Der Forscher John C. Lilly versuchte einst, mit Delfinen zu sprechen – um Wege zu finden, mit Außerirdischen zu kommunizieren. Bei psychedelischen Reisen auf LSD und Ketamin will er später tatsächlich mit außerirdischen Mächten in Kontakt gekommen sein. Bis heute inspirieren das Leben und Wirken des eigensinnigen Forschers zahlreiche Wissenschaftler und die Welt der Popkultur.
Von Michael Förtsch
In der Hörspiel- und Romanreihe Per Anhalter durch die Galaxis von Douglas Adams wird die Erde von den außerirdischen Vogonen zerstört. Sie wollen eine Hyperraum-Umgehungsstraße durch unser Sonnensystem bauen. Die Erde ist dabei nur im Weg, Widerstand nicht mehr möglich. Denn obwohl der Plan dafür jahrelang in einem Büro auf Alpha Centauri auslag, hatte sich niemand von der Erde die Mühe gemacht, dort vorbeizuschauen. Also wird die Erde vaporisiert – und alle Menschen mit ihr. Bis auf den Briten Arthur Dent, der kurzerhand von seinem außerirdischen Freund Ford Prefect gerettet wird. Doch es gibt noch jemanden, der der Vernichtung der Erde entkommt. Kurz bevor die kosmischen Bulldozer anrücken, verschwinden die Delphine von der Erde, wie im vierten Anhalter-Band Macht’s gut und danke für den Fisch erzählt wird.
Im Gegensatz zur Menschheit waren sich die Meeressäuger der kosmischen Gefahr voll bewusst. Intelligenter als jeder Mensch waren sie Teil einer kosmischen Gemeinschaft, immer in Kontakt mit außerirdischen Intelligenzen und versucht sogar, die Menschen vor den unangenehm bürokratischen Vogonen zu warnen. Ihre Kommunikationsversuche wurden jedoch als erbauliche Kunststücke oder niedliches Betteln um Leckereien missverstanden. So gaben sie schließlich auf. Sie verabschiedeten sich mit einem Doppelsalto-Gruß und einem gepfiffenen „Auf Wiedersehen und danke für den Fisch“, bevor sie über Nacht aus den Weltmeeren und Wasserparks verschwanden. Eine absurde Anekdote, aber typisch für den britischen Autor Douglas Adams.
Völlig aus der Luft gegriffen ist die Geschichte mit den Delphinen allerdings nicht. Denn Delphine zählen neben den Menschen zu den vermutlich intelligentesten Lebewesen auf unserem Planeten. Einige Wissenschaftler sind sogar davon überzeugt, dass ihre Intelligenz unsere übertreffen könnte, auch wenn wir ihre Denk- und Abstraktionsweisen nicht nachvollziehen können. Dazu gehörte auch der 2001 verstorbene US-Forscher John Cunningham Lilly, der sich einst aufmachte, nicht nur die Intelligenz der Wassersäuger zu erforschen, sondern auch Wege zu finden, mit ihnen zu kommunizieren. Dabei beschritt er teilweise sehr unorthodoxe Wege. Drogen, Interspeziessex, ein Geheimbund, Isolationstanks und sogar außerirdische Intelligenzen gehören zur Wahl seiner Mittel.
Der Wissenschaftler
Auch wer noch nie etwas von John C. Lilly gehört hat, hat ihn mit ziemlicher Sicherheit schon einmal auf dem Bildschirm gesehen. Über Jahrzehnte war er ein Dauergast in Talkshows und Dokumentationen, wenn es um Intelligenz, außerirdisches Leben, Meerestiere oder bewusstseinserweiternde Drogen ging. Denn für all das galt der hagere Mann als eloquenter und unterhaltsamer Experte. Vor allem in späteren Jahren sah man Lilly bei diesen Auftritten in einem Hemd mit breitem Kragen und einer Waschbärfellmütze oder einem abgetragenen Fischerhut auf seinem weißen, sich wild sträubendem Haupthaar. Dabei wollte der Wissenschaftler einst ursprünglich einen ganz anderen Lebensweg einschlagen.
Lilly wurde im Januar 1915 in St. Paul, Minnesota als Kind wohlhabender Eltern geboren. Sein Vater war Präsident der örtlichen First National Bank. Die Eltern seiner Mutter besaßen ein lokales Lagerhaus. Als sich der junge Lilly schon früh für Naturwissenschaften interessierte, konnten sie ihn unterstützen. Er durfte sich sogar ein kleines Kellerlabor einrichten, in dem er mit Chemikalien hantierte und physikalische Experimente durchführte. 1933 begann Lilly zunächst ein Physikstudium am renommierten California Institute of Technology in Pasadena, Kalifornien. Doch schon bald wechselte er zur Biologie. Der Grund dafür? Aldous Huxleys Roman Schöne neue Welt von 1932.
