Der spanische Architekt Alfredo Munoz hat gemeinsam mit Wissenschaftlern einen spektakulären Plan für eine Mars-Stadt mit über 200.000 Bewohnern entworfen. Statt unter riesigen Kuppeln und Stahldächern sollten wir seiner Ansicht nach im Felsgestein der Mars-Berge leben. Bis die ersten Menschen dort einziehen, würde es aber auf jeden Fall noch Jahrzehnte dauern. Wir haben mit Munoz gesprochen.
Von Michael Förtsch
Elon Musk hängt seinem Zeitplan hinterher. Eigentlich wollte er bis 2024 die ersten Menschen auf den Mars bringen. Aber die Entwicklung seines Starships geht langsamer voran als gedacht. Dass aber irgendwann Menschen auf dem roten Planeten ankommen, dort leben und sogar eine neue Zivilisation aufbauen wollen, davon ist er überzeugt. Und er ist damit nicht alleine. Genauso wenig wie mit der Gewissheit, dass eine Stadt, eine Gesellschaft und das Zusammenleben auf dem vierten Planeten unseres Sonnensystems wohl anders aussehen müsste als auf der Erde. Aber wie? Darüber macht sich Alfredo Munoz, der Gründer des spanischen-amerikanischen Design- und Architekturkollektivs Abiboo und Mitglied des Space Architecture Technical Committees, bereits seit Jahren viele Gedanken.
Mit Nüwa City plante der Architekt nun gemeinsam mit Materialwissenschaftlern, Raumfahrtexperten und Künstlern der Forschungsvereinigung The Sustainable Offworld Network – kurz: SONet – eine komplette Stadt. Sie könnte in der Region von Tempe Mensa entstehen, einer Ebene mit einem ein Kilometer hohen Plateau in der nördlichen Hemisphäre des Mars. Aus der Vogelperspektive hätte sie kaum etwas mit bisherigen Ideen für Mars-Kolonien gemein. Statt Kuppeln und Röhren würden aus großer Höhe nur ein Wall vor einer hohen Klippe und auf dem Plateau eine riesige Fläche aus Solarzellen ins Auge stechen. Denn wohnen würden die 250.000 Einwohner von Nüwa City nicht auf, sondern vielmehr im Mars: nämlich im Fels der dichten Gesteinsformation, aus der Hunderte und teils mehrere Stockwerke hohe Röhren mit dicken Fenstern und kleinen Kuppeln wie Nadelköpfe hervorstehen würden.
Im Inneren der Klippe sind die Bewohner vor Strahlung, Mikrometeoriten und Sandstürmen geschützt.
Alfredo Munoz
„Ich bin seit Jahren besessen von Canyons und Klippen“, sagt Munoz im Gespräch mit 1E9. Daher sei es eine seiner ersten Ideen gewesen, nicht eine Stadt für die Oberfläche des roten Planeten zu planen, sondern für sein Inneres. Die Stadt im Plateau würde zu großen Teilen aus zehn Meter durchmessenden Röhren bestehen, die bis zu 150 Meter in das Kliff hineingetrieben würden und sich zu einem dichten Netz verbinden. In diesem Netz würden aus vorgefertigten Modulen große und kleine Räume geschaffen, die sich wiederum zu großen Modulen zusammenfassen lassen. Munoz nennt diese Konstrukte Makro-Gebäude. Sie funktionieren wie Wolkenkratzer oder Stadtteile – nur eben kompakt hineingebaut in marsianischen Fels. Jedes Makro-Gebäude würde 4.400 Menschen einen Lebensmittelpunkt bieten. Untereinander würden sie mit schnellen Aufzug- und Bahnsystemen verbunden sein.
