In Videospielen nehmen Klimawandel und Umweltschutz bislang kaum eine gewichtige Rolle ein. Aber einige Studios wollen das ändern. Sie lassen die Spieler in Konflikt mit ihrer Umwelt geraten und zwingen sie darüber nachzudenken, ob und wie sie virtuelle Lebensräume nutzen und schützen können.
Von Michael Förtsch
Der Klimawandel ist für viele Menschen immer noch eine sehr abstrakte Gefahr. Selbst wenn die Folgen immer spür- und sichtbarer werden. Sandstrände und Küsten fallen dem steigenden Meeresspiegel zum Opfer. Brände vernichten Landstriche, die so groß sind wie ganze Bundesländer. Und einst grüne und fruchtbare Böden werden zu wüsten Brachen, auf denen nichts wachsen und gedeihen mag. Viele Film- und Serienmacher haben das brisante Thema für sich entdeckt und versuchen einzelne Aspekte in Produktionen wie The Day After Tomorrow, Don’t Look Up, Tides und The Silent Sea in jeweils eigener Weise zu erforschen. Aber in einem anderen populären Medium scheint der Klimawandel bislang kaum angekommen: in Videospielen. Dabei sind sie das perfekte Vehikel, um die Dynamiken und Gefahren der Erderhitzung zu thematisieren.
In zahlreichen Videospielen ist es die Aufgabe der Spielerinnen und Spieler, eine vor ihnen ausgebreitete Welt in Besitz zunehmen und nutzbar zu machen. In Sim City von 1989 und dessen direkten und spirituellen Nachfolgern wie Cities: Skylines oder der Anno-Saga wird der Lebensraum vereinnahmt, um Wohnraum zu schaffen, eine Gesellschaft hochzuziehen und vor allem: Wachstum und Wirtschaft voranzutreiben. Zwar kann es in Sim City dann und wann zu den berühmten wie berüchtigten Katastrophen kommen, bei denen ein Monster die so fein säuberlich geplante Stadt aufreißt. In anderen Games können Feuer und Piraten die eigene Siedlung bedrängen. Aber echte existenzielle Bedrohungsszenarien gibt es nicht. Die Implikationen des menschlichen Wachstumsstrebens spielen eine untergeordnete oder sogar keine Rolle. Auch die Verwundbarkeit der Umwelt wird nicht adressiert. Aber das scheint sich zunehmend zu ändern – in neuen und kreativen Videospielen.
Wenn die Umwelt lebt
Das Onbu ist ein mächtiges, aber stilles Ungetüm, ein riesenhaftes und womöglich schon Hunderte von Jahren altes Dinosaurierwesen, das auf seinem Rücken ein breites Plateau aus Erde und Fels umherträgt. Es ist die letzte Hoffnung für die Bewohner der mittelalterlichen Welt in The Wandering Village, das vom Schweizer Indie-Studio Stray Fawn entwickelt wird. In dessen Fantasieszenario breitet sich eine Pflanze aus, deren toxische Sporen alles Leben auszulöschen drohen. Auf dem noch unbefallenen Rücken des Onbu, das pausenlos umher marschiert, muss nun ein Dorf errichtet werden, mitsamt Häusern, Feldern, Windmühlen und allem anderen, was eine Gemeinschaft zum Überleben braucht. Aber das Onbu kann von den Siedlern nicht einfach ausgebeutet und ausgelaugt werden. Stirbt und leidet das Tier, droht auch der Dorfgemeinschaft das Ende.
„Es geht um Symbiose“, sagt Philomena Schwab im Interview mit 1E9, Co-Gründerin des Studios. „[Die Dörfler] sind von Onbu abhängig und müssen nachhaltige Lösungen für ein gemeinsames Zusammenleben finden.“ Das heißt auch, dass die Siedler der Kreatur immer wieder helfen müssen. Sie wandert durch Wüsten, Wälder und Tundren, die jeweils eigene Gefahren bereithalten. Mal müssen die Spieler ihre Dorfgemeinschaft anweisen, den Riesendinosaurier von Parasiten zu befreien oder ihm eine Entgiftungskur verpassen. Dann und wann muss die Gemeinschaft aber auch aktiv eigene Ressourcen opfern, sich selbst einschränken, um das Tier und damit den Lebensraum zu erhalten. „Bei Futterknappheit muss Onbu auch mit Nahrung versorgt werden“, nennt Schwab als Beispiel. Es muss also eine Ökonomie aufgebaut werden, die Mensch und Tier berücksichtigt.
