Diese Riesenvibratoren sollen dort grünen Strom erzeugen, wo Windräder fehl am Platz sind

Mit Windkraftanlagen lässt sich nachhaltig saubere Energie erzeugen. Jedoch lassen sich Windräder nicht überall einsetzen, sind nicht an jedem Ort sinnvoll oder werden akzeptiert. Daher will das spanische Start-up Vortex Bladeless eine Alternative anbieten. Denn das hat in den vergangenen Jahren eine Windkraftanlage ohne Flügel entwickelt.

Von Michael Förtsch

Überall auf der Welt entstehen mittlerweile Windparks. Mal sind es einzelne Windräder, die zwischen Wäldern und Wiesen in die Höhe ragen. Mal sind es Dutzende davon, die sich eng gedrängt an Küsten und an Autobahnen entlang ziehen. In Deutschland ist Windenergie dadurch im Jahr 2020 bereits zur wichtigsten Stromquelle geworden. Ihr Anteil am Energiemix lag bei ganzen 25,6 Prozent – und damit vor der Kohle-, Sonnen-, Erdgas- und Atomkraft. Das Potential von Windenergie liegt noch viel höher. Vor allem natürlich in Küstenregionen und im flachen Land könnten und werden in Zukunft weitere Windparks entstehen. Aber natürlich können, dürfen und sollen große Windräder nicht überall aufgestellt werden, wo es theoretisch möglich wäre. Denn die riesigen Windanlagen sind nicht ohne Makel und Probleme.

Wir wollen die bekannten Windkraftanlagen nicht ersetzten.
David Yañez

Windkraftanlagen können Lärm verursachen, der Tiere irritiert und stört. Daher sind Windparks in oder in der Nähe von Naturschutzgebieten nicht ideal. Sie können für Vogelschwärme gefährlich werden, selbst wenn das Ausmaß des Problems bis heute nicht gänzlich geklärt ist. Außerdem kommt es immer wieder zu Bürgerprotesten und einer Ablehnung von Windkraftanlagen. Das alles hat der spanische Ingenieur David Yañez bereits vor Jahren erkannt und als Probleme ausgemacht, die nicht nur gelöst werden sollten, sondern auch können. Genau das will er nun mit seinem Start-up Vortex Bladeless tun.

„Wir wollen die bekannten Windkraftanlagen nicht ersetzten“, sagt Yañez. „Es ist eine sehr ausgereifte Technologie. Aber wir können in einigen Fällen eine gute Alternative darstellen oder eine Möglichkeit anbieten, Windkraft dort zu ernten, wo traditionelle Windräder nicht genutzt werden können oder versagen.“ Geschehen soll das mit einer Windturbine, die gänzlich ohne Flügel auskommt und eher an ein Sex-Spielzeug erinnert als an eine traditionelle Windkraftanlage. Denn bei der Vortex-Bladeless-Turbine handelt es sich um einen breiten Pfahl, der auf einem schmalen Podest steht und im Wind heftig zu vibrieren beginnt.

Eine Katastrophe als Vorbild

Die Vergleiche der Turbine mit einem Vibrator sind für Yañez nicht neu. Von der Internet-Community Reddit wurde ihr auch schon scherzhaft der Spitzname Skybrator verpasst. Darüber kann auch der Ingenieur selbst schmunzeln. „Nun, obwohl wir als Ingenieure versuchen, das Thema ernst zu nehmen, ist es wirklich lustig – und es schadet ja auch nicht“, sagt Yañez. Die einstige Inspiration für die Turbine sei aber eine ganz andere gewesen. Nämlich eine echte Katastrophe: der Einsturz der Tacoma-Narrows-Brücke.

Die zwischen 1938 und 1940 im US-Bundesstaat Washington erbaute Brücke kam durch ihre Konstruktion selbst bei leichtem Wind ins Flattern, wodurch die Fahrbahn auf- und abschwang. Durch starke Winde wurden die Schwingungen am 7. November 1940 so stark, dass die Fahrbahn nach rund 45 Minuten einfach zerriss. „Als ich an der Uni studierte, vor vielen, vielen Jahren, stieß ich auf das Video dieses Einsturzes“, sagt Yañez. Es habe ihn vollkommen fasziniert. Denn, obschon es ein Desaster zeigte, zeigte es auch „dass es viel ungenutzte Energie gibt und dass das Phänomen [das die Brücke einstürzen ließ] dafür genutzt werden kann, diese Energie zu nutzen.“