Der angehende Wissenschaftler wollte wissen, ob es – wie in dem dystopischen Roman – wirklich möglich ist, das Wesen eines Menschen durch eine pharmazeutische Behandlung zu verändern. Oder ob Geist und Seele des Menschen mehr sind als manipulierbare chemische Reaktionen und elektrische Impulse im Gehirn, wie damals immer mehr Wissenschaftler behaupteten. Als er später an die medizinische Fakultät der University of Pennsylvania wechselte, begann er sich deshalb intensiv mit der Struktur und dem Aufbau des Gehirns zu befassen.
Der auch elektronisch begabte Lilly entwickelte mit Laborkollegen Geräte, um die Aktivität innerhalb eines Gehirns bei Tieren sichtbar zu machen. Besonders human waren diese Verfahren nicht. Er bohrte Schimpansen und Katzen kleine Löcher in den Schädel, um Elektroden einzuführen. Einige Tiere starben an den Blutungen und Schwellungen, die dabei entstanden. Doch Lilly gelang es, das Verfahren zu perfektionieren und sicherer zu machen. Bei den Testtieren zeichnete er mit einem Multi-Channel Electrical Imaging Apparatus – von Lilly auch „Bavatron“ getauften Gerät – die Impulse im Gehirn in Echtzeit auf.
Mit der gleichen Technologie stimulierte Lilly gezielt Areale mit leichten Stromstößen – so genannten Schwellenbewegungen. Der Biologe wollte damit herausfinden, wo im Gehirn Emotionen wie Angst, Glück, Schmerz und Zufriedenheit lokalisiert sind. Dabei gelangen Lilly und seinen Forscherkollegen bemerkenswerte Resultate. Es waren die ersten wirklich erfolgreichen Methoden, das Gehirn genau zu kartieren.
Ab in den Tank
Mit seinen Experimenten und Studien hatte sich John C. Lilly bereits Anfang der 1950er Jahre einen Namen als brillanter, talentierter, aber auch eigensinniger Biologe und Neurophysiologe gemacht. Deshalb warb ihn 1952 das erst drei Jahre zuvor gegründete National Institute of Mental Health, eine Forschungseinrichtung der US-Gesundheitsbehörde, an. Seine Aufgabe? Vor allem Ursachen und mögliche Therapien für psychische Erkrankungen zu erforschen – und dafür Grundlagenwissen über Gehirn, Psyche und Geist zu schaffen. Lilly schien dafür der ideale Kandidat.
Zunächst setzte der Forscher seine Projekte fort, die er an der University of Pennsylvania begonnen hatte. Als er zum Beispiel herausgefunden hatte, welche Hirnregion er bei Makakenaffen stimulieren musste, um eine depressive Trauerstimmung oder einen Orgasmus auszulösen, ersann er ein Experiment, das heute ziemlich bizarr anmutet. Der Forscher setzte Makaken in Käfige mit einem Schalter, mit dem sie selbst einen Orgasmusreiz auslösen konnten. Das taten die Tiere dann auch – stundenlang, bis sie irgendwann völlig erschöpft zusammenbrachen. Nur um, nachdem sie wieder auf den Beinen waren, von vorne anzufangen.
Diese und ähnliche Beobachtungen führten Lilly zur Überzeugung, dass die Funktionsweise des Gehirns nicht statisch, sondern beeinflussbar ist. Dass die Handlungen eines Lebewesens selbst- und fremdgesteuert sein können. Dass das wahre Potenzial des Gehirns womöglich noch nicht ausgeschöpft ist, aber freigesetzt werden kann. Deshalb wollte er herausfinden, wie sich andere Reize – oder das Fehlen von Reizen – auf den Geist auswirken. Und das möglichst ohne in Gehirne bohren oder mit elektrischen Impulsen hantieren zu müssen. Er wollte zum Beispiel wissen, was mit dem menschlichen Verstand passiert, wenn ihm plötzlich die Stimulation durch äußere Einflüsse fehlt.