Eine weitere Herausforderung ist der sehr begrenzte Platz auf dem Rücken des Giganten, der eine enge Wachstumsgrenze setzt. Dadurch müssen „immer wieder neue und möglichst effiziente Wege [gefunden werden], um mit den verschiedenen Herausforderungen der Umwelt umzugehen“, sagt die Entwicklerin. „Hierbei kann es sich etwa um Temperatur- und Wetterwechsel handeln. Mehr, größer, schneller ist hier nicht immer die beste Lösung. Es geht darum, die oft wackelige Balance aufrecht zu erhalten.“ Das sei freilich nicht einfach, da die Bedürfnisse der Menschen und des Onbu manchmal durchaus konträrer Natur sind.
Mehr, größer, schneller ist hier nicht immer die beste Lösung.
Philomena Schwab
Die widerstrebenden Interessen und darauffolgenden Entscheidungen, die die Spieler treffen, sollen nicht ohne Folgen sein. Im Laufe des Spiels lernen die Dörfler mit dem Onbu über ein großes Horn zu kommunizieren, dessen trötende Laute das Tier versteht. Aber je nachdem, ob die Siedler das Onbu in der Vergangenheit gut oder schlecht behandelten, kann es den Kommandos folgen oder sie ignorieren. Dadurch können sich die Fehler und auch der Egoismus der Spieler im Nachhinein rächen. Letztlich, sagt Schwab, gehe es in The Wandering Village darum, zu zeigen, dass beides möglich sei: ein gutes Leben und ein gesundes Ökosystem.
Back to nature
Während es in The Wandering Village das Ziel ist, das Onbu und damit den eigenen Lebensraum zu bewahren, ist die Umwelt in Terra Nil schon dahin. Statt auf grüne Wiesen blicken Spieler hier zu Beginn auf eine tote Einöde, die nach und nach in ein Naturparadies verwandelt werden muss. Dafür werden die Böden mit Toxinsaugern entsäuert, mit Irrigatoren bewässert und mit sowohl technischen als auch biologischen Prozessen wiederbelebt. Dabei muss effektiv vorgegangen werden. Die Technologien und Entwicklungsschritte kosten Punkte, die wiederum durch aufbereitete Böden wieder eingespielt werden. Letztlich müssen die Spieler an den Punkt gelangen, an dem die ganzen aufgebauten Gerätschaften verschwinden und die Natur wieder für sich stehen kann.
Die Idee dafür kam den Entwicklern des südafrikanischen Studios Free Lives auf einer Ludumdare Game Jam, einem Wettbewerb, bei dem innerhalb eines festen Zeitraums ein Spiel zu einem vorgegebenen Thema entwickelt werden muss. In diesem Fall: Beginne mit nichts. Der Spielemacher Sam Alfred schusterte in 48 Stunden einen rudimentären Prototypen von Terra Nil, der bereits „sehr gut ankam“, wie Jonathan Hau-Yoon sagt. Derzeit arbeitet er gemeinsam mit Sam und einigen weiteren Entwicklern an der Weiterentwicklung von Terra Nil zu einem vollwertigen Game. Die Begeisterung dafür begründetet sich nicht alleinig im Thema Umweltschutz. Vielmehr macht das Spielkonzept einfach viel Freude.
„Wir wollen zuallererst ein großartiges Spiel entwickeln“, sagt daher Jonathan Hau-Yoon. „Wir wollen niemandem eine Botschaft aufdrängen, weil das gerne mal den Spielspaß unterminiert und damit letztlich niemand etwas gewinnt.“ Dennoch sei Terra Nil aber natürlich ein Videospiel, das etwas zu sagen hat. „Es geht darum, sich um unsere Umwelt zu kümmern, eine vielfältige Flora und Fauna zu bewahren – oder auch zu fördern“, sagt Hau-Yoon. „In vielen Aufbauspielen geht es um Kolonisierung oder darum, die natürliche Welt nach dem eigenen Willen zu formen und ihre Ressourcen auszubeuten. Genau darum soll es bei uns nicht gehen.“
In vielen Aufbauspielen geht es um Kolonisierung oder darum, die natürliche Welt nach dem eigenen Willen zu formen und ihre Ressourcen auszubeuten. Genau darum soll es bei uns nicht gehen.
