Die Initiative RespectFarms will Bauernhöfe zu Kulturfleisch-Produzenten machen

In naher Zukunft soll Fleisch nicht mehr von Tieren, sondern aus sauberen Fabriken kommen. Tierleid soll damit ein Ende finden. Aber was bedeutet das für Bauern, die Kühe und Hühner züchten? Die Initiative RespectFarms will ihnen helfen, selbst zu Kulturfleischherstellern zu werden.

Von Michael Förtsch

Fleisch, aber ohne Tierleid und Massentierhaltung. Das ist das Ziel vieler Start-ups. Sie wollen Fleisch in Zukunft einfach in Fabriken erzeugen. Aus Zellkulturen sollen in Tanks mit Nährlösungen einfach Steaks, Fischfilets und Hühnerbrust heranwachsen. Noch scheint es eine Weile hin, bis wir in jedem Supermarkt solche Produkte kaufen können. Aber erste Firmen bereiten sich darauf vor, ihr sogenanntes Kulturfleisch in Restaurants und ausgewählten Geschäften anzubieten. Zu Beginn noch zu recht hohen Preisen, die aber drastisch fallen sollen, wenn die Kapazitäten und die Nachfrage wachsen. Doch was ist dann eigentlich mit jenen, die bisher die Tiere für die Fleischproduktion geliefert haben? Nicht unbedingt den Zuchtbetrieben, aber den Bauernhöfen, die Rinder, Hühner und andere Tiere halten? Eine in den Niederlanden und Deutschland beheimatete Forschungsinitiative namens RespectFarms will ihnen helfen, umzuschwenken und ihre Existenz neu aufzustellen.

Die Idee für RespectFarms kommt nicht von ungefähr. Eine der Initiatorinnen ist Ira van Eelen, die Enkelin des Wissenschaftlers Willem van Eelen. „Er war weltweit der erste, der öffentliche Mittel für die Erforschung von kultiviertem Fleisch erhielt“, sagt Florentine Zieglowski, eine der Co-Gründerin der Initiative. Der 2015 verstorbene Niederländer gilt als der Vorreiter der Kulturfleischforschung. Er suchte nach einem Weg, Fleisch zu erzeugen, für das kein Lebewesen zu Schaden kommt und erdachte und patentierte mehrere Verfahren, auf denen zahlreiche Unternehmen rund um die Welt ihre aktuellen Entwicklungen aufbauen.

RespectFarms soll zu einem Versuch erwachsen, das Wirken von Willem van Eelen in positiver und bereichernder Weise in die Welt zu tragen. Vor allem, indem Bauern der Weg bereitet wird, ihren Betrieb zu diversifizieren und direkt auf den Höfen Kulturfleisch zu produzieren. Das könnte die drohenden Verluste im bisherigen Zucht- und Schlachtbetrieb kompensieren und zudem die Herstellung von Kulturfleisch dezentralisieren. Statt in großen Fabriken das Laborfleisch heranzuzüchten und über weite Strecken zu transportieren, könnte es in vielen Ländern und Regionen nah am Verbraucher produziert werden.

Ist es machbar?

Dass die Idee von RespectFarms funktioniert, sagt Zieglowski, sei noch nicht sicher. Aber das gelte auch für „das Konzept der großangelegten Produktion von Kulturfleisch“. Sowieso wollen die Gründer von RespectFarms keine großen Versprechungen machen, sondern zunächst eher zeigen, was geht und machbar ist – und wie. Und zwar mit Machbarkeitsstudien, die die derzeitige Umsetzbarkeit des Kulturfleisch-vom-Bauernhof-Einfalls eingehend prüfen und herausfinden sollen, welche Fleischtypen, in welcher Kapazität und in welchen Bioreaktoren wirtschaftlich sinnvoll erzeugt werden könnten. „Die Forschung wird einen technologischen Teil und einen Teil zur Innovation von Geschäftsmodellen umfassen“, sagt Zieglowski. Es gehe darum, die Technologie, die momentan in Laboren und Prototypenanlagen entwickelt wird, in die Praxis zu bringen.

Genau da sieht sich das Team hinter RespectFarms als eine mögliche Kraft der Zukunft. Denn natürlich kann ein bäuerlicher Betrieb nicht ohne weiteres eine Anlage zur Herstellung von Kulturfleisch in einen ehemaligen Stall einbauen, Zellkulturen anlegen und Bioreaktoren bedienen. Die Initiative soll daher als Systemintegrator funktionieren – dabei unterstützen, das Geschäft und die Technik auf den Betrieb abzustimmen. Wie genau? Das steht noch aus. Aber Bauernhöfe oder Verbände könnten beispielsweise die Technologie von Start-ups lizenzieren oder Kooperationsverträge mit ihnen eingehen, Räume und Vertriebswege bereitstellen. Beide könnten davon profitieren.

Laut Florentine Zieglowski seien viele Landwirtschaftsbetriebe für eine Transformation offen. „Tatsächlich erhalten wir ständig Nachrichten von Landwirten, die von der konventionellen auf die Kulturfleischerzeugung umsteigen wollen“, sagt sie. Wie die Akzeptanz für eine solche Umstellung in der Breite aussieht, das will RespectFarms in einer Studie mit einer Forschungsgruppe der Universität Wageningen zunächst für niederländische Bauernhöfe klaren – und später auch für landwirtschaftliche Betriebe in anderen EU-Ländern wie Deutschland und Frankreich.