Mit anderen Worten: Lilly wollte wissen, was passiert, wenn ein Mensch mit seinen Gedanken allein gelassen wird. Das nennt man heute sensorische Deprivation. Dazu entwickelte der Wissenschaftler 1954 einen speziellen Metallbehälter, der mit körperwarmem Wasser und kiloweise Salz gefüllt ist. Darin kann eine Person ohne eigenes Zutun sowohl auf dem Rücken als auch auf dem Bauch schweben. Die ersten Tanks kamen mit einem Sicht- und Schallschutzhelm daher. Später überzog Lilly diese Floating Tanks – wie sie heute genannt werden – mit gepolsterten Aufbauten.
Der Wissenschaftler erprobte die kuriosen Kabinen an Kollegen, vor allem aber an sich selbst. Was er dabei erlebte, empfand er als bahnbrechend. Er stellte fest, dass das Gehirn während des Schwebens im Wasser und losgelöst von Reizen in einen bisher unbekannten Zustand überging: Die Frequenz der Hirnströme pendelt sich teilweise schon nach wenigen Minuten in einem Bereich ein, der weder dem Schlaf- noch dem Wachzustand zugeordnet werden kann. Er und seine Kollegen erlebten seltsame Visionen und Halluzinationen, die einige als beängstigend empfanden. Lilly hingegen glaubte, dass sich sein „Geist öffnete“ und er in diesem Zustand „auf die Jagd nach dem Selbstbewusstsein gehen konnte, das irgendwo in den Hirnfalten versteckt war“.
Wie erst Jahrzehnte später öffentlich wurde, war die CIA sehr an den Experimenten von John C. Lilly interessiert. Der Forscher hatte jedoch Vorbehalte gegen den amerikanischen Auslandsgeheimdienst und wie dieser seine Arbeit nutzen könnte. Offiziell hatte er nie etwas mit der CIA zu tun. Es gibt jedoch ehemals geheime Dokumente, die die Finanzierung von Experimenten dokumentieren, und auch einen Bericht, in dem Lilly das Potential seiner Erkenntnisse für Geheimdienstoperationen abschätzte: Es sei möglich, „auf Knopfdruck die Kontrolle über die Motivation und das Verhalten“ eines menschlichen Agenten zu erlangen.
Lilly glaubte also, dass seine Forschung, wenn sie konzentriert weitergeführt würde, zu ferngesteuerten Agenten und Attentätern führen könnte, die spionieren und Attentate begehen, ohne selbst davon zu wissen. Perfekte Schläferagenten. Die CIA hingegen sah in der sensorischen Deprivation ein mögliches Mittel für Folter, Verhör und Gehirnwäsche. In Dokumenten des heute berühmtberüchtigten MK-Ultra-Forschungsprogramms wird spekuliert, dass damit der Widerstand gefangener Spione gebrochen oder feindliche Agenten umgedreht werden könnten.
Geisteskontrolle
Der Neurophysiologe John C. Lilly konnte es damals nicht wissen, aber sein Unbehagen, mit der CIA zusammenzuarbeiten, war durchaus berechtigt. Denn die CIA führte bis in die 1970er Jahre ethisch und moralisch verwerfliche und zum Teil tödliche Experimente durch, bei denen mutmaßliche Spione über Stunden und Tage mit schalldichten Kopfhörern, Polstern an Armen und Beinen und geschwärzten Brillen ihrer Sinne beraubt wurden. Teilweise wurden sie unter Drogen gesetzt. Die Folge waren Panikattacken, Halluzinationen und bei einigen Opfern sogar bleibende psychische Schäden.
Aber auch ohne das Wissen um die geheimen Machenschaften der CIA wollte Lilly seine Forschungen lieber ohne den Geheimdienst fortsetzen. Vor allem aber wollte er noch grundsätzlicher arbeiten: noch tiefer in die Geheimnisse des Geistes eindringen als er es in seinen Tanks erlebt hatte. Dazu wollte er Tiere erforschen, für die das Schweben im Wasser der Normalzustand ist: Delphine. Er war fest davon überzeugt, dass Meeressäuger aufgrund ihrer großen und komplex strukturierten Gehirne in der Lage sein müssten, komplexe Gedanken zu bilden und zu kommunizieren.
Wie schon bei Katzen und Affen begann er, Löcher in ihre Gehirne zu bohren, um mit Elektroden verschiedene Messungen und Kartierungsversuche durchzuführen. Einige Delphine ließ er töten, um ihre Gehirne zu sezieren. Dabei entwickelte er nach und nach eine immer größere Achtung vor den Wesen. Er betrachtete sie zunehmend als dem Menschen ähnlich, wenn nicht gar gleichwertig. Im Laufe der Zeit entwickelte er sogar die Überzeugung, dass Delphine über eine Intelligenz verfügen könnten, die eine artübergreifende Kommunikation ermöglichen könnte: „Wenn der Mensch jemals mit einem anderen intelligenten Wesen auf diesem Planeten kommunizieren kann, dann wird es der Delphin sein.“ Aber um das zu erreichen, war Lilly überzeugt, müsse er die größtmögliche Freiheit haben – sein eigenes Ding machen können.
