Bei Schlüsseltechnologien will Europa weniger von den USA oder China abhängig sein. Das gilt auch für Internet aus dem All, weshalb die EU den Bau einer eigenen Satellitenkonstellation vorantreibt. Daneben ist auch ein kommerzielles Netzwerk in der EU in der Planung: Rivada Space Networks aus München und Berlin will innerhalb weniger Jahre eine Konstellation aus 600 Satelliten aufbauen. Das Projekt zeigt auch die offenen Flanken der europäischen Raumfahrtindustrie.
Von Wolfgang Kerler
Ob im Krieg, zur Unterstützung von Protesten oder bei Naturkatastrophen: Aus dem Erdorbit können ganze Regionen selbst in Extremsituationen ans Internet angeschlossen werden. Starlink beweist das schon jetzt. Der Dienst von SpaceX versorgte sowohl das ukrainische Militär als auch die Protestierenden im Iran oder die Bevölkerung in deutschen Hochwassergebieten. Und das, obwohl Starlink bislang mit nur knapp Dreieinhalbtausend Satelliten betrieben wird. Von geplanten 40.000.
Internet aus dem All hat also sicherheitspolitische Bedeutung – und dürfte außerdem ein Riesengeschäft werden. Deshalb wollen neben SpaceX längst andere Unternehmen und Staaten eigene Satellitenkonstellationen in niedrigen Umlaufbahnen um die Erde errichten: der amerikanische Internetkonzern Amazon, die China Satellite Network Group, die Hanwha Group aus Korea oder das britisch-indische Unternehmen OneWeb, das mit der französischen Firma Eutelsat fusionieren soll.
Die Europäische Union wiederum hat für sich entschieden, dass sie bei einer derartigen Schlüsseltechnologie unabhängig sein will, nicht zuletzt von den persönlichen Launen von SpaceX-Chef Elon Musk. Sie beschloss im November 2022 den Bau einer eigenen, IRIS2 genannten Konstellation. „Historisch“ nannte das EU-Kommissar Thierry Breton. Bis 2027 soll IRIS2 einsatzfähig sein und sechs Milliarden Euro kosten, von denen 2,4 Milliarden aus dem EU-Haushalt kommen. Bald sollen erste Aufträge vergeben werden.
Etwas im Schatten all dieser staatlichen und kommerziellen Projekte bereitet auch eine Firma mit Sitz in der EU, genauer: in München und Berlin, den Bau von Satelliten, die Buchung von Raketenflügen und den Betrieb einer eigenen Konstellation vor. Rivada Space Networks will nach einem ersten Start im Jahr 2024 bis Mitte 2028 ein Netzwerk aus 600 Satelliten aufbauen. Die Hälfte davon soll schon zwei Jahre vorher den gesamten Globus mit Internet abdecken.
Ein Netzwerk für Unternehmen und Regierungen – ohne Infrastruktur auf der Erde
Die Zielgruppe von Rivada ist eine etwas andere als bei Starlink, das sich sowohl an Privat- als auch an Großkunden richtet. „Wir werden kein Internet für Endkunden anbieten“, erklärt Clemens Kaiser, einer der Geschäftsführer, im Gespräch mit 1E9. „Uns geht es um hochvolumige Konnektivität mit 100 Megabit bis ein Gigabit pro Sekunde für Unternehmen und Regierungen.“ Rivada werde also Maschinen mit Maschinen und Unternehmen mit Unternehmen verbinden.
Förderanlagen im entlegenen Kanada könnten über die Rivada-Konstellation genauso angebunden werden wie Flugzeuge, Ölbohrplattformen oder autonome Containerschiffe. Auch für die Kommunikation von Regierungen oder Sicherheitskräften würden sich die Dienste eignen. Um schwer zugängliche Regionen wie die Arktis oder die Antarktis abzudecken, werden in diesen Bereichen inzwischen zunehmend kommerzielle Systeme eingesetzt.
Technisch sieht Kaiser die künftige Rivada-Konstellation durch den Einsatz von Lasertechnologie, um die Satelliten miteinander zu verbinden, besonders gut gerüstet für Anwendungen, die besonders hohe Sicherheit erfordern. Bisherige Konstellationen brauchten noch Gateways auf der Erde, um die Satelliten anzusteuern und die Signale wieder herunterzuschicken, erklärt er. „Sie überbrücken eigentlich nur die letzte Meile im Orbit.“ Das Problem daran: Infrastruktur auf dem Boden sei angreifbar.
Rivada dagegen, sagt Kaiser, werde für sein Netzwerk keine Sendeanlagen auf der Erde brauchen. „Wir verbinden die Satelliten mit optischen Laserlinks, damit wir vollkommen unabhängig von terrestrischer Infrastruktur Punkt-zu-Punkt-Verbindungen anbieten können.“ Für künftige Generationen ihrer Konstellationen planten SpaceX oder OneWeb das auch. „Wir werden aber die ersten sein“, so Kaiser.
