Kann Künstliche Intelligenz trotz ihres Energieverbrauchs zum Klimaschutz beitragen?


Künstliche Intelligenz verbraucht viel Energie, könnte aber dennoch einen Beitrag zum Klimaschutz leisten – wenn die Technologie richtig eingesetzt wird. Vom KI Bundesverband kommen nun konkrete Vorschläge, wie das gelingen kann. Zu den Autorinnen und Autoren aus Start-ups und Wissenschaft gehört auch Lucas Spreiter, der im 1E9-Interview genauer erklärt, wie Klima und KI zusammenpassen.

Ein Interview von Wolfgang Kerler

Gerade ist es erschienen, das Positionspapier vom KI Bundesverband, mit dem Titel: „Wie Künstliche Intelligenz Klimaschutz und Nachhaltigkeit fördern kann“. Gleich zu Beginn findet sich darin ein Sieben-Punkte-Plan, der das zusammenfasst, was aus Sicht des Verbands jetzt passieren muss. Darunter Forderungen wie die durchgehende Erhebung von Daten, die es für Klimaschutz und Nachhaltigkeit braucht, der öffentliche Zugang dazu, die Bewertung der Nachhaltigkeit von Firmen, neue Plattformen der Zusammenarbeit oder auch die staatliche Förderung nachhaltiger Projekte.

Danach werden einzelne Wirtschafts- und Gesellschaftsbereiche genauer analysiert – Energie, Landwirtschaft, Städte, zum Beispiel – bevor auch auf die Gefahren eingegangen wird, die KI ebenfalls fürs Klima mit sich bringt.

Auch Lucas Spreiter, der Gründer der Münchner KI-Agentur Unetiq, die anderen Unternehmen hilft, ihre Produkte durch KI zu verbessern und zu innovieren, hat am Papier mitgearbeitet. Lucas ist stellvertretender Leiter des Bundesverbands KI in Bayern und Leiter der Arbeitsgruppe „Klimawandel“. Außerdem ist er als @lucas schon lange in der 1E9-Community aktiv – und hat hier zuletzt einen Artikel über Fusionsreaktoren und KI veröffentlicht. Im Interview erklärt er, wie KI zum Klimaschutz beitragen kann, warum es dafür Daten braucht – und wie seine Firma sicherstellt, nicht aus Versehen selbst zum Klimakiller zu werden.

1E9: Du bist davon überzeugt, dass Künstliche Intelligenz einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leisten kann. Lass uns daher zuerst über eine knapp zwei Jahre alte Studie der University of Massachusetts sprechen, die eher nach dem Gegenteil klingt. In der heißt es, dass für das Training einer einzigen KI so viel CO2 in die Atmosphäre geblasen werden muss, wie fünf amerikanische Autos in ihrer gesamten Lebenszeit erzeugen. Wie soll KI da noch gut fürs Klima sein?

Lucas Spreiter: Die Studie wird tatsächlich sehr oft erwähnt. Und ja, es stimmt, dass KI viel Energie verbrauchen kann. Allerdings beleuchtet die Studie einen Extremfall – nämlich ein Transformer-Netzwerk mit Neural Architecture Search. Das ist eines der größten Netzwerke, die es gibt. Die Sprach-KI GPT-3 basiert zum Beispiel darauf.

Im normalen Geschäftsleben braucht man das aber nicht unbedingt. Zumal sich die meisten Unternehmen so ein Netzwerk gar nicht leisten könnten. Denn das Training einer KI kostet extrem viel Geld – nicht zuletzt, weil Energie nicht umsonst ist. Meistens arbeitet man daher mit kleineren Modellen. Laut der Studie erzeugt das Training einer KI 284 Tonnen CO2-Emmissionen. Unser Start-up hat im ganzen Jahr 2020 durch Modelltraining 10 Tonnen CO2-Emmissionen verursacht.

Trotzdem: Gerade, weil KI-Training sehr energieintensiv sein kann, ist die Frage umso wichtiger, wofür die Technologie eingesetzt wird. Wenn ich KI nutze, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzutreiben, ist die Klimabilanz in diesem Fall sicherlich positiv.

