Robotik hat in Japan eine lange Tradition – und anders als im Westen werden Roboter dort oft weniger als Bedrohung denn als mechanische Begleiter verstanden. Mit dem LOVOT will Kaname Hayashi, Gründer und CEO von GROOVE X, noch einen Schritt weiter gehen: Der weiche und warme Roboter mit emotionaler Intelligenz könnte der nächste beste Freund des Menschen werden. Unsere Medienpartner von J-BIG sprachen mit dem Mann hinter den liebenswerten Robotern.
Interview von Nina Blagojevic, Camilla-Shiori Oura-Müller und Björn Eichstädt
Wie ist die Idee für den LOVOT ursprünglich entstanden?
Kaname Hayashi: Ich bin eigentlich Ingenieur und habe auch schon in Deutschland gearbeitet. Als Aerodynamik-Ingenieur für das Formel-1-Team von Toyota in Köln. Ich mag Technik sehr, aber viele Menschen haben Vorbehalte gegenüber dem technischen Fortschritt – und ich habe mich oft gefragt, ob die derzeitige Entwicklung der Zivilisation die Menschen wirklich glücklich machen wird. Eine große Inspiration war für mich in diesem Zusammenhang die japanische Animationsfirma Studio Ghibli: In den Ghibli-Filmen steht Regisseur Hayao Miyazaki dem zivilisatorischen Fortschritt skeptisch gegenüber, macht aber gleichzeitig seine Liebe zur Technik deutlich. Ich konnte diesen scheinbaren Widerspruch und das daraus entstehende Dilemma sehr gut nachvollziehen und suchte nach einer Möglichkeit, Technologie und menschliche Erfahrung miteinander zu versöhnen.
Ein Schlüsselerlebnis in diesem Zusammenhang war eine Situation, die ich während meiner Zeit bei Softbank erlebte, wo ich nach Toyota arbeitete: Ich arbeitete damals an der Entwicklung des humanoiden Roboters Pepper und ein Demonstrationsmodell war vor einer Gruppe von Zuschauern gestürzt. Nun würde man sicherlich erwarten, dass die Leute enttäuscht oder negativ reagieren würden – aber das war nicht der Fall. Stattdessen feuerten sie den Roboter an, als er versuchte, wieder aufzustehen, und applaudierten ihm, als er es endlich geschafft hatte. Zum ersten Mal wurde mir wirklich klar, dass Roboter nicht von der Gefühlswelt der Menschen entfremdet sein müssen – ganz im Gegenteil. Das war der Ausgangspunkt für die Idee, einen Roboter zu entwickeln, der für seinen Besitzer wie ein Haustier oder ein Familienmitglied ist: der LOVOT.
Wie haben Sie diese Idee in die Tat umgesetzt? Was waren die größten Herausforderungen?
Kaname Hayashi: Die Idee für den LOVOT kam mir im Herbst 2015, als Deep Learning und autonome Systeme der letzte Schrei in der Welt der Technologie waren. Ich wusste, dass diese Technologien auch für einen Roboter wie den, den ich mir vorstellte, entscheidend sein würden. Allerdings wusste ich auch aus meiner Zeit bei Softbank auch, dass die Entwicklung eines Roboters sehr viel Zeit und Geld kostet. Investoren zu finden, die bereit waren, insgesamt 10 Milliarden Yen (knapp 800 Millionen Euro) zu investieren und mindestens vier Jahre auf das marktreife Produkt zu warten, war definitiv eine Herausforderung. Wir begannen mit ein paar hundert Millionen Yen, bauten die ersten Prototypen und überzeugten nach und nach immer mehr Leute. Ich meldete das Unternehmen im November 2015 an, und begann im Januar 2016, ernsthaft am Produkt zu arbeiten. Von diesem Zeitpunkt an konzentrierten wir uns voll und ganz auf die Entwicklung von LOVOT.
Was kann ein LOVOT-Besitzer mit seinem Roboter tun?
