Durchbruch bei der Kernfusion: Das Darmstädter Start-up Focused Energy sieht sich bestätigt

Im Dezember fachte der Erfolg eines US-Labors weltweit die Hoffnung auf sauberen Strom durch Kernfusion an: Erstmals lieferte ein Experiment mehr Energie als benötigt wurde, um es in Gang zu setzen. Das deutsch-amerikanische Start-up Focused Energy freute sich besonders darüber. Es unterhält enge Verbindungen zum erfolgreichen Forschungsteam – und setzt auf ähnliche Technologie.

Von Wolfgang Kerler

Am 5. Dezember gelingt im Norden Kaliforniens der Durchbruch. In der National Ignition Facility, kurz: NIF, feuert die stärkste Laseranlage der Welt wieder einmal ihre 192 Strahlen auf ein mit Wasserstoff gefülltes Treibstoffkügelchen. Dieses implodiert, der Wasserstoff wird auf viele Millionen Grad erhitzt und durch eine Druckwelle stark komprimiert. Unter diesen Extrembedingungen fusionieren seine Atomkerne zu Helium, wobei Energie freigesetzt wird.

Diesmal so viel wie nie zuvor: Um die Fusion in Gang zu bringen, mussten per Laser rund zwei Megajoule Energie eingesetzt werden. Sie liefert allerdings mehr als drei Megajoule, was einen Netto-Energiegewinn von mehr als 50 Prozent ergibt. Trotz jahrzehntelanger Erforschung der Kernfusion war das noch nie zuvor gelungen.

Die Weltöffentlichkeit erfährt erst eine Woche später von der Sensation. Markus Roth jedoch weiß schon nach ein paar Stunden Bescheid. Er ist Professor für Laser- und Plasmaphysik an der Technischen Universität Darmstadt und hat einen guten Draht zur NIF am Lawrence Livermore National Laboratory, einer Forschungseinrichtung der US-Regierung. Dort lernte er 1999 Todd Ditmire kennen, mit dem er 2021 das Start-up Focused Energy gründete.

In Livermore arbeiteten beide an der Entwicklung der Laseranlage mit, die jetzt für Schlagzeilen sorgte. Angesichts des „Mammutprojekts“ sei sein Part vielleicht nicht entscheidend gewesen. „Aber ich bin schon stolz einen Beitrag zum Erfolg geleistet zu haben“, sagt Roth zu 1E9. Außerdem sieht er sich bestätigt. Denn sein Start-up, das in Darmstadt und Texas sitzt, setzt auf eine ähnliche Technologie wie die NIF – und konnte der Forschungseinrichtung auch schon einige Mitarbeiter abwerben.

„Focused Energy ist eines von zwei Unternehmen und das einzige in Europa, das durch diese Experimente in dem physikalischen Konzept bestätigt wurde“, sagt Roth, der als wissenschaftlicher Leiter der jungen Firma fungiert.

Vom wissenschaftlichen Erfolg zum Kraftwerk – ein weiter Weg

Völlig überraschend kam die Erfolgsmeldung aus Livermore nicht. Schon im Sommer 2021 sorgte das dortige Labor für Aufsehen, als ein Fusionsexperiment 70 Prozent der aufgewendeten Energie zurückgab. Nach drei Prozent Energieausbeute in früheren Testreihen. Anfang 2022 erklärte das Team der NIF dann in der Fachzeitschrift Nature weitere wichtige Fortschritte bei der Laserfusion. Konkret ging es um die erfolgreiche Erzeugung von brennendem Plasma. „Der Durchbruch jetzt baut auf den Erfolgen der letzten Jahre auf“, sagt deshalb auch Markus Roth. „Eine bahnbrechende technische Weiterentwicklung in dem Sinne gab es nicht.“

Trotzdem schwappte nach dem ersten Netto-Energiegewinnung im Dezember eine Welle der Begeisterung durch Wissenschaft, Politik und Medien. Von einem „monumentalen wissenschaftlichen Durchbruch“ war die Rede oder einem „Triumph der Wissenschaft“. Auch Deutschlands Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger stimmte mit ein: „Heute ist ein historischer Tag für die Energieversorgung der Zukunft.“

