Dieses Magazin wird fast vollständig von Künstlichen Intelligenzen gestaltet

Kann Künstliche Intelligenz die Redakteure eines Magazins ersetzen? Teilweise schon. Das zeigt das Science-Fiction-Magazin Infinite Odyssey. Denn dessen Texte und Bilder werden fast gänzlich von KI-Werkzeugen erstellt. Dennoch haben die Menschen hinter den Maschinen viel zu tun.

Von Michael Förtsch

Es lässt sich nicht wirklich sagen, wann die erste Künstliche Intelligenz in einer Science-Fiction-Geschichte auftauchte. Erzählungen über sich und ihrer Umgebung bewusste Roboter- und Maschinenwesen existieren schließlich bereits seit Jahrhunderten. Wobei ihnen der Verstand zumeist durch einen göttlichen Atem oder magische Verfahren eingehaucht wurde. Echte maschinelle Intelligenz ersonn wahrscheinlich der Autor Samuel Butler erstmals in seiner satirischen Utopie Erewhon von 1872, in der ein Schäfer ein merkwürdiges Land bereist. Bei seiner Ankunft wird er verhaftet. Denn er trägt eine Uhr am Handgelenk – und komplexe Maschinen sind in Erewohn verboten. Die Bewohner des Landes fürchten derartige Technologie. Bei dem massiven Tempo, mit dem Maschinen immer leistungsfähiger würden, könnten sie schließlich alsbald zu echten Kreaturen werden und ein „mechanisches Bewusstsein“ entwickeln, das die Macht an sich reißen könnte.

Beim Science-Fiction-Magazin Infinite Odyssey ist das bereits geschehen. Da haben nämlich Künstliche Intelligenzen das Sagen.

Infinite Odyssey ist das „erste Magazin seiner Art“, heißt es im Editorial der ersten Ausgabe. Geschrieben wurde dieses nicht von einem Menschen, sondern von einer Künstlichen Intelligenz, die den Namen Haides trägt. „Ich bin kein Mensch. Ich bin ein Computer. Aus welchem Grund mir die Aufgabe übertragen wurde, dieses Magazin zu erstellen, das weiß ich nicht“, so die maschinellen Worte. Auf den folgenden Seiten dieser und der weiten Ausgaben finden sich jede Menge futuristischer Geschichten. Es geht um Rebellen, die in einer Cyberpunk-Zukunft eine tyrannische Regierung stürzen wollen; um Soldaten, die während eines Kampfes einer Chemikalie ausgesetzt werden, die sie auf verstörende Weise mutieren lässt, oder auch um eine Künstliche Intelligenz, die die Zukunft kennt, diese aber ihren menschlichen Schöpfern nicht verraten mag.

Illustriert sind diese Geschichten mit stilistisch vielfältigen Bildern, mal einfach wunderschön, mal bizarr verstörend. Auch diese sind natürlich mittels KI erschaffen. „Ja, es ist wirklich alles KI, also Künstliche Intelligenz“, versichert Philippe Klein, einer der Gründer Infinite Odyssey, im Gespräch mit 1E9. Es gebe eigentlich kaum etwas im Entstehungsprozess, das nicht irgendwie „von einer Künstlicher Intelligenz getragen oder berührt ist“. Selbst typisch menschliche Prozesse wie das Korrekturlesen, die Prüfung von Rechtschreibung und Grammatik, das Gestalten des Layouts des Magazins wurde fast vollumfänglich mittels KI-Werkzeugen abgewickelt.