Das Prinzip der Vortex-Bladeless-Turbinen ist laut David Yañez im Grunde recht einfach. Wie die Brücke wird auch die Turbine vom Wind umweht. Dabei kommt es zu einem Phänomen namens Vortex Shedding, bei dem der Wind abwechselnd rechts und links am Zylinder zieht. Dieser ist ganz bewusst lose installiert und beginnt dadurch, ganz ähnlich der Fahrbahn der Brücke, zu schwingen. Diese Schwingungen treiben einen aus Permanentmagneten und Spulen konstruierten Wechselstromgenerator an, der in die Säule integriert ist. Er dient gleichzeitig als magnetisches Begrenzungssystem, das verhindern soll, dass der Schaft zu stark ausschwingt und bricht.

Nun, obwohl wir als Ingenieure versuchen, das Thema ernst zu nehmen, ist es wirklich lustig – und es schadet ja auch nicht.
David Yañez

Dass diese Idee nicht nur in der Theorie funktioniert, wollten David Yañez und einige Mitstreiter bereits 2014 bei einem Unternehmerwettbewerb beweisen – und konstruierten erste Prototypen, die zeigten, dass auf diese Weise tatsächlich Strom erzeugt werden kann. „Von da an haben wir das Konzept mithilfe von Förderprogrammen und der Unterstützung von Firmen und Forschungseinrichtungen langsam weiterentwickelt“, so Yañez. Denn trotz der simplen Funktionsweise hätte es viele Überraschungen und Probleme mit der Physik und den Materialien gegeben, die das im Kern nur sechs Personen kleine Team zu Beginn nicht verstand oder derer es sich gar nicht bewusst war.

Kein Ersatz für Windräder, aber trotzdem eine Alternative

Seit Beginn des Jahres 2021 soll das Start-up so weit sein, seine schwingenden Turbinen in naher Zukunft zumindest in einem kleinen Maßstab anbieten zu können. Derzeit hätte das Unternehmen selbst zehn sogenannte Vortex-Nano-Varianten im Dauerbetrieb, die 85 Zentimeter hoch sind und eine kleine Reihe von Vortex Tacoma, die immerhin 2,75 Meter messen. Dazu würden gerade mehrere Universitäten, NGOs, Naturparks und Gemeinden mit Vortex-Turbinen aus einer Kleinserie für Langzeitstudien ausgestattet. Tatsächlich sollen diese Turbinen zunächst nur in diesen „Haushaltsgrößen“ fabriziert werden, weil sie, wie Yañez sagt, „einfacher herzustellen und zu testen sind“.

Was den erzeugten Strom angeht, hängen die die Vortex-Turbinen den klassischen Windrädern hinterher. Eine Schwingturbine könne rund 30 Prozent des Stroms liefern, den ein Windrad gleicher Größe liefert. Konkret produziere eine einzelne Vortex Nano im Durchschnitt 3 Watt. Ein Vortex Tacoma hingegen bereits rund 100 Watt. Denn mit der Größe nimmt auch der Schwungradius und damit die umwandelbare Energie fast im exponentiellen Maße zu. Wirklich effizient werde der Einsatz in großer Anzahl. Denn auf einer Fläche, auf der nur ein Windrad Platz habe, könnten teils Dutzende Vortex-Turbinen aufgestellt werden. Sei es auf Hügeln, entlang von Straßen oder auf Fabrikdächern.

Und das könnten sie sogar, verspricht Yañez, ohne zu stören. „Die Leute stellen sich kein Windrad in den Garten, weil es laut ist und viel Wartung braucht“, sagt er. „Aber unsere Geräte sind sehr, sehr leise, für Tiere wie Vögel vollkommen ungefährlich und sie sind auch noch einfach aufzustellen. Sie könnten für viele Leute und Projekte die richtige Wahl sein.“ Da es abseits des schwingenden Schafts keine beweglichen Teile gibt, wären die skurrilen Turbinen auch nahezu wartungsfrei und in der Produktion deutlich günstiger. Das einzige Bauelement das stark belastet würde, wäre eine aus Karbonfaser gefertigte Stange im Inneren.

Unsere Simulationen sagen, dass es viele Jahre keine Wartung braucht.
David Yañez

„Unsere Simulationen sagen, dass es viele Jahre keine Wartung braucht“, so Yañez. „Aber irgendwann wird uns der Test im Alltag zeigen, wie die Lebensspanne wirklich ausfällt.“ Auch ob und wie schnell eine Vortex-Turbine ihre Anschaffungskosten – für die 2,75 Meter große Tacoma werden zwischen 200 und 300 Euro geschätzt – wieder einspielt, ließe sich derzeit noch nicht sagen. Auch hier wäre die beste Möglichkeit es herauszufinden, die Technik „im echten Leben zu erproben“.

