Saudi-Arabien plant den längsten Wolkenkratzer der Welt – und er bietet Katastrophenpotential

In Saudi-Arabien soll ein riesenhafter Wolkenkratzer entstehen. Er soll sich 120 Kilometer vom Meer bis in die Wüste ziehen – und dadurch das mit weitem Abstand größte Gebäude der Welt werden. Bereits 2030 sollen in ihm mehrere Millionen Menschen leben. Experten fürchten, dass solch ein Moloch zur Katastrophe werden könnte.

Von Michael Förtsch

Bereits vor vier Jahren hat die Regierung von Saudi-Arabien den Bau der High-Tech-Stadt Neom angekündigt. Mit ihr soll um und am Golf von Akaba eine Heimat für Start-ups, Weltkonzerne, Bildungseinrichtungen und eine wachsende Bevölkerung entstehen. Smart und betrieben durch erneuerbare Energien soll Neom werden, das mehrere dedizierte Bestandteile umfassen soll. Darunter Oxagon, einen Bezirk für Fabriken und Industrieunternehmen, oder Trojena, eine Region, die dem Tourismus gewidmet werden soll. Nun hat der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman angekündigt, dass eine im vergangenen Jahr als The Line vorgestellte Planstadt im Rahmen des Neom-Projektes nun als das sowohl längste als auch größte Gebäude der Welt umgesetzt werden soll.

Die Stadt – besser gesagt: einer der Stadtbestandteile von Neom – namens The Mirror Line soll aus zwei parallel zueinander verlaufenden Wolkenkratzern bestehen, die bis zu 490 Meter hoch und 120 Kilometer lang werden sollen. Die voll-verglasten Außenseiten sollen The Mirror Line gleich einem riesigen Spiegel wirken lassen, der von der Küste in die Wüste hinein verläuft. Die zusammen 200 Meter breiten Wolkenkratzer sollen durch breite Brücken und Stege miteinander verbunden sein. Der Freiraum zwischen ihnen soll Platz für öffentliche Parks, kleine Seen, Flüsse und auch ein Sportstadion bieten. Aufgrund der Verschattung soll sich zwischen den Gebäuden ein angenehm kühles Mikroklima bilden. Funktionieren soll The Mirror Line offenbar nach dem Vorbild einer Arkologie, einer zumindest partiell autarken Stadt, die gänzlich in einer abge- oder umschlossenen Struktur untergebracht ist.

Insgesamt soll der Megabau rund neun Millionen Einwohnern ein Zuhause bieten – ebenso wie Platz für Büros, Forschungs-, Lehr- und Produktionseinrichtungen. Binnen fünf Minuten soll jede wichtige Einrichtung zu Fuß erreichbar sein. Für einen schnellen Transport über große Entfernungen soll ein Netz aus Hochgeschwindigkeitszügen- und Aufzügen sorgen. Klassische PKW sollen nutzbar sein – aber nur, wenn diese mit einem Elektro- oder Wasserstoffantrieb ausgestattet sind. Die für den Betrieb der Stadt nötige Energie soll teilweise vor Ort erzeugt werden. Geplant wird The Mirror Line vom US-amerikanischen Architekturbüro Morphosis Architects, das bislang vor allem mit Universitätsbauten wie der Bill & Melinda Gates Hall an der Cornell University oder dem Bloomberg Center an der Cornell Tech für Aufsehen sorgte.

Probleme vorprogrammiert

Das Neom-Projekt ist seit seiner Ankündigung heftig umstritten. Unter anderem, weil für dessen Umsetzung zahlreiche Nomadenstämme umgesiedelt werden müssten. Ebenso fürchten Naturschützer drastische Eingriffe in die regionalen Ökosysteme und die Zerstörung von Naturdenkmälern. Auch an The Mirror Line gibt es Kritik. Unter anderem befürchten einige Forscher, dass ein solch riesiger Bau das lokale Klima und Wetter nachhaltig beeinflussen könnte. Beispielsweise, indem die über 400 Meter hohe Struktur kühle Meereswinde abschwächen könnte. Die spiegelnde Fassade könnte durch die Reflexion des Sonnenlichtes das bereits sehr warme Umland zusätzlich aufheizen. Dazu befürchten Naturforscher, dass das Bauwerk die Zug- und Wanderpfade von Vögeln und anderen Tieren blockieren wird.

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Auch Architekten zweifeln an dem megalomanischen Bau, wie The Wall Street Journal berichtet. Beispielsweise könnte ein solch durchgehender Bau im Falle einer Katastrophe zu kaum vorhersehbaren Herausforderungen führen. Zum Beispiel, was die Ausbreitung von Feuer oder strukturelle Schäden im Falle eines Erdbebens betrifft. Zudem ließe sich ein solches Gebäude wohl kaum in angemessener Zeit evakuieren. Auch was die Versorgungssicherheit betrifft, gibt es Fragezeichen. Sollten etwa Versorgungssysteme entlang der schmalen Struktur beschädigt werden, könnten Hunderttausende von Wasser, Transport und Elektrizität abgeschnitten werden. Bislang wurden diese Kritikpunkte nicht adressiert.

Laut den Planern soll die Umsetzung des Konzeptes schnell vorangetrieben werden. Bereits 2030 soll The Mirror Line fertiggestellt werden. Ingenieure zweifeln jedoch, dass das machbar ist. Laut Experten benötige ein solch gigantisches Projekt womöglich 50 Jahre und mehr. Kosten soll die Konstruktion von The Mirror Line zwischen 500 Milliarden und einer Billion US-Dollar.

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