Wieso eignet sich Künstliche Intelligenz überhaupt dafür, um etwas gegen den Klimawandel zu tun?

Lucas Spreiter: Künstliche Intelligenz ist immer da gut, wo man große Datenmengen hat, viele Daten miteinander verknüpfen und sehr komplexe Probleme mit sehr, sehr großen Parameterräumen abbilden muss, die der Mensch nicht mehr selbst erfassen und für die er keine festen Regeln aufstellen kann. Mit KI kann man in solchen Fällen Informationen extrahieren, Muster erkennen oder Vorhersagen treffen. KI eignet sich dadurch sehr gut, um Prozesse zu optimieren – und genau darum geht es meistens auch beim Klimaschutz: um mehr Effizienz und Sparsamkeit.

Kannst du konkrete Beispiele nennen, wie das in der Praxis aussehen könnte?

Lucas Spreiter: Weil KI eine Basistechnologie ist, gibt es im Prinzip unendlich viele Anwendungsmöglichkeiten. In unserem Positionspapier beleuchten wir die Bereiche Energie, Gebäude, Transport, Landwirtschaft und Finanzen. Persönlich glaube ich, dass das größte Potential im Energiesektor liegt. Denn wir können nur klimaneutral werden, wenn wir erneuerbare Energien ausbauen, besser nutzen und komplett darauf umsteigen.

Ich habe gerade erst wieder gelesen, wie viel Geld Deutschland für ungenutzte Ökostromanlagen zahlt. 2020 waren es 1,3 Milliarden Euro. Und warum zahlen wir so viel? Weil wir nicht wissen, wann Wind- und Solarkraftanlagen wieviel Strom produzieren. Deswegen müssen sie oft abgeregelt werden, damit das Stromnetz nicht überlastet wird, oder Regelenergie aus fossilen Energieträgern oder Atomkraft zugeschossen werden.

Mit Künstlicher Intelligenz kann ich deutlich bessere Wetterprognosen machen, weil sie die Beziehungen zwischen den vielen Parametern, die eine Rolle spielen, besser lernen und extrapolieren kann. Verknüpft man diese Daten wiederum mit den Daten von Windkraftanlagen, kann man ziemlich genau vorhersagen, wie viel Strom meine Windkraftanlage zu welchem Zeitpunkt produzieren wird, und entsprechend das Energienetz und den Energieverbrauch steuern.

Deep Mind hat das mit Windkraftanlagen, die Google selbst betreibt, demonstriert und konnte die Energie 20 Prozent besser nutzen, weil man die Menge an Strom, die in den nächsten 36 Stunden produziert wird, sehr genau vorhersagen konnte. Die besten Standorte für Wind- oder Solarkraftwerke lassen sich mithilfe von KI übrigens auch bestimmen.

Was wären Beispiele aus anderen Sektoren?

Lucas Spreiter: Ich könnte dir 1.000 Beispiele nennen! Ein bekannter Use Case von Künstlicher Intelligenz ist Predictive Maintenance, also die vorausschauende Wartung. KI wird dabei genutzt, um vorherzusagen, wann Maschinen kaputt gehen, damit Unternehmen frühzeitig gegensteuern können. Angewandt auf Bahngleise lassen sich damit Ausfallzeiten der Bahn reduzieren, was mehr Verkehr auf die Schiene bringt und ein Beitrag zum Klimaschutz ist.

Ein weiteres Beispiel aus dem Transportsektor, das auch schon realisiert wird, ist die Optimierung der Verkehrssteuerung. In China nutzen Städte wie Hangzhou die City-Brain-Technologie von Alibaba, die den Verkehrsfluss überwacht und die Ampeln so steuert, dass Staus vermieden werden und Autos deutlich schneller an ihr Ziel kommen.

