Hast du jemals einen Fehler begangen, den du gerne ungeschehen machen würdest? Die Sehnsucht, vergangene Fehler zu korrigieren, ist einer der Gründe, deretwegen wir die Idee von Zeitreisen so anziehend und faszinierend finden. Vor allem in der Science Fiction ist die Zeitreise ein gerne genutztes Motiv. Denn mit einer Zeitmaschine ist nichts mehr unveränderlich. Jederzeit kann man in der Zeit zurückreisen und Geschehens verändern. Aber ist all das wirklich nur Science Fiction? Oder sind Zeitreisen eventuell machbar?
Von Barak Shoshany
Unser modernes Verständnis von Zeit und Kausalität geht auf die allgemeine Relativitätstheorie zurück. Die Theorie des Physikers Albert Einstein fasst Raum und Zeit zu einer einzigen Einheit – der Raumzeit – zusammen. Sie liefert eine so bemerkenswerte wie auch erschlagend komplizierte Erklärung dafür, wie beide nun funktionieren – und das auf einem Niveau, das von keiner anderen etablierten Theorie erreicht wird. Die allgemeine Relativitätstheorie existiert seit mehr als 100 Jahren und wurde experimentell und mit hohem Aufwand auf ihre Stichhaltigkeit geprüft, so dass Physiker heute ziemlich sicher sind, dass sie eine genaue Beschreibung der kausalen Struktur unseres Universums abbildet.
Schon seit mehreren Jahrzehnten versuchen Physiker daher, mit Hilfe der allgemeinen Relativitätstheorie herauszufinden, ob Zeitreisen machbar sind. Dabei hat sich herausgestellt, dass sich Gleichungen aufstellen lassen, die Zeitreisen beschreiben und mit der Relativitätstheorie vollständig kompatibel und im Einklang sind. Allerdings ist Physik keine Mathematik und Gleichungen sind vollkommen bedeutungslos, wenn sie sich nicht auf die Realität übertragen lassen.
Argumente gegen Zeitreisen
Es existieren zwei Hauptargumente, die uns annehmen lassen, dass die Gleichungen, die Zeitreisen beschreiben, unrealistisch sind. Das erste Problem ist ein praktisches: Der Bau einer Zeitmaschine scheint exotische Materie zu erfordern, das heißt Materie mit negativer Energie beziehungsweise negativer Energiedichte. Aber alle Materie, die uns in unserem täglichen Leben begegnet, hat positive Energie – Materie mit negativer Energie ist nichts, was einfach so herumliegt. Aus der Quantenmechanik wissen wir, dass solche Materie theoretisch erzeugt werden kann, allerdings in zu geringen Mengen und nur für kurze Zeit.
Jedoch lässt sich auch nicht sagen, dass es unmöglich ist, exotische Materie in ausreichenden Mengen herzustellen. Außerdem könnten neue Gleichungen entdeckt werden, die Zeitreisen ohne exotische Materie beschreiben. Dadurch könnte dieses Problem eines sein, das sich aus unserer derzeit beschränkten Technologie und unserem limitierten Verständnis der Quantenmechanik ergibt.
Das andere Argument gegen Zeitreisen ist weniger praktisch, aber umso bedeutsamer: Es handelt sich dabei um die Beobachtung, dass Zeitreisen der Logik zu widersprechen scheinen. Und zwar in der Ausprägung von Zeitreiseparadoxien. Es existieren mehrere Arten solcher Paradoxien. Die problematischsten sind sogenannte Konsistenzparadoxa. Sie sind ein beliebtes Phänomen in der Science Fiction und treten immer dann auf, wenn ein bestimmtes Ereignis zu einer Veränderung der Vergangenheit führt, diese Veränderung selbst jedoch verhindert, dass das auslösende Ereignis überhaupt eintritt.
Nehmen wir zum Beispiel ein Szenario, in dem ich meine Zeitmaschine besteige und sie benutze, um fünf Minuten in die Vergangenheit zu reisen, um die Maschine zu zerstören, sobald ich in der Vergangenheit angekommen bin. Da ich die Zeitmaschine zerstört habe, ist es mir unmöglich, sie fünf Minuten später zu benutzen. Aber wenn ich die Zeitmaschine nicht benutzen kann, dann kann ich auch nicht in der Zeit zurückspringen und sie zerstören. Sie ist sie also nicht zerstört, so dass ich in der Zeit zurückgehen und sie zerstören kann. Mit anderen Worten: Die Zeitmaschine ist dann und nur dann zerstört, wenn sie nicht zerstört wird. Da sie nicht gleichzeitig zerstört und nicht zerstört sein kann, ist dieses Szenario also inkonsistent und paradox.
Die Beseitigung der Paradoxien
Es ist ein ziemlich verbreiteter Irrtum im Science-Fiction-Genre, dass Paradoxien erzeugt werden können. Zeitreisende werden in der Regel davor gewarnt, die Vergangenheit zu verändern, und sollen aus diesem Grund auch nicht ihr früheres Ich treffen. Beispiele dafür finden sich in etlichen Zeitreisefilmen, etwa in der Zurück-in-die-Zukunft -Reihe. In der Physik ist ein Paradoxon jedoch kein Ereignis, das tatsächlich eintreten kann. Es ist ein rein theoretisches Konzept, das lediglich auf eine Unstimmigkeit in der Theorie selbst hinweist. Mit anderen Worten: Konsistenzparadoxa besagen nicht einfach, dass Zeitreisen eine gefährliche Angelegenheit sind, sondern vielmehr, dass sie schlichtweg unmöglich sind.