Jonathan Hau-Yoon
Dass in Terra Nil vor allem Technologien und Bauwerke die Rettung darstellen, das ist einerseits dem Spielkonzept geschuldet. Aber das Team habe auch durchaus nach technologischen Ansätzen gesucht, die bereits existieren oder in greifbarer Zukunft denkbar sind und helfen könnten, die Schäden, die die Menschheit an der Natur verursacht hat, umzukehren. Beispielsweise Anlagen, die genutzt werden, um das Erdreich von Quecksilber und Schwermetallbelastungen zu befreien oder die Praxis, Wiesen und Wälder gezielt abzubrennen, um diesen Landschaften die Regeneration zu erlauben. Vieles sei vereinfacht oder auch humorig umgesetzt, aber keine der Technologien in Terra Nil sei Zauberei, sagt Hau-Yoon.
Die Erde im Stahltank
Auch in Ixion soll es Technologie sein, die die Menschheit rettet – aber das, weil es für die Erde schon zu spät ist. Im Aufbau- und Managementspiel des französischen Bulwark Studios sind Klima und Ökosystem der Erde kollabiert. Der Planet droht dadurch vollkommen unbewohnbar zu werden. Daraufhin lässt der mächtige Luft- und Raumfahrtkonzern Dolos die riesenhafte Raumstation Tiqqun errichten, die die Menschheit in ein fremdes Sonnensystem tragen soll, um dort neu anzufangen. Doch durch einen Fehler zünden ungeplant die Triebwerke der Station und befördern sie viel zu früh in die Weiten des Alls. Damit die Mission dennoch gelingt, muss die Station ähnlich Videospielen wie Surviving Mars von den Spielern auf- und ausgebaut, gewartet und am Laufen gehalten werden.
Es muss mit der Konstruktion von Generatoren, Raffinerien, Wohn- und Arbeitsstätten, Hydrofarmen und anderen Anlagen ein fragiles Gleichgewicht zwischen Wirtschaft, Gesellschaft und den Belastungsgrenzen der Station gefunden werden. Wer die falschen Entscheidungen trifft, kann die Station lahmlegen oder für den Tod von Tausenden von Siedlern und Firmenangestellten verantwortlich sein. Tatsächlich sollen die Entscheidungen nicht immer leicht ausfallen. „Wir wollen, dass das utilitaristische und moralische Verständnis der Spieler in Konflikt gerät“, sagt Emmanuel Monnereau, der Entwicklungsleiter von Ixion.„Wir wollen, dass sie ihre Ansichten hinterfragen und neue Perspektiven einnehmen müssen.“
Dazu: „Die Tiqqun-Station ist eine temporäre Lösung. Sie wird schwächer, je länger und verzweifelter der Spieler nach einem Planeten sucht, der Leben ermöglicht“, führt Monnereau aus. Beispielsweise soll die strukturelle Integrität der sechs großen Ringkonstruktionen nachlassen, die bebaut werden können. Irgendwann komme es dazu, dass jedes weitere zurückgelegte Lichtjahr einem Würfelwurf gleicht: Zerreißt die Belastung die Station, oder schafft sie noch die Stecke bis zum nächsten Sonnensystem? Ebenso werden nach und nach immer mehr Menschen notwendig, die sich um die Wartung kümmern, was die Station gleichzeitig immer mehr belastet und mehr Ressourcen erfordert, die im All geerntet werden müssen.
Die Station in einen ausgewogenen Betriebszustand zu bringen, soll eine schwierige Aufgabe sein. Und zwar so schwierig, „dass sich die Spieler fragen, ob das überhaupt machbar ist und lohnt“, so Emmanuel Monnereau, „da in einer endlichen Welt nur bis zu einem gewissen Punkt ein Wachstum leistbar ist.“ In dieser Hinsicht gebe es kaum einen Unterschied zwischen der Erde und der Station, meint der Spieleentwickler. Die Ökologie der Tiqqun sei in gewisser Weise eine abstrahierte und verdichtete Fassung unserer Erdökologie, die jedoch aufgrund des begrenzten Raums ständig am Rande des Zusammenbruches steht.
