Dieses kleine Elektroauto besteht aus Müll

Ein Team der Technischen Universität Eindhoven hat einen kleinen Elektrowagen namens Luca gebaut. Und der ist nicht nur sportlich und unheimlich leicht. Was ihn besonders macht, ist, woraus er besteht. Gebaut wurde er nämlich zum größten Teil aus Abfall aus dem Meer.

Von Michael Förtsch

Sonnengelb wie ein Kanarienvogel leuchtet er. Dazu kommt er mit einem sportlich kurzen Radstand, fließend aerodynamischen Linien und einem knackig knappen Heck daher. Und natürlich ist unter der Haube – oder besser gesagt: im Fahrzeugboden und an den beiden Hinterrädern – grüne Elektrotechnik verbaut. Die soll ihn bis auf 90 Kilometer pro Stunde und 220 Kilometer weit bringen – bei einem Gewicht von nur 360 Kilogramm. Der Luca getaufte Flitzer ist jedoch kein Vorzeigestromer irgendeines neuen Elektroauto-Start-ups, sondern das Resultat eines universitären Forschungsprojektes. Dessen Besonderheit ist auch nicht unbedingt der Wagen selbst, sondern vielmehr wie und woraus er gemacht wurde. Nämlich: aus Müll. Zumindest in weiten Teilen.

Das ist eigentlich eine echte Verschwendung, denn bei all dem Müll ist sicher viel Material dabei, das noch gut verwendet werden kann.
Matthijs van Wijk

„Es ist nicht einfach zu beziffern, wie viel Abfall genau in Luca steckt“, sagt Matthijs van Wijk zu 1E9, der das Projekt an der Technischen Universität Eindhoven geleitet hat. „Aber wir schätzen, dass rund 95 Prozent des Chassis, des Interieurs und der Karosserie aus Müll bestehen.“ Insgesamt 22 Studierende aus allen möglichen Fachbereichen haben rund eineinhalb Jahre an dem Projekt Luca gearbeitet, das einer Tradition der niederländischen Universität entspringt. Nahezu jedes Jahr findet sich an der Hochschule ein neues Team zusammen, das versucht, ein in irgendeiner Weise besonderes Auto zu konstruieren, das Umwelt- und Nachhaltigkeitsprobleme aufgreift und mögliche Lösungen aufzeigt.

Müll aus dem Meer

„Wir haben irgendwo gelesen, dass die Menschheit jedes Jahr rund 2.100.000.000 Tonnen an Abfall erzeugt“, sagt van Wijk. „Wir dachten uns: Das ist eigentlich eine echte Verschwendung, denn bei all dem Müll ist sicher viel Material dabei, das noch gut verwendet werden kann.“ Ob das stimmt und wie gut sich der Müll dann auch verwerten lässt, wollten die Studierenden herausfinden. Dafür organisierten sie über verschiedene Partnerfirmen der Universität und unabhängige Unternehmen zunächst jede Menge Müll, der zum Gros aus den Weltmeeren kam. Das war vor allem Plastik, das in Form von Flaschen, Tüten, Verpackungsmaterial und anderen Abfall herausgefischt worden war.

Plastik wiederverwendbar zu machen, ist theoretisch recht einfach. „Es wird gesäubert, zerkleinert, zerschmolzen und in Plastikpellets zerhackt“, sagt van Wijk. „Dann kann man es weiterverarbeiten und neue Sachen daraus machen.“ Das Problem allerdings: Dieses Plastik hat meist bereits Jahre in Sonne und Salzwasser zugebracht. Dadurch hat die chemische Struktur und dadurch die Festigkeit und Haltbarkeit gelitten. Die Lösung der Studierenden: PET, aus dem unter anderem Plastikflaschen bestehen, wird mit natürlichen Fasern kombiniert und verstärkt.

