In München arbeitet das Start-up Vaeridion an der Zukunft der Luftfahrt. Bereits 2030 will es ein Elektroflugzeug auf dem Markt bringen. Das soll das Fliegen umweltfreundlicher machen und regionale Flughäfen beleben.
Von Michael Förtsch
Es stimmt, im Durchschnitt trägt der Luftverkehr nur 3,5 Prozent zur globalen Erwärmung bei. Das klingt nach nicht viel. Doch im Kampf gegen den Klimawandel kann jeder Prozentpunkt ausschlaggebend sein. Zudem ist die Luftfahrt ein Segment, in dem erstaunlich viel mit Innovation und Forschung erreicht werden kann, um CO2-Emissionen und andere Einwirkungen auf das Klima zu reduzieren – und die Luftfahrt dabei insgesamt effektiver und umweltverträglicher zu gestalten. Mehrere Firmen wollen hier bereits in wenigen Jahren einen Unterschied machen. Darunter der in Israel gegründete E-Flugzeugbauer Eviation oder auch ZeroAvia aus Großbritannien, das Flugzeuge kostengünstig von Kerosin- auf Wasserstoffantriebe umrüsten will. Nun kommt eine weitere ambitionierte Firma dazu – und die hat ihre Heimat in München. Das Start-up Vaeridion will einen revolutionären Elektroflieger in die Lüfte bringen.
„Für das elektrische Fliegen habe ich bereits seit meiner Studentenzeit eine Leidenschaft“, sagt Ivor van Dartel, einer der Vaeridion-Gründer, im Interview mit 1E9. Durch ein Projekt während seiner Zeit an der Technischen Universität Delft sei er erstmals mit elektrifizierten Fliegern in Kontakt gekommen. Dort stellten er und seine Kommilitonen sich der Aufgabe, ein nachhaltiges Flugzeug für Schulungszwecke zu entwerfen. Später arbeitete van Dartel bei Airbus am Airbus E-Fan X mit, einem experimentellen Elektrohybrid-Flieger. „Danach dachte ich mir, dass sich ein vollelektronisches Flugzeug umsetzen lassen könnte – mit einem anderen, kleineren Unternehmen“, so van Dartel weiter, „mit einem eigenen Start-up.“, Das hat er inzwischen mit dem befreundeten Luft- und Raumfahrttechniker Sebastian Seemann gestartet.
Seit rund einem Jahr existiert Vaeridion und will schnell Resultate erzielen. Woran die Truppe arbeitet, nennt sich Microliner. Es soll ein schlanker Flieger für Kurzstrecken werden, der bis zu neun Passagiere transportieren kann. „Es ist ein Flächenflugzeug, das normal startet und landet“, konkretisiert van Dartel. Mit Drohnen für den Passagiertransport und Flugautos solle das, woran Vaeridion arbeitet, nicht verwechselt werden . „Wenn du elektrisch weite Strecken fliegen möchtest“, so van Dartel, „musst du ein Fluggerät bauen, das weniger Energie verbraucht als es sonst üblich ist.“ Und da sei ein solches mehr oder minder traditionelles Flugzeug einfach die beste Option.
Batterien in den Flügeln
Ganz normal soll der Microliner von Vaeridion aber nicht sein. Denn das Unternehmen habe das Flugzeug so energieeffizient gestaltet und aerodynamisch optimiert wie möglich, erklärt der Firmenchef. Dafür habe sich das Team vor allem von Segelfliegern inspirieren lassen und so einige Lehren und Konzepte übernommen, die sonst kaum bis gar nicht in der motorisierten Luftfahrt genutzt werden. „Du brauchst einen geringen Luftwiderstand so wie ihn Segelflugzeuge haben; Auftrieb über Luftwiderstand“, sagt Ivor van Dartel. „Da brauchst du große schlanke Flügel.“ Die sind auf den erste Konzeptbildern des Microliner prägnant auszumachen.
Die langen Flügel sitzen weit oben am Flugzeug – und sollen noch einen weiteren Zweck erfüllen. In ihnen soll ein Teil der Batterien untergebracht werden, die eine Reichweite von bis zu 500 Kilometer ermöglichen. „Wenn du beim Fliegen irgendwo Gewicht nutzen kannst, dann ist das in den Flügeln“, sagt Ivor van Dartel. Die Masse der Batterien könnte dem starken Auftrieb als ausgleichende Kraft entgegenwirken, der nicht nur das Flugzeug in die Luft hebt, sondern auch die Flügel nach oben biegt. „Das Biegemoment wird reduziert, wodurch der Flügel selbst wieder leichter gebaut werden kann“, erklärt der Ingenieur. „Es ist ein Konzept, bei dem du aus möglichen Nachteilen nun Vorteile ziehen kannst.“
Wie er erläutert, gebe es natürlich Grenzen für diese Konstruktion. Ein Elektroflieger wie ihn Vaeridion bauen will, könne „mit dem Stand der Technik nicht unbeschränkt groß“ geplant werden und seine Reichweite ließe sich nicht nach Belieben erweitern. „Wenn es größer wird, wächst die Herausforderung“, sagt er. Nicht nur hinsichtlich der Technik, sondern auch der Zulassung bei den Luftfahrtbehörden. Genau daher sei das Team bei einem Neunsitzer angekommen, der bisher aber nur als Entwurf auf einem Computer existiert. Das habe auch seinen Grund.