Die Sprache der Delphine
Im Jahr 1959 gründete John C. Lilly das Communication Research Institute, eine von ihm selbst geleitete Forschungseinrichtung, für die er einen Küstenstreifen auf der Insel St. Thomas in den Virgin Islands kaufte. Dort ließ er ein riesiges Becken in den Boden sprengen. Das erklärte Ziel: die Sprache der Delphine und die zwischenartliche Kommunikation erforschen. Finanziert wurde das Projekt von Lilly selbst, der dafür seine Altersrücklagen anzapfte. Zusätzlich war er auf zahlungskräftige Geldgeber angewiesen, die mit konkreten Forschungsaufträgen an den viel beachteten Wissenschaftler herantraten. So sollte er für das US-Militär untersuchen, ob sich das Echolot der Delphine nachbauen und für die US-Marine adaptieren ließe.
Auch die NASA suchte den Kontakt zum eigensinnigen Wissenschaftler und seinem kleinen Team, zu dem unter anderem der Tierarzt Andy Williamson und der Anthropologe Gregory Bateson gehörten. Anfang der 1960er Jahre beschäftigte sich die US-Raumfahrtbehörde mit der Möglichkeit außerirdischen intelligenten Lebens. Wenn eine Kommunikation zwischen Mensch und Delphin möglich wäre, so die Logik, könnten sich daraus universelle Ansätze für die Kommunikation mit anderen intelligenten Lebensformen ergeben. Die US-Weltraumbehörde beauftragte Lilly, genau das zu untersuchen. Wobei der Forscher insgeheim den Verdacht hegte, dass Delphine vielleicht sogar Außerirdische sein könnten – im metaphorischen wie im wörtlichen Sinne.
Der Forscher begann, zwei Delphine namens Lizzie und Baby mit Hydrophonen aufzunehmen, um nach reproduzierbaren Mustern zu suchen. Er erkannte, dass es einen Ton gab, der auftauchte, wenn die beiden Tiere getrennt wurden. Ebenso schnell bemerkte er, dass Delphine offenbar in der Lage waren, menschliche Laut- und Sprachmuster nachzuahmen. Sie konnten nicht nur schnattern und jauchzen, sondern auch gezielt Laute formen, die menschlichen Wörtern nahekamen. Der Forscher war sich daher sicher, den Delphinen die Grundlagen der englischen Sprache beibringen zu können.
Tatsächlich gelang es ihm, die Tiere dazu zu bringen, einzelne Wörter und Sätze zu imitieren und ihnen deren Bedeutung verständlich zu machen. Sie befolgten durchaus komplexe Befehle und konnten zum Beispiel einen Ball zu einer bestimmten Person bringen. Lilly versicherte seinen Geldgebern damals, dass Delphine in naher Zukunft ein ebenso zuverlässiger und hilfreicher Begleiter werden könnten wie ein Hund. Er glaubte, die Tiere könnten als Seenotretter eingesetzt werden und Wissenschaftlern bei der Erforschung der Meere helfen.
In seinem Buch Man and Dolphin ging er noch einen Schritt weiter. Er prophezeite, dass Delphine und auch andere Meerestiere die Menschheit vielleicht eines Tages mit ihrer Jahrtausende alten Weisheit auf eine neue Stufe der Evolution begleiten würden. Deshalb forderte er auch einen stärkeren Schutz der Kreaturen und regte an, für die Cetacean Nation – also die Population der Delphine und Wale – einen Sitz bei den Vereinten Nationen einzurichten. Denn diese seien „niemand, den man tötet, sondern von dem man lernt“.
LET-S-GO
Der Neurophysiologe Lilly fand heraus, dass seine Delphine erstaunlich lernfähig, aber auch eigensinnig waren. Er vermutete daher, dass einige der Tiere wissen könnten, dass sie wissenschaftlich untersucht werden und an Experimenten teilnehmen. Und dass er selbst als Wissenschaftler dadurch ungewollt den Verlauf der Versuche beeinflusst. Manchmal boykottierten sie die Arbeit offenbar ganz bewusst. Ein Delphin namens Peter schien Geräte ins Wasser zu ziehen, wenn Lilly ihn nicht beachtete, oder ihm einen Ball zuzuwerfen, wenn ihm alles zu lange dauerte. „Nun, ich entdeckte, dass Delphine eine Persönlichkeit haben und wertvolle Charaktere sind“, sagt Lilly rückblickend.