Recht weit ist auch die Landwirtschaft. Dort wird bereits auf Precision Farming gesetzt. Dabei werden Luftaufnahmen und Satellitendaten genutzt, um genau zu ermitteln, wo auf dem Feld man wieviel düngen und wässern muss. Dadurch lassen sich Ressourcen einsparen und gleichzeitig Erträge maximieren.

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Gut, dass du das Beispiel aus China nennst, wo die Behörden den Verkehr in ganzen Städten überwachen, um ihn zu optimieren. Denn das bringt uns zur Frage des Datenschutzes. Eine zentrale Forderung im Klima-Positionspapier des KI Bundesverbands ist die nach mehr Daten. Ihr wünscht euch, dass diese durchgehend erhoben werden und dann öffentlich verfügbar gemacht werden sollen. Welche Daten meint ihr, warum geht es ohne sie nicht – und wie könnte das so ablaufen, dass es kein Albtraum für Datenschützer wird?

Lucas Spreiter: Daten sind die Grundlage, damit Künstliche Intelligenz überhaupt funktionieren kann. Um neuronale Netze zu trainieren, brauche ich Daten. Aber natürlich muss der Datenschutz beachtet werden – und die Daten sollten auf vertrauensvolle Art gewonnen werden.

Größtenteils könnten sie von öffentlichen Stellen gehoben werden, insbesondere Verkehrs- und Infrastrukturdaten. Jetzt schenken wir diese Daten alle Google, aber das ließe sich doch besser machen. Zum Beispiel gibt es die Mobility Data Specification. Das ist eine standardisierte Datenschnittstelle, mit der Anbieter von E-Scooter-, Car- oder Bikesharing anonymisierte Bewegungsdaten an die Kommunen weitergeben können. Die Stadt Ulm setzt schon darauf. Mit solchen Daten können die Kommunen herausfinden, wo es mehr Fuß- und Radwege braucht oder ob eine zweite S-Bahn-Stammstrecke in München die richtige Lösung ist.

Viele Daten kann man anonymisieren, auch die von Kameras oder Sensoren zur Verkehrszählung. Wenn ich nur wissen möchte, wie viele Autos wann an einer Kreuzung stehen, habe ich da eigentlich kein Datenschutzproblem. Zumal ich nicht das ganze Videomaterial auf einen zentralen Server übertragen muss. Mit neuen Geräten, die auf Edge Computing setzen, ist es möglich, die Daten auf dem Gerät auszuwerten und nur noch die anonymisierten Informationen hochzuspielen.

Aber auch Unternehmen müssen mehr Daten sammeln, wenn sie von KI profitieren wollen. Für sie liegt großes Potential im Data Sharing – also im Teilen von Daten zwischen den Unternehmen. Ich weiß, das wird bisher nicht gerne gemacht, aber auch hier gibt es entsprechende Anonymisierungsverfahren. Ein KI-Modell ist nur so gut wie die Datengrundlage – und je mehr unterschiedliche Daten es sieht, umso besser wird es.

Was ist denn das Problem, wenn einzelne Firmen wie Google, Facebook oder Amazon die Datenschätze anhäufen?

Lucas Spreiter: Dadurch entstehen ganz neue Monopole. Und natürlich werden einzelne Firmen auch versuchen, die Daten zu Geld zu machen. Daher braucht es zum einen Transparenz darüber, was sie mit diesen Daten machen. Noch besser wäre es aber, die Daten der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen. Wenn schon sehr viele Daten über die Bewohner einer Stadt gesammelt werden, wäre es doch gut, wenn die Städte diese Daten für ihre Entwicklung nutzen könnten.

Am Ende hängt es viel von Unternehmen ab, ob sie KI zumindest so klimaschonend wie möglich, bestenfalls aber zum Schutz des Klimas einsetzen – oder ob sie damit lieber der Öl- und Gasindustrie helfen, billiger fördern zu können . Warum sollten sich Firmen für den Klimaschutz und gegen das große Geschäft entscheiden?