Diese Erkenntnis war für den theoretischen Physiker Stephen Hawking einer der Gründe, seine Chronologieschutz-Vermutung zu formulieren. Die sagt aus, dass Zeitreisen unmöglich sein sollten. Allerdings ist diese Vermutung bisher nicht bewiesen. Zudem wäre das Universum deutlich interessanter, wenn wir, anstatt Zeitreisen aufgrund von Paradoxien auszuschließen, einfach die Paradoxien eliminieren könnten.
Ein Versuch Zeitreise-Paradoxa zu lösen , ist die Selbstkonsistenz-Vermutung des theoretischen Physikers Igor Dmitrijewitsch Nowikow. Die besagt im Wesentlichen, dass man in die Vergangenheit reisen, sie aber nicht beeinflussen oder verändern kann. Wenn ich also versuchen würde, meine Zeitmaschine fünf Minuten in der Vergangenheit zu zerstören, würde ich feststellen, dass das nicht möglich ist, sagt Nowikow. Die Gesetze der Physik würden sich irgendwie verschwören, um die Konsistenz zu bewahren.
Mehrere Geschichten einführen
Wozu aber durch die Zeit reisen, wenn sich die Vergangenheit nicht ändern lässt? Meine jüngsten Arbeiten, die ich zusammen mit meinen Studenten Jacob Hauser und Jared Wogan durchgeführt habe, zeigen, dass Zeitreise-Paradoxa existieren, die sich nicht durch die Novikov-Vermutung lösen lassen. Damit sind wir wieder am Anfang. Denn wenn auch nur ein einziges Paradoxon nicht beseitigt werden kann, bleiben Zeitreisen logisch unmöglich.
Ist das jetzt der finale Nagel im Sarg der Zeitreisen? Nein, nicht ganz jedenfalls. Wir können zeigen, dass sich Paradoxa, die nicht durch Novikovs Vermutung aufgelöst werden können, lösen lassen, wenn die Existenz mehrerer Geschichten – oder paralleler Zeitlinien, um einen gebräuchlicheren Begriff zu nutzen – angenommen wird. Tatsächlich lässt sich damit jedes Paradoxon auflösen, das aufgeworfen wird.
Die Idee hinter diesem Gedanken ist sehr einfach. Wenn ich meine Zeitmaschine verlasse, trete ich in eine andere Zeitlinie ein – oder erschaffe diese. In dieser Zeitlinie kann ich tun und lassen, was ich will, einschließlich der Zerstörung der Zeitmaschine, ohne etwas in der ursprünglichen Zeitlinie, aus der ich komme, zu verändern. Da ich die Zeitmaschine in der ursprünglichen Zeitlinie, die ich für die Zeitreise genutzt habe, nicht zerstören kann, kann kein Paradoxon entstehen.
Nachdem ich mich in den letzten drei Jahren mit Paradoxien in der Zeitreise befasst habe, bin ich zunehmend davon überzeugt, dass Zeitreisen durchaus möglich sind, aber nur, wenn unser Universum die Koexistenz mehrerer Geschichten oder Zeitlinien zulässt. Aber tut es das? Die Quantenmechanik scheint das zumindest anzudeuten, wenn man Everetts Viele-Welten-Interpretation folgt, bei der sich eine Geschichte in mehrere Geschichten aufspalten kann, eine für jedes mögliche Messergebnis – zum Beispiel ob Schrödingers Katze lebt oder tot ist, oder ob ich in der Vergangenheit angekommen bin oder nicht.
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Jetzt Mitglied werden!Aber das sind nur Spekulationen. Meine Studierenden und ich arbeiten derzeit daran, eine konkrete Theorie für Zeitreisen mit mehreren Historien zu entwickeln, die mit der allgemeinen Relativitätstheorie vollumfänglich vereinbar ist. Selbst wenn es uns gelingt, eine solche Theorie zu finden, würde das natürlich nicht ausreichen, um zu beweisen, dass Zeitreisen möglich sind. Aber es würde zumindest bedeuten, dass Zeitreisen nicht durch Konsistenzparadoxien ausgeschlossen werden.
In der Science Fiction gehen Zeitreisen und parallele Zeitlinien fast immer Hand in Hand, aber jetzt haben wir den Beweis, dass sie auch in der realen Wissenschaft Hand in Hand gehen müssen. Die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik sagen uns, dass Zeitreisen möglich sein könnten, aber wenn dies der Fall ist, dann müssen auch mehrere Zeitlinien möglich sein.
Barak Shoshany forscht und lehrt als Assistant Professor an der kanadischen Brock University. Er ist theoretischer, mathematischer und rechnergestützter Physiker. Seine Forschung konzentriert sich unter anderem auf die Natur von Zeit und Kausalität in der allgemeinen Relativitätstheorie und der Quantenmechanik.
Dieser Artikel erschien zunächst unter einer Creative Commons Lizenz auf Englisch bei The Conversation . Die Übersetzung stammt von 1E9.
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Titelbild: FlashMovie / Shutterstock
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