Die in der Ukraine zerstörte Antonov An-225 hat eine merkwürdige Raumfahrthistorie

Das Riesenflugzeug Antonov An-225 wurde beim Angriff auf die Ukraine durch Russland zerstört. Die Maschine war vor allem als das größte Frachtflugzeug der Welt bekannt. Aber sie hat auch eine sehr bizarre Geschichte. Denn sie sollte genutzt werden, um Raumschiffe in den Erdorbit zu bringen.

Von Michael Förtsch

Für Luft- und Raumfahrtenthusiasten ist es eine tragische Nachricht. Die Antonov An-225 wurde beim Überfall von Russland auf die Ukraine zerstört. Einzelne Videos und Fotos zeigen das Wrack des Flugzeugs auf dem Flughafen Hostomel nahe Kiew. Sowohl die Heckflosse als auch die mit den Farben der ukrainischen Flagge verzierte Front sind inmitten ihres Unterstands zu erkennen. Zwischenzeitlich hat auch die ukrainische Regierung die Meldungen bestätigt. Denn bei der An-225 handelte es sich nicht um irgendein Flugzeug, sondern das weltgrößte Frachtflugzeug – und ein Einzelstück. Mit einer Länge von 84 Metern, einer Spannbreite von 88,4 Metern und einer möglichen Frachtzuladung von 250 Tonnen war das Mrija – auf Deutsch: Traum – getaufte Flugzeug ein wahrer Gigant.

Geplant wurde die An-225 noch zu Sowjetzeiten – und zwar für einen ganz speziellen Zweck. Die Leiter des russischen Raumfahrtprogramms stellten Mitte der 1980er fest, dass sie für die in Entwicklung befindliche Raumfähre Buran – das sowjetische Gegenstück des Space Shuttle – eine schnelle und zuverlässige Transportmöglichkeit brauchen. Die Raumfähre war so ausgelegt, dass sie zwar auf verschiedenen Rollbahnen in der Sowjetunion landen könne, aber ein Start war auf absehbare Zeit nur vom abgelegenen Kosmodrom Baikonur aus möglich. Der Transport der Buran mit LKW und Eisenbahn wäre ein mühseliger und langwieriger Prozess gewesen. Ein großes Transportflugzeug, das die Buran einfach Huckepack nehmen könnte, war daher eine logische Option. Mit der Entwicklung eines solchen Flugzeugs wurde das Konstruktionsbüros Antonov betraut, das bereits seit 1946 zahlreiche Transportmaschinen für die militärische und zivile Luftfahrt entwickelt hatte.

Das Team rund um die Luftfahrtingenieure Viktor Tolmachev und Petro Balabujew entschied sich, kein vollkommen neues Flugzeug zu erdenken. Stattdessen wurde der Entschluss gefasst, die Ende der 1970er konzipierte Antonov An-124 Ruslan weiterzuentwickeln – oder: zu vergrößern. Denn die An-124 war mit 69 Metern Länge und 73,3 Metern Breite bereits ein riesiges Transportflugzeug, das bis zu 150 Tonnen heben konnte. Um die Tragkraft noch zu steigern, wurden der Rumpf und die Spannweite um je 15 Meter verlängert. Zusätzlich wurde die Hüllenkonstruktion verstärkt, um die Raumfähre sicher tragen zu können und je Flügel ein zusätzliches Triebwerk verbaut.

In nur drei Jahren war die An-225 fertig und konnte am 21. Dezember 1988 ihren Erstflug absolvieren. Im Mai 1989 wurde erprobt, ob und wie gut die An-225 ihren Zweck als Träger der Buran erfüllen könne. Sie war dabei erfolgreich. Im Juni 1989 wurde das riesige Flugzeug mit der Fähre auf dem Rücken sogar auf der Pariser Luftfahrtschau gezeigt. Doch bereits wenig später war die eigentliche Mission der An-225 hinfällig. 1989 starb der einflussreiche Ingenieur Walentin Gluschko, der das Buran-Projekt vorangetrieben hatte, woraufhin die Entwicklung zu stocken begann und letztlich eingestellt wurde. Seit der Enthüllung der An-225 hatte es aber ohnehin noch ganz andere große Pläne für diesen Titan der Lüfte gegeben – und einige davon waren ziemlich sonderbar.

