Ein kleines KI-Gadget verkauft sich derzeit tausendfach. Denn es verspricht, uns von der Nutzung von Apps zu befreien und weniger statt mehr Zeit mit dem Smartphone zu verbringen. Das könnte eine Transformation einläuten. Denn es ist ein Zeichen dafür, dass mit unseren cleveren Telefonen etwas nicht stimmt.
Von Michael Förtsch
Damit haben selbst die Entwickler nicht gerechnet. Auf der CES 2024 stellte das Start-up Rabbit ein handflächengroßes Gerät vor, das über einen kleinen Bildschirm, eine schwenkbare Mini-Kamera, ein Steuerrad und einen Druckknopf verfügt: ein obskures Gadget, das gut in einen zumindest semi-utopischen Science-Fiction-Film passen würde. Aber es ist echt und hat sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels bereits über 50.000 Mal verkauft. Denn das R1 genannte Gerät verspricht, die Art und Weise, wie wir unser zunehmend digitalisiertes Leben managen, mittels Künstlicher Intelligenz aufzuräumen und zu vereinfachen. Ein Druck auf den Knopf und eine Sprachanweisung genügen, um eine E-Mail zu verschicken, eine Playlist zu erstellen oder eine Pizza zu bestellen – und noch viel mehr, wenn es nach Rabbit geht. Das erinnert ein bisschen an Star Trek, wo ein „Computer …“-Befehl genügt, um etwas erledigt zu bekommen.
Der Erfolg des kleinen Gadgets ist ein Signal – und ein Zeichen für ein Problem. Der digitale Alltag vieler Menschen spielt sich weitestgehend auf dem Smartphone ab. Doch die Nutzung ist zunehmend zerklüftet und fragmentiert. Denn es gibt immer mehr Dienste, die unser Leben durchdringen. Für E-Mails gibt es eine App, für Arbeits-E-Mails oft eine andere. Hinzu kommen Social Networks wie X, Facebook, TikTok, Instagram, LinkedIn – und durch die Dezentralisierung der sozialen Netzwerksphäre bald noch mehr. Nicht wenige Menschen haben zwei, drei oder mehr Apps für Restaurant-Lieferdienste auf ihren Smartphones installiert. Und dann gibt es auch noch Podcast-, Streaming- und Fahrdienst-Programme und noch einiges mehr. So aufgeräumt die Oberflächen der Smartphones auch ausschauen: Zwischen den einzelnen Apps hin- und herschalten, den Inhalt finden, den man wirklich braucht oder sucht, das kann nicht nur nerven, sondern auch belasten.
Außerdem ist die Nutzung mancher Apps unnötig umständlich – mit zu vielen Zwischenschritten durchsetzt. Ganz abgesehen davon, dass die Smartphones selbst immer smarter werden, immer mehr Funktionen und Einstellungen bieten, die sich dann in endlosen Einstellungslisten mit zahlreichen Untermenüs niederschlagen, so dass Menschen quer durch die Generationen entweder Google oder ChatGPT zu Rate ziehen müssen, um herauszufinden, wie sie den Sperrbildschirm oder die Voicemail-Einstellung ändern können. Zu clutered und zu wenig intuitiv ist die Nutzung geworden.
Ist der Rabbit R1 also die ultimative Lösung für diese Situation? Wahrscheinlich nicht. Aber vielleicht ein Schritt in die richtige Richtung. Denn offenbar ist das Angebot und die Möglichkeit, die Nutzung digitaler Angebote mittels einer KI zu entzerren für Tausenden Menschen attraktiv genug, um rund 200 Euro in ein unerprobtes Gerät eines vollkommen unbekannten Start-ups zu investieren. Ohne Folgen dürfte das nicht bleiben. Zumal andere durchaus ähnliche Ideen haben dürften wie die Entwickler von Rabbit. Das könnte das Smartphone und unseren Alltag nachhaltig verändern – vielleicht zum Besseren.
Weniger Smartphone?