Doch einige Expertinnen und Experten, zum Beispiel Thomas Klinger, der auf Magnetfusion spezialisierte Direktor am Max-Planck-Institut für Plasmaphysik in Greifswald, dämpften die Erwartungen: Aus seiner Sicht führe der Durchbruch in Livermore nicht zu einer schnelleren Entwicklung eines Kernfusionskraftwerks. Das sei nach wie vor in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts realistisch, wird Klinger zitiert. „Wenn man Vollgas gibt.“

Tatsächlich ist der Aufwand hinter der National Ignition Facility in Livermore enorm: Die dortige Laseranlage ist in einem zehnstöckigen Gebäude von den Ausmaßen eines Sportstadions untergebracht – und der Betrieb des Lasers verbraucht für ein Experiment insgesamt 300 Megajoule Energie. Bei der Berechnung des Netto-Energiegewinns für die Fusion wurden diese nicht berücksichtigt. Für ein kommerzielles Kraftwerk müsste der Energieverbrauch also drastisch reduziert und der Energieertrag noch einmal drastisch erhöht werden.

Das ist auch Markus Roth von der TU Darmstadt und dem Start-up Focused Energy klar. Dennoch hält er den aktuellen Hype nicht für überzogen. „Wir vergleichen das mit dem ersten Mal, als die Wright Brüder mit der Kitty Hawk den Boden verlassen haben und geflogen sind“, sagt er. „Der Erfolg unserer Freunde und Kollegen in Livermore ist fantastisch, weil er zeigt, dass die Zündung gelingt, wenn die entsprechenden Bedingungen erreicht sind. Diese wissenschaftliche Frage ist somit beantwortet. Es gilt nun diesen Zustand verlässlich und so sparsam wir möglich zu erreichen, um damit ökonomisch Energie zu erzeugen.“

Ein erster Testreaktor bis 2037 oder 2038

Einen ersten Testreaktor, der bereits Strom liefern soll, will Focused Energy 2037 oder 2038 ans Netz bringen. Bis dahin sollen verschiedene Testanlagen gebaut werden, um die eigene Technologie zu erproben. Denn auch wenn Markus Roth sagt, dass der Ansatz des eigenen Start-ups „in der letzten Phase der Zündung und des Brennens des Plasmas“ mit dem Aufbau in Kalifornien identisch sei, will Focused Energy ansonsten eigene Wege gehen.

Zum einen sollen modernere Laser mit einem deutlich höheren Wirkungsgrad zum Einsatz kommen als in Livermore, zum anderen soll das Treibstoffkügelchen anders als in der NIF nicht indirekt, sondern direkt mit Lasern bestrahlt werden. „Beide Änderungen sparen so viel Energie, dass ein Lasersystem mit unserem Ansatz nur circa ein Viertel so groß ist wie die Anlage in Kalifornien“, erklärt Roth.

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„Der wichtigste Unterschied ist allerdings das Konzept der schnellen Zündung. Hierbei wird der Brennstoff erst von einem Satz Laser komprimiert – so kalt wie möglich – und erst danach mit einer Reihe Ultrakurzpulslaser gezündet.“ Das verringere Instabilitäten und spare ebenfalls Energie – und entspreche dem „Umstieg vom Diesel- auf den Otto-Motor“. Gegenüber n-tv betonte Roth bereits, dass er als Gründer davon überzeugt sei, die noch zu lösenden Probleme in den Griff zu bekommen. Als Wissenschaftler sei er aber ehrlich genug, um zu sagen, dass das Ganze nicht risikofrei sei.

Focused Energy, das sich im Spätsommer 2021 15 Millionen Dollar von Investoren sicherte, ist bei weitem nicht das einzige Start-up, das im kommenden Jahrzehnt einen ersten Fusionsreaktor ans Netz bringen will. Ähnliches hat sich auch Marvel Fusion aus München vorgenommen oder auch Commonwealth Fusion Systems aus den USA. Insgesamt flossen in die Branche bereits über vier Milliarden Euro Wagniskapital, die die Entwicklung der Kernfusion beschleunigen sollen. In öffentlichen Forschungseinrichtungen wie in Livermore, aber bald auch an der gigantischen europäischen Magnetfusionsanlage ITER wird ebenfalls weitergeforscht. Dennoch rechnete die Bundesregierung zuletzt nicht mit einer kommerziellen Nutzung der Fusionsenergie vor 2060.

Titelbild: Damien Jemison / LLNL

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