Der Träger ins All

Unter dem Namen MAKS – Многоцелевая авиационно-космическая система, zu Deutsch: Mehrzweck-Luftfahrtsystem – ersannen sowjetische Wissenschaftler im Jahre 1988 den Gedanken für ein flexibles und schnell einsetzbares Raumfahrzeugsystem. Es sollte aus einem schlanken Raumgleiter bestehen, der auf Basis der vom US-Air-Force-Gleiter Dyna-Soar inspirierten Mikojan-Gurewitsch MiG-105 aufgebaut werden sollte. Dazu sollte ein aerodynamisch geformter Tank kommen, der vorgelagert unter dem Bug des Gleiters geruht hätte. Beides zusammen sollte aufgebockt auf die An-225 in eine Höhe von rund 11.000 Metern getragen, abgekoppelt und von den Triebwerken des MAKS-Shuttle in den Orbit gehoben werden. Auch ein vergrößertes Shuttle mit integriertem Tank wurde von den Forschern erwogen, aber schnell verworfen.

Die von den sowjetischen Konstrukteuren erdachte Methode nennt sich Air-launch-to-orbit. Mit ihr hofften sie, bis zu zehnmal günstiger als mit der Buran und ganz ohne einen aufwendig zu betreibenden Raketenbahnhof bis zu zwei Kosmonauten und sieben Tonnen Fracht – wie beispielsweise kleinere Satelliten und Nachschub für eine Raumstation wie die MIR – oder mittels einer vollautomatisierten Variante sogar bis zu 14 Tonnen Fracht ins All zu hieven.

Die Raumgleiter-Tank-Kombination wäre der Buran und auch dem US-Space-Shuttle bei kürzeren Missionen weitaus überlegen gewesen. Berechnungen zufolge hätte ein Start mit MAKS nur ein Zehntel der Kosten einer Buran-Mission verschlungen. Nicht funktionierende Modelle der Raumfähre und des Tanks für Präsentationen und Windkanaltests existierten bereits. Und das gesamte MAKS-Projekt wurde von zahlreichen Entscheidern des sowjetischen Raumfahrtprogramms unterstützt. Aber das Unternehmen konnte aufgrund der schwierigen finanziellen Situation der Sowjetunion nur schwer vorangetrieben werden. Letztlich ging es dann mit dem Fall der Sowjetunion im Jahr 1991 unter – wobei in Russland seit 2010 Interesse an einer Fortführung laut wird.

Ebenso gegen Ende der 1980er wurde beim sowjetischen Luft- und Raumfahrtkonzern Tupolev ein vergleichbares, aber noch wagemutigeres Konzept skizziert. Mit dem Tupolev OOS hatte eine kleine Gruppe von Ingenieuren eine Raumfähre von ganzen 70 Metern Länge ausgeklügelt, die mit einem Kernreaktor betrieben werden und mehrere Dutzend Tonnen Fracht fassen sollte. Voll ausgelastet sollte das Schiff über 600 Tonnen auf die Waage bringen – und hätte sich unmöglich selbst vom Boden heben können.

Die Idee der Entwickler? Auch hier sollte die An-225 helfen. Aber nicht alleine. Obwohl nur ein Exemplar gebaut wurde, stand bereits der Rumpf für ein zweites Exemplar bereit. Aus der einsatzfähigen An-225 und den Bestandteilen des Doubles sollte eine Maschine mit zwei Rümpfen und 18 Triebwerken entstehen. Antonov AKS sollte dieses Monstrum getauft werden, das über 1.650 Tonnen Zuladung heben sollte. Die Flügelspannbreite hätte ganze 153 Meter betragen. Die Tupolev OOS sollte in den Raum zwischen den zwei Rümpfen eingehakt und in mehreren Tausend Metern Höhe ausgeklinkt werden, um dann selbstständig den Orbit zu erreichen. Um das Jahr 2000, so der Plan, hätten die Antonov AKS und Tupolev OOS abheben sollen. Aber die Idee gelangte nie über einige Konzeptzeichnungen, Blaupausen und Berechnungen hinaus.

So bizarr die Vorstellung der Antonov AKS auch anmutet. Sie wurde Realität – irgendwie jedenfalls. Basierend auf einem vergleichbaren Konzept entwickelte das US-Unternehmen Scaled Composites ab 2011 für das Start-up Stratolaunch das Scaled Composites Model 351 Stratolaunch, ein zweiköpfiges Flugzeug, das ursprünglich als Startplattform für Raketen genutzt werden sollte. Aktuell ist geplant, das 117 Meter breite Flugzeug zum Test von experimentellen Hyperschallflugzeugen und für den Start von Raumgleitern einzusetzen. Ende Februar 2022 absolvierte die Stratolaunch ihren vierten Testflug. Es ist derzeit das nach Flügelspannbreite größte Flugzeug.

Auch ohne die Sowjetunion begehrt

Mit dem Ende der Sowjetunion ging auch ein weiteres Weltraumprojekt zu Ende. Jedoch keines, das in der Sowjetunion selbst verortet war, sondern in Großbritannien. Auch dort wurde seit den 1980ern an einem revolutionären Raumfahrzeug gearbeitet. Das einst vom Ingenieur Alan Bond erdachte HOTOL – kurz für: Horizontal Take-Off and Landing – sollte eine 62 Meter lange Raumfähre darstellen, die mit eigenen Triebwerken von einem Rollengerüst aus starten und bis zu sieben Tonnen Zuladung in den Orbit transportieren sollte.

