Ein Interview von Krischan Lehmann
Bei einem Goldrausch – so das bekannte Sprichwort – sind nicht die Goldgräber die großen Gewinner, sondern die Schaufelverkäufer. Und spätestens seit Google und Facebook weiß man: Die noch größeren Gewinner sind die mit dem Überblick, die mit der Plattform und den Daten. Einer davon ist Dariusz Kachel, Gründer von CoinTracking, dem weltweiten Marktführer zum Tracken von digitalen Währungsportfolios.
Rund eine halbe Million aktive Nutzer verwalten ihre Bestände an Kryptowährungen über seine Plattform. Und etwa 20.000, doppelt so viele wie noch Anfang 2019, kommen derzeit monatlich dazu. Denn die Flaute um Bitcoin und Co. scheint 2020 vorbei zu sein. Die Preise ziehen an – und die vielen enthusiastischen Stimmen in den sozialen Medien sind zurück.
Als ich das erste Mal gekauft habe, war es nur ein Experiment. Ich wusste eigentlich gar nichts über Kryptowährungen - Dariusz Kachel
Die Geschichte von CoinTracking beginnt, wie so viele Geschichten erfolgreicher Start-ups beginnen: mit einem Problem. Ende 2011 war Dariusz Kachel eher zufällig im Internet auf das Bitcoin-Trading gestoßen. „Ich hab mich dann auf zwei bis drei verschiedenen Börsen angemeldet, immer wieder ein bisschen gekauft und verkauft und dann ziemlich schnell den Überblick über meine ganzen Transaktionen verloren.“ Kein Wunder: Zahlen mit acht Nachkommastellen sind im Kryptotrading die Regel, die Preise für die Münzen schwanken stark, neue Börsen kommen und gehen. In einem Excel-Sheet sammelt der Münchner seine ersten Transaktionen und notiert auch die historischen Preise der Coins, um seine Gewinne richtig berechnen zu können.
„Irgendwann habe ich mir gesagt: ‚Nee, das hat keinen Sinn. Ich schreibe mir jetzt ein Skript, welches die Preise von allen Coins, die ich habe, und all meine Trades über Schnittstellen zu den Börsen in eine Datenbank importiert.‘ Und so ist ein erstes privates Basisprodukt entstanden“, erinnert sich Dariusz Kachel. „Ich war damals viel auf Bitcoin-Stammtischen in der Schwabinger Bar ‚Niederlassung‘ unterwegs, wo man schon 2012 via QR-Codes in Bitcoin bezahlen konnte. Da habe ich dann mit vielen Leuten gesprochen, die exakt die gleichen Probleme beim Traden hatten. Und dann ging eben die erste Version von CoinTracking im April 2013 live.“
Etwa ein halbes Jahr später kommt der Durchbruch: Der Preis von Bitcoin verzehnfacht sich innerhalb eines halben Jahres auf rund 1.200 Dollar und CoinTracking wird auf Reddit verlinkt. „Plötzlich hatten wir pro Tag 1.000 Nutzer und dann ging der Hype los – und kurze Zeit später ist der Kryptomarkt gecrasht.“ Das war 2014. In den folgenden beiden Jahren, „eine wirklich üble Zeit“, wie sich Kachel erinnert, sieht er etliche private Kryptoprojekte und frisch gegründete Start-ups scheitern, weil der Bitcoin-Preis niedrig bleibt. „Denen hat einfach die Vision gefehlt. Plötzlich hat keiner mehr dran geglaubt, dass digitale Währungen der Schlüssel für die Zukunft sein könnten. Viele Leute hatten einfach zu viel Geld verloren, aber ich hab einfach weiter mein Ding gemacht.“
Kachels Hartnäckigkeit, sein persönlicher Kontakt zu den Usern und seine frühe Entscheidung, CoinTracking auch in einer kostenpflichtigen Premium-Version, natürlich auch gegen Bitcoin, anzubieten, zahlen sich aus: „Ich hab dann immer mehr Sachen eingebaut, die ich selber gebraucht habe, wie zum Beispiel Berechnungen von realisierten Gewinnen und Verlusten oder Steuerberichte. Am Ende aber war der Support mein Erfolgsrezept. Ich habe nie Standardantworten gegeben, sondern den Leuten immer ausführlich zurückgeschrieben. Und das war sicherlich ein Grund, warum viele Leute an mich geglaubt und das Produkt gekauft haben, obwohl es einige dringend benötigte Funktionen noch gar nicht gab.“
Als 2017 der nächste große Krypto-Hype ausbricht, ist Kachel als Programmierer, Buchhalter, Support und Marketeer in Personalunion – und im Nebenberuf – dem nun folgenden User-Ansturm nicht mehr gewachsen. Er hängt seinen Job als Projektleiter in einem IT-Unternehmen an den Nagel und macht sich selbständig.
