Der Kollaps der Krypto-Börse FTX: Was ist da geschehen?

Vor wenigen Tagen begannen Gerüchte über die finanzielle Schieflage der Krypto-Börse FTX zu kursieren. Der Gründer Sam Bankman-Fried dementierte diese. Kurz darauf stand die Börse dennoch vor dem Zusammenbruch und soll nun vom Konkurrenten Binance gekauft werden. Einige geben Binance und ihrem Gründer eine Mitschuld an der Lage.

Von Michael Förtsch

Der MIT-Absolvent Sam Bankman-Fried galt bis vor wenigen Tagen mit einem Vermögen von rund 15,6 Milliarden US-Dollar als einer der reichsten Menschen der Welt. Mit Alameda Research hatte er 2017 ein Investment- und Handelsunternehmen gegründet. Im April 2019 startete er dann FTX, eine Börse für Kryptowährungen, die es mit Coinbase und Binance aufnehmen sollte. Die auf den Bahamas registrierte Firma wuchs schnell und entwickelte sich mit über einer Million Nutzern weltweit zum drittgrößten Exchange. Erst im November mietete FTX in Nassau auf den Bahamas, im US-amerikanischen Miami und in Tokio, Japan neue Büros an. Laut Bankman-Fried sei es das Ziel des Unternehmens, so viel Geld wie möglich zu machen, um es in wohltätige Zwecke zu investieren.

Doch nun ist FTX für viele unerwartet von einem auf den anderen Tag nahezu zusammengebrochen – und soll von Binance gekauft werden. Einige Krypto- und Wirtschaftsexperten sehen das als Folge eines Angriffs auf das von Sam Bankman-Fried gegründete Unternehmen. Als Ausgangspunkt des Kollaps gilt ein Bericht von Coindesk vom 2. November 2022. In diesem wertete die Redaktion geleakte Dokumente von Alameda Research aus. Diese sollen zeigen, dass das Investment- und Handelsunternehmen von Sam Bankman-Fried über 14,6 Milliarden US-Dollar an Werten verwaltet. Jedoch soll es sich beim Gros davon um die FTT-Token von FTX handeln – Halter der Token zahlen auf der Plattform weniger Gebühren und verdienen Zinsen. Weitere Werte von Alameda seien Token anderer Krypto-Projekte wie SOL von Solana, OXY von Oxygen und FIDA von Bonfida.

„Das ist zwar an sich nichts Schlimmes oder Falsches“, so der Artikel. „Es zeigt aber, dass Bankman-Frieds Handelsriese Alameda auf einem Fundament ruht, das größtenteils aus einer Krypto-Münze besteht, die ein Schwesterunternehmen erfunden hat.“ Demgegenüber sollen mehrere Milliarden an Darlehen stehen, die Alameda wohl nur mit dem Einlösen von Token gegen Fiat-Währungen oder StableCoins begleichen könnte. Würde das geschehen, könnte dies zu massiven Kursverlusten bei den entsprechenden Token führen. Das sorgte für viel Kritik an Sam Bankman-Fried, Alameda und FTX – und provozierte Reaktionen.

Der Kurs des Token von FTX fiel nach der Veröffentlichung des Artikels zeitweise von über 26 auf 24 und dann 22 Euro. Am 6. November kündigte der Binance-Gründer Changpeng ‚CZ‘ Zhao dann an, die von Binance als Unternehmen gehaltenen FTT-Token „aufgrund der jüngsten Enthüllungen“ zu verkaufen. Binance hatte 2019 in FTX investiert und beim Ausstieg im Jahr 2021 rund 2,1 Milliarden US-Dollar in Binance USD und FTT-Token erhalten. Grund für die Trennung sollen Meinungsverschiedenheiten bezüglich der Unternehmensführung bei FTX gewesen sein. Die Liquidierung der FTT-Token, schrieb CZ, sei eine Risikomanagementmaßnahme und eine Lehre aus dem Zusammenbruch der Kryptowährung Terra Luna.