Die Firmen British Aerospace – heute BAE Systems – und Rolls Royce arbeiteten zeitweise gemeinsam an HOTOL und wurden mit mehreren Millionen Pfund von der britischen Regierung unterstützt. Denn auf dem Papier schien dieses Raumfahrzeug simpel und machbar. Aber in der Realität haderten die Konstrukteure bald mit dem Auftrieb und der Gewichtsverteilung. HOTOL vom Boden aus starten? Das schien plötzlich unmöglich. Daher kontaktierte British Aerospace die Konstrukteure der An-225 mit der Idee, diese für den Start einer verkleinerten und leichteren Fassung der HOTOL zu nutzen.

Zwischen Antonov, British Aerospace und dem Sowjetischen Ministerium der Luftfahrtindustrie gab es sogar schon Gespräche darüber, die An-225 für die Nutzung mit HOTOL noch einmal aufzurüsten. Die sogenannte An-325 sollte über zwei zusätzliche Triebwerke verfügen, um den Tragflug sicher zu ermöglichen. Modelle dieser Maschine und der HOTOL wurden sogar schon in einem Windtunnel erprobt. Die Ende 1990 vorliegenden Ergebnisse sahen vielversprechend aus.

Aber nach mehreren Jahren Entwicklung fand die Idee letztlich weder bei der britischen Regierung noch der europäischen Raumfahrtagentur ESA genügend Unterstützer, um sie fortzusetzen. Die von der französischen Raumfahrtagentur CNES und ESA gemeinsam vorangetriebene Raumfähre Hermes wirkte zu dieser Zeit viel aussichtsreicher. Dazu verschwanden mit dem Fall der Sowjetunion urplötzlich die Ansprechpartner für die HOTOL-Entwickler. Im Laufe des Jahres 1992 wurde HOTOL daher stillschweigend begraben.

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Wird es eine neue Antonov geben?

Ohne eine Raumfähre wie die Buran, das MAKS-Shuttle oder HOTOL schien das Schicksal der An-225 besiegelt. Denn es gab kaum Frachtflüge, für die das gigantische Flugzeug wirklich nötig gewesen wäre. Deswegen wurde der Riesenflieger im Jahr 1994 außer Dienst gestellt und eingelagert. Doch mit der voranschreitenden Privatisierung zahlreicher ehemaliger Sowjetbetriebe wurde in der Ende 1991 gegründeten Ukraine auch die An-225 nach einer aufwendigen Modernisierung wieder reaktiviert. Im Mai 2001 fand der erste Flug nach sieben Jahren als Teil der Flotte der ukrainischen Antonov Airlines statt, die zum Rüstungskonzern Ukroboronprom gehört.

Wenig später kam erneut die Idee auf, den Giganten für die Raumfahrt zu nutzen. Unter dem Namen Svityaz wurde von Antonov Airlines und dem Konstruktionsbüro Yuzhnoye ein Konzept für ein automatisiertes Raumfahrzeug entwickelt, das vom Rücken der modifizierten An-225 gestartet werden könnte – und mit dem Raumgleiter Boeing X-37 vergleichbar sein soll. Als Basis für die Entwicklung sollte die Technologie der Zenit-Raketen herhalten. Sonderlich weit kam das ambitionierte und von der Staatlichen Weltraumagentur der Ukraine unterstützte Programm aber bislang nicht.

Mit dem Überfall von Russland auf die Ukraine scheint eine solches Unternehmung auch vorerst hinfällig. Aber es besteht Hoffnung – nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die An-225. „Wir werden das Flugzeug wiederaufbauen“, heißt es von der Regierung der Ukraine. Machbar ist das. Der zweite unfertige Rumpf der zweiten An-225 existiert noch – im Antonov- Werk in Swjatoschyn im Westen von Kiew. Seit 30 Jahren ist er eingelagert. Er wurde für Belastungstests genutzt und sollte zeitweise nach China verkauft werden. Aber das Geschäft wurde nie abgeschlossen. Nun könnte die Rumpfsektion zur Basis für eine neue ukrainische An-225 werden.

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Titelbild: CC BY-SA 4.0 by Vasiliy Koba / Colorized by Michael Förtsch

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weder Gigantismus noch Raumfahrt ist für mich interessant, was da an Geldern versenkt wird ließe sich anderweitig sinnvoller einsetzen, es sollten mehr Menschen einen echten Nutzen haben anstatt nur einige Wenige, abgehoben nennt sich sowas und das hat nie lang Bestand