Was wir für ein Geschiss in München mit den Banken hatten, weil die nicht verstanden haben, was wir als Firma machen! - Dariusz Kachel
Der Anfang ist holprig: „Für mich war es ja die erste Firma. Und ich habe plötzlich realisiert, wie unglaublich schwer es einem gemacht wird, in Deutschland was Eigenes aufzubauen. Du willst was Gutes erreichen, willst profitabel sein und anderen Leuten einen Job anbieten, aber keiner sagt dir genau, was du machen musst: Hier Ummeldung, hier Firmenanmeldung, hier Notartermin – du musst dich um alles selbst kümmern und sobald alles fertig ist, steht jeder da, hält die Hand auf und will Geld von dir. Das hat mich wirklich sehr frustriert.“
Insbesondere die Banken sind für den 33-Jährigen ein rotes Tuch: „Kurz nachdem wir angefangen haben, hat uns eine Bank bereits nach drei Tagen das Konto gekündigt, nur weil ich im Handelsregistereintrag die digitalen Währungen erwähnt habe. Die haben gar nicht verstanden, was wir machen. Mittlerweile haben uns mehrere Banken rausgeschmissen oder gar nicht erst aufgenommen, ohne jegliche Angabe von Gründen. Ich war so wütend und einmal kurz davor, am Jahresende mit einem Koffer voll Geld zum Finanzamt zu fahren und zu sagen: ‚Hier ist die Steuer, ich kann sie nur leider nicht überweisen, weil ich in Deutschland kein Bankkonto bekommen habe!‘ Jetzt sind wir bei einer Regionalbank und die betreut uns gut.“
Dariusz Kachel und sein Team im bayerischen Gräfelfing. Mittlerweile beschäftigt er 26 Mitarbeiter.
1E9: Inzwischen sind Kryptowährungen viel mehr im öffentlichen Bewusstsein angekommen. Zentralbanken und Konzerne wie Facebook experimentieren damit, gleichzeitig träumen in der Kryptoszene noch viele davon, dass Bitcoin und Co. ein ganz neues Finanzsystem entstehen lassen. Wie stehst du dazu?
Dariusz Kachel: Ich bin mir sicher, dass Kryptowährungen jetzt erst einmal stark reguliert werden, damit man sie ganz offiziell handeln kann. Aber wie es weiter geht, ist gerade wirklich schwer zu sagen. Denn wir haben die ganzen Hypes ja nicht, weil die Leute an das Produkt glauben, sondern weil sie schnell Geld machen wollen. Ein Großteil tickt noch immer so, die meisten verstehen die Technologien überhaupt nicht. Sie kaufen irgendwelche Coins auf einer Börse, lassen die dann da liegen und denken, sie hätten jetzt etwas Dezentrales gemacht. Dabei gab es das ja – ich war damals bei Mt. Gox und Cryptsy dabei – oft genug, dass so eine Börse zumacht, weil sie eben nicht dezentral ist. Es geht also eigentlich ums Geldmachen.
1E9: Dazu betreiben viele User umfangreiche Chartanalysen, um die nächsten Hypes und Crashes zu antizipieren. Das wirkt immer ein bisschen wie Astrologie. Kannst du denn klare Muster in deinen Daten erkennen?
Dariusz Kachel: Wir tracken seit vielen Jahren im Minutentakt sämtliche Coins, die es gerade auf dem Markt gibt. Das sind etliche Gigabyte an Daten allein an historischen Preisen. Und ich habe mir natürlich viele dieser Daten seit 2009 angeschaut und Kursanstiege und Crashs genau analysiert. Es gibt tatsächlich ein Muster, nur die Zeit zwischen den Peaks variiert. Deshalb konnte ich 2014 zum Beispiel die Preisentwicklung des Bitcoin relativ gut vorhersagen. Und auch als der Markt Anfang 2018 gecrasht ist, war mir ziemlich schnell klar, dass es 2018 und 2019 keine großen Kursanstiege geben würde. Die Leute brauchen einfach immer eine bestimmte Zeit, um über ihre Verluste hinwegzukommen. Ich bin aber recht zuversichtlich, dass wir Ende 2020 wieder eine Rally wie Ende 2017 haben werden. Denn es sind einfach mittlerweile sehr viele Coins im Umlauf und werden tatsächlich genutzt. Es gibt auch immer mehr Firmen und Produkte, die zum Beispiel Zahlungen in Bitcoin akzeptieren.
Ich glaube aber nicht, dass Bitcoin sich am Ende durchsetzen wird, sondern eher eine Währung, die skalierbar ist, keine hohen Gebühren hat, nicht so viel Strom wie ein ganzes Land frisst und tatsächlich einen tieferen Sinn und mehr Funktionen besitzt. Bitcoin ist ein Prototyp, der einen guten Job gemacht hat, um die Technologie bekannt zu machen, aber eben nicht mehr. Es fehlen in der Kryptowelt noch Projekte, die jeder sofort begreift. Vieles ist nach wie vor zu kryptisch.
