Ein Student der Technischen Universität Delft hat gemeinsam mit einem kleinen Team einen Sarg entwickelt, der aus lebendem Material besteht. Der soll dabei helfen, tote Körper in Kompost zu verwandeln. Der erste Mensch wurde bereits in einem solchen Sarg beigesetzt.
Von Michael Förtsch
Ein Begräbnis ist vermutlich das Letzte, woran beim Thema Nachhaltigkeit und Umweltschutz gedacht wird. Studierende der Technische Universität Delft haben es dennoch getan und wollen die Art und Wiese, wie und vor allem worin Verstorbene beerdigt werden, verändern. Denn eine traditionelle Beisetzung, glaubt zumindest das kleine Team um den studentischen Gründer Bob Hendrikx vom niederländischen Start-up Loop (of Life), ist in ihrer jetzigen Form weder ökologisch sinnvoll noch zeitgemäß. Eingeschlossen im Holzsarg zersetzt sich ein toter Körper nur langsam. Außerdem dauert es sehr lange, bis sich die Holzkiste abbaut. Das hält wertvolle Stoffe wie Phosphor, Magnesium, Kalium und Eisen aus dem Körper zurück, die der Umwelt und vor allem der Pflanzenwelt nützen könnten.
Das Team der Technischen Universität Delft hat daher eine Bestattungsmethode entwickelt, die mit der traditionellen Erdbestattung kompatibel ist – aber dennoch viele Vorteile haben soll. Sie haben einen Sarg entworfen, der aus Myzel besteht, also dem fadenförmigen Zellmaterial von Pilzen, das sich unterirdisch ausbreitet. Dadurch ist er biologisch abbaubar und soll dazu beitragen, die toten Körper sowie deren Kleidung schnell und nutzbringend in Kompost zu verwandeln. Statt in zehn oder mehr Jahren wie bei traditionellen Särgen soll sich ein Körper im „lebenden Kokon“ in zwei bis drei Jahren zersetzen.
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Jetzt Mitglied werden!„Das Myzel ist ständig auf der Suche nach Abfallstoffen, die es in Nährstoffe für die Umwelt umwandeln kann“, erklärt Bob Hendrikx die Wahl des Materials. „Dasselbe tut es mit giftigen Substanzen, darunter Öl, Plastik und Metall.“ Wie effektiv das funktioniert, zeigt sich unter anderem in Tschernobyl, wo Pilze mit einer starken Ausbildung von Myzelnetzen genutzt werden, um radioaktive Stoffe aus dem Boden zu holen. Ebenso werden verschiedene Pilzarten gezielt zur Sanierung von Industriebrachen und Ackern eingesetzt.
Der erste Mensch wurde schon im Pilz-Sarg beerdigt
Zusätzlich angeregt werden soll die Kompostierung des toten Körpers durch ein Bett aus Moos, das den Sarg auskleidet. Er soll dadurch vollständig zu einem Bodenmaterial werden, das seine Umgebung mit Nährstoffen versorgt und das Pflanzenwachstum anregt. „Der lebende Kokon ermöglicht es den Menschen, wieder eins mit der Natur zu werden und den Boden zu bereichern, anstatt ihn zu verschmutzen“, sagt Hendrikx. Dass das grundsätzlich funktioniert, haben erste Tests bereits belegt. Der Sarg selbst soll sich zumindest im mitteleuropäischen Klima nach dem Begraben in ein bis zwei Monaten zersetzt haben.
Auch ein erstes praktisches Pilotprojekt wurde jetzt gestartet. Das niederländische Beerdigungsinstitut Eer & Volharding hat zehn Prototypen der Särge in sein Sortiment aufgenommen. Und bereits am 14. September wurde ein Verstorbener in einem der „lebenden Särge“ beigesetzt. „Das ist das erste Mal, dass ein Mensch auf diese Weise kompostiert wurde, und es ist eine Ehre, so an der Beerdigung eines Menschen beteiligt zu sein“, sagt Hendrikx, der gerade an seiner Abschlussarbeit an der TU Delft arbeitet und sich danach vollends den lebenden Särgen und ähnlichen Projekten widmen will.
Über die kommenden Jahre wollen Hendrikx und sein Team die Särge perfektionieren – und vor allem deren Produktion. Denn die dauert noch deutlich länger als bei einem Holzsarg. Das Wurzelgeflecht aus speziell ausgesuchten Pilzarten wächst in eine Form der Tragekiste und des Deckels hinein. Das kann mehrere Wochen dauern. Bei weiteren Tests soll außerdem untersucht werden, ob und wie sich die Effektivität der Särge und ihr Beitrag zur Biodiversität steigern lässt. Beispielsweise könnten in die Kisten auch Samen und andere Pflanzenarten eingearbeitet werden.
Teaser-Bild: Loop of Life