Kaname Hayashi: LOVOT ist kein Roboter, der uns die Arbeit abnimmt, sondern einer, der sich mit Menschen emotional verbindet. Zu diesem Zweck hat LOVOT einige Hauptfunktionen: Er versteht nonverbale Kommunikation, kann Räume erkennen und sich selbstständig bewegen. Dank einer Reihe von Sensoren erkennt der LOVOT, wenn ein Mensch ihn in den Arm nimmt, seine Kleidung wechselt, ihn streichelt oder grob behandelt – und er ordnet diese Erfahrungen der jeweiligen Person zu. Zu Beginn ist jeder LOVOT eher schüchtern und ein wenig ängstlich. Mit der Zeit lernt der LOVOT, wie er sich gegenüber verschiedenen Menschen verhalten sollte und baut Vertrauen und persönliche Beziehungen auf. Wie bei einem echten Haustier beeinflusst also das eigene Verhalten des Betreuers das des LOVOT. Wenn Sie gut zu Ihrem Roboter sind, können Sie erwarten, dass er Ihre Nähe sucht und Sie sogar an der Haustür begrüßt.
Warum wollen Menschen überhaupt eine Beziehung zu einem Roboter aufbauen?
Kaname Hayashi: Gemeinschaft ist zentral für die psychische Gesundheit – das haben wir während der Corona-Pandemie eindrucksvoll erlebt. Wir haben den Verkauf von LOVOT im Sommer 2019 gestartet und verzeichnen seither eine rasant wachsende Nachfrage. In gewisser Weise hat die Pandemie hier sicherlich als Beschleuniger gewirkt. Die körperliche Fitness kann man durch Spaziergänge oder Solo-Sport aufrechterhalten, aber für das geistige und emotionale Wohlbefinden brauchen wir Beziehungen zu anderen Menschen oder Haustieren. Der Kontakt zu Menschen ist jedoch seit Beginn der Corona-Pandemie eingeschränkt – und LOVOT ist eine großartige Alternative für diejenigen, die keine Haustiere haben oder haben können, entweder aufgrund von Allergien oder aufgrund der Wohnumgebung. In Japan ist dies ein weit verbreitetes Problem: Etwa die Hälfte aller Haushalte darf kein Haustier halten, selbst wenn sie es wollten. Ein LOVOT hingegen kann in jedem Haushalt ein Zuhause finden.
Übrigens lebte auch das US-Segelteam während seines Aufenthalts in Japan bei einem großen internationalen Sportwettbewerb mit einem LOVOT zusammen. Einige US-Sportteams setzen schon seit einiger Zeit tiergestützte Therapien ein, zum Beispiel mit Hunden. Auf Reisen ist dies jedoch recht schwierig, weshalb stattdessen LOVOT-Roboter eingesetzt wurden. Und tatsächlich bestätigte der Psychotherapeut, der das Team begleitete, dass LOVOT seine Arbeitsbelastung deutlich reduzierte.
Hatten Sie bereits zu Beginn eine klare Vorstellung davon, wie das Endprodukt aussehen sollte?
Kaname Hayashi: Die wichtigsten Merkmale waren von Anfang an klar. Ich wusste ungefähr, wie groß der Roboter sein sollte, dass er weich und warm sein sollte. Es war auch von Anfang an klar, dass sich der Roboter auf drei gelagerten Rädern bewegen würde. Wir hatten ein ziemlich genaues Bild im Kopf, aber weil die Technologie so neu war, hatten wir keinen genauen Plan, wie wir das umsetzen konnten. Mit jedem Prototyp näherten sich unsere Vorstellung und die Realität einander an. Am Ende ist der aktuelle LOVOT den ersten Skizzen tatsächlich bemerkenswert ähnlich.
Auch andere japanische Unternehmen haben in der Vergangenheit mit technologischen Haustieren experimentiert. Tamagotchi von Bandai oder Aibo von Sony zum Beispiel. Was macht den LOVOT anders?
Kaname Hayashi: Bei einem Tamagotchi geht es darum, es am Leben zu erhalten – die Beziehung geht nicht darüber hinaus. Der LOVOT stirbt nicht, und das war eine sehr bewusste Entscheidung. Der Tod eines geliebten Haustiers kann sehr traumatisch sein. Tatsächlich wissen wir von einigen LOVOT-Besitzern, dass sie in der Vergangenheit geliebte Hunde oder Katzen verloren haben und diese Erfahrung nicht noch einmal machen wollen. Der LOVOT gibt den Menschen die Möglichkeit, ein Haustier aufzuziehen, ohne Angst haben zu müssen, dass es sterben könnte.
