Bislang dominiert OpenAI die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz – weltweit. Aber das könnte sich durchaus ändern. Denn in China wachsen derzeit schnell und mit viel Geld gefördert Herausforderer heran. Eines davon wird bereits als das zukünftige OpenAI von China gehandelt – und wird auch von Saudi-Arabien unterstützt.
Von Michael Förtsch
Das Zentrum der KI-Revolution liegt in den USA. Genauer gesagt in der San Francisco Bay Area, wo unter anderem OpenAI, Anthropic, Meta, Google, Perplexity AI, Midjourney und Pika ihre Büros haben. Außerhalb der USA gibt es derzeit nur wenige einflussreiche Unternehmen oder Initiativen, die im Rennen um die Entwicklung von generativer Künstlichen Intelligenz international Aufmerksamkeit erregen. Dazu zählen etwa das französische Start-up Mistral, Aleph Alpha aus Deutschland, der Verein LAION oder der finanziell angeschlagene und in eine Führungskrise geratene Stable-Diffusion-Entwickler Stability AI. Vor allem China will das nicht hinnehmen und bemüht sich mit zahlreichen Firmen, die KI-Dominanz der US-Westküste zu brechen.
Dazu gehören etablierte Unternehmen wie Baidu, Tencent, Alibaba, Sogou sowie dedizierte KI-Start-ups wie Baichuan AI, MiniMax, Moonshot AI, 01 AI und einige mehr, die allein bis Ende 2023 über 130 verschiedene Sprachmodelle entwickelt haben. Inzwischen sollen es sogar über 200 sein. Dennoch soll China ein bis zwei Jahre hinter den amerikanischen KI-Entwicklern liegen, attestierte Alibaba-Mitgründer Joe Tsai erst im April dieses Jahres. Der Kampf um mediale, politische und gesellschaftliche Aufmerksamkeit und insbesondere um Investorengelder in China ist dabei intensiv. Und ein Unternehmen tut sich derzeit besonders hervor. Zhipu AI wird derzeit als „KI-Tiger“ und Anwärter auf den Titel „OpenAI of China“ angesehen. Nicht ohne Grund.
Das Pekinger Start-up wurde bereits 2019 unter dem Namen Beijing Zhipu Huazhang Technology und damit drei Jahre vor dem Start von ChatGPT als Ausgründung der Tsinghua University gestartet. Und zwar von einer Gruppe um die in China angesehenen und als KI-Pioniere geltenden Informatikprofessoren Tang Jie und Li Juanzi, zu denen sich wenig später auch der heutige CEO Zhang Peng, ebenfalls ehemaliger Informatiker der Tsinghua University, gesellte. Entsprechend eng arbeitet Zhipu AI mit der Universität zusammen. Das zweisprachige Sprachmodell GLM-130B, das kleinere Chatmodell ChaGLM-6B und die auf Chinesisch spezialisierten Text-zu-Bild- und Text-zu-Video-Modelle CogView und CogVideo werden als Kooperation des Start-ups mit der Bildungseinrichtung geführt – und sind als Open-Source-Projekte für jedermann nutzbar. Gleiches gilt für den Code-Generator CodeGeeX.
ChatGLM statt ChatGPT?
Wie OpenAI bietet auch Zhipu AI einen eigenen Chatbot im Internet an. ChatGLM war die erste KI-Chat-Anwendung, die im August 2023 unter den strengen Regeln der chinesischen Behörden für den öffentlichen Gebrauch zugelassen wurde. Ähnlich wie bei den GPTs von OpenAI können mit ChatGLM eigene Chatbots – sogenannte GLM Intelligent Agents – für spezialisierte Aufgaben erstellt werden, die beispielsweise als Lehrer, Kochberater oder Ähnliches fungieren. Erst Ende letzten Jahres wurde mit Zhipu Qingyan ein auf ChatGLM basierender KI-Assistent sowohl als eigenständige Smartphone-App als auch als Plugin für den Chatdienst WeChat veröffentlicht.
Hinter beiden Diensten stehen derzeit die Zhipu-AI-Modelle GLM-3 und GLM-4. Letzteres wurde Anfang des Jahres vorgestellt und wird als chinesisches Pendant zu GPT-4 gehandelt. Es ist eines der, wenn nicht sogar das beste Sprachmodell in China. Genau wie GPT-4 ist es multimodal. GLM-4 kann also nicht nur beliebige Texte und Programmcodes auf Anfrage generieren, sondern auch Bilder erkennen und beschreiben. Wobei es im Vergleich zu westlichen Modellen „deutliche Lücken“ in den Fähigkeiten gibt, wie sowohl chinesische als auch ausländische KI-Forscher sagen. Besonders in den Bereichen Programmiercode und Mathematik soll es mit GPT-4, Gemini oder auch LLaMA 3 nicht mithalten können.
Über seine sogenannte Open Platform bietet Zhipu AI seine Modelle und auch die Chatplattform als Dienstleistung für andere Unternehmen an. Vor allem für den Kundenservice, aber auch weit darüber hinaus. Denn Zhipu AI sieht in der Anthropomorphisierung, also der „Vermenschlichung“ von Künstlicher Intelligenz einen großen Markt: Mit CharacterGLM und Emohaa hat das Unternehmen Modelle entwickelt, die speziell als Rollenspielpartner konzipiert sind. Mit ihnen können andere Unternehmen ihren Kunden digitale Charaktere als Gegenüber anbieten. „Sie erreichen konsistente Charaktereinstellungen, emotionales Einfühlungsvermögen und ein extrem langes Gedächtnis in Charakterdialogen“, sagt Zhipu AI. Das Unternehmen wirbt selbstbewusst mit seiner Technologie für die Entwicklung von „digitalen Menschen“.