1E9: Mit einer halben Million aktiven Nutzern und Milliarden von getrackten Transaktionen hast du vermutlich einen weltweit einzigartigen Überblick über den Kryptomarkt…
Dariusz Kachel: Ja, wir sehen ja immer welche Coins gerade am meisten gekauft und verkauft werden, und wenn man sich das als Timeline anzeigt, sieht man natürlich die weltweiten Trading-Trends. Wir werten zwar nur die Trades aus, die automatisiert über die Schnittstellen der Börsen reinkommen, weil wir hier davon ausgehen können, dass die Daten echt sind, aber solche Analysen sind immer sehr interessant. Die Anzahl der User aus Großbritannien hat sich zum Beispiel in den letzten 3 Monaten verdoppelt. Vermutlich wollen sie alle ihre Pfund loswerden (lacht). International gesehen haben wir inzwischen mehr Zugriffe aus Hongkong als aus ganz China, weil dort das Traden verboten wurde. Auch viele andere asiatische Länder wie Südkorea, Thailand oder Vietnam legen gerade enorm zu. Und wir sehen einen extremen Anstieg in Lateinamerika, wegen der starken Inflation dort.
1E9: Kommen wir mal zum Thema Steuern. 400 Millionen Steuerberichte wurden über eure Software inzwischen erstellt…
Dariusz Kachel: Bei uns ist alles anonym, wir wissen natürlich nicht, wieviele davon tatsächlich abgegeben worden sind…
1E9: Wie oft haben sich denn die Finanzämter daraufhin an euch gewendet?
Dariusz Kachel: Es gab bisher keinen Fall, wo die Finanzämter auf uns als Firma zugekommen sind. Aber als Privatperson habe ich natürlich schon ein paar Mal selbst nachgefragt. Einmal habe ich zum Beispiel über Bot-Trading rund 500.000 Transaktionen angesammelt und wollte dann höflich wissen, wie ich diese vorlegen soll, also ob gruppiert, online oder eben ausgedruckt und angeliefert über eine Spedition (lacht). Und zu meiner Verwunderung sollte ich sie tatsächlich ausdrucken, bis ich dem zuständigen Abteilungsleiter glaubhaft versichern konnte, dass ich nur 75 Transaktionen auf eine Seite kriege. Wir haben uns dann auf Stichproben geeinigt, die aber dann doch niemand sehen wollte.
1E9: Vermutlich sind auch viele Steuerberater mit dem Thema Krypto immer noch stark überfordert.
Dariusz Kachel: Ich würde sehr stark davon ausgehen, dass die meisten User in Deutschland die Auswertung ihrer Kryptotrades ohne Steuerberater machen, einfach weil es sehr schwer ist, bei denen, die sich auskennen einen Termin zu bekommen. Außerdem rechnen viele Steuerberater ja nach Zeit oder Transaktionen ab. Wenn ich da jetzt mit 50.000 Transaktionen als Text-Export direkt von einer Börse ankomme, bin ich schnell bei einem fünfstelligen Betrag.
Das Thema Steuern lag mir aber am Herzen, deswegen haben wir jetzt seit einiger Zeit eine öffentliche Steuerberaterliste auf der Seite, in die sich Steuerberater, die sich mit Kryptowährungen beschäftigen, provisionsfrei eintragen können. Außerdem hat mein Team zusammen mit Steuerberatern aus aller Welt die Steuergesetze für sehr viele Länder der Welt zusammengefasst. Die werden dann immer auch gleich von Experten in den Ländern upgedated, wenn sich irgendwo die Gesetzeslage ändert.
In den USA zum Beispiel wird im Steuerrecht alles auf komplette Zahlen gerundet, da spielen Centbeträge keine Rolle. Hier in Deutschland haben wir User, die sich beschweren, weil die neunte Nachkommastelle in unserem automatischen Steuerbericht durch die Rundung um eins falsch ist. Die rechnen dann also auf ein Milliardstel von einem Euro-Cent genau. Wir haben in unserem Supportsystem eine Liste mit Feature-Wünschen und Beschwerden, die nach Prio abgearbeitet werden. Manchmal wenn ich viel Zeit habe, schaue ich mir solche Low Prio-Tickets an und versuche trotzdem zu helfen.
1E9: Bist du denn selbst noch als Trader aktiv?
Dariusz Kachel: Seit 2017 habe ich eigentlich nicht mehr die Zeit, um mich mit all diesen neuen Währungen zu beschäftigen. Ich trade auch kaum mehr, sondern mache Langzeitinvestments, d.h. ich warte, bis eine interessante Währung crasht, dann warte ich noch länger und noch ein paar Tage, dann kaufe ich ein, und warte, bis sie wieder hoch geht. Ich investiere auch nur Geld, das mir nicht wehtut, diversifiziere in mehrere große Währungen und setze mir klare Verkaufsziele. Eins habe ich über die Jahre gelernt: Man wird niemals zum besten Zeitpunkt kaufen oder verkaufen. Von diesem „Mist, hätte ich gestern…“ oder „Mist, hätte ich doch erst heute…“ muss man sich verabschieden. Es darf einen emotional nie mitnehmen.
Achtung: 1E9 soll die neue Community für Zukunftsoptimisten werden. Wir sind derzeit noch in der Closed Beta, aber du kannst dich hier auf die Warteliste setzen lassen. Dann melden wir uns schon bald!