Lüftungsgerät. Stattdessen handelt es sich um eine Maschine, die Wasser aus der Luft gewinnen kann – und damit eines der größten Probleme der kommenden Jahrzehnte adressieren könnte.
Rund 71 Prozent unseres Planeten sind mit Wasser bedeckt. Daher wirkt es schon fast absurd, dass in manchen Teilen der Welt das Wasser knapp ist. Jedenfalls das Süßwasser, das Menschen, Tiere und Pflanzen zum Überleben brauchen. Aber genau so ist es. Etwas mehr als zwei Milliarden der 7,83 Milliarden Menschen auf unserem Planeten haben keinen gesicherten Zugang zu sauberem Trinkwasser. Und 500 Millionen Menschen leben in Regionen, in denen Wasser nahezu das ganze Jahr knapp ist. „Das globale Bevölkerungswachstum und der Klimawandel werden diese Zahl rapide in die Höhe treiben“, sagt Iwan Haechler gegenüber 1E9, der den Wasserapparat zusammen mit einem kleinen Team konstruiert hat. Das betrifft nicht nur Entwicklungsländer, sondern auch Industriestaaten wie die USA, die EU-Länder, Australien und aufstrebenden Technologie-Nationen wie Indien.
Trinkwasser zu erzeugen, ist eine Herausforderung. Das Entsalzen von Meerwasser ist aufwendig, energieintensiv und nicht überall machbar. Für das Bohren nach Grundwasser und Anlegen von Brunnen gilt das gleiche – und das Bauen von Brunnen kann sogar verehrend sein. In Jakarta, zum Beispiel, wurden über die letzten Jahre so viele Brunnen gegraben, dass die Stadt langsam im Erdboden einsinkt, da das Abpumpen des Wassers große Hohlräume im Boden verursachte.
Aber: In der Luft befindet sich jede Menge Wasser, das ohne große Probleme genutzt werden könnte. Selbst in der trockensten Wüstenluft ist es enthalten und müsste nur herausgefiltert werden. Und genau das tut der sonderbare Apparat der ETH Zürich.
Wasser aus der Luft – ohne Stromverbrauch
Bei der Konstruktion der Schweizer Forscher handelt es sich, um ganz genau zu sein, um das was als atmospheric water generator bezeichnet wird. Solche Geräte werden bereits von zahlreichen Start-ups rund um die Welt gebaut. Beispielsweise vom schwedischen Unternehmen Drupps, das große Anlagen baut, in denen Metallelemente heruntergekühlt werden, an denen das Wasser aus der Luft kondensiert, das mit großen Lüftern durch die Geräte gezogen wird. Die kleinste der Anlagen, die beispielsweise auf dem Dach eines Bürobaus installiert werden kann, soll bis zu 10.000 Liter pro Tag erzeugen.
Das US-Unternehmen Zero Mass Water setzt auf das gleiche Konzept. Jedoch verpackt es die Kühlelemente in große Paneele. Der Strom, um sie auf eine niedrige Temperatur zu bringen, wird mittels eingepasster Solarzellen erzeugt. Genau die gleiche Idee setzt auch das indische Unternehmen Uravu um. Hier sollen sich mit einem Paneel bis zu fünf Liter pro Tag einfangen lassen. Die Technik in diese Anlagen ist alles andere als revolutionär oder neu. Wer schon mal einen Wasserschaden in der Wohnung oder einen nassen Keller hatte, kennt sie: Denn dort werden dann Entfeuchter aufgestellt. Die funktionieren nach exakt diesem Prinzip.
Und auch die Schweizer Apparatur setzt auf dieses Kondensationsprinzip. „Diese Systeme verwenden denselben Ansatz wie unser System“, sagt Iwan Haechler über diese Start-up-Entwicklungen. „[Das aktive Kühlen ist eine] sehr interessante Methode, die natürlich größere Mengen Wasser generieren kann. Im Gegenzug wird jedoch auch Energie benötigt – alles hat einen Preis auf dieser Welt.“ Und genau hier steckt die Innovation der Schweizer. Denn im Gegensatz zu den Entfeuchter von Drupps, Zero Mass Water oder Uravu kommt sie ganz ohne Strom aus. Sie funktioniert vollkommen passiv und absolut lautlos – und soll dadurch so wenig Ressourcen verwenden wie möglich.
Machbar ist das durch eine selbstkühlende Oberfläche, die die Schweizer entwickelt haben. Nämlich eine kleine Glasscheibe, die Sonnenstrahlung nicht absorbiert und Wärmestrahlung als Infrarotstrahlung abgibt, die von der Atmosphäre nicht aufgenommen oder auf die Scheibe zurück reflektiert wird – radiative cooling nennt sich das. Möglich ist das durch eine komplexe Beschichtung aus Silber und Polymerstrukturen. „Diese Eigenschaften erlauben [der Glasscheibe], selbst im Tageslicht kühler als die Umgebungstemperatur zu sein“, sagt Nano- und Materialwissenschaftler Thomas Schutzius, der an dem Projekt mitgewirkt hat. Die Scheibe kann bis zu 15 Grad Celsius kälter sein als alles um sie herum.
Es spricht nichts dagegen, das System überall dort einzusetzen, wo Feuchtigkeit vorhanden und Trinkwasser nötig ist.