Erste Tests könnten bald beginnen

Nach aktueller Planung will RespectFarms bereits im Jahr 2024 einen ersten Bauernhof umrüsten. Wenn denn aktuelle Studien und Forschungen zeigen, dass das erfolgreich machbar ist. Bereits zwischen 2025 und 2026 könnte auf diesem Hof erstes Kulturfleisch produziert werden. In den USA wurden bereits erste Kulturfleischprodukte von den Behörden zugelassen und sollen in diesem Jahr in zunächst überschaubaren Mengen in Restaurants angeboten werden. Dass bald auf jedem Bauernhof ein Bioreaktor steht, um Rinder-, Hühner oder Fischfleisch zu erzeugen, glaubt Zieglowski dennoch nicht. „Sicherlich wird es unter den Landwirten frühe Anwender dieser Technologie geben“, sagt sie „Aber nicht jeder wird kultiviertes Fleisch produzieren wollen. Das ist bei neu aufkommenden Technologien üblich, vor allem wenn sie zunächst ‚fremd‘ oder ‚nicht natürlich‘ erscheinen.“

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Es gehe auch nicht darum, die Landwirtschaft im Alleingang umzukrempeln und Bauernhöfe zu überzeugen, auf die Tierzucht und Schlachtung zu verzichten. Sondern es gehe insbesondere darum, eine Alternative aufzuzeigen und den Weg in ein neues Geschäftsmodell einfacher zu gestalten – für jene, die das wollen. Ob dieses dann funktioniert, hängt natürlich auch von der Akzeptanz von Fleisch ab, das in einem Bioreaktor auf künstliche Weise gewachsen ist. Wobei Studien zeigen, dass vor allem viele jüngere Menschen in Deutschland dafür offen sind. Wie Zieglowski einschränkt, sei es aber schwierig festzustellen, wie erfolgreich Kulturfleisch wirklich sein wird, „da diese Fragen auf ein Produkt abzielen, das man noch nicht probiert hat“.

Dennoch ist Zieglowski optimistisch, dass Kulturfleisch, wenn es erst einmal in großer Zahl verfügbar wird und erschwinglich ist, zur Norm werden könnte – und nach und nach Schlachtfleisch ablöst. „Ich bin davon überzeugt, dass die Menschen kultivierte Fleischprodukte annehmen werden, sobald sie die ökologischen und sozialen Vorteile von kultiviertem Fleisch kennen und diese Produkte probieren und kaufen können“, so Zieglowski. Und das vielleicht umso mehr, wenn das Kulturfleisch nicht aus einer anonymen Fabrik, sondern vom Bauernhof um die Ecke kommt.

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Also RespectFarms als Namensgebung für ein Projekt das Fleisch unter „Laborbedingungen“ künstlich züchtet bzw. produziert finde ich hart daneben. Respektvoller und artgerechter Umgang/Haltung inklusive der richtigen Fütterung würde in so ein „Label“ passen. Das hier geht aus meiner Sicht so gar nicht und vermittelt einen falschen Eindruck. Marketing macht’s möglich.

Weiter weg von der Natur und natürlichen nachhaltigen Prinzipien geht nicht.

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Das Konzept finde ich etwas unrealistisch. Reaktorfleisch ist vom Bauernhof zu weit entfernt, wie Rocket Science von mittelalterlichem Minnegesang. Ein Landwirt wird nicht „mal eben“ durch ein Fortbildungsseminar zum Biotechnologen und ein Bauernhof (so technisch fortgeschritten er auch sein mag) wird nicht „mal eben“ zum Zellkulturlabor. Das ist keine Umstrukturierung sondern bedeutet abreißen, neu bauen, andere Menschen mit anderer Ausbildung einstellen.
Die Idee von Reaktorfleisch ist erst einmal ok (obwohl ich sehr skeptisch bin!). Aber mit „Bauernhof“ hat das nichts zu tun.

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Ich glaube, das kommt ganz darauf an, wie man den Titel der Initiative liest. So wie ich das lese, geht ja darum, dass die Farm, der Bauernhof als generell schützenswerte und wertvolle Einrichtung respektiert und erhalten wird.

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Interessanter Gedanke. Aber da bin da dennoch nicht so sicher, ob das wirklich so ist. Denn Bauernhöfe sind schon jetzt technologisch sehr weiter fortgeschritten, als es vielen bewusst ist. Immer mehr Großbauern nutzen nahezu autonome Traktoren, um ihre Felder zu bestellen. Sie lassen ihre Grundstücke und Felder mit Drohnen vermessen und aus der Luft die Gesundheit der Pflanzen überwachen.

Dennoch: Klar, ein Bauer wird nicht so eben zum Biotechnologen. Aber darum geht es im Zweifel ja auch nicht unbedingt. Aber ein Bauer könnte durchaus Menschen mit entsprechender Ausbildung einstellen, um den Bioreaktor auf dem Hof zu managen. Genauso wie Bauern auch schon jetzt etwa Leute haben, die sich nur um die Schafe, Hühner oder die angeschlossene Brauerei kümmern.

Und … die Zweifel sind ja auch bei den Initiatoren da. Daher laufen ja gerade Machbarkeitsstudien und erstmal ein Pilotprojekt. Kann durchaus sein, dass sich herausstellt, dass das doch keine so grandiose Idee ist.

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Ich glaube schon, dass wir die Problematik ähnlich sehen - aber:
der Bauernhof als „schützenswerte Einrichtung“ ist etwas romantisch. Das sind schon heute (wie du auch sagst) Technologieparks. Immerhin duftet es oft noch nach Mist und neulich habe ich sogar zwei (!) Hofkatzen gesehen :wink:
Die fallen in den Sterilräumen mit Fermentertürmen dann aber weg.
Sicherlich wird mancher Bauer auch ein Biotech Unternehmen managen können (oder eine Autowerkstatt).
Warten wir die Machbarkeitsstudien ab.
Ich würde eher annehmen, dass manche Bauern zu Mehlwurm- und Grillenzüchtern werden :wink:

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