Als 1964 plötzlich eine junge Studienabbrecherin namens Margaret Howe Lovatt vor der Tür seines Forschungsinstituts stand, wurde sie nicht weggeschickt. Die damals 22-Jährige hatte von einem Dolphin House gehört, sie liebte Tiere und wollte bei der Pflege mithelfen, wenn man es ihr erlaubte. Und das durfte sie. Schnell wurde sie zur Assistentin von Lilly und seinem Team – und bald auch Teil des Experiments. Lovatt durfte rund um die Uhr im Dolphin House bleiben, um mit den Tieren zu leben und, anders als Lilly und der Rest des Teams, nicht als Wissenschaftlerin aufzutreten.
Zu diesem Zweck wurden Teile der Forschungs- und Freizeitbereiche des Instituts wasserdicht ausgebaut und geflutet. Frühstück, Delphintraining, Mittagessen, Abendessen… alles fand in mindestens knietiefem Wasser statt, das für die Delphine erreichbar war. Die meiste Zeit verbrachte Lovatt mit dem noch jungen Delphin Peter, der schnell und erfolgreich einige englische Wörter lernte: WA-TER, LET-S-GO und andere. Auch das Zählen brachte sie Peter bei, der immer anhänglicher wurde und immer öfter die körperliche Nähe der jungen Frau suchte. Der Delphin entwickelte sogar ein sexuelles Verlangen gegenüber der jungen Frau, dem Lovatt schließlich nachgab – mit ihrer Hand. „Von meiner Seite aus war es nicht sexuell“, sagt sie in der Dokumentation The Girl Who Talked to Dolphins. „Sinnlich vielleicht.“
LSD-Trip im Wasserbecken
So massiv die Anstrengungen von Lilly und seinem Team auch waren, eine echte Verständigung in englischer Sprache gelang mit den Delphinen trotzdem nicht. Das dämmerte auch dem Neurophysiologen. Stattdessen funktionierte, wie Lilly schließlich feststellte, eine „non-vocal language“ am besten: Gesten, Stupsen, Streicheln und kleine Kunststücke, mit denen die Delphine zum Beispiel signalisierten, wann sie Futter wollten oder lieber allein im Becken sein wollten. Doch er hoffte, auf andere Weise in die Gedankenwelt der Tiere eindringen zu können. Mit Hilfe von LSD.
Denn Lilly war sich inzwischen sicher, dass das Gehirn eine Art biologischer Computer sei, der umprogrammiert werden könne und über verschiedene Schnittstellen verfüge. Das Ich und das Selbst seien nur Programme. Jeder Mensch könne zum Meta-Selbstprogrammierer werden. Man müsse nur lernen, diese Neuprogrammierung in Gang zu setzen und die Schnittstellen freizulegen. Eine Möglichkeit sah er in psychoaktiven Substanzen, nachdem er im Mai 1964 in einem seiner Tanks liegend seinen ersten Trip erlebt hatte.
Er habe sich gefühlt, wie er in seinem Buch Das Zentrum des Zyklons beschreibt, als sei „der Boden verschwunden“ und er habe „die Sterne auf der anderen Seite der Erde“ sehen können. Bei anderen psychedelischen Exkursionen habe er seine eigene Zeugung aus Sicht eines Spermiums miterlebt und sich in fremde Welten versetzt gesehen, in denen „purpurne Schlingpflanzen aus der Ursuppe [steigen], durch ihre Schlingen schwingen sich nicht Affen, sondern fremdartige Fische“. Dann und wann legte sich Lilly auch für Stunden zu den Delphinen ins Becken, um irgendeine telepathische Kontaktaufnahme zu versuchen. Aber ohne Ergebnis.
Lilly kam daher zum Schluss, dass natürlich nicht nur sein Gehirn für die zwischenmenschliche Kommunikation geöffnet werden muss, sondern auch das der Delphine. Mit anderen Worten: Auch sie müssten unter Drogen gesetzt werden – eine Idee, die einige von Lillys Mitarbeitern für ethisch höchst fragwürdig hielten, darunter auch Margaret Howe Lovatt, die zumindest den Delphin Peter schützen konnte. Anderen Delphinen aber verabreichte Lilly bis zu 100 Mikrogramm LSD.