Mehr Licht
Das Wohnen im Fels wäre für die Marsianer sicher gewöhnungsbedürftig, aber hätte laut Munoz ganz handfeste Vorteile. „Im Inneren der Klippe sind die Bewohner vor Strahlung, Mikrometeoriten und Sandstürmen geschützt“, sagt er. Das spare Millionen Tonnen an Material, das für ein Mars-Habitat gebraucht würde, wie es sich etwa Elon Musk vorstellt. Dazu absorbiert und verteilt der Fels den Druck, der geschaffen werden muss, um eine für Menschen atembare Atmosphäre zu halten und kommt problemlos mit den extremen Temperaturschwankungen auf dem roten Planeten zurecht. Nicht zuletzt kann durch die zahlreichen Fenster in der Felswand natürliches Licht in die Mars-Stadt gelenkt werden – und das nicht nur, um den Strombedarf zu senken. „Natürliches Licht ist essenziell für das psychische Wohlbefinden“, sagt der Architekt. „Uns allen ist klar, dass ein Leben unter der Erde vielleicht nicht die idealste Lebensweise ist.“ Daher solle so ein Gefühl erzeugt werden, als wäre man auch drinnen irgendwie draußen.
Uns allen ist klar, dass ein Leben unter der Erde vielleicht nicht die idealste Lebensweise ist.
Alfredo Munoz
Tatsächlich soll es für die meisten Marsianer aber so gut wie nie nötig sein, die inner-marsianische Stadt im Plateau zu verlassen. Sie solle alles in allem ähnlich funktionieren wie eine Arkologie oder auch die Casinos in Las Vegas, die durch überdachte Rolltreppen, Brücken und Mono-Rails so verbunden sind, dass theoretisch kein Gast ins Freie treten muss. Neben Wohn- und Arbeitsräumen sollen im Fels auch große Atrien, Gemeinschafts- und Marktplätze, Sport- und Unterhaltszentren sowie „zahlreiche grüne Bereiche“ existieren. Darunter Parks und Gärten, die in die Nadeln in der Steilwand hineinragen. Ebenso soll es natürlich Schulen, Universitäten und Krankenhäuser geben. Eben alles, was es auf der Erde auch gibt. Auch „ganze Ausschnitte der Erde“, stellt sich Munoz vor, könnten angelegt werden. Also etwa kleine Wälder, in denen auch irdische Tiere leben.
Am Fuße des Kliffs sollen zudem riesige Gewächshäuser errichtet werden, die gleich Fußzehen aus dem Fels hervorstehen. Hier sollen verschiedene Ökosysteme und Klimazonen der Erde simuliert werden, die dadurch verschiedenste Nahrungsmittel für die Stadt hervorbringen – Salat, Obst, Gemüse sollen hier wachsen, aber auch Nutztiere sollen hier gezüchtet werden. Ebenso sind diese Treibhäuser auch dafür da, nebst den technischen Aufbereitungsanlagen CO2 in atembaren Sauerstoff umzuwandeln. Diese wie auch alle anderen Einrichtungen sollen von den Bewohnern der Stadt möglichst gemeinsam und kooperativ betrieben und erhalten werden. Denn geht es nach Munoz und den Forschern von SONet wäre jeder Bewohner auch ein Miteigner der Stadt, wie in einer Genossenschaft.
„Wir stellen uns eine marsianische Gesellschaft vor, die sehr von der Gemeinschaft abhängig ist“, erklärt der Architekt. Um die Bevölkerung am Leben zu erhalten, wird sich jedes Stadtmitglied auf die anderen Menschen um sich herum verlassen müssen.“ Der Mars könne im Idealfall sogar zu einem neuen Verständnis der Beziehung der Menschen untereinander und mit ihrer Umgebung führen. „Auf dem Mars können wir die Umwelt nicht so schnell an unsere Bedürfnisse anpassen, sondern sind gezwungen, uns an den Planeten anzupassen“, so der Architekt weiter. „Diese neue Realität könnte einen größeren Respekt für das hervorbringen, was der Mars bietet.“
Noch 80 Jahre
Die Mars-Stadt Nüwa City soll sich selbst versorgen – mit Nahrungsmitteln, Strom und Luft. Aber vollkommen autark könne sie nicht existieren, glaubt Alfredo Munoz. Daher sei sie eigentlich nur ein Teil, wenn auch der zentrale, eines größeren Plans. Nüwa City würde nämlich deutlich kleinere Schwesterstädte haben: Fuxi City, Abalos City, Marineris City, und Ascareus City. Die wären nicht primär als Orte geschaffen, um dort zu leben, sondern um Ressourcen wie Metalle, Wasser und Mineralien zu ernten, die für den Auf- und Ausbau einer Mars-Zivilisation gebraucht werden. Auch als Absicherungs- und Rückzugsort sollen sie herhalten, sollte es in Nüwa City zu einer Katastrophe kommen. In diesen Vororten würden daher ebenfalls Wohn- und Arbeitsplätze in den Fels hineingetrieben. Untereinander verknüpft würden die Städte mit Straßen aber auch Hochgeschwindigkeitszügen.