Ebenso am 6. November wurden Vorwürfe laut, dass Alameda und FTX den Wert ihrer Token auf dem Papier aufgeblasen haben. Halter von FTT-Token begannen darauhin, diese zunehmend gegen andere Krypto-, Fiat-Währung und insbesondere StableCoins wie USDC, Tether, Dai, Binance USD und andere zu tauschen.

Der Zusammenbruch

Sam Bankman-Fried kommentierte die Lage am 7. November in einem – mittlerweile gelöschten – Tweet mit dem Vorwurf, dass „uns ein Konkurrent mit falschen Gerüchten nachstellt“. Gemeint war Binance. Er bestärkte: „FTX geht es gut. Unseren Einlagen geht es gut.“ Aber bereits wenige Stunden danach offenbarte sich ein virtueller Börsensturm. Wie Ki Youg Ju, der Gründer der Krypto-Analyse-Firma CryptoQuant zeigte, gingen FTX die Rücklagen in StableCoins aus, die für die FTT-Token ausgezahlt wurden. Ebenso zogen Nutzer in großer Menge ihre Einlagen in Kryptowährungen von FTX zu anderen Krypto-Börsen und Krypto-Wallets um. Nach Daten von CoinGlass haben Nutzer allein über 20.000 Bitcoin von FTX zu anderen Börsen transferiert.

Am Nachmittag des 8. November stoppte FTX temporär die Auszahlung an Kunden. Der Wert des FTT-Token stürzte auf ein Tief von 3,56 Euro. Die Krypto-Börse war in der Krise und konnte die Kunden nicht länger mit eigenen Mitteln zuverlässig auszahlen.

Am Abend kündigte Sam Bankman-Fried schließlich an, dass FTX und Binance sich auf eine „strategische Transaktion“ geeinigt haben. FTX habe Binance um Hilfe gebeten und beide Unternehmen würden nun zusammenarbeiten, um die Liquiditäts- und Auszahlungsklemme aufzulösen. Zudem, das schrieb CZ auf Twitter, habe Binance die Absicht, FTX in Gänze aufzukaufen. Die Unternehmen hätten eine unverbindliche Absichtserklärung unterzeichnet – Binance behalte sich darin aber das Recht vor, sich von dem Geschäft jederzeit zurückzuziehen.

Die Vorwürfe vom Vortag versuchte der FTX-Chef nun zu relativieren. „Ich weiß, dass es in den Medien Gerüchte über Streit zwischen unseren beiden Börsen gibt, aber Binance hat in der Vergangenheit wiederholt unter Beweis gestellt, dass sie die dezentralisierte Wirtschaft fördern wollen“, so Sam Bankman-Fried. „Wir sind in besten Händen.“

Laut einem Bericht von The Block habe der FTX-Gründer vor der Übereinkunft mit Binance kurzfristig versucht, Kapital in Höhe von 10 bis 20 Milliarden US-Dollar von Investoren einzuholen. Vergebens, wie es scheint.

Was bleibt?

In der Nacht zum 9. November twitterte Zhao, dass der Absturz von FTX der Branche eine Lehre sein sollte. Niemals sollten Unternehmen Krypto-Token als Sicherheiten verwenden. Und Krypto-Firmen sollten nicht auf Darlehen und Schulden setzen, sondern ihre Geschäfte mit Reserven abwickeln. „Binance hat BNB nie als Sicherheit verwendet, und wir haben nie Schulden aufgenommen“, so CZ. Binance wolle, so der Krypto-Unternehmer, in Zukunft seine Reserven zu 100 Prozent offenlegen und transparent machen.

Einige Beobachter und Krypto-Enthusiasten sehen den Grund für die Implosion von FTX jedoch nicht – oder zumindest nicht nur – bei Sam Bankman-Fried und seinen Unternehmen. Sie werfen Changpeng Zhao vor, mit der Ankündigung des Verkaufs der FTT-Token und dem Vergleich zu Terra Luna den Wertverlust provoziert und Alameda und FTX angegriffen zu haben. Der auf die Analyse von Betrugsfällen spezialisierte YouTuber Coffeezilla schrieb: „CZ hat gerade seinen größten Konkurrenten angezündet und kam dann mit Wassereimern.“ Andere vermuten sogar eine Verschwörung und sehen Binance hinter dem Leak der Alameda-Research-Dokumente – Indizien oder Beweise dafür gibt es nicht.