Thomas Schutzius
Verstärkt wird die Wirkung der Scheibe durch ein Strahlungsschild, den schimmernden Trichter. Der hält einerseits Wärme und Sonnenlicht ab und lenkt die Abstrahlungen der Scheibe in die Höhe. Durch den immensen Temperaturunterschied kondensiert Wasser in der Luft unmittelbar auf der Glasplatte. Um dieses Wasser auch auffangen zu können, haben die Forscher eine weitere Beschichtung aus Teflon und Kohlenstoffnanoröhrchen entwickelt. Die ist „superhydrophob“, weißt Wasser also ab und lässt es abtropfen.
Eine alte Idee neu gedacht
Die Technik der ETH-Zürich-Forscher hat einen Ahnen. Denn bereits im alten Byzanz und Griechenland wurden sogenannte Luftbrunnen entwickelt. Bei diesen wurde Luft gezielt durch unterirdische Gänge oder verschattete Gebäude gelenkt, in denen sich dann Wasser an den kühlen Oberflächen ablagerte und in kleinen Rinnen floss. Solche Luftbrunnen wurden bis in die Moderne gebaut. Konstruktionen aus dem 20. Jahrhundert wie die des Ingenieurs Achille Knapen finden sich heute etwa noch in Belgien, Frankreich und der Schweiz. Allerdings ist die Wasser-aus-der-Luft-Maschine der Wissenschaftler von der ETH Zürich um ein Vielfaches effektiver.
Mit einer ein Quadratmeter großen Scheibe könnte durchschnittlich pro Tag bis zu ein Liter Wasser gewonnen werden. Unter idealen Bedingungen etwas mehr, unter weniger idealen Bedingungen etwas weniger. Essenziell sei, sagt Thomas Schutzius, dass „wir gezeigt [haben], dass [das System] am Tag und in der Nacht Wasser erntet“. Und das eben ohne jeglichen Einsatz von Strom. Natürlich ist ein Liter nicht genug, um einen Haushalt, ein Dorf oder eine Stadt zu versorgen. Aber wie auch bei Solar- und Windparks kann so ein System skaliert werden. „Selbstverständlich könnte der Durchmesser [der Platte] erhöht werden“, sagt Iwan Haechler. „Die andere Option wäre, dass man mehrere Systeme nebeneinander stellen würde.“
Laut Thomas Schutzius könne mit genügend Daten ein System durchaus für eine Gemeinde oder einen anderen Einsatzzweck maßgeschneidert werden. „Man müsste die Details der Umgebung kennen, insbesondere die Luftfeuchtigkeit, um zu bestimmen, wie viel Wasser geerntet werden kann“, sagt er. Derzeit sei das Team hinter der Wassermaschine dabei, zu ermitteln, in welchen Umgebungen und wofür die Technik am sinnigsten und gewinnbringendsten genutzt werden könnte. Grundsätzlich, meint Schutzius, „spricht aber nichts dagegen, das System überall dort einzusetzen, wo Feuchtigkeit vorhanden und Trinkwasser nötig ist“.
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Das Team der ETH Zürich hatte in den letzten Monaten bereits Gespräche mit mehreren Initiativen und Interessenten, die die Wassermaschine gerne testen und einsetzen würden. „Wir hatten Kontakt mit Leuten aus Mexiko, Bahrain, Indien und einem ehemaligen UNICEF- und WHO-Mitarbeiter aus Haiti“, sagt Haechler. Aber nicht nur in Entwicklungsländern, Gegenden mit Extremklima oder Katastrophengebieten sehen die Schweizer einen möglichen Einsatz ihrer Entwicklung. Auch in modernen Industriestaaten könnte sie genutzt werden. „Ein gutes Beispiel ist die Schweiz, welche jährlich um circa 70.000 Einwohner wächst“, sagt Haechler. „Aufgrund dieses Wachstums werden täglich 18 Millionen Liter mehr Wasser benötigt – zu den riesigen bereits jetzt benötigten Mengen.“
Wir hatten Kontakt mit Leuten aus Mexiko, Bahrain, Indien und einem ehemaligen UNICEF- und WHO-Mitarbeiter aus Haiti.
Iwan Haechler
Derartigen Prognosen kann natürlich mit bekannten Trinkwasserproduktionsmethoden wie Entsalzungsanlagen und Grundwasserförderung begegnet werden. Aber die sind eben energieintensiv und, wenn nicht auf erneuerbare Energien gesetzt wird, ein Klimawandeltreiber. Dass in Zukunft daher riesige Felder mit ihrer Erfindung eingedeckt werden, um Wasser zu gewinnen, das glauben Haechler und Schutzius trotzdem nicht. „Dennoch bin ich überzeugt, dass solchen passiven Technologien aufgrund der zukünftigen Energieversorgung, Ressourcenknappheit und des Bevölkerungswachstums eine riesige Bedeutung zukommen wird“, meint Haechler. „Auch in Industriestaaten.“
Die Schweizer wollen ihre Wassermaschine übrigens nicht selbst im großen Maßstab oder in großer Stückzahl bauen – oder als Produkt vermarkten. „Wir hatten bereits einige Anfragen bezüglich einer Weiterentwicklung“, sagt Haechler. Aber sowohl er als auch seine Mit-Entwickler wollen daran kein Geld verdienen. Jedoch können Unternehmen oder auch gemeinnützige Institutionen und Gruppen ihre Idee aufnehmen und verwerten. „Wir haben das atmospheric water harvesting device nicht patentiert“, erklärt Schutzius. Alle Details und Informationen zum Nachbau fänden sich in der Studie, die einfach heruntergeladen werden kann. Das alles sei damit de facto open source . Und wenn eine Hilfsorganisation oder eine gemeinnützige Initiative ihre Unterstützung brauche, helfen die Forscher gerne weiter.
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