Der spanische Architekt gibt gerne zu, dass seine Pläne äußerst futuristisch wirken, unrealistisch sogar. Aber: „Systeme zum Tunnelbau, wie sie für Nüwa dringend gebraucht würden, gibt es schon hier auf der Erde“, sagt er. Nur müssten sie noch „reifen und weiterentwickelt werden“. Maschinen, wie sie für den Gotthardbasistunnel oder die Loop-Netze von The Boring Company genutzt wurden und werden, wären auf dem richtigen Weg. Andere Technologien bräuchten wohl noch länger. Insbesondere Roboter, die vor den menschlichen Siedlern auf den Mars geschickt werden sollen, um vollkommen autonom die ersten Teilabschnitte der Städte aufzubauen und für die Siedler vorzubereiten. „Robotik und künstliche Intelligenz werden in Nüwa von entscheidender Bedeutung sein“, so Alfredo Munoz. „Noch haben wir diese Technologie nicht, aber wir sind optimistisch, dass sie in den nächsten zwei Jahrzehnten verfügbar sein wird.“
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Jetzt Mitglied werden!Diese technologischen Herausforderungen bedacht, schätzt Munoz, dass der Bau einer Mars-Siedlung wie Nüwa City im Jahr 2054 beginnen könnte. Einige Jahre später könnten die ersten Pioniere auf dem Mars einziehen. Gegen 2100 könnte schließlich der Bau eines Projektes wie Nüwa beendet sein. Natürlich gäbe es dabei viele Ungewissheiten und sicher auch Probleme, die jetzt noch nicht erkennbar seien – genauso wie bei Mega-Projekten auf der Erde. „Der Panamakanal erforderte jahrzehntelange Arbeit“, vergleicht der Architekt. „Ähnlich braucht es auch für eine Stadt auf dem Mars eine Vision, die über kurzfristige Erfolge und Entwicklungsabschnitte hinausschaut.“
Der Panamakanal erforderte jahrzehntelange Arbeit.
Alfredo Munoz
Eine noch größere Herausforderung als der Bau von Nüwa City sei es, diese Stadt dann mit Leben zu füllen, indem Abertausende von Menschen von der Erde zum Mars gebracht werden. „Das ist ein massives Unterfangen“, meint Munoz. „Elon Musk und SpaceX könnten dabei in den nächsten Jahrzehnten eine große Hilfe sein, aber es muss auch hier kolossale technologische Fortschritte geben, damit Nüwa zur Wirklichkeit werden kann.“
Auch sonst setzt Munoz auf Elon Musk und hofft, dass SpaceX vielleicht auf ihn und das Wissenschaftsteam, mit dem er zusammenarbeitete, zukommt, um das erste Habitat auf dem Mars zu entwickeln. Denn es gäbe, wie Nüwa demonstriere, „so einige bessere und nachhaltigere Optionen für ein Mars-Habitat als Glaskuppeln“. Dass sich all diese Mühe lohnen würde, davon ist der Architekt überzeugt. Denn mit der Arbeit an Nüwa könnte nicht nur ein zweites zu Hause für die Menschheit geschaffen werden. Es könnten auch neue Technologien und Erkenntnisse gewonnen werden, die helfen, Probleme und Herausforderungen auf der Erde anzugehen und unseren Planeten als lebenswerte Heimat zu erhalten.
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Teaser-Bild: ABIBOO Studio