Das ist ein echt einzigartiges Verbundmaterial, das wir entwickelt und genutzt haben.
Matthijs van Wijk

„Das ist ein echt einzigartiges Verbundmaterial, das wir entwickelt und genutzt haben“, sagt van Wijk. Sehr flache Leinenbändern werden mit Alt-PET imprägniert. Die dünnen Matten werden dann wiederum in leicht versetzten Winkeln aufeinandergeschichtet, erhitzt und miteinander verpresst. Dadurch entsteht ein sehr festes und belastbares Material, das in alle möglichen Formen gebracht werden. Im Fall des kleinen Elektroflitzers wurden mehrere der entstanden Platten als Bodengruppe für Luca auf einen Plastikrahmen mit Wabenstruktur geschichtet, der zusätzliche Festigkeit und Dämmung gibt. Verbunden wurde das alles wiederum mit einem schlanken Rohrrahmen aus recyceltem Aluminium.

Ein anderer Rohstoff ist altes Acrylnitril-Butadien-Styrol-Copolymer oder ABS, ein Hartplastik aus dem unter andere Legosteine; aber auch die Hüllen von Laptops, Fernsehgeräten oder auch Fahrzeuginnenverkleidungen und Stoßstangen bestehen. Dieses wird durch Einschmelzen und Aufbereiten mit verschiedenen Additiven belastbar und „neu genug“, um in die Form einer Karosserie gepresst oder 3D-gedruckt zu werden. Zur Entwicklung der Prozesse und der Herstellung der Teile hat das Team unter anderem mit Öko-Technik-, Recycling- und Fabrikationsfirmen wie Econcore, Greijn Forming Solutions und UBQ zusammengearbeitet.

Ein Vorbild für die „Großen“

Auch im Innenraum hat das Team auf Abfall und natürliche Materialien gesetzt. Unter anderem sind die beiden Sitze aus Pferdehaar und Kokosnussfasern gefertigt. Die Bezüge sind aus einem speziell verarbeiteten Altplastik, das sich anfühlt und ebenso elastisch ist wie Kunstleder. In das Armaturenbrett und die Mittelkonsole floss vor allem Haushaltsverpackungsmaterial ein. Der Grundgedanke des ganzen Wagens ist laut van Wijk ein ziemlich einfacher: Das meiste Plastikmaterial kann nicht ohne erheblichen Qualitäts- und Haltbarkeitsverlust mehr als zehn Male aufbereitet werden. Aufgrund dessen sei es sinniger, es in einem langlebigen Produkt wie einem Auto zu nutzen, anstatt in schneller Folge Plastikflaschen daraus zu machen.

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Dass der kleine Müllwagen so sportlich daherkommt, habe einen ebenso einfachen Grund. „Der erste Eindruck ist echt wichtig“, lacht Matthijs van Wijk. „Wir wollten, dass der Wagen den Leuten ins Auge fällt.“ Gelingt das, war die Hoffnung, würden sie gerne mehr über seine Entstehung und seinen Hintergrund wissen wollen. Das scheint durchaus geklappt zu haben. „Wir wollten zeigen, dass es möglich ist, Müll in vielen Weisen einzusetzen, auch bei der Herstellung von Fahrzeugen“, meint van Wijk. Tatsächlich wäre es für die großen Autofabrikanten jetzt schon möglich, vor allem im Fahrzeuginneren auf Altmaterial zu setzen.

Der erste Eindruck ist echt wichtig. Wir wollten, dass der Wagen den Leuten ins Auge fällt.
Matthijs van Wijk

Dass es der kleine Flitzer der Studierenden abseits dieses Prototyps mal auf den Asphalt schafft, glauben sie bislang nicht. Zwar wollen sie in den kommenden Monaten versuchen, eine Straßenzulassung zu bekommen, um zu zeigen, dass Luca auch im alltäglichen Verkehr sicher und zuverlässig ist. Aber daraus ein Massenprodukt zu machen, das sich in großen Stückzahlen produzieren lässt, das würde sehr viel Aufwand bedeuten – wohl zu viel. Insbesondere, wenn das Team dabei seiner Recyclingvision treu bleiben will. Allerdings: Wenn es soweit käme, glaubt van Wijk, wäre der kleine Flitzer kein teures Fahrzeug, sondern auch dank seiner Ausgangsmaterialien ein Auto, das „zu einem vernünftigen Preis“ angeboten werden könne.

Teaser-Bild: Eindhoven University of Technology

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