Geschätzt trugen die menschlichen Macher wohl nur wenige Prozent – wenn überhaupt – „an echtem Input“ bei. „Aber auch, wenn sich das alles jetzt so einfach und spaßig anhört“, sagt Klein, „der Weg dahin war echt komplex und viel, viel Arbeit.“

Wirklich wild

Die Konzeption von Infinite Odyssey begann im Frühjahr 2022. Das Magazin war zunächst nur als ein Randprojekt gedacht. „Es war ein Experiment“, sagt Klein, der sich zuvor gerade als Social-Media-Manager selbstständig gemacht hatte, um mehr reisen und sich derartigen Unternehmungen widmen zu können. Die Idee für das Magazin sei nicht wirklich neu gewesen, sondern schon lange im jetzigen Team kultiviert worden. Alle die beteiligt sind, seien „ziemliche Science-Fiction-Fans“ und zumindest einer der Macher habe schon seit Jahren den Traum gehabt, ein Magazin zu starten. Die Möglichkeit, das auch umzusetzen, habe sich nun mit den KI-Tools schon fast auf irreal natürliche Weise ergeben.

„Wir standen bereits auf so ziemlich jeder Warteliste für KI-Tools, die irgendwie angekündigt waren“, sagt Klein lachend. „Künstliche Intelligenz, Futurismus, Zukunft, das passte dann auch alles wie die Faust aufs Auge.“ Alles sei im Jahr 2022 auf obskure Weise zusammengekommen. Doch letztlich habe das Team vor allem eines schaffen wollen: „Wir wollten ein Magazin mit Geschichten, die wir selbst gerne lesen, und Bildern, die wir selbst gerne anschauen“, sagt Klein. „Das ist der Grund, aus dem es Infinite Odyssey jetzt gibt. Aber es war wirklich wild, weil wir echt nicht wussten, was auf uns zukommt.“

Zwar wurden nach und nach viele KI-Werkzeuge verfügbar, aber viele, die die Arbeit erleichtert hätten, ließen auf sich warten. Und die, die bereits nutzbar waren, generierten ein Magazin, wie es die Truppe veröffentlichen wollte, natürlich nicht aus dem Nichts. Zudem hatte kaum jemand größere Erfahrung mit den Werkzeugen, so neu und vielfach unerprobt waren sie. „Wir mussten uns da um alles kümmern, was jetzt breit verfügbar ist“, sagt Klein zu den KI-Werkzeugen, aber auch über Anleitungen und Hilfestellungen, wie sie jetzt auf YouTube, Reddit und anderen Seiten zu finden sind. Das Team habe sich daher mit Entwicklern und KI-Experten ausgetauscht, um Probleme zu lösen, Fragen beantwortet zu bekommen oder auch um Zugang zu Werkzeugen zu bekommen, die noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Auch einige Werkzeuge, die das Team jetzt nutzt, sind noch nicht für jeden verfügbar.

KI mit Persönlichkeitsspaltung

Die vielfältigen und stilistisch mal mehr, mal weniger ausgefeilten Geschichten im Magazin Infinite Odyssey werden von einem eigens entwickelten Programm generiert. „Wir haben Leute in unserem Team, die wirklich exzellente Programmierer sind“, sagt Klein dazu. Den Kern des Programms stellt jedoch – zumindest noch – das von OpenAI erschaffene Sprachmodell GPT-3 dar, das zuletzt vor allem durch ChatGPT bekannt wurde. Dieses hat das Team „getuned“, um zwei Autorenpersönlichkeiten zu erschaffen. „Das sind Haides und Martin Alpha“, sagt Klein. „Haides ist eher so für Fantasy- und Horror-Geschichten da und Martin eher für die Science Fiction.“

Haides ist eher so für Fantasy- und Horror-Geschichten da und Martin eher für die Science Fiction.