Internet aus dem All ist ein hochpolitisches Geschäft
Ein Teil des Teams von Rivada Space Networks, inklusive Clemens Kaiser, arbeitete bis vor einem Jahr noch für ein anderes Unternehmen mit Sitz in Deutschland – für KLEO Connect, das seit 2017 ganz ähnliche Pläne verfolgte: den Aufbau einer Satellitenkonstellation, die von Firmen und Regierungen genutzt werden kann. Der wichtigste Geldgeber, der sich die Mehrheit am Unternehmen sicherte, stammte aus China.
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Jetzt Mitglied werden!Lange war das unproblematisch. Doch im Laufe der Zeit gewann der technologische Wettstreit zwischen den USA, China und zunehmend auch Europa an Schärfe. Gerade, wenn es um Kommunikationsinfrastruktur geht, werden Verbindungen nach China von westlichen Regierungen und Behörden inzwischen kritisch gesehen. „Angesichts der geopolitischen Entwicklungen war deswegen eigentlich kein Fortschritt mehr möglich“, meint Kaiser.
Völlig geräuschlos verlief der Neustart mit Rivada Space Networks Anfang 2022 dann erstmal nicht. Es gab Streit darüber, wer eigentlich Zugriff auf die Frequenz-Lizenzen für die künftige Satellitenkonstellation hat: die immer noch bestehende Firma KLEO, aus der das ehemalige Gründerteam ausgestiegen war, oder die neue Firma Rivada Space Networks?
Inzwischen sei die Lage geklärt, sagt Kaiser. Rivada Space Networks könne die Lizenzen nutzen und seine Konstellation errichten. Ein rein europäisches Projekt wird diese aber auch im zweiten Anlauf nicht. Denn Kaisers neues Unternehmen, das in Deutschland sitzt und von hieraus sein Netzwerk betreiben will, ist eine Tochterfirma des amerikanischen Kommunikationskonzerns Rivada Networks. Dessen Gründer, Declan Ganley, sprang ein, als chinesische Investoren keine Option mehr waren.
„Das Projekt ist immer noch das, das sich damals zwei Gründer aus München überlegt haben“, sagt Kaiser. „Aber jetzt haben wir eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit, es zu realisieren.“ Ein Hauptgrund für seinen Optimismus: das Geld. „Für den Bau einer Konstellation braucht man einen Milliardenbetrag, den man in Europa nicht bekommt – trotz des neuen politischen Wunschs der EU, unabhängig zu sein.“ In Amerika dagegen ließen sich solche Summen auftreiben. Und zum dortigen Geldmarkt habe Rivada Space Networks sehr guten Zugang.
Europa ist stark bei Hardware, aber nicht bei Software
Die Finanzierung großer, privater Raumfahrtprojekte ist eine Schwäche Europas. Die Hardware für eine Satelliten-Konstellation dagegen eher eine Stärke. „Da sind wir gar nicht schlecht aufgestellt in Europa“, sagt Kaiser, weshalb auch amerikanische Firmen hier bestellten. Die Rivada-Aufträge für die Herstellung der Satelliten, für die optischen Links oder für Antennen könnten also ebenfalls an Zulieferer aus der EU gehen.
Das eigentliche Geschäft seiner Firma werde aber nicht der Bau, sondern der Betrieb der Konstellation aus Deutschland heraus werden. „Die Hardware ist nur das eine“, meint Kaiser. „Am Ende muss das Ganze zu einem funktionierenden System werden – und dafür braucht es Software. Da sehe ich in Europa viel Nachholbedarf.“ Mit Hunderten von Satelliten gute und vor allem zuverlässige Services über das Netzwerk im Weltall anzubieten sei sehr komplex, bisher werde das nur in den USA mit Hochdruck entwickelt. „Auf Seiten der Software muss bei uns also noch viel investiert werden.“
Und was hält Clemens Kaiser von der Konstellation, die die Europäische Union für sich selbst errichten lassen will? „Ich sehe den Bedarf nach einer unabhängigen Infrastruktur durchaus“, sagt er. „Ob es aber wirklich für alle möglichen Anwendungen, die sich die EU in den Kopf gesetzt hat, eine staatlich finanzierte, teure Infrastruktur braucht, kann man schon diskutieren. Es geht ja nicht nur um Hochsicherheitsanwendungen oder militärische Anforderungen.“
Kaiser hofft daher, dass die EU auch bei kommerziellen Anbietern wie Rivada Space Networks Dienste zukauft. Ohnehin sei das Internet aus dem All nur der Anfang. „Wir werden komplette Cloud-Systeme in den Orbit bewegen – bis hin zu Speicherkapazitäten und Datenprozessierung.“
Titelbild: Shutterstock
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