Allerdings schien die Droge bei den Tieren nicht die gleiche Wirkung zu haben wie beim Menschen. Sie schienen keinen Trip zu erleben, sondern wurden lediglich gesprächiger und geselliger. Ein Delphinweibchen, das einst durch eine Harpune verletzt worden war und sich deshalb Menschen gegenüber scheu verhielt, wurde plötzlich zutraulich und neugierig. „Sie hatte sich vorher noch nie jemandem genähert“, schrieb Lilly in seinen Aufzeichnungen. Sonst war nicht viel zu sehen. Das frustrierte den Forscher, denn der Druck der Geldgeber, Ergebnisse zu liefern, wurde immer größer.
Freiheit
Mitte der 1960er Jahre stand das Communication Research Institute aufgrund mangelnder Ergebnisse und fehlender finanzieller Mittel vor dem Aus. 1966 wurden ein Großteil der Forschungsgeräte sowie die Delphine Peter, Sissy und Pamela in ein wesentlich kleineres Privatlabor von Lilly nach Miami gebracht. Peter starb kurze Zeit später. Laut Lilly beging er wahrscheinlich Selbstmord, indem er bewusst aufhörte zu atmen, weil er Margaret Howe Lovatt vermisste. Zu dieser Zeit legte sich Lilly immer öfter unter Drogeneinfluss in seine Floating Tanks. Er experimentierte nicht mehr nur mit LSD, sondern auch mit dem Schmerzmittel Ketamin, das er gegen Migräne einnahm. Eigentlich wurde es zu dieser Zeit noch als Narkosemittel an Soldaten im Vietnamkrieg getestet und erst 1970 in den USA zugelassen.
Während eines Ketamin-Trips glaubte Lilly, endlich in den Geist seiner Delphine einzudringen. Doch was er spürte, erschütterte ihn. Er erkannte, dass sein kleines Labor für die Tiere wie ein Gefängnis, ja ein Konzentrationslager war, in dem sie sich ihrer Freiheit, Würde und Natur beraubt fühlten. Er sah sich als skrupellosen Wissenschaftler, der kaum besser sei als jene Menschen, die die majestätischen Tiere jagten und in Zoos einsperrten. Kurzentschlossen und zu Tode betrübt ließ er die Tiere ohne Rücksprache mit seinen verbliebenen Kollegen frei. Damit hängte Lilly auch seinen Laborkittel an den Nagel, im wahrsten Sinne des Wortes.
Die wissenschaftliche Forschung wollte der Neurophysiologe nicht aufgeben – jedenfalls nicht wirklich –, aber er schlug eine andere Richtung ein, die sich auch optisch manifestierte. Seinen Kittel und sein Jackett tauschte er gegen Jeans und Hawaiihemd. Seine Forschungen konzentrierten sich immer mehr auf die Erkenntnisse, die er bei seinen psychedelischen Ausflügen in seinem Tank gewonnen hatte. Er experimentierte mit immer wilderen Drogenmischungen, bezeichnete sich selbst als Psychonaut und knüpfte bald enge Verbindungen zur Hippiebewegung und zu Ikonen der Gegenkultur wie Timothy Leary. Er nahm an Meditationssitzungen teil, ging auf berauschte Nacktwanderungen und dröhnte sich mit Studenten zu. Seinem Ruf in der Wissenschaft schadete das alles durchaus.
Earth to ECCO?
Anfang der 1970er Jahre galt John C. Lilly vielen bereits als gefallener Wissenschaftler. Seine Erkenntnisse über Geist und Verstand, die er in Selbstversuchen gewonnen und in Büchern wie Das Zentrum des Zyklons und Das tiefe Selbst niedergeschrieben hatte, wurden als mystizistischer und pseudowissenschaftlicher Unsinn abgetan. Freunde und Bekannte versuchten, ihn für die seriöse Forschung zurückzugewinnen. Denn viele hielten ihn nach wie vor für einen begabten, wenn auch eigensinnigen Forscher. Doch Lilly sorgte bald für den endgültigen Bruch mit dem traditionellen Forschungs- und Wissenschaftsbetrieb. Denn er behauptete, außerirdisches Leben gefunden zu haben.
Bei einer seiner durch psychoaktive Substanzen induzierten spirituellen Reisen im Jahr 1974 sei er auf „kosmische Wesenheiten“ gestoßen – genauer: auf übermenschlich und übersinnliche Wesenheiten, die durch universelle geistige Netzwerke im Hyperraum miteinander verbunden wären und die Geschicke des Universums lenkten. Lilly erkannte diese Wesen als wohlwollende außerdimensionale Verwalter, die in verschiedenen Hierarchie- und Verantwortungsebenen agieren. Das für den Kosmos zuständige Wesen taufte er Cosmic Coincidence Control Center, das für unsere Galaxis zuständige Wesen Galactic Coincidence Control und das für das Sonnensystem zuständige Wesen Solar System Control Unit.
