Diese künstliche Nase kann lernen, mehr und besser zu riechen

Ein Start-up aus Dresden arbeitet an einer künstlichen Nase, die mit Kohlenstoffnanoröhren und Künstlicher Intelligenz funktioniert. Eine Geruchsdatenbank soll gemeinsam mit der Maker-Szene aufgebaut werden. Außerdem soll in Kooperation mit professionellen Entwicklern und Hobby-Bastlern nach Anwendungen und Einsatzmöglichkeiten gesucht werden, an die die Macher selbst nicht dachten.

Von Michael Förtsch

Hey [hier den Namen eures Sprachassistenten einfügen], riechst du das? Was ist das? Noch können Heim-Assistenten wie Alexa, der Google Assistant oder freie Alternativen diese Fragen nicht beantworten. Und das obwohl eine solche Funktion dann und wann sehr naheliegend und nützlich wäre. Etwa, wenn in der Küche die Pizza oder der Kuchen im Ofen backt und anzubrennen droht. Oder wenn man sich nicht so ganz sicher ist, ob die Milch tatsächlich noch trinkbar ist. Das Start-up SmartNanotubes Technologies aus Dresden will dafür sorgen, dass euch auch in diesen Fällen bald geholfen wird. Denn das hat eine künstliche Nase entwickelt – oder zumindest einen kompakten Geruchssensor, der als solcher funktionieren kann.

Hinter dem Unternehmen steht der Physiker Viktor Bezugly, der sich an der TU Dresden seit einem Jahrzehnt mit Nanomaterialien befasst. Wie er im Gespräch mit 1E9 sagt, wunderte er sich, dass alle möglichen Lösungen existieren, „um elektronische Geräte mit Kameras sehen, mit Mikrofonen hören und durch Berührung fühlen“ zu lassen, aber „es noch keine gute technische Lösung für die Digitalisierung des Geruchssinns gibt“. Zumindest keine, die in der Breite einsetzbar und für die Masse verfügbar ist. Also entschloss er sich, dafür mit einem kleinen Team eine Lösung zu finden. Und die entdeckte er direkt in seinem Fachgebiet. Nämlich Nanomaterialien. Oder konkreter: Kohlenstoffnanoröhren. Also mikroskopisch kleinen Röhrchen, die aus Kohlenstoff bestehen.

Das Prinzip der Geruchserkennung ist der menschlichen Nase ziemlich ähnlich.
Viktor Bezugly

Die Röhren dienen als Sensoren für Gaspartikel und erfüllen dadurch eine ähnliche Funktion wie die Rezeptoren einer Nase. Das tun sie besonders gut, da sie durch ihre einzigartige Konstruktion ein gigantisches Verhältnis von Oberfläche zu Volumen bieten: Sie wiegen fast nichts, bieten aber reichlich Platz, an dem sich Gas-Moleküle verfangen und registriert werden können. „Ich kann mir kein besseres Sensormaterial vorstellen“, sagt Viktor Bezugly. „Wir verwenden ein sehr einfaches Messprinzip: Der elektrische Widerstand unserer Sensorelemente ändert sich in Reaktion auf die Exposition gegenüber Gasen, auch gegenüber Gasgemischen, die Gerüche sind.“

Ein kleiner Chip mit viel Potenzial

Die Künstliche Nase von SmartNanotubes besteht im Kern aus einem kompakten Chip, auf dem die Nanoröhren aufgebracht sind: dem Smell iX16. Vier Stück davon sind auf dem sogenannten Smell Inspector integriert, quasi der kompletten Nase, die aus Platine und Gehäuse besteht. Für sie sammeln die Entwickler derzeit erfolgreich eine Anschubfinanzierung auf Kickstarter ein. Ohne ein entsprechendes Gehirn, das den Geruch interpretiert, ist die Nase allerdings wenig wert. Daher hat das Start-up auch eine Software entwickelt, die beurteilen soll, was die Nanoröhrchen wahrnehmen. Dabei handelt es sich um eine Künstliche Intelligenz, die die Muster, die durch die Schwankungen im elektrischen Widerstand erzeugt werden, interpretiert und mit bekannten Mustern aus einer Datenbank vergleicht.

„Das Prinzip der Geruchserkennung ist der menschlichen Nase [dadurch] ziemlich ähnlich“, sagt Viktor Bezugly. Da das System auf einer Künstlichen Intelligenz aufbaut, kann es auch neue Gerüchte lernen. Es sei wie ein Baby, das „verschiedene Sachen riecht und dann die Gerüche wiedererkennt“. Um eine möglichst große, vielfältige und verlässliche Datenbank aufzubauen möchte das Unternehmen daher Hilfe – und zwar von den Nutzern und der Maker-Szene. Der TV-Fernbedienung-große Smell Inspector soll nämlich nicht nur mit einer zugehörigen App an Windows-Rechnern und modernen Tablets und Smartphones funktionieren. Seine Platine lässt sich auch an Mini-Computer wie den Raspberry Pi und den Microcontroller Arduino koppeln.