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Ob Sam Bankman-Fried nach einer Übernahme eine Position bei FTX behält, ist bislang unsicher. In den letzten Jahren ist der FTX-Gründer zu einer der sichtbarsten Figuren in der Krypto-Industrie aufgestiegen. Insbesondere ist er durch Rettungsaktionen angeschlagener Krypto-Unternehmen aufgefallen. So stellte FTX der angeschlagenen Börse BlockFi im Juli 2022 rund 400 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Im September wiederum kaufte FTX den Krypto-Verleiher Voyager Digital für 1,4 Milliarden US-Dollar.

Bankman-Fried wurde jedoch auch durch das aggressive Marketing seiner Krypto-Handelsplattform bekannt. FTX ist Namenspate einer Basketball-Arena in Miami und sponsored das Mercedes-AMG-F1-Team und verschiedene Sportturniere. Ebenso investierte der FTX-Gründer mit seiner Firma mehrere Millionen für eine kontroverse Werbeanzeige mit Larry David, die während des Super Bowl 2022 ausgestrahlt wurde.

Laut Bloomberg ist das Vermögen von Bankman-Fried durch die Implosion von FTX und des FTT-Token massiv geschrumpft. Er habe binnen eines Tages fast 93 Prozent seines Vermögens eingebüßt. Es wird derzeit auf rund 990 Millionen US-Dollar geschätzt. Bankman-Fried gilt nicht länger als Milliardär.

Update: Die Übernahme von FTX durch Binance ist offenbar bereits geplatzt. Nach ersten Einsichten in die Firmenunterlagen von FTX sei die Führung von Binance zum Schluss gekommen, dass „die Probleme außerhalb unserer Kontrolle und unserer Möglichkeiten liegen, zu helfen“, so Binance auf Twitter. Zahlreiche Unternehmen aus der Krypto-Industrie haben sich zwischenzeitlich von FTX distanziert. Darunter die Krypto-Börsen Coinbase, Crypto.com und die Macher des StableCoin Tether.

Update: Innerhalb nur einer Woche ist FTX kollabiert und musste nun Insolvenz anmelden – ebenso Alameda Research und 130 Tochterunternehmen, die für verschiedene Teilaspekte von FTX verantwortlich waren. Kurz zuvor hat die Wertpapieraufsicht der Bahamas eingegriffen und die Vermögenswerte des als FTX Digital Markets registrierten Unternehmens eingefroren. FTX steht im Verdacht, Kundengelder in Milliardenhöhe dem Schwesterunternehmen Alameda Research für Spekulationsgeschäfte überlassen zu haben, wodurch diese auf der Handelsplattform nicht mehr gedeckt waren.

FTX-Gründer Sam Bankman-Fried ist zwischenzeitlich von seinem Chefposten zurückgetreten. Der Betrieb von FTX wird begleitet von einem Insolvenzverwalter und dem als neuen CEO einberufenen Wallstreet-Manager John Jay Ray III weitergehen. Das Ziel sei es, die Kunden so weit als möglich auszuzahlen und das Unternehmen selbst zu retten.

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-93% Vermögen ist natürlich heftig, aber damit folgt er ja gerade einfach nur dem Trend :face_with_peeking_eye:
Mark Zuckerberg -50%
Elon Musk -35%
Zhang Yiming -28%

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Ja, aber 93 Prozent Verlust ist binnen eines Tages ist schon nochmal ein anderer Nennwert. Und das zudem vollkommen unerwartet. Wobei er mittlerweile schon wieder Milliardär sein könnte. In den Stunden seit der Veröffentlichung hat sich der Kurs der FTT-Token etwas erholt; liegen gerade bei etwas über 7 Euro.

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What a time to be alive. Vielleicht müsste jemand in Zukunft „15 minutes of fame“ neu auflegen als „15 minutes of wealth“ :laughing:

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