Die für die Erde zuständige Kontrollinstanz taufte Willy auf den Namen Earth Coincidence Control Office – kurz ECCO –, wie er in seinem Buch The Scientist schrieb. Während seiner Tankaufenthalte habe er sich stundenlang mit ECCO beschäftigt und das kosmische Wesen direkt vor sich gesehen, behauptet Lilly in seinem Buch Das tiefe Selbst. Während dieser Zeit habe ECCO auch ihn erforscht und manchmal mit ihm gespielt. Eines Abends habe der übernatürliche Außerirdische „meinen Penis entfernt und ihn mir gereicht“, so Lilly. Daraufhin sei er plötzlich in Panik geraten, aus seinem Trip aufgewacht und habe sich immer wieder vergewissern müssen, „dass er noch dran ist“.
Diese Erfahrungen bestärkten Lilly in der Überzeugung, dass er es bei ECCO mit dem zu tun hat, was viele Religionen als „Gott“ bezeichnen. Eine Kraft, die seit jeher die Geschickte des Planeten durch gezielte Eingriffe lenkt, die gerne als Zufälle abgetan werden – alles mit dem Ziel, die Menschheit auf einen Weg zu führen, auf dem sie sich „gesund und friedlich entwickeln“ kann. Gelegentlich würde sich dieses übermenschliche Wesen aber auch wie „ein paar dumme Kinder“ verhalten. Laut Lilly sei die „kosmische Liebe absolut unbarmherzig und höchst gleichgültig: Sie lehrt ihre Lektionen, ob man sie mag oder nicht.“
Maschinenwesen aus dem All
Auf seinen drogeninduzierten kosmischen Exkursionen meinte Lilly aber nicht nur den vermeintlichen Ordnern des Universums zu begegnen, sondern auch einer außerirdischen Bedrohung: einer Art Künstliche Intelligenz „weit größer als der des Menschen“, bestehend aus Netzwerken, Computern und digital-mechanischen Lebensformen. Diese Solid State Intelligence würde die Erde von einem weit entfernten mechanischen Sonnensystem aus beeinflussen. Sie würde auf metaphysische Weise auf die Menschen einwirken, um eine Technologie und Struktur zu schaffen, die der ihren gleichwertig ist; quasi eine Kopie ihrer selbst auf der Erde, die sie kontrollieren und mit der sie verschmelzen kann.
Lilly deutete an, dass die SSI für die technologischen Durchbrüche der Menschheit verantwortlich sei. „Entwickelt diese Maschinen und lasst sie für euch sorgen“, sei eine Botschaft, die unbewusst in die Gehirne der Menschen gesendet werde. Damit habe die außerirdische Maschinenzivilisation „sowohl eine verführerische als auch eine feindliche Komponente“. Sie unterwandere die Menschheit. Letztlich wolle die Solid State Intelligence die Erde unter ihre Kontrolle bringen. Nicht aus Bosheit oder Feindseligkeit, sondern aus einem programmierten Wachstums- und Reproduktionsdrang.
„Die Menschen begannen, sich neue Computer auszudenken, deren Intelligenz die des Menschen bei weitem übertraf […] Die Maschinen wurden immer mehr miteinander integriert und immer unabhängiger von der Kontrolle des Menschen“, beschreibt Lily eine Zukunft, die er im Drogenrausch sah. Wenn die Zeit der Solid State Intelligence gekommen sei, würden Flora und Fauna durch „künstliche Bioformen“ ersetzt und Menschen könnten nur noch in Städten unter Glaskuppeln existieren. Doch Lilly glaubt, dass uns intelligente Meeresbewohner retten könnten: Delphine und Wale könnten der Menschheit nützliches Wissen vermitteln, um sich zu verteidigen, und Wege zu freundlichen Zivilisationen im Weltraum eröffnen.
Als Lilly im Drogenrausch zum ersten Mal von der außerirdischen Killer-KI erfuhr, geriet er in Panik. Er rief sogar im Weißen Haus an und wollte mit Präsident Gerald Ford verbunden werden, um ihn vor der Gefahr zu warnen. Doch er wurde nicht durchgestellt. Tatsächlich stießen Lillys Warnungen weitgehend auf taube Ohren. Zu verworren waren sie, zu absurd die Vorstellungen von denkenden Maschinen, die durch eine interstellare Verschwörung die Erde infiltrieren wollten. Seriöse Wissenschaftler lehnten es rundweg ab, mit Lilly auf Podien zu diskutieren oder sich zu seinen Theorien zu äußern. Selbst Fernsehsender, die zuvor gerne über Lillys Experimente mit Delphinen berichtet hatten, luden ihn nur noch selten ins Studio ein.
