Von Rafael Hostettler
Stell dir vor, du steuerst einen Roboter – aber weder von deinem Sofa aus mit einem Gamecontroller noch, indem du ihm einen Sprachbefehl gibst. Nein, du verkörperst ihn! Du ziehst einen Anzug an, der deine Bewegungen und Emotionen auf einen Roboter überträgt und dich im Gegenzug sehen, hören, spüren und riechen lässt, was der Roboter fühlt. Dein Körper ist dadurch an einem Ort, dein Geist an einem anderen.
Diese technologische Revolution ermöglicht dir sofortige Reisen. Ein Besuch bei den Großeltern in der Mittagspause, auf Hawaii Surfen in der Kaffeepause und Wandern auf dem Mount Everest am Nachmittag. Eines Tages könntest du die Marsoberfläche erkunden, während dein Körper sicher in der Raumstation zurückbleibt. Was uns in Filmen wie Avatar, Transcendence oder Surrogates bereits vorgelebt wurde, wird bald Realität werden.
Der Film Surrogates von 2009 nahm das Konzept der Telepräsenzroboter bereits vorweg.
Vorerst schränken uns technische Herausforderungen noch ein. Wir wissen noch nicht, wie man Roboter baut, die gut genug sind, um diese Vision umzusetzen. Selbst der Atlas von Boston Dynamics ist, obwohl äußerst beeindruckend, immer noch eine sehr laute und energiehungrige Maschine und damit weit weg von der grazilen Dynamik des menschlichen Körpers. Außerdem verstehen wir zu wenig, wie wir unseren Sinnen vortäuschen können, dass sie etwas spüren, was woanders aufgenommen wurde. Doch es tauchen zunehmend Virtual Reality Headsets sowie haptische Anzüge und Handschuhe auf, die versuchen, eine Schnittstelle zwischen unserem sensorischen System und einer anderen Welt zu schaffen – sei diese nun virtuell oder real.
Aber während unsere Versuche noch unbeholfen scheinen, schreitet der Fortschritt schnell voran. Und wir dürfen erwarten, dass er sich dank eines XPRIZE-Wettbewerbs, der von der japanischen Fluggesellschaft ANA gesponsert und mit einem Preisgeld von 10 Millionen Dollar ausgestattet wurde, weiter beschleunigen wird. Es ist ein mutiger Schritt, um eine Bewegung auszulösen, die die Telepräsenz-Robotik – wie die oben beschriebene Technologie genannt wird – zum Erfolg führen soll.
Wie vermitteln wir unsere Identität durch einen Roboter?
Mit dieser Beschleunigung im Hinterkopf gibt es Grund zur Hoffnung, innerhalb des nächsten Jahrzehnts einen eigenen – oder gemeinsam genutzten – Telepräsenzroboter zu haben. Und das wirft eine grundlegende Frage auf: Was ist Mode, wenn wir erst einmal Roboter sind?
Mode bedeutet, unseren Körper mit Materialien zu bedecken und zu verändern, die, im sozialen Kontext präsentiert, Status, Identität und Geschmack vermitteln. Sobald du mit der Welt durch einen Roboter interagierst, bist das du. Der Roboter wird als du wahrgenommen. Und so wird die Frage, wie dieser Roboter aussieht, wie er klingt und riecht genauso eine Frage von Mode, wie die heutige Entscheidung zwischen Manolo Blahniks und Uggs, bevor man das Haus verlässt! Wer willst du sein? Ein großer, schlanker Roboter, bedeckt mit einem Stoff, der ein sanftes blaues Leuchten ausstrahlt – und an Elfen aus einer Fantasywelt erinnert? Oder möchtest du lieber in eine starke und glänzende Metallrüstung gehüllt sein? Oder ein Punkroboter? Ein außerirdisches Wesen mit einer glänzend schwarzen Oberfläche und leuchtenden Stammestätowierungen? Wie bei der Mode der Gegenwart hängt die Antwort auch vom Anlass und der Stimmung ab. Der Elf könnte perfekt für einen Laufsteg sein, während ein eleganter Roboter mit Krawatte bei deinem nächsten Geschäftstreffen die richtige Wahl sein könnte.
Eine neue Welle der Kreativität
Es wird häufig befürchtet, dass wir durch Roboter ununterscheidbar und gleichgeschaltet werden. Ich denke aber, es wird sich genau anders herum verhalten: Die Telepräsenz-Robotik wird eine noch nie da gewesene Welle der Kreativität in der Mode entfesseln. Heute ist die Mode durch viele Faktoren eingeschränkt: Die Form des Körpers, die Tatsache, dass sie – zumindest abseits vom Laufsteg – bequem und tragbar sein muss. Deine Haut muss atmen. Wenn deine Kleidung zu schwer oder zu eng ist, wirst du sie irgendwann loswerden wollen. Wir alle wissen, wie es ist, sich aus Skischuhen zu quälen. Über Kleidung hinaus, gibt es nur sehr begrenzte Möglichkeiten, den Körper selbst zu verändern (Tattoos, Piercings, Brandings und für die ganz Mutigen: Implantate). Die meisten davon sind – abgesehen von Schminke – ziemlich dauerhaft.
Keine dieser Einschränkungen gilt für Roboter. Sie können eine empfindliche Oberfläche haben, die sich für dich wie eine normale Haut anfühlt, wenn du den Roboter steuerst, obwohl die Oberfläche aus glänzendem Metall, Schuppen oder was auch immer wir uns vorstellen können besteht. Wolltest du nicht schon immer ein mächtiger Krieger sein, aber nicht durch das Gewicht der Rüstung belastet werden?
Durch sich immer schneller entwickelnde Technologien wie den 3D-Druck werden solche einzigartigen Designs immer einfacher und es ist nur die Phantasie, die limitiert, was wir sein können. Warum sollten wir alle derselbe Roboter sein wollen? Wir verwenden Mode, um zu definieren, wer wir sind, und wir werden Mode verwenden, um zu definieren, für wen unsere Roboter stehen. Das eröffnet eine ganz neue Perspektive, lasst sie uns erforschen!
Rafael Hostettler, hier als @raf, ist Gründer und Geschäftsführer der Devanthro UG - the Roboy Company und der Medical Templates AG, er tritt regelmäßig als Speaker zu Themen der Zukunft auf (Robotik, KI und Zukunft der Arbeit). Alles mit einem einfachen Ziel: ewig neugierig bleiben zu können.