„Es gibt Firmen, die wollen so schnell wie möglich etwas in die Luft bringen“, sagt Ivor van Dartel. „Die Fragen sind dann natürlich: Wie repräsentativ ist das [Fluggerät] für das Endprodukt? Ist es relevant für die Weiterentwicklung?“ Einen Prototypen oder ein Modell, das dem Flugzeug, das geplant ist, optisch nahe kommt, aber technisch wenig damit zu schaffen habe, wolle das Team daher nicht. Denn das wäre lediglich gut für das Marketing. Zur Entwicklung könnte derartiges wenig beisteuern. „Du lernst dadurch nichts“, sagt er. „Es kostet aber trotzdem richtig viel Geld. Es hilft langfristig nicht weiter.“ Daher würden das Flugzeug und seine einzelnen Bestandteile digital simuliert.
Wobei es ganz ohne haptische Prototypen auch nicht geht. „Was wir bauen müssen, ist die Integration der Batterien in die Flügel“, sagt Ivor van Dartel. Das habe bislang noch kein Unternehmen zuvor getan – zumindest nicht erfolgreich. Hier müsse die Machbarkeit und Sicherheit mit realer Hardware getestet werden. Doch sonst laute die Devise: „Wir fliegen erst dann, wenn es für eine Zulassung notwendig ist“. Und das soll 2026 so weit sein, wenn die Münchner ihren Ambitionen gerecht werden wollen.
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Noch vor 2030 will Vaeridion die ersten Microliner produzieren und in die Luft bringen. „Wir planen sogar ab 2028 die ersten Flugzeuge auszuliefern“, konkretisiert Ivor van Dartel. Davor muss der Flieger natürlich seine Tauglichkeit und Sicherheit in zahlreichen Probeflügen belegen, um auf den Markt kommen zu dürfen. „Dafür sollte man in der Regel [für diese Flugzeugklasse] mit zwei Jahren planen“, so Ivor van Dartel. „Wenn man einen großen Airbus entwickelt, dann ist das natürlich anders. Dann ist die Faustregel so um die zehn Jahre.“ Ein Kleinflugzeug in den kommenden sieben Jahren erstmals vom Boden abheben zu lassen und an die Käufer zu bringen, sei also eine Herausforderung, aber machbar.
Dass es für einen Flieger wie den Microliner einen Bedarf gibt, davon ist das Team von Vaeridion ebenfalls überzeugt. Die Maschinen wären ideal für Inlands- beziehungsweise Kurzstreckenflüge. In Finnland sollen diese bis 2045 nur noch emissionsfrei stattfinden dürfen. In Norwegen soll das 2040 so weit sein. Schweden und Dänemark planen das sogar schon ab 2030. Und selbst wenn viele Passagiere auf die Bahn oder andere Alternativen umsteigen, würden noch genug Flüge stattfinden, die ein Flugzeug wie den Microliner rechtfertigen. Es könnten mit dem kleinen Flieger sogar neue Strecken über bislang nur mau genutzte regionale Flughäfen ermöglicht werden, auf denen die 20 bis 100 Sitzplätze starken Flugzeuge, die sonst für Kurzstrecken genutzt werden, sich kaum mit Passagieren füllen lassen – aber ein Neunsitzer womöglich schon. Nürnberg nach Zürich, Hamburg nach Sylt, Stuttgart nach Erfurt, Leipzig/Halle nach Dresden, derartige Strecken wären denkbar.
Dabei geht Vaeridion es nicht nur darum, das Städte-Hopping für betuchte Reisende klimafreundlicher zu gestalten. Mit genug Angebot und Nachfrage könnten solche Flüge erschwinglich werden. Und auch für andere Zwecke tauge das Flugzeug. „Es ist sehr flexibel darin, wie es eingesetzt werden kann“, sagt Ivor van Dartel. Es könne ebenso als Frachtflieger eingesetzt oder für dringende Transporte genutzt werden – seien es Organspenden oder Industriebauteile, bei denen jede Minute zählt. Interesse sei bei Fluggesellschaften und anderen Firmen jedenfalls vorhanden. Gespräche gebe es schon. Vaeridion hofft daher, ab 2030 bis zu 1.000 Maschinen im Jahr zur produzieren und damit der größte E-Flugzeugbauer in Europa zu werden.
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