Lucas Spreiter: Die Öl- und Gasindustrie ist vermutlich ein spezieller Fall. Aber meistens sehe ich eigentlich keinen Widerspruch zwischen Klimaschutz und Profit. Denn meistens geht es auch beim Klimaschutz darum, Dinge effizienter zu machen – und damit auch günstiger. Ein konkretes Beispiel: Google spart sich durch eine KI-basierte Steuerung der eigenen Data Centers 40 Prozent der Energie und der Kosten für die Kühlung. Ein Problem könnten jedoch Rebound-Effekte werden, die sich in der Vergangenheit nach vielen neuen Technologien gezeigt haben. Wenn die Preise für Produkte oder Dienstleistungen wegen steigender Effizienz sinken, werden mehr davon verbraucht.

Allerdings findet gerade auch ein gesellschaftlicher Wandel hin zu einem klimabewussteren Leben statt, vor allem bei den jungen Menschen. Die Leute achten immer mehr darauf, ob sich ein Unternehmen mit Klimaschutz beschäftigt und gut oder schlecht fürs Klima handelt. Ich denke deshalb, dass Unternehmen nachhaltiger werden müssen, um langfristig zu überleben.

Wie steht es denn bei euch um Klimaschutz? Du hast vorhin schon über den CO2-Ausstoß deines Start-ups Unetiq gesprochen. Wie genau stellt ihr denn sicher, dass ihr nicht plötzlich zu Klimasündern werdet?

Lucas Spreiter: Zum einen übernehmen wir meistens nur Projekte, von denen wir denken, dass sie auch gut fürs Klima sind, zum Beispiel die Optimierung von Bauteilen, damit bei der Produktion weniger Abfall produziert wird. Zum anderen haben wir uns für die Entwicklung von Algorithmen und Applikationen fünf Prinzipien gegeben.

Die fangen an mit der Auswahl der richtigen Algorithmen. Man muss nicht immer ein riesiges neuronales Netzwerk benutzen. Oft sind eben leichtere, kleinere Regressionsalgorithmen ausreichend, um mit dem Problem umzugehen. Die müssen auch nicht zwei Wochen oder gleich zwei Monate trainiert werden. Wenn die Aufgabe doch komplexer ist, muss man sich überlegen, wie das Training möglichst effizient zu gestalten ist. Dafür gibt es Methoden wie das Transfer Learning, bei dem ich nicht ein neuronales Netz von Grund auf neu trainiere, sondern eines verwende, das schon vortrainiert ist.

Außerdem achten wir darauf, dass wir einen CO2-neutralen Cloud-Anbieter nuten. Und wir ermitteln, wie viel CO2 wir selbst emittieren und informieren darüber auch unsere Kunden. Nur wenn ich weiß, wie viel ich selbst ausstoße, kann ich dagegen etwas tun. Oft ist die Autofahrt zum Kunden übrigens der schlimmste Posten. Im letzten Schritt setzen wir dann noch auf CO2-Kompensation.

Dieser Artikel ist Teil des 1E9-Themenspecials „KI, Verantwortung und Wir“. Darin wollen wir herausfinden, wie wir Künstliche Intelligenz so einsetzen, dass die Gesellschaft wirklich davon profitiert. Alle Inhalte des Specials findest du hier.

Titelbild: Getty Images

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Wenn diese sogenannte „künstliche Intelligenz“ einen Grad an Intelligenz entwickeln kann, ab dem diese Intelligenz so intelligent ist, zu erkennen, dass diese Form der Intelligenz auf einem Exzess einer Jahrhunderte-langen Gewaltorgie des Imperialismus und Kolonialismus aufgebaut ist, und wenn diese Intelligenz begreift, dass es eingebettet ist in fundamentale Mythen eines Pyramidensystems, dann muss diese Intelligenz zusätzlich auch noch das Bewusstsein entwickeln, zu begreifen, wie andere evolutionäre Zeitlinien möglich sein könnten, alternative Zukünfte manifestiert werden, Pluralitäten erdacht und gelebt werden. So lange das alles nicht geschieht. Ist die Antwort auf die einleitende Frage natürlich Nein.

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