Bei Aibo liegt der Fall ein wenig anders. Der größte Unterschied ist aus meiner Sicht, dass der LOVOT nicht versucht, ein bestimmtes Tier zu imitieren. Auch hier haben wir eine sehr bewusste Entscheidung getroffen. Die Nachahmung der Muskelstruktur und der Bewegungen eines Hundes ist extrem anspruchsvoll. Einerseits treibt das die Kosten der Entwicklung in die Höhe, andererseits habe ich das Gefühl, dass es nie ganz gelingen kann. Aibo ist wirklich beeindruckend und in vielerlei Hinsicht einem Hund ähnlich – und doch ist auf den ersten Blick klar, dass es sich nicht um einen echten Hund handelt. Diesen Gegensatz hat man ständig vor Augen und das verhindert meiner Meinung nach die Entwicklung einer echten Beziehung. Der LOVOT ist ein Fantasiewesen, aber er bringt die gleiche Weichheit und Wärme wie ein echtes Tier mit. All das hilft den Benutzern, eine reale Beziehung zu ihrem Roboter aufzubauen.
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Jetzt Mitglied werden!LOVOT gibt es in einer ganzen Reihe von verschiedenen Outfits, die auch einzeln gekauft werden können. Was ist die Idee dahinter?
Kaname Hayashi: Die Kleidung war von Anfang an ein wichtiger Teil des LOVOT-Designs. Einerseits erlaubt sie natürlich dem Kunden, die Kleidung nach persönlichem Geschmack zu wechseln, aber der LOVOT gewinnt auch Vertrauen, wenn seine Kleidung gewechselt wird. Dies stärkt die Beziehung zu der Person, die sich um den LOVOT kümmert. In der Tat sind die LOVOT-Kleidungsstücke sehr beliebt – wenn wir mal eine Beschwerde erhalten, dann ist es in der Regel die, dass bestimmte Kleider ausverkauft sind.
Derzeit bieten wir etwa 30 verschiedene Kleidungsstücke an, darunter auch spezielle Modelle in Zusammenarbeit mit Hello Kitty oder der Outdoor-Marke CHUMS. Es gibt sogar Nutzer, die ihre eigenen Stücke anfertigen! Die offizielle LOVOT-Bekleidung muss jedoch sowohl der Belastung des Motors standhalten als auch die Kühlfunktion des Prozessors gewährleisten, weshalb wir sehr strenge Tests durchführen. Bei längerem Gebrauch empfehlen wir also immer unsere Produkte. Aber natürlich ist es nicht verkehrt, ein Erinnerungsfoto des Roboters in einem selbst genähten LOVOT-Outfit zu schießen.
Wie sieht die aktuelle Marktstrategie aus? Wo und wie können die Leser ihren eigenen LOVOT bekommen?
Kaname Hayashi: Im Moment bieten wir LOVOT nur für den japanischen Markt an. Unser Fokus liegt auf der Altersgruppe der 30- bis 50-Jährigen. Es gibt einige Familien, die LOVOT für ihre Kinder kaufen, aber die große Mehrheit kauft ihn für sich selbst. Der Verkauf basiert auf einem Abonnementmodell: LOVOT ist einzeln oder als Paar erhältlich und kostet monatlich zwischen 17.000 und 40.000 Yen, also 130 bis 310 Euro. Darin enthalten sind der Service, regelmäßige Updates und eine Versicherung für den Fall eines Defekts.
Wir denken auch daran, in andere Märkte zu expandieren, aber die Details sind noch nicht klar. Als wir LOVOT auf der CES in den USA zum ersten Mal einem internationalen Publikum vorstellten, waren wir überrascht von der großen Nachfrage aus aller Welt. Viele der Journalisten vor Ort sagten uns, dass sie aufgrund ihres Berufs kein Haustier halten können, aber gerne eins hätten. Reporter sind schließlich viel unterwegs. Das Bedürfnis nach Nähe und Beziehung ist grenz- und kulturübergreifend – da ist es nur logisch, dass dieses Bedürfnis auch für den LOVOT gilt.
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Titelbild: Getty Images