Die Idee hinter dem Rabbit R1 ist clever. Ein KI-Modell, ein sogenanntes Large Action Model, wurde darauf trainiert, Apps und Webseiten zu bedienen. Wenn man also eine Pizza bestellt oder ein Uber ruft, übernimmt eine KI ungesehen das Klicken oder Tippen für einen. Zusätzlich kann das Modell hinter dem R1 von den Nutzern selbst trainiert werden: Durch Zusehen soll es andere Apps oder sogar komplexe Handgriffe wie das Bearbeiten eines Bild in Photoshop lernen können. All das geschieht auf den Servern des Start-ups – dem dafür natürlich der Zugriff auf die eigenen App-Accounts erlaubt werden muss.
Nur: Warum braucht es dafür ein eigenes Gerät? Warum ist der Rabbit R1 nicht einfach eine eigene App auf dem Smartphone? Warum ersetzt er nicht einfach Siri, Google Assistant, Bixby oder wie die aktuellen Sprachassistenten alle heißen? Dann bräuchte man kein weiteres Gerät in der Tasche. Die meisten Smartphones besitzen ein Innenleben, das locker leistungsfähig genug für die Anforderungen des Rabbit-Systems ist. Technisch denkbar wäre es auch. Aber wohl nicht so einfach umsetzbar. Vor allem Apple würde es einem Start-up kaum erlauben, eine der Kernfunktionen des iPhones durch eine fremde Technologie zu ersetzen. Ähnliches gilt wohl für Samsung, das das offene Betriebssystem Android für seinen eigenen Telefone stark modifiziert, um ein möglichst homogenes Ökosystem aufzubauen.
Dennoch – oder gerade deswegen – wird die Funktionalität des Rabbit R1 wohl in absehbarer Zeit auch auf High-End-Smartphones wie dem iPhone, den Flaggschiff-Handys von Samsung oder vermutlich auch den Pixel-Smartphones von Google Einzug halten. Denn die großen Smartphone-Entwickler werden sich nicht von einem Start-up abhängen lassen wollen, das dafür sorgen könnte, dass die teuren Telefone nicht öfter, sondern seltener aus der Tasche gezogen werden müssen. Wobei das nicht nur Rabbit betrifft, sondern auch Humane mit dem AI Pin und die von Meta und Ray-Ban entwickelten Smart Glasses, die auch mit einem „Hey Meta“-Assistenten kommen.
Die Smartphone-Giganten werden mit Sicherheit selbst versuchen aufzuholen – und sind zum Teil auch schon dabei. Ob sie dabei auf genau das gleiche Konzept und die gleiche Technologie wie Rabbit setzen? Das muss sich noch zeigen.
Millionen für KI-Modelle
Erst im Dezember hatte Google sein KI-Modell Gemini vorgestellt, das ab dem Pixel 8 Pro fest in die Smartphone-Reihe integriert werden soll. Darüber hinaus soll der bisherige Google Assistant in den Ruhestand geschickt und durch den KI-Chatbot Bard ersetzt werden. Samsung hat seinerseits Galaxy AI aus der Taufe gehoben, das eigene KI-Tools und solche wie Googles Gemini zusammenfasst. Das ermöglicht Textvorschläge, Zusammenfassungen von Sprachnachrichten, Transkriptionen von Audioaufnahmen, Simultanübersetzungen von Telefonaten in verschiedene Sprachen, wie Samsung bereits demonstriert hat. Mittels KI lassen sich natürlich auch Bilder bearbeiten – etwa Fotos vergrößern, ausfüllen und retuschieren.
Zudem wurde erst vor kurzem bekannt, dass Apple offenbar bereit ist, Millionensummen für die Lizenzierung von Trainingsdaten für KI-Modelle zu zahlen: Modelle die mit großer Sicherheit den Sprachassistenten Siri und das Apple-Gerätesortiment mit neuen Fähigkeiten auf ChatGPT-Niveau und darüber hinaus ausstatten könnten. Smartphones befinden sich also schon jetzt in einer Phase der Transformation. Nicht nur, was ihre Ausstattung angeht, sondern auch ihre Bedienungskonzepte, die sich mit und durch Künstliche Intelligenz wandeln. Es wird nun möglich, was Apple mit Siri seit Jahren versprochen hat: Die Telefone werden aktiv. Sie verhalten sich wie Helfer und nicht nur wie Werkzeuge.