Dazu können die Nutzer mit der Smell Annotator Environment genannten Software gezielt neue Düfte und Gase katalogisieren, die in einer Datei gespeichert, geteilt und weiterverarbeitet werden können. „Zunächst werden wir der Community beibringen, wie die Geruchsmessungen mit dem Smell Inspector korrekt durchgeführt werden“, sagt Bezugly. „Im Anschluss werden wir in unserer Software eine Selbsttestfunktion integrieren, die die Qualität der Messungen kontrolliert und warnt, wenn die aufgenommenen Daten nicht für die Datenbank verwendbar sind.“

Wer Gerüche gesammelt hat, der soll sie nämlich bei einer Website einreichen können. Und die soll nicht nur für SmartNanotubes nützlich sein. Stattdessen soll es sich um eine Open-Access-Datenbank handeln, die für alle offensteht und nutzbar ist. Die Hoffnung der Entwickler ist, dass sich dadurch mit einer Community interessante Anwendungsideen finden lassen oder sogar neue Produkte, die gemeinsam konzipiert und weiterentwickelt werden. „Wir werden die Community mit unserem Wissen und unserer Erfahrung unterstützen“, so der Physiker. „Und wir freuen uns sehr, wenn verschiedene neue Anwendungen von der Community mitentwickelt werden.“

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Großes Interesse an der Nase

Das Interesse der Bastler-Szene ist tatsächlich groß. Das Finanzierungsziel von 27.800 Euro auf Kickstarter hatte das Team daher binnen weniger Tage erreicht und überschritten. In Foren wird bereits debattiert, für welche Anwendungen sich der Smell Inspector etwa in Raspberry-Pi-basierte Smart-Home-Lösungen integrieren ließe. Ob er sich etwa nutzen ließe, um die Fenster zu schließen, wenn Bauern in ländlichen Gegenden ihre Felder düngen oder ob er die eigene Katze am Geruch erkennen und automatisch eine Katzenklappe öffnen könnte. Und auch auf eine Koppelung mit Heim-Assistenten wie Alexa und Google Assistant hoffen einige. Laut Bezugly gäbe es aber auch schon professionellere Projekte von Wissenschaftskollegen, die den Smell Inspector etwa in Messaufbauten einsetzen möchten.

Und wir freuen uns sehr, wenn verschiedene neue Anwendungen von der Community mitentwickelt werden.
Viktor Bezugly

Auch von potentiellen Kunden aus Industrie und Behördenkreisen gibt es schon Anfragen, die den Smell-iX16-Chip und den Smell Inspector in dedizierten Bereichen nutzen wollen. „Sie reichen von der Qualitätskontrolle in der Lebensmittel- und Getränkeproduktion bis zur Erkennung von Bienenkrankheiten, von der inneren Sicherheit bis zur Hilfe für behinderte Menschen“, sagt der Physiker. Dass die Kunstnase aber bald etwa professionelle Drogen- und Bombenspürhunde an Flughäfen und bei der Polizei arbeitslos macht, glaubt Bezugly übrigens nicht. Zumindest nicht in allen Fällen. Und auch einen geübten Sommelier wird die Technik wohl nicht ersetzen können.

Die Kunstnase scheint also schon jetzt auf viel Liebe zu stoßen. Dabei soll sie für das junge Start-up aber nicht das einzige, sondern nur das erste große Projekt sein. Denn der Name SmartNanotubes sei durchaus bewusst gewählt. Die Geruchserkennung und Gassensorik wäre nur eine von vielen Möglichkeiten, Kohlenstoffnanoröhren zu nutzen. „Wir entwickeln schon zwei weitere Anwendungen auf Nanoröhrenbasis“, sagt Bezugly. Welche, das soll jetzt noch nicht verraten werden. Aber sie sollen, verspricht der Physiker, „das Leben der Menschen verbessern.“

Teaser-Bild: SmartNanotubes

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Nice, da bin ich sehr auf die Entwicklung gespannt!

→ tatsächlich ein real-world-problem:

Vor gut 5-6 Jahren hatten wir mal mit anderen Sensoren experimentiert, die auf den typischen „elektrischen Geruch“ reagieren. Dieser entsteht, wenn elektronische Bauteile oder Leitungsisolationen zum Beispiel durch Überlast thermisch geschädigt wurden. Es riecht dann verschmort…
Jeder Elektriker erkennt diesen Geruch beim Öffnen von Schaltschränken, der noch vor dem ersten Blick schon auf irgendeinen Fehler hindeutet.
Damals waren diese Sensoren leider weder ausreichend spezifisch noch sensitiv.

Die bislang verwendeten Rauch(warn)melder detektieren lediglich Rauchpartikel, also schlagen erst Alarm, wenn es tatsächlich schon qualmt. Einer meiner Professoren schuf dafür den Terminus „BDQ Signal“ - Beißender Dunkler Qualm. :boom: :dash: :grin:

Es wäre eine tolle Sache, wenn diese künstlichen Nasen zuverlässig auf den häufig lange vor einem Brand auftretenden Schmorgeruch ansprechen würden. Damit bekäme man eine hervorragende Möglichkeit der Brandfrüherkennung, ja eigentlich sogar der Brandvermeidung.
Der größte Teil der Brände in industriellen und technischen Einrichtungen ist durch Fehler in elektrotechnischem Equipment verursacht, dem könnte man damit vorbeugend und tatsächliche Brandentstehung zuverlässig verhindern.
Auch im Sinne vorbeugender Wartung wäre das ein Gewinn, teure Anlagenausfälle könnten reduziert werden.

Ich wundere mich nur etwas über die verhaltene Resonant bei Kickstarter - vermutlich zu wenig Öffentlichkeit. Wäre das Start-up aus dem Silicon Valley und nicht aus dem Silicon Saxony, hätten die vielleicht schon ein paar Millionen mehr eingesammelt. :thinking:

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