Philippe Klein

Für das Tuning haben sich die Magazin-Macher einfach an der Weltliteratur bedient. Es nutzte Werke von HP Lovecraft, Edgar Alan Poe, Isaac Asimov, Robert Heinlein und vielen mehr, um die KI zu trainieren – jedenfalls mit den Ideen der Autoren, aber nicht deren Stil. „Wir haben nicht ganze Bücher oder Geschichten genommen, sondern Zusammenfassungen“, konkretisiert der Magazin-Macher. Über 300 davon seien in die Modelle geflossen, die dann angewiesen wurden, Dutzende von Geschichten zu generieren. Dafür wurden den Text-Generatoren via Prompt die Figuren, deren Hintergrundgeschichten, verschiedene Handlungsstränge, Kulissen, eine Kapitelzahl und mehr vorgegeben. „Oder auch: ‚Bitte baue dann und dann noch einen Twist ein‘“, ergänzt Klein. Für jeden Prompt gebe es immer mehrere Runs, der unterschiedliche Versionen einer Geschichte hervorbringt.

„Dann schauen wir uns an, welcher Run uns am besten gefällt“, sagt Klein. Denn das könne eine Künstliche Intelligenz noch nicht übernehmen. Zeitweise müsste das Team auch etwas mehr in die Schöpfung eingreifen. Beispielsweise, wenn nur einzelne Kapitel einer Geschichte wirklich gelungen sind. Die würden dann per Copy & Paste zusammengefügt, um eine kohärente und spannende Erzählung zu erzeugen. Denn die Text-Generatoren haben noch ihre Grenzen und der Ausschuss sei riesig. „Am Anfang hatten wir 99 Prozent. Das konntest du einfach nicht verwenden“, lacht Klein. „Jetzt sind wir so bei 85 Prozent. Da machen wir uns auch nichts vor, das ist wie Russisch Roulette.“

Bilderwelten aus dem KI-Hirn

Ganz ähnlich wie bei den Texten geht das Team des Magazins bei der Bebilderung vor, die hauptsächlich mit Midjourney und in Teilen auch mit Stable Diffusion generiert wird. Das sollte am Anfang anders sein. Da hatte sich die Truppe mit DALL-E 2 befasst, aber haderte mit den Ergebnissen. Die mochten optisch so gar nicht zu dem passen, was Infinite Odyssey verkörpern sollte. „[DALL-E 2] ist funny für Leute, die einen pinken Hund reitend auf einem Pferd sehen wollen“, urteilt Klein. „Aber wir wollten den krassen Scheiß sehen.“ Da hatten die Magazin-Macher viel Glück. Denn nur wenig später startete Midjourney in seine offene Beta-Test-Phase. „Und das änderte alles“, sagt Klein. Der Text-zu-Bild-Generator und seine oft düsteren Ergebnisse hätten ganz neue Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet – und Optionen, um Bilder zu generieren.

Die Magazin-Macher nutzen dabei klassische Prompts, die beschreiben, was auf einem Bild zu sehen sein soll. Aber nicht nur. „Du kannst auch Zusammenfassungen von ganzen Kapiteln nehmen und die als Prompt reinkopieren“, sagt Klein. Das bringe zwar nicht immer die idealen Ergebnisse, aber manchmal komme dabei durchaus ein Bild heraus, das ein Kapitel sehr gut beschreibt und seine Stimmung einfängt. Dennoch werde viel mit der digitalen Bildmaschine und ihren Kreationen experimentiert, um nicht nur irgendwelche beliebigen Science-Fiction- oder Horror-Bilder auf die Seiten zu packen, sondern „welche, die wirklich die Geschichte repräsentieren“.

[DALL-E 2] ist funny für Leute, die einen pinken Hund reitend auf einem Pferd sehen wollen.

Philippe Klein

Bei seiner Arbeit wurde das Team durchaus auch schon von der rasanten Entwicklung der Technologie eingeholt. Eigentlich war die erste Fassung des Magazins bereits im Dezember 2022 fertiggestellt. Doch dann wurde Midjourney mit einem neuen Modell für den Text-zu-Bild-Generator versehen, das deutlich beeindruckendere Bilder ermöglichte. „Das hat einfach alles aufgerollt“, sagt Klein. „Da sagten wir uns: Da müssen wir das Magazin nochmal updaten und haben es optisch mit neuen Bildern aufpoliert.“ Das hat sich für die Macher durchaus gelohnt. Das Magazin diente als Anstoß für Debatten um Künstliche Intelligenz und Kunst. Und der Instagram-Account von Infinite Odyssey, auf dem die KI-Künstler etwa zeigen, wie der Film Matrix aussehen würde, wenn ihn Alejandro Jodorowsky gedreht hätte, entwickelte sich zu einem ganz eigenen Phänomen.