Aber auch die Idee, dass die Menschheit irgendwann die zerstörte Erde zurücklässt „hat eine realistische Grundlage“, meint Monnereau. Dafür müsse man sich nur die Marspläne von Elon Musk und die Idee für riesenhafte Raumstationen ansehen, wie sie Jeff Bezos im Jahr 2019 vorgestellt hat. Das sind Pläne, die laut dem französischen Entwickler nicht so einfach zu be- und verurteilen sind.
Wir wollen, dass das utilitaristische und moralische Verständnis der Spieler in Konflikt gerät.
Emmanuel Monnereau
Die Entscheidung der Milliardäre ihre nahezu endlosen Ressourcen einzusetzen, um irgendwo im All einfach nochmal von vorne anzufangen, habe zwar eine utopische und philanthropische Dimension. Aber solche Visionen seien auch wahnsinnig zynisch, da sie die Erde zu einem Wegwerfprodukt erklären – und die Rettung der Menschheit unter das Banner eines Unternehmens und nicht der Menschheit selbst stellen. Daher solle Ixion nicht nur die Machbarkeit eines Neustarts hinterfragen, sondern auch den Wunsch danach, die Erde und einen Großteil ihrer Bewohner einfach zurückzulassen, um einem von einem Mega-Unternehmen zu formenden Scheinparadies nachzujagen, in dem dann alles besser werden soll.
Die Umwelt, der Feind
The Wandering Village, Terra Nil und Ixion sind keineswegs die einzigen Projekte, die die Beziehung von Mensch und Umwelt, die Gefahren des Klimawandels und der Manipulation unseres Lebensraums debattieren. Bereits 2018 erschien beispielsweise Frostpunk, das eine fiktive Vergangenheit zeichnet, in der im späten 19. Jahrhundert eine neue Eiszeit ausbricht. Die einzige Möglichkeit, zu überleben, sind riesige Wärmegeneratoren, um die sich kleine Siedlungen bilden – die die Spielerinnen und Spieler mit gnadenloser Hand regieren müssen, um deren Erhalt zu garantieren. In Endzone: A World Apart von 2020 muss die Zivilisation nach einem globalen Atomkrieg neu errichtet und gegen Gefahren wie Strahlung, Säureregen und Sandstürmen gewappnet werden.
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Jetzt Mitglied werden!Selbst wenn diese Szenarien allesamt sehr abstrahiert daherkommen, illustrieren sie doch die Gefahren, die mit einer zunehmend feindlicher werdenden Umwelt einhergehen – und die Not, eine harmonische Koexistenz mit dem eigenen Lebensraum zu finden. Philomena Schwab glaubt, dass das die Spieler durchaus zum Nachdenken und Reflektieren anregen kann. „Ich persönlich glaube sehr an den edukativen Effekt von Spielen“, sagt sie. „Unser erstes Game Niche wird mittlerweile an Schulen eingesetzt, um Genetik zu unterrichten, obwohl es nie als Educational Game gedacht war. Spiele regen auf jeden Fall zum Denken an.
Emmanuel Monnereau denkt ähnlich und wünscht sich, dass Videospiele öfter die kritische Auseinandersetzung mit Themen wie Ökonomie, Ökologie und dem Verständnis von Wachstum anregen. Oder auch, dass sie die Spieler dazu bringen, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, denen viele im Alltag gerne aus dem Weg gehen. Geht es nach Jonathan Hau-Yoon sei es unausweichlich, dass Spielemacher derartige Themen in Zukunft häufiger aufgreifen. „Spieleentwickler sollten natürlich in erster Linie die Spiele entwickeln, die sie machen wollen“, meint Hau-Yoon. „Aber ich denke auch, dass die Klimakrise immer ernster wird. Damit ist es unvermeidlich, dass die Zahl der Entwickler größer wird, die sich mit Umweltschutz und dem Kampf gegen eine nicht nachhaltige Nutzung unserer Ressourcen befassen.“
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