Das Vermächtnis
John C. Lilly starb 2001 an Herzversagen. Zuvor war er noch sehr aktiv. In den 1980ern hatte er den Versuch gestartet, eine mittels Computer erstellte synthetische Sprache zu entwickeln, die für Meeressäuger einfacher zu erlenen sollte, als englisch. Aber ohne positive Ergebnisse. Später engagierte er sich für Organisationen wie die Human Dolphin Foundation und die Arbeit rund um die Delphintherapie für Menschen mit Angststörungen. Er war Mitautor eines Buches über die Geschichte und den Nutzen von Isolationstanks und arbeitete an seiner eigenen Biographie mit.
Auch beteiligte er sich an Forschungsprojekten zur Kommunikation zwischen verschiedenen Spezies und hielt Vorträge über seine Forschung und sein Leben. Große Teile seiner Arbeit, die Rechte an seinen Erfindungen, Forschungsergebnissen und mehr überschrieb er einer von ihm gegründeten Software-Firma, Stiftungen und Forschungseinrichtungen wie etwa der Human Dolphin Foundation. Seine früheren Warnungen vor intergalaktischen Killermaschinen-KIs oder außerirdischen Bürokraten kamen zuletzt weniger zur Sprache. Wenn, dann wurden sie eher als philosophische „Was-wäre-wenn-Szenarien“ denn als konkrete Gefahren skizziert.
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Jetzt Mitglied werden!Trotz seines Todes vor nunmehr über 20 Jahren leben das Werk, das Wirken und die Ideen von Lilly weiter. Vor allem in der Popkultur hat Lilly einen bleibenden Platz gefunden. Denn insbesondere bekannte Autoren, Film- und Fernsehmacher waren von ihm und seinen Geschichten fasziniert. Der Einfluss des Wissenschaftlers ist dabei teilweise unübersehbar. In Star Trek 4: Zurück in die Gegenwart müssen Captain James T. Kirk und seine Crew Buckelwale aus der Vergangenheit in die Zukunft bringen, da nur sie mit einer außerirdischen Sonde kommunizieren können. Der Film Der Höllentrip – im Original Altered States – basiert direkt auf Lillys Erfahrungen mit sensorischer Deprivation und Drogencocktails, um neue Bewusstseinsebenen zu erfahren. Das gilt auch für den Film The Day of the Dolphin, in dem ein Ehepaar versucht, Delphinen das Sprechen beizubringen.
Auch die vierteilige Sega-Mega-Drive-Videospielreihe Ecco the Dolphin ist ziemlich offensichtlich von den Forschungen und Drogenreisen von John C. Lilly inspiriert. Denn in der 1992 gestarteten Saga geht es um einen cleveren Delphin, der durch Raum und Zeit schwimmen muss, um eine Invasion arglistiger Aliens zu verhindern. Ed Annunziata, der Entwickler der Games, gab irgendwann zu „viel von John C. Lilly gelesen“ zu haben. Auch der ruchlose Wissenschaftler Martin Brenner aus der Netflix-Erfolgsserie Stranger Things ist an John C. Lilly angelehnt. Ursprünglich sollte er sogar, wie der Neurophysiologe später, nicht im Anzug, sondern in Jeans, farbenfrohen Hemden und Holzfällerstiefeln seine Experimente an Eleven unternehmen.
Aber auch Lillys einstiges Ziel, die Kommunikation über Artengrenzen hinweg zu ermöglichen, lebt weiter. Auch wenn Delphine und andere Meeresbewohner vielleicht nicht die Genies sind, die der Forscher in ihnen sah, glauben auch heutige Forscher, dass es möglich sein muss, sich mit ihnen zu unterhalten. Die Forschungsgruppe Earth Species Project hofft, mit Hilfe Künstlicher Intelligenz die komplexen Laute der Meeressäuger, aber auch anderer Mitglieder der irdischen Fauna entschlüsseln zu können. Ende 2023 wiederum gelang es Mitgliedern einer Forschungsinitiative namens CETI erstmals, mit einem Buckelwal zu sprechen. Vielleicht verstehen wir also tatsächlich irgendwann, was uns die Delphine mit ihrem Geschnatter und ihren Tricks sagen wollen. Hoffentlich nicht, dass die Erde für eine interstellare Umgehungsstraße gesprengt werden muss.
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