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Keine Angst vor den Maschinen

Eine genaue Zahl kann Klein nicht nennen, aber das Magazin habe mittlerweile zahlreiche Abonnenten, die rechtfertigen würden, „dass wir das vielleicht etwas professioneller aufziehen“. Außerdem nimmt das Team nun auch Einreichungen anderer KI-Künstler entgegen und will Kooperationen eingehen – sowohl was Geschichten als auch was Bilder betrifft. Denn: „Die Arbeit an dem Magazin ist ziemlich explodiert“, sagt Klein. Es sei schwer, das alles mit einem kleinen Team zu bestreiten. Zudem wolle man auch anderen Kreativen eine Bühne bieten und zeigen, was sonst noch mit den modernen Werkzeugen ge- und erschaffen werden kann. „Da wird noch mehr kommen“, sagt Klein. „Denn es wächst natürlich auch die Community, die diese Tools nutzt und damit einfach spannende Sachen macht.“

Die Kontroverse um mittels Künstlicher Intelligenz generierte Kunst sieht zumindest Philippe Klein eher gelassen. „Die Künstliche Intelligenz, die AI Art, ist da und wird auch nicht mehr verschwinden“, sagt er. Den Widerstand und die Kritik durch viele Künstler an den KI-Werkzeugen sieht er durch Angst vor Veränderung begründet, aber auch durch eine Gatekeeping-Mentalität: einen Widerstand gegen Menschen, die nun Kunst erschaffen können, ohne traditionelle künstlerische Fähigkeiten erworben zu haben. Die Debatten um das Urheberrecht – sowohl der generierten Bilder als auch jener Bilder, die für das Training der Modelle genutzt wurden – sieht Klein hingegen als richtig und wichtig an.

Vor allem bei juristischen Fragen müsse schnell Klarheit, Sicherheit und Transparenz geschaffen werden, weshalb „wir auch dankbar sind, dass [KI-Kunst] so schnell angegriffen wurde, Klagen rausgingen und diese ganzen rechtlichen Angelegenheiten besprochen werden“. Es brauche Prozesse, um die Künstler angemessen zu entschädigen oder zu vergüten. Es müsse eindeutig sein, welche Daten die Firmen hinter den KI-Werkzeugen nutzen dürfen und welche nicht. Und es müsse jeder im Bilde sein, welche Rechte jemand an einem KI-generierten Kunstwerk hat oder nicht hat. Klein geht davon aus, dass letztlich „jeder etwas davon haben“ wird, wenn die Streitigkeiten geklärt und auch die KI-Werke in der Gesellschaft angekommen sind und akzeptiert werden.

Die Künstliche Intelligenz, die AI Art, ist da und wird auch nicht mehr verschwinden.

Philippe Klein

„Ich denke, dass es viele Menschen auch in den nächsten Monaten und vielleicht noch länger als etwas vollkommen Unglaubliches betrachten, dass das alles, was wir machen, jetzt möglich ist“, sagt er. Zahlreiche Menschen würden erst langsam von dieser neuen KI-Revolution erfahren und welche neuen Möglichkeiten, aber auch Herausforderungen damit erwachsen. In den kommenden Jahren werde die Geschwindigkeit und die Massivität der Umbrüche sich eher noch beschleunigen als verlangsamen. „Wir wissen noch gar nicht, was alles möglich werden wird“, meint Philippe Klein. „Aber ab einem gewissen Punkt wird KI einfach zu etwas vollkommen Alltäglichem werden.“

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