Kunden gibt es genug

Potentielle Kunden, die gerne herausfinden wollen, ob, wie gut und nachhaltig die Vibrator-Energieerzeuger funktionieren, gibt es offenbar zu Hauff. Das Start-up habe bereits zahlreiche Anfragen. „Einige wollen möglichst kleine und andere möglichst große [von unseren Turbinen]“, so der Entwickler. Es gäbe Segelsportler, die sie auf ihren Booten installieren wollen, aber ebenso Behörden und Universitäten, die damit Forschungs- und Wetterstationen an Orten versorgen wollen, wo Solarpaneele zu wenig oder zu unzuverlässig Strom liefern.

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Aber auch Städte, Kommunen (auch aus Deutschland) und große Energieunternehmen haben bereits Anfragen an Vortex Bladeless gestellt. Ebenso ist das Start-up gerade mit dem norwegischen Öl- und Gas-Riesen Equinor eine Förderkooperation eingegangen, um Möglichkeiten zur Weiterentwicklung auszutarieren und nach weiteren Partnern zu suchen. Denn langfristig sollen durchaus auch größere Exemplare der Turbinen realisiert werden. Zunächst eine 140-Meter-Version, die bis zu einem Megawatt an Strom erzeugen könne. „Unsere Rechnungen sagen, dass auch mehr als 200 Meter machbar wären“, sagt Yañez. Ob das stimmt, das würde sich früher oder später zeigen.

Für jeden Ort und jede Bedingung gibt es eine Technik, die einfach gut passt.
David Yañez

Sollten wirklich in einigen Jahren Vortex-Turbinen in großen Stückzahlen und vielleicht auch Kraftwerk-tauglichen Größen gebaut werden, wären sie jedoch keine Allzwecklösung oder die besseren Windkraftanlagen. Das betont Yañez mit Nachdruck. Er selbst und seine Kollegen wollen Windräder, Solaranlagen, Wasserkraft und andere erneuerbare Energien nicht verdrängen, sondern lediglich eine weitere Option für eine potentiell große Nische anbieten. Es würden sicher Regionen existieren, wo sie Windräder oder Solaranlagen ersetzen könnten, weil sie effizienter oder umweltverträglicher funktionieren, aber bei weitem nicht überall. „Für jeden Ort und jede Bedingung gibt es eine Technik, die einfach gut passt“, sagt Yañez. Für manche wären in Zukunft einfach diese Vibrator-Kraftwerke die beste Möglichkeit und für andere eben auch nicht.

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Teaser-Bild: Vortex Bladeless

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Tolle Technologie, und der Artikel beschreibt schön was sie kann und nicht kann. Ich hatte das Projekt vor einigen Jahren mal recherchiert, es gibt viel Kritik wegen der geringen Leistung, auch immer wieder den Vorwurf, die Leute würden sich nur von Förderung zu Förderung hangeln.

Letztendlich wird es eine Preisfrage sein - wenn ich meinen Windpark an der Küste oder meine isolierte Wetterstation lieber mit einem großzügig dimensionierten Solarpanel, das auch im Winter täglich genug abwirft, betreiben kann, brauche ich die Schwingstöcke nicht. An einem Segelboot kann ich auch eine kleines Windrad nutzen, das ist effizienter und kompakter.

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Ja, die Kritik hatte ich auch gesehen … und immer wieder gelesen. Aber die bezog sich eben hauptsächlich auf die Annahme, dass damit eben Windräder ersetzt werden sollen, was so eben einfach nicht stimmt – und nie gestimmt hat. Und dass sich die Entwickler von Förderung von Förderung hangelten, das ist auch nur in Teilen korrekt und eigentlich nichts verwerfliches. Das müssen leider viele Teams tun, die an radikalen Konzepten arbeiten.

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Wie sieht es aber mit den Argumenten von @DrBolle zu anderen Technologien aus? Kleine Windräder, oder PV Panels, sind für kleinere Anwendungen ebenso effizient!? Finde es verwunderlich, dass die Dinger genau so gut wären, oder besser, als etablierte Möglichkeiten, dann aber kaum Verwendung oder Funding finden. Ob man sich über von Förderung zu Förderung hangelt ist vor allem auch eine Einstellungsfrage. Wenn die Argumente gut sind, kann man auch anders und wesentlich mehr Geld bekommen, als über klassische Förderungen.

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