Gerade für die großen Technologiekonzerne sollte es ein Leichtes sein, das Konzept von Rabbit zu adaptieren – und zu verbessern. Sei es mit eigenen Large Action Models oder dedizierten KI-Schnittstellen für all die großen Dienste, die wir täglich nutzen – trotz des Vorsprungs, den das Start-up derzeit genießt. Jedes so genannte Premium-Smartphone könnte in einem Jahr oder sogar früher zu einem Gerät mit der Funktionalität de Rabbit R1 werden. Zu einem Gerät, bei dem AI first gilt, die Sprachsteuerung im Vordergrund steht und die eigentlichen Apps nur noch für das Lesen und den Medienkonsum geöffnet werden.
Das Smartphone der Zukunft
Sollte es so kommen, wäre der Rabbit R1 dann schon bald obsolet? Und nur ein weiteres Tech-Hype-Kuriosum wie die Snapchat-Brille, das im Schrank verstaubt? Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht. Denn für die Technologie- und KI-Szene dürfte das Gadget ein Gradmesser dafür werden, wie stark Nutzer bereit sind, ihr digitales Leben einer KI anzuvertrauen. Welche Vorbehalte und Unsicherheiten es gibt. Wie gut das Ganze tatsächlich schon funktionieren könnte. Gerade Google und Apple haben in der Vergangenheit gezeigt, dass sie bei der Adaption von KI-Technologien zwar gerne große Schritte machen wollen, aber nichts überstürzen, wenn die Technologie noch nicht ausgereift erscheint.
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Jetzt Mitglied werden!Doch selbst wenn Google, Samsung und Apple bald auftrumpfen, muss das nicht das Ende von Rabbit bedeuten. Denn das Start-up könnte sein KI-Betriebssystem an andere Smartphone-Hersteller lizenzieren, die nicht über die Ressourcen der großen Tech-Unternehmen verfügen. Es könnte exklusive Partnerschaften für ein Smartphone mit Rabbit OS eingehen oder sogar selbst ein AI-first-Smartphone auf den Markt bringen. Ähnliche Optionen dürften sich auch für andere Start-ups ergeben, wie etwa Humane mit seinem AI Pin. Auch OpenAI dürfte die aktuellen Entwicklungen mit Interesse verfolgen. Denn dort plant man bereits mit dem ehemaligen Apple-Designer Jony Ive ein KI-Gadget, das sich tief in das Leben seiner Nutzer eingraben soll.
Eines ist sicher: Smartphones und die Art, wie wir sie nutzen, werden sich in den kommenden Jahren verändern. Clevere KI wird uns immer mehr Handgriffe abnehmen, digital assistieren und Teile unseres digitalen Daseins automatisieren. Sie werden uns mit Nachrichten versorgen, die uns wirklich interessieren. Uns darauf aufmerksam machen, wenn wir schon wieder zu lange Netflix schauen. Sie werden eine „Ich komme zu spät“-Nachricht vorschlagen, wenn wir die S-Bahn zur Party verpassen. Sie werden in der Lage sein, auf der Grundlage einer gesprochenen Beschreibung eine Präsentation und dazu passende Bilder zu erstellen – und die Inhalte mit Quellen aus dem Internet zu verifizieren.
Wenn wir das zulassen, werden sie uns basierend auf Basis der Daten unserer Smartwatches überwachen, unsere Gesundheit checken und pro-aktiv in unseren Lebensrhythmus eingreifen. Sie werden uns zum Sport auffordern, gesunde Menüs erstellen oder sogar Arzttermine buchen, wenn wir das selbst nicht tun. Sie werden uns warnen, wenn wir zu viel Geld für unnötigen Kram ausgeben und uns helfen, unseren Finanzen zu jonglieren. Das wird gewöhnungsbedüftig und vielleicht sogar etwas gruselig sein. Denn wird man den KIs wirklich vertrauen können? Können wir wirklich wissen, dass mit all den gesammelten Daten und Autorisierungen, die die KIs nutzen, um uns zu helfen, bedacht und sicher umgegangen wird?
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