Wer hat sich bereits mit dem Coronavirus infiziert und ist inzwischen immun? Das muss geklärt werden, um weitere Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie zu planen. Mit einem Schnelltest will das Münchner Start-up Colorimetrix einen Beitrag dazu leisten. Angeleitet von einer Smartphone-App sollen ihn auch medizinische Laien durchführen können.
Von Wolfgang Kerler
Einen Tropfen Blut von der Fingerspitze. Viel mehr braucht es für den Test nicht. Das Blut kommt in ein Teströhrchen und wird mit etwas Verdünnungslösung vermischt. Nach 15 Minuten zeigen Linien das Ergebnis der Untersuchung. Hier kommt die App von Colorimetrix ins Spiel: Über die Kamera wird das Resultat „digitalisiert“ und ein Algorithmus liefert die dazugehörige Interpretation. Die Testperson erfährt, ob in ihrem Blut Antikörper gegen SARS-CoV-2 gefunden wurden oder nicht.
„Wir machen aus dem Smartphone ein Labor“, sagt Colorimetrix-Mitgründer Leo Martinez zu 1E9. Er hat die Technologie entwickelt, die in der App steckt und bisher für Fruchtbarkeitsanalysen eingesetzt wird. Innerhalb von drei Wochen wurde sie auf das Coronavirus angepasst.
„Diese Art von COVID-19-Tests haben genau das gleiche Problem wie die Hormonuntersuchungen zur Fruchtbarkeitsbestimmung“, erklärt der Forscher. „Sie erzeugen Linien, die mit bloßem Auge nur schwer zu verstehen sind.“ Nur medizinisch geschultes Personal kann das Ergebnis richtig interpretieren. Oder eben die Algorithmen von Colorimetrix. Anhand der Farbe und Konzentration der Linien, die sich beim Test bilden, leiten sie dessen Ergebnis ab.
Kein Ersatz für die genbasierten Corona-Tests
Der Test, den Colorimetrix vorschlägt, ersetzt nicht die Verfahren, mit denen derzeit hauptsächlich festgestellt wird, ob jemand mit SARS-CoV-2 infiziert ist. Dabei werden Abstriche aus dem Mund-, Nasen- und Rachenraum genommen. In den so gewonnenen Proben wird anschließend nach dem Erbgut des Virus gesucht. Es findet also eine Analyse der Gene statt, genauer: der RNA. Der Vorteil daran: Eine Infektion lässt sich schon feststellen, bevor das Immunsystem darauf reagiert. Der Nachteil: Die Tests dauern, sind teuer und lassen sich deshalb nicht in kurzer Zeit millionenfach durchführen.
Beim Schnelltest auf Antikörper in Blutproben, der die Basis für die Colorimetrix-App bildet, ist das anders. Die notwendigen Teströhrchen sind sehr günstig – und können wöchentlich in Millionenstückzahlen produziert werden, erklärt Leo Martinez. Die App könnte ohnehin unbegrenzt heruntergeladen werden. Allerdings haben diese Art von Schnelltests auch eine entscheidende Einschränkung: Sie können eine Infektion erst identifizieren, wenn das Immunsystem mit der Bildung von Antikörpern reagiert hat. Im Fall von SARS-CoV-2 sind das IgG- und IgM-Antikörper. Die Infektion kann bereits zehn oder vierzehn Tage her und vielleicht schon ohne Symptome überstanden sein, bevor sie in Blutproben zu finden sind.
Dass diese Schnelltests funktionieren – und zwar mit einer rund 90-prozentigen Sensitivität und Spezifität, wenn die Linien von Menschen interpretiert werden – wurde bereits wissenschaftlich belegt. Außerdem sind bereits großangelegte Untersuchungen zur Immunität innerhalb der Bevölkerung geplant – ebenfalls auf Basis von Antikörper-Tests. Unter Führung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung Braunschweig soll bis Ende April das Blut von über 100.000 Probanden untersucht werden.
Sollte sich herausstellen, dass Menschen nach einer Infektion tatsächlich über einen längeren Zeitraum immun sind, könnte das zur Lockerung der Kontaktsperren und Ausgangsbeschränkungen beitragen. Zumindest für diejenigen, die die Infektion bereits überstanden haben. Doch wenn nur medizinisches Fachpersonal die Tests durchführen kann, könnte es dauern, große Teile der Bevölkerung zu untersuchen, argumentiert das Start-up Colorimetrix.
Das Start-up hofft auf die schnelle Zulassung des Projekts
Für den kommerziellen Einsatz ist die App von Colometrix noch nicht zugelassen. Das Start-up setzt nun darauf, bei den Studien der öffentlichen Einrichtungen beteiligt zu werden, erklärt Mitgründer und CTO Dominik Westner im 1E9-Gespräch. So könnte die App noch besser kalibriert werden und es könnten genauere Erkenntnisse über die Zuverlässigkeit der Schnelltests und der App gewonnen werden. Beides wäre die Voraussetzung für eine zügige Zulassung.
„Die Idee ist, dass bald jeder zuhause diesen Test durchführen kann“, sagt Dominik Westner. „So wie heute bereits Blutzuckertests zuhause durchgeführt werden.“ In regelmäßigen Abständen könnten die Nutzer ihren Status überprüfen. Auf Dauer könnte Colometrix dadurch eine umfassende Datenbank zur Immunität in der Bevölkerung aufbauen. „Private Daten würden dabei geschützt werden“, versichert der CTO.
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