Dieses Angebot wird bereits in großem Umfang genutzt. In China gibt es Dutzende von Start-ups, die digitale Freunde und Freundinnen anbieten, die auf den Rollenspielmodellen von Zhipu AI – aber auch auf eigenen Modellen und Modellen anderer KI-Unternehmen – basieren. Außerdem haben Videospielentwickler angekündigt, die Rollenspiel-KIs für intelligente Charaktere in verschiedenen Spielen zu nutzen, die dann nicht nur vorgefertigte Sätze von sich geben, sondern dynamisch auf den Spieler und seine Anfragen reagieren sollen. Ähnliche KI-Angebote werden im Westen von Unternehmen wie Inworld AI entwickelt.
KI für alles?
Wie die South China Morning Post berichtet, soll sich Zhipu AI durchaus an den Schritten und Entwicklungen von OpenAI und anderen westlichen KI-Unternehmen orientieren. Unter anderem habe das Unternehmen unmittelbar nach der Vorstellung des Text-zu-Video-Modells Sora mit der Arbeit an einer „Antwort auf den Text-zu-Video-Service von OpenAI“ begonnen. In China gebe es bereits eine massive Nachfrage nach KI-Video-Modellen, die in der Lage sind, konsistente Clips zu generieren. Vor allem die chinesische Werbe- und Videospielindustrie sei sehr interessiert, berichtet die Hongkonger Zeitung.
Das Videomodell von Zhipu AI soll möglichst noch in diesem Jahr auf den Markt kommen und eine Qualität bieten, die mit der von Sora mithalten kann. Vor allem aber soll es die bereits eingeführten inländischen Konkurrenten übertreffen. Erst im April hatte das KI-Start-up Shengshu Technology Vidu vorgestellt, das allerdings noch nur sehr kurze Videoschnipsel erzeugen kann und zudem deutliche KI-typische Mängel wie verzerrte Texturen und Formen in seinen Kreationen aufweist. Anfang Juni war das Start-up Kwai mit Kling gestartet, das bis zu zwei Minuten lange Sequenzen in HD-Auflösung generiert – und derzeit als bislang stärkster Herausforderer von Sora gefeiert wird.
Zhipu AI soll aber auch an mehreren noch nicht offiziell bestätigten Projekten arbeiten, um OpenAI und andere Unternehmen herauszufordern: darunter ein Text-zu-Sprache-Modell auf dem Niveau von Eleven Labs, das also realistische Audios generieren kann, und ein Musikgenerator, der von Suno AI inspiriert sein soll. Beobachter der KI-Branche prophezeien, dass chinesische Unternehmen wie Zhipu AI tatsächlich schnell aufholen und in kurzer Zeit noch bessere KI-Dienste anbieten könnten. Denn während westliche KI-Firmen zunehmend Gegenwind wegen der unlizenzierten Nutzung von Inhalten aus dem Netz bekommen und Rechtsstreitigkeiten fürchten müssen, gibt es für chinesische Unternehmen keinerlei Beschränkungen, wie unter anderem Gründer des KI-Verbands LAION kürzlich im Gespräch mit 1E9 erklärten.
Millionen aus Saudi-Arabien
Auch finanziell holen chinesische Start-ups auf. Das müssen sie auch. Denn bei Zhipu AI soll etwa mit arg hohem Personalaufwand gearbeitet werden. Mehr als 800 Mitarbeiter soll das Unternehmen seit einigen Monaten beschäftigen, die direkt von den renommiertesten Universitäten Chinas, aber auch aus dem Ausland rekrutiert werden. Das sind mehr Mitarbeiter als bei der chinesischen Konkurrenz. Aber es ist auch mehr als bei OpenAI, das Ende 2023 rund 770 Mitarbeiter zählte. Das ebenso als KI-Vorreiter gefeierte Anthropic hatte Anfang 2024 sogar nur knapp über 375 Mitarbeiter.
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Jetzt Mitglied werden!Bereits 2023 hatte Zhipu AI mehr als 340 Millionen US-Dollar eingesammelt. Unter anderem von chinesischen Technologiegiganten wie der Ant Group, Tencent, Alibaba und Xiaomi. Diese bieten dem Start-up neben Bargeld auch nicht-monetäre Kapazitäten, die weit mehr wert sein dürften: nämlich Rechenzeit in den Serverfarmen, die aufgrund des US-Embargos für Hochleistungschips gegen China ebenso knapp wie umkämpft ist. Darüber hinaus soll das Unternehmen auf die Unterstützung des chinesischen National Council for Social Security Fund zählen können, der mit strategischen Investitionen das chinesische Rentensystem sichern soll.
Die bereits sichtbaren Erfolge und das Wachstum von Zhipu AI machen das Pekinger Unternehmen auch im Ausland immer interessanter. Erst im Juni wurde bekannt, dass im Rahmen einer weiteren mehrere Millionen schweren Finanzierungsrunde auch Prosperity7 in das Unternehmen investiert hat. Dabei handelt es sich um einen rund drei Milliarden Dollar schweren Investmentfonds des saudischen Ölkonzerns Aramco. „Die Saudis wollen nicht, dass Silicon Valley diese Industrie dominiert“, verriet eine dem Fonds nahestehende Person der Financial Times. Denn obschon Saudi-Arabien bereits Millionen in eigene KI-Start-ups wie G42 investiert, scheinen die Erfolgsaussichten für China deutlich größer, ein OpenAI hervorzubringen, das nicht in der San